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Der »Vater der Atombombe«

Klaus-Jürgen Bremm über die gelungene
Oppenheimer Biographie


Wie hätte wohl die Geschichte des letzten Jahrhunderts und insbesondere die des Kalten Krieges ausgesehen, wenn Mitte der 1920er Jahre ein junger amerikanischer Absolvent der Chemie an der erlauchten Universität von Cambridge wegen eines vermutlich mit Zyanid vergifteten Apfels in die Mühlen der königlichen Justiz geraten wäre? Der damals reichlich verwirrte junge Mann hieß J(ulius) Robert Oppenheimer und der vergiftete Apfel war für seinen Tutor Patrick M.S. Blankett bestimmt, dem späteren Nobelpreisträger für Physik. Oppenheimers Motive sind bis heute nicht klar, so seine beiden jüngsten Biografen, der Journalist Kai Bird und der Historiker Martin Sherwin. Persönlicher Hass war es jedenfalls nicht, eher schon eine abgrundtiefe Aversion des geistig höchst vielseitigen Studenten gegen die von Blankett immer wieder verordnete Laborarbeit, bei der ihm vor allem nur seine Unzulänglichkeiten allzu deutlich bewusst wurden. Dem späteren „Vater der Atombombe“, der als charismatischer Forschungsleiter von Los Alamos immerhin eine wirksame Lösung für das wohl komplexeste technische Problem des Jahrhunderts, der kontrollierten Kettenreaktion, ablieferte, mochten seine Professoren damals nicht einmal ein Galvanometer anvertrauen.
Ein lebenslanger Freund, Francis Fergusson, sprach damals von einer „erstklassigen Depression“ des stark introvertierten Oppenheimer, der sich in dem fremden Land isoliert fühlte. Ein durchaus nicht immer wohlwollendes Empfehlungsschreiben seines amerikanischen Physikprofessors und späteren Nobelpreisträgers Percy Brigdman war ihm dorthin vorausgegangen: „Wie aus seinem Namen hervorgeht, ist Oppenheimer Jude, aber völlig frei von den gewöhnlichen Eigenschaften seiner Rasse. Mir scheint es durchaus nicht ausgemacht, dass er es jemals zu bedeutenden Beiträgen bringen wird, aber wenn er überhaupt etwas Gutes zustande bringen sollte, dann wird das ein ganz außergewöhnlicher Erfolg werden.“
Eine Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl und Neid, so die beiden  Biografen Bird und Sherwin, habe den jungen Oppenheimer in dieser frühen Phase seiner Laufbahn wohl außer Kontrolle geraten lassen. Blankett hat den ihm zugedachten Apfel zum Glück nie gegessen, aber die Geschichte kam, ob Erfindung oder Tatsache, zwei Monate später heraus und verursachte erwartungsgemäß einen Riesenwirbel.

Der höchst bizzare Vorgang hätte unangenehmste Konsequenzen haben können, wenn es nicht dem Vater, einem erfolgreichen New Yorker Geschäftsmann mit deutschen Wurzeln gelungen wäre, die Universitätsleitung von einer Anzeige abzuhalten. Oppenheimer durfte auf Probe bleiben, musste sich aber in die Behandlung eines bekannten Londoner Psychiaters begeben. Der angehende Physiker sollte noch einige Zeit unter seiner extremen Jugendkrise leiden, von der ihn auch ein auf Betreiben der besorgten Mutter konsultierter Pariser Arzt nicht befreien konnte. Der diagnostizierte recht obskur eine „crise morale“ und empfahl eine Kur mit Aphrodisiaka, ein eindeutiger Hinweis auf die sexuelle Dimension des Problems. Bezeugt ist ein weiterer seltsamer Vorfall, ein vielleicht nicht ganz ernst gemeinter Mordversuch, den der außergewöhnlich schmächtige Oppenheimer ausgerechnet an seinem damals besten Freund, Francis Fergusson, verübte, indem er ihm unvermittelt einen Gürtel um den Hals schlang. Verständlicherweise hielt das überraschte Opfer, das Oppenheimer in diesem Augenblick eher beiläufig eröffnet hatte, bald eine gemeinsame Bekannte zu ehelichen, vorerst einige Monate Abstand von seinem so unberechenbaren Freund. Für erste Hilfe aus der emotionalen Sackgasse sorgten dann ein Korsikaaufenthalt und die Lektüre von Proust. Endgültig aber brachte wohl den verwirrten Oppenheimer erst ein Studienaufenthalt bei Max Born in Göttingen auf jenen Weg, der schließlich über eine Professur in Berkeley in eine der bemerkenswertesten Wissenschaftskarrieren des 20. Jahrhunderts münden sollte. Zu völliger emotionaler Normalität hat der sich nun zum Protagonisten der neuen und revolutionären Quantenphysik entwickelnde Oppenheimer jedoch offenbar nie gefunden. Schon beinahe auf der Höhe seines Ruhmes als Leiter des Manhatten-Projektes soll er ein befreundetes Ehepaar, dass sich einige Zeit um seine kleine Tochter gekümmert hatte, im vollen Ernst gefragt haben, ob sie das Kind nicht adoptieren wollten.

Neben diesen eher befremdenden Seiten ihres Protagonisten erzählen Bird und Sherwin virtuos und mit profunder Quellenkenntnis die Geschichte eines einzigartigen Mannes, der als erster Naturwissenschaftler einer breiten Öffentlichkeit bekannt werden sollte und dem es auch gelang, zumindest zeitweise Einfluss auf die Politik seines Landes zu gewinnen. Man kann diese gewichtige Biografie eines genialen Physikers, die zugleich auch eine bemerkenswerte Epoche der Wissenschaftsgeschichte wiederaufleben lässt, nicht genügen loben. Den Autoren ist es gelungen, die komplexe Persönlichkeit ihres Protagonisten im Verlauf seines wechselvollen Lebens hervortreten zu lassen, wobei sie sich mit ihren Deutungen oder Wertungen eher zurückhalten und lieber Zeitzeugen zu Wort kommen lassen. Gewiss hat ihre Darstellung auch dadurch gewonnen, dass sie die Vitae und Charakteristiken der für Oppenheimer maßgeblichen Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und Privatleben geschickt in den Text eingefügten, ohne dass man sich als Leser abgelenkt fühlt. Entstanden ist somit nicht nur eine fast perfekte Biografie, sondern auch ein beeindruckendes Stück Wissenschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, in der die revolutionären Entdeckungen einer Jeunesse Dorée selbst den Altmeister der theoretischen Physik, Albert Einstein, zu der unwilligen Bemerkung reizten, dass der „Alte“ eben doch nicht würfele.

Der bemerkenswerte politische Siegeszug der Quantenmechanik in der Person Robert Oppenheimers endete schließlich jäh in dem paranoid inquisitorischen Klima der Eisenhower-McCarthy Ära. Dramaturgisch geschickt legen Bird und Sherwin bereits in der Phase seines Aufstiegs all jene zunächst noch unbedeutend erscheinenden Fallstricke, die in den 1950er Jahren zu Oppenheimers tiefen Sturz führten. In einem gewandelten politischen Klima aus Furcht und übersteigertem Sicherheitsbedürfnis war Oppenheimer nicht bereit, die ihm zugedachte Rolle des Kalten Kriegers zu übernehmen. Auch wenn er den Bau der Atombombe nie bereut hatte, so wie es ein in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik erschienenes Drama aus der Feder Heinar Kipphardts nahe legen will, machte er sich doch nach den sinnlosen Massakern von Hiroshima und Nagasaki für einen offenen Umgang mit der nuklearen Technik stark. Nur so ließe sich ein verhängnisvolles Wettrüsten mit der Sowjetunion auf Dauer verhindern. Oppenheimers Tragik bestand darin, dass seine Gedanken zur Offenlegung des atomaren Potentials der vereinigten Staaten erst zwei Dekaden später aufgegriffen wurden, um dann zumindest ansatzweise in den SALT Vereinbarungen verwirklicht zu werden.
Als mangelnde Loyalität wurde dem stets der moralischen Dimension seines Tuns bewussten Wissenschaftler die Weigerung ausgelegt, am Bau der Wasserstoff-Bombe mitzuwirken. Seine offen geäußerte Abneigung, die Sicherheit seines Landes, dass er so sehr liebte und schätzte, auf Kosten eines möglichen Völkermordes zu gewährleisten, machte ihn zunehmend angreifbar. Frühere und längst abgebrochene Verbindungen zu kalifornischen Kommunisten wurden ihm jetzt in einem höchst zweifelhaften Verfahren zum Verhängnis, das außerhalb jeder Rechtsstaatlichkeit mit Hilfe illegaler Abhörprotokolle des FBI seinen Ausschluss aus der einflussreichen Atomic-Energy-Commission (AEC) betrieb. Gewiss haben Bird und Sherwin diesen vorletzten Akt im Leben ihres Protagonisten dramatisch überzeichnet; schließlich wurde Oppenheimer nicht verurteilt, sondern nur desavouiert. Doch sein Lebenswerk schien vernichtet und die Rehabilitation unter Kennedy kam zu spät und war nur halbherzig. Der Rest war ein Epilog. Oppenheimer verstarb im Februar 1967 im Alter von nur 62 Jahren an Kehlkopfkrebs. Jahrzehntelanger starker Tabakkonsum mag eine nahe liegende Erklärung für das physische Ende eines Lebens sein, das tatsächlich schon eine Dekade zuvor vor dem illegalen Tribunal der AEC geendet hatte und dessen Geschichte seine Biografen wie in einem großen Roman noch einmal glänzend nacherzählt haben. 


 

Kai Bird/ Martin J. Sherwin
J. Robert Oppenheimer
Die Biographie
Propyläen Verlag, Berlin 2009
672 Seiten
29,90 €
ISBN 978 3 549 07358 2



 


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