Literatur in
Bild & Ton
Literaturhistorische
Videodokumente von Henry Miller,
Jack Kerouac, Charles Bukowski, Dorothy Parker, Ray Bradbury & Alan
Rickman liest Shakespeares Sonett 130
Thomas Bernhard Eine
kleine Materialsammlung
Man schaut und hört wie gebannt, und weiß doch nie, ob er einen
gerade auf den Arm nimmt, oder es ernst meint mit seinen grandiosen
Monologen über Gott und Welt. Ja, der Bernhard hatte schon einen
Humor, gelt?
Hörprobe
Die Fluchtbewegungen des Bob Dylan »Oh
my name it is nothin'/ My age it means less/ The country I come from/
Is called the Midwest.«
Ulrich Breth über die
Metamorphosen des großen Rätselhaften
mit 7 Songs aus der Tube
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Anmerkungen
eines wahren Thomas Bernhard Lesers zu seiner aus dem Nachlaß erschienenen
Bilanz »Meine Preise«
Er ist wieder da. Man hält ein neues Buch in der Hand,
"Meine Preise". Natürlich weiss man – es ist ein nachgelassenes Werk. Raimund
Fellinger ordnet es am Ende philologisch ein. Um 1980 (vielleicht 1981) herum
hatte es Thomas Bernhard fertiggestellt; einige Seiten des Typoskripts sind
faksimiliert. Für einen kurzen Nachmittag nur beginnt die Wüste wieder zu leben.
Aber klar, Thomas Bernhard bleibt tot und bis auf weiteres sind keine Wunder zu
erwarten.
Naturgemäss (!) möchte der Verlag eine Art Revival begründen. Ein neues Buch!
Zwanzigster Todestag! Josef Winkler meinte neulich, dass kaum ein Schriftsteller
die österreichische Literatur der 1960er bis 90er Jahre so beeinflusst habe wie
Thomas Bernhard (zu den Epigonen seufzte er). Tatsächlich war Bernhard kurze
Zeit auch der meistgespielte Dramatiker auf deutschsprachigen Bühnen. Und heute?
Bernhard werde von den jungen Schriftstellern, so Winkler, kaum noch gelesen
(ähnlich wie Handke, aber das ist ein anderes Thema).
Vom Schriftsteller zum Interviewkünstler
Woran liegt das? An Romanen wie
"Holzfällen" oder "Auslöschung" und dem
Theaterstück "Heldenplatz" – allesamt von hohem
skandalträchtigen Potential?
An der fast mystischen Verehrung, die dem Aufreger
Bernhard schon zu Lebzeiten zuteil wurde? Bernhard war das, was man in der
Politik einen "Polarisierer" nennt.
Unvergesslich diese mallorquinischen (und madrilenischen) Gespräche (Gespräche?
oder doch eher platonische Dialoge?) mit Krista Fleischmann (verblüffend die
Parallele dieses Settings mit der des Protagonisten Rudolf aus "Beton").
Fleischmann hatte verstanden, dass man Bernhard nur ausreden lassen muss, um
seinen Weltzorn, der gelegentlich als Ekel von ihm arrangiert wurde, zu mildern
und in hintersinnige, manchmal arg wohlklingende Sentenzen zu verwandeln. Und
welch ein Unterschied zwischen diese lockeren Kaffeehausplaudereien und dem
bleischweren Zynismus des anderen grossen Weltzornigen
Heiner Müller wenige Jahre später (insbesondere mit seinem Eckermann Alexander
Kluge). Nie war die Differenz zwischen
österreichischer Grandezza und deutschem Schwermut sichtbarer als hier. Bernhard
und Müller wurden, als ihre schriftstellerische Kraft nachliess,
Interviewkünstler; sie verwandelten sich mehr und mehr
in Schriftsteller-Darsteller. Im Gegensatz zu den heutigen Plapperlümmeln hörte
man beiden (aller Unterschiede zum Trotz) noch mit Gewinn (und Vergnügen) zu.
Aber ihre Werkrezeption litt darunter.
Der frühe und der späte Bernhard
Der wahre Bernhard-Leser erinnert sich: Wie atemlos folgte man dem eremitenhaft
lebenden Maler Strauch aus "Frost", der seine Weltabgewandtheit aus purer
Verzweiflung zelebriert (aber nicht reflektiert), dabei gelegentlich in
sarkastischen Humoresken flüchtet und am Ende entweder dem Wahnsinn oder dem
Freitod nahe scheint. Dann ein ruhiges, fast sanftes, aber dennoch unheimliches
Buch ("Amras") über die Flucht von zwei Brüdern. Und mit welcher Intensität
erpuzzelte man sich die Geschichte um den Frauenmörder Konrad in
"Das Kalkwerk", die in unterschiedlichsten Versionen
der "Kronzeugen" Fro und Wieser und aus Konrads Aufzeichnungen herausdestilliert
werden mussten (und einen Gerüchteraum sondersgleichen hinterliessen). Und wie
ergriffen folgte man den Ausführungen des wahnsinnig scheinenden Fürsten in
"Verstörung". Und dann diese besessene Bersekerhaftigkeit des Protagonisten
Roithammer in "Korrektur", der ein Bauwerk für seine Schwester plant, den
"Kegel", und dann den Freitod wählt (unvergesslich die letzten Worte des Buches:
"Das Ende ist kein Vorgang. Lichtung."). Auch hier dieses Gespinst von
nachgetragenen Erzählungen, Gerüchten und Mutmassungen.
Die Literatur des frühen Bernhard, ein Faszinosum. Elliptische Schachtelsätze,
die abschnitts- und kapitellos die Seiten füllen und niemals kommt man auf die
Idee vorzublättern. All diese wuchtigen, beklemmend-einnehmenden Bücher, die
einen immensen Sog und auf eine verblüffende Weise am Ende Hoffnung erzeugen
konnten. Und manchmal fühlte man sich auf eine kuriose Weise verstanden, weil da
jemand stellvertretend für einen selber die Welt so sah, wie man sie im Zustand
des Übergangs von Melancholie in die Resignation fühlt (und fürchtet) und
tatsächlich empfand man sich am Ende mitunter kathartisch gereinigt.
Die späten Bücher dann, mit eher glatter Routine geschrieben, so häufig nur noch
Übertreibungsmaschine, die manchmal sehr geölt wirkte, sprachlich zwar immer
noch aussergewöhnlich, aber es fehlte der Nachklang. Literatur, die nicht mehr
durchlässig war, sondern, wie es moderne Textilien vermögen, den Regen abperlen
lässt. Statt existenzialistischer Weltverzweiflung bleiben meist nur wütender
Furor und ein paar drollig-skurrile Protagonisten. Wenige Male nur noch
durchbrach Bernhard dieses allzu durchschaubare, affektreduzierte Kunsthandwerk
(unter anderem mit seinem wohl besten Theaterstück "Der Theatermacher").
Institutionalisiertes Banausentum
Die ernüchternde Feststellung Bernhards in "Meine Preise" ist, dass die ihm
zuerkannten Preise (die merkwürdigerweise in nicht-chronologischer Reihenfolge
aufgeführt werden) mit ihm und seinen Büchern höchstens (wenn überhaupt) nur am
Rande zu tun haben. Zur Verleihung des Grillparzer-Preises 1972 (hiermit beginnt
das Buch) setzt er sich, da man am Eingang nicht die geringste Notiz von
ihm nimmt und kein Mensch ihn empfängt, zusammen mit seiner
"Tante" (Hedwig
Stavianicek, die in Wirklichkeit in keinerlei
verwandtschaftlichem Verhältnis zu ihm stand) in eine hintere Reihe (und
variiert damit den kindlichen Gedanken, bei seiner eigenen Beerdigung zu Gast zu
sein), bevor er dann aufgefordert wird, in der ersten Reihe Platz zu nehmen,
neben der Ministerin, die flugs in ein Ministerschnarchen verfällt.
Akribisch werden immer wieder die teilweise gravierenden Fehler oder mehr oder
weniger versteckten Gemeinheiten aufgelistet, die in den Laudationes auftauchen
(so wird er einmal als ein in 'Holland geborener Ausländer' bezeichnet).
Für Bernhard Belege für so etwas wie ein institutionalisiertes Banausentum.
Den Preisgebern und deren Repräsentanten sind Personen und Werk, die mit ihren
Preisen ausgezeichnet werden sollen, gleichgültig. Bernhard erfährt das selbst,
als er als Jurymitglied des Bremer Literaturpreises 1966 (er hatte den Preis ein
Jahr vorher gewonnen und war daher automatisch in der Jury) das Prozedere der
Preisfindung beiwohnt. Bernhard wollte Elias Canetti vorschlagen, der, wie
ich glaube, bis dahin noch keinen einzigen Literaturpreis bekommen hatte.
Und
dann, alle hatten ihren Kandidaten, der niemals Canetti gewesen war, genannt,
als ich an die Reihe gekommen war und 'Canetti' sagte. Ich war dafür, Canetti
den preis zu geben für seine 'Blendung', das geniale Jugendwerk, das ein Jahr
vor dieser Jurysitzung wieder neu gedruckt worden war. Mehrere Male sagte ich
das Wort 'Canetti' und jedes Mal hatten sich die Gesichter an dem langen Tisch
wehleidig verzogen. Viele an dem Tisch wussten gar nicht, wer Canetti war, aber
unter den wenigen, die von Canetti wussten, war einer, der plötzlich, nachdem
ich wieder Canetti gesagt hatte, sagte: aber der ist ja a u c h Jude. Dann hatte
es nur noch ein Gemurmel gegeben und Canetti war unter den Tisch gefallen.
Die Diskussion zieht sich
schier endlos hin, Namen fallen und werden verworfen; es musste eine
Entscheidung fallen.
Zu meiner grossen Verblüffung zog plötzlich einer der Herren, ich weiss wieder
nicht, welcher, aus dem Bücherhaufen auf dem Tisch, wie mir schien wahllos, ein
Buch von Hildesheimer heraus und sagte in umwerfend naivem Tone und geradezu
schon im Aufstehen zum Mittagessen: 'Nehmen wir doch Hildesheimer, nehmen wir
doch Hildesheimer' und Hildesheimer war gerade jener Name, der während der
ganzen stundenlangen Debatten überhaupt nicht gefallen war […] Wer wirklich
Hildesheimer war, wussten sie wahrscheinlich alle nicht. Im Augenblick wurde
auch schon an die Presse die Mitteilung gegeben, Hildesheimer sei nach dieser
über zweistündigen Sitzung der neue Preisträger. Die Herren erhoben sich und
gingen hinaus in den Speisesaal. Der Jude Hildesheimer hatte den Preis bekommen.
Für mich was d a s die Pointe des Preises. Ich habe sie nicht verschweigen
können.
Das Preisgeld zählt
Bernhard stellt fest, dass man die Preise nicht vergibt, um jemanden
auszuzeichnen, sondern um sich selbst in ein bestimmtes (gutes) Licht zu
stellen. Der Ruhm des Ausgezeichneten soll auf den Preisgeber ausstrahlen, der
dies wiederum mit entsprechendem Gestus anzuerkennen hat. Bernhard möchte jedoch
den Preisgebern diesen "falschen Ruhm" mit aller Kraft verderben. Die
Dankesreden verfasst er beinahe immer in allerletzter Minute (was man bei der
Lektüre – zumal aus dem zeitlichen Abstand heraus – durchaus bemerkt) und
verweigert die üblichen formelhaften Elaboriertheiten. Bernhards Reaktionen in
Form der im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde abgesparten Reden sind legendär.
Spätestens mit der Dankesrede zum "Kleinen Österreichischen Staatspreis", die im
Anhang des Buches abgedruckt ist und für einen Eklat sorgte, ist die
Stigmatisierung in der Öffentlichkeit perfekt. Liest man diese Rede heute nach
(sie ist im Anhang abgedruckt), so wundert man sich ob der hohen Wellen, die sie
geschlagen hat.
Fahrt zu einer Hinrichtung nennt er einmal die Taxifahrt zum
Veranstaltungsort. Er begibt sich zu den Demütigung[en] in diese
Salonlöwenhöhle[n] letztlich nur aufgrund der Preisgelder. Nur halbherzig
geisselt er sich ob der Charakterlosigkeit diese Preisgelder anzunehmen,
aber er braucht das Geld, kauft sich davon ein Auto (es folgt eine wunderbar
leichte, fröhliche Geschichte mit fast kindischer Freude über den Kauf eines
Triumph Herald, die Annehmlichkeiten des Autofahrens und die Reise damit
nach Jugoslawien – hier war er so glücklich, wie noch nie), stürzt sich
von einem anderen Preisgeld in ein Abenteuer namens Hauskauf, leiht auch noch
seinem Lektor Geld (und scheint froh, ihn endlich auch einmal finanziell
unterstützen zu können).
Das Geschriebene verleitet dazu, den Thomas Bernhard im Buch für den realen
Thomas Bernhard zu halten und damit die Ereignisse selber alle für wahr zu
nehmen. In mindestens einem Fall widersprach nach dem Vorabdruck von Teilen des
Buches in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung der Schriftsteller Arnold Stadler
der Darstellung (es handelt sich um das Preisgeld bzw. die Schilderung von
dessen Übergabe zur Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der
Deutschen Industrie im Jahr 1967, die Stadler anders widergibt). Im diesem
Kontext, einer gewissen Virtuosität beim "Gestalten der Fakten" (Stadler), muss
auch diese, mit Abstand wuchtigste und grobschlächtigste Eruption aus "Meine
Preise" gelesen werden:
»Die Leute, die mich auf den Preis angesprochen haben, dachten alle, ich hätte
natürlich den Großen Staatspreis bekommen, und ich war jedes Mal der
Peinlichkeit ausgesetzt, ihnen zu sagen, dass es sich um den Kleinen handle, den
schon jedes schreibende Arschloch bekommen habe. Und ich war jedes Mal
gezwungen, den Leuten den Unterschied zwischen dem Kleinen und dem Großen
Staatspreis auseinanderzusetzen, hatte ich das getan, hatte ich den Eindruck,
dass sie mich überhaupt nicht mehr verstanden. Der Große Staatspreis, sagte ich
immer wieder, sei für ein sogenanntes Lebenswerk und man bekomme ihn im höheren
Alter und er werde von dem sogenannten Kunstsenat verliehen, der sich aus allen
jene zusammensetze, die bisher diesen Großen Staatspreis bekommen haben und es
gäbe nicht nur den Großen Staatspreis für Literatur, sondern auch den für die
sogenannte Bildende Kunst und den für Musik etcetera. Wenn mich die Leute
fragen, wer denn diesen sogenannten großen Staatspreis schon bekommen habe,
sagte ich jedes Mal, lauter Arschlöcher und wenn sie mich fragten, wie denn
diese Arschlöcher hießen, so nannte ich ihnen eine Reihe von Arschlöchern, die
ihnen alle unbekannt waren, nur mir waren diese Arschlöcher bekannt. Und dieser
Kunstsenat setze sich also aus lauter Arschlöchern zusammen, sagten sie, weil du
alle, die in dem Kunstsenat sitzen, als Arschlöcher bezeichnest. Ja, sagte ich,
in dem Kunstsenat sitzen lauter Arschlöcher und zwar lauer katholische und
nationalsozialistische Arschlöcher und dazu noch ein paar Alibijuden. Mich
widerten diese Fragen und diese Antworten an. Und diese Arschlöcher, sagten die
Leute, wählen jedes Jahr neue Arschlöcher in ihren Senat, indem sie ihnen den
Großen Staatspreis verleihen. Ja, sagte ich, jedes Jahr werden neue Arschlöcher
in den Senat, der sich Kunstsenat nennt und ein unausrottbares Übel und eine
perverse Absurdität in unserem Staate ist, gewählt. Es ist eine Versammlung der
allergrößten Nieten und Schweinehunde, sagte ich jedes Mal.«
Verkettung von
Missverständnissen
Das sind die Ausbrüche, die heute weitestgehend das Bild von Thomas Bernhard und
seiner Literatur prägen. Das vorliegende Buch könnte bei oberflächlicher Lektüre
diese allzu einseitige Rezeption durchaus befördern, zumal auch Bernhards
deftige (und dabei doch kunstvolle) Austrittserklärung aus der Deutschen
Akademie für Sprache und Dichtung vom Dezember 1979 abgedruckt ist (Bernhard
selber hatte dies verfügt).
Da diese kaskadischen Erregungen jedoch tatsächlich beim näheren Hinsehen häufig
genug ziemlich flau erscheinen und nur für den kurzen Moment den Leser zu
affizieren vermögen (mehr jedoch aus Melancholie diesem tatsächlich grossen
Schriftsteller gegenüber als aus Ergriffenheit), verpuffen sie am Ende als
episodische Aphorismen, werden jedoch (irrtümlich) repräsentativ für das gesamte
Werk genommen. Was dann (leider) schwache Geister zum
erbärmlichen Epigonentum treibt, mit dem sie dem
grossen (für sie auf immer unerreichbaren) Hassliebeobjekt den Garaus machen
wollen (Schande über die Redakteure, die ihre Empathie einem bankrotten
Schriftsteller gegenüber durch diese Schäbigkeit austoben und
"trauriges Land, das solche Schwätzer für Originale hält").
Aber in einer Geschichte aus "Meine Preise" zeigt sich auch der gefühlvolle,
menschenfreundliche Thomas Bernhard. Anlässlich eines Preises für sein
autobiografisches Buch "Der Keller" sitzt er neben dem Präsidenten der
Salzburger Handelskammer, einem Herrn Haidenthaller, am Tisch. Sein
Salzburger Verleger flüstert ihm ins Ohr, dass dieser Mensch todkrank sei
und keine zwei Wochen mehr zu leben habe (es werden dann sechzehn Tage
sein). Bernhard, der schon vorher für diesen natürlichen und jeden
Pseudo-Intellektualismus unverdächtigen Mann Sympathien entwickelt, und sich
erinnert, dass Haidenthaller seine mündliche Kaufmannsgehilfenprüfung vor über
dreissig Jahren abgenommen hatte, überkommt nun eine Erschütterung. Er war nun
noch viel behutsamer mit dem vornehmen Herren, der, wie ich wusste, aus einer
der ältesten Salzburger Familien stammte. Die Schilderung des weiteren
Fortgangs dieses Abendessens und den gefühlvollen Umgang mit diesem Mann gehört
zum einfühlsamsten, was Thomas Bernhard neben "Wittgensteins Neffe" und seinen
primär autobiografischen Büchern (insbesondere "Die Ursache" und "Der Keller")
geschrieben hat.
Die Diskussion und Erregungen um Thomas Bernhard und seine skandalträchtigen
Bücher und Dramen befremden und erstaunen heute aus zwei Gründen: Zum einen ist
der Ton in der öffentlichen Debatte im Verhältnis zur Zeit Ende der 80er Jahre
heute deutlich schärfer und persönlicher geworden (sieht man von einigen
Entgleisungen einmal ab). Und zum anderen wirkt Bernhards Haltung auf eine
rührende Weise redlich, weil sie nicht in den heute fast üblichen Zynismus
abgleitet, sondern moralisch (und auch suchend) daherkommt (ohne freilich in
Floskel- und Formelhaftigkeit zu verfallen). Trotz durchaus geschickter medialer
Befeuerung seines Zorns wäre es zu kurz gegriffen, hieraus eine rein
inszenatorische Masche zu entdecken.
Wer unter die Oberfläche dieses "Erregungskünstlers" schaut, entdeckt auch in
"Meine Preise" eine sehr verletzliche, sensible Persönlichkeit. Zum polternden
Bernhard wurde er immer mehr als er begriff, dass man sein Werk nur als
Profilierungs- und Marktinstrument ge- bzw. missbrauchte. Bernhards
künstlerisch-ästhetischer Anspruch wurde entweder ignoriert oder vom
bürgerlichen Feuilleton bekämpft. Dass daraufhin Teile des linksliberalen
Establishments Bernhard zu vereinnahmen suchten, beruhte auf einem
Missverständnis. Trotz seiner Thematisierung der Verdrängung der Zeit des
Nationalsozialismus in der österreichischen Gesellschaft sah sich Bernhard nie
als politische Galionsfigur oder gar Revolutionär. So fühlte er sich zusehends
sowohl schriftstellerisch als auch intellektuell unverstanden. Daher rührt
Bernhards Zeit seines Lebens (auch in diesem Buch) beschworene Affinität
sogenannten "einfachen Leuten" gegenüber, die ihre Gunst nicht nach Gesinnung
vergaben.
Aus der fundamentalen Desillusionierung, die sich für Bernhard sowohl um eine
Person als auch dem Werk gegenüber herauskristallisierte, versuchte er
irgendwann eine Tugend zu machen und tat dann (fast) alles, um mindestens weiter
wahrgenommen zu werden. Wenn man ihn schon nicht liebte, so sollte man ihn
wenigstens verachten. Und für die Verachtung seiner Verächter wurde er dann umso
mehr geliebt. Bis heute.
Gregor Keuschnig
Die kursiv gedruckten
Passagen sind Zitate aus dem besprochenen Buch.
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Begleitschreiben.
Thomas Bernhard
Meine Preise
Suhrkamp
144 Seiten, Gebunden
Euro 15,80 [D] / Euro 16,30 [A] / sFr 28.00 ISBN 978-3-518-42055-3