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Erkundungen |
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Bereits seit September 2012 liegt der Band »Die Arbeit des Zuschauers«, herausgegeben von Klaus Kastberger und Katharina Pektor, vor. Er ist zugleich Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung über »Peter Handke und das Theater« die am 30. Januar 2013 im Wiener Theatermuseum eröffnet wird. Es dauert nicht lange, bis man über das opulente und prachtvolle Buch ins Schwärmen gerät. Da gibt es zu »Publikumsbeschimpfung«, »Kaspar«, »Über die Dörfer«, »Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land« und »Immer noch Sturm« wunderbare Faksimiles von Handkes Notizbüchern und Briefen, Fotos von Aufführungen, Ausschnitten von Programmheften, Plakaten und Zeitungsartikeln. Manchmal schaut man dem Dichter direkt über die Schulter, bekommt die unterschiedlichen Stadien von Textwerdung anhand der jeweiligen Manuskriptseiten gezeigt. Und dazu gibt es sehr kluge und gut geschriebene Essays, die weitgehend auf wolkiges Germanistensprech verzichten. Komplettiert wird der Band mit einer Aufstellung aller Theaterstücke von Peter Handke nebst Daten zu deren Uraufführungen (leider fehlen die von Handke übersetzten Stücke). Begonnen wird mit einem ausgezeichneten, tiefgehenden Gespräch Thomas Oberenders mit Peter Handke. Danach verortet Klaus Kastberger in seinem sehr erhellenden Aufsatz »Lesen und Schreiben« Handkes Theater als »Entwürfe für Gegenwelten, die sich aus literarischen Evidenzen bauen«. Dabei richtete sich Handke zunächst gegen die »vermeintlichen Evidenzen der Literatur« - und hier insbesondere den »Konventionen des Realismus«. Kastberger verknüpft damit Handkes Auftritt bei der Gruppe 47 mit den kurz darauf entstandenen programmatischen Aufsätzen (»Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms«, »Die Literatur ist romantisch«), die dann deutlich mehr sind als medienwirksames Gepolter. Handke betreibe ausdrücklich »kein Anti-Theater«, so Kastberger: »Ganz im Gegenteil restituiert jene Art von Wirklichkeit, die bei Handke im Theater Einzug hält, am Theater den alten kathartischen Sinn.« Überzeugend wird dies als Kontinuum in Handkes Schaffen ausgeführt; an »Publikumsbeschimpfung« 1966 über »Die Fahrt im Einbaum« 1999 bis »Immer noch Sturm« 2010. Das extrem kontrovers (und meistens ablehnend beurteilte) »Einbaum«-Stück nimmt Kastberger dabei fast exemplarisch für die Jugoslawien-/Serbien-Texte Handkes: »In ihnen zeigte sich eine andere Art der Wahrheitsfindung am Werk als in den Daten, Fakten, Berichten. Bildern und Zeugenaussagen, die die andere Seite für ihre Zwecke sammelte und propagierte. Für Handke gab es damals nur eine Devise: Hingehen, anschauen und beschreiben. Einen solchen Ansatz, der das Recht der poetischen Wahrheit in ein Umfeld setzt, das nicht seines ist, wollte und konnte man dem Dichter nicht durchgehen lassen.« Entsprechend fielen dann ja die Reaktionen aus. Martin Sexl knüpft etwas später an das »Einbaum«-Stück und dessen Rezeption an. Vor seinem luzidem Essay »Der Einbaum, die Medien und der Krieg« werden der Brief Handkes mit zum Teil launigen, aber auch durchaus ernsthaften »Hinweise[n], Fingerzeige[n]« an Claus Peymann, dem Regisseur der Uraufführung des Stückes und sein dreiseitige Fax vom 19. März 1999 an das Burgtheater abgedruckt. In Handkes gut lesbarer Handschrift weist er Peymann mehrmals auf den durchaus mitschwingenden »Sarkasmus« des Textes hin, erklärt als Grundton »das heulende Elend« und möchte »ein paar Lieder von Um Kalsum (Ägypten) durch die Räume schallen lassen« (gemeint ist wohl Umm Kulthum. Das Fax drei Wochen später nimmt dezidiert Bezug auf die im Vorfeld der Inszenierung bereits vernehmbaren Schmähungen des Stückes (das noch gar nicht veröffentlicht war; die Uraufführung erfolgte am 9. Juni 1999), der Person Peter Handke und seiner Familie durch diverse Zeitungen in Deutschland und Österreich. Handke möchte auch hier launig sein, bietet den Journalisten sogar an, ihn weiter zu beschimpfen, um dann fast pathetisch zu fordern: »laßt das Stück - laßt die im status nascendi befindliche Aufführung - laßt vor allem die Schauspieler in Frieden, ab sofort und bis nach der Premiere!« Wer das Fax genau liest, erkennt die Erschütterungen Handkes ob dieser kampagnenartigen Diffamierungen deutlich. Sexl stellt die Radikalität Handkes im Unterlaufen »gängige[r] Bild- und Medienlogiken«, die sich »wenig um Moralvorstellungen schert und sich nicht scheut, Widersprüchliches ästhetisch zu verhandeln« heraus. Er nennt das Stück »ein paradoxes Spiel« und verschweigt nicht die Gefahren und Ambivalenzen einer solchen Darstellung im Kontext dieses Themas, konzediert aber, dass Handke sehr wohl weiss, was er tut. Sexl erkennt, dass Jugoslawien für Handke »der metaphorische Angelpunkt« einer »vor-geschichtliche[n] und vor-zivilisatorische[n] Gemeinschaft« ist. Dabei ist der »Glaube an die Möglichkeit einer mythischen Gemeinschaft…bei Handke jedoch erstens durchaus gebrochen und ironisch verfremdet« und »zweitens ist sich der Autor sehr wohl dessen bewusst, dass 'Jugoslawien' kein realer Ort (mehr) ist, sondern ein metaphorisches Konzept«. Eine sehr wichtige Spur, die Sexl hier legt, aber - und das ist der einzige kleine Makel dieses ansonsten wunderbaren Buches - leider nicht weitergesponnen wird. Es hätte sich durchaus angeboten, dieses metaphysische Konzept, welches sich bereits in »Über die Dörfer« 1981 zeigte, im »Spiel vom Fragen« (1989) spielerisch aufbereitet wurde und schließlich im sogenannten Königsdrama »Zurüstungen für die Unsterblichkeit« 1997 eine verspielt-experimentelle Weiterentwicklung fand (mit dem »Lusthaben auf Macht« und einer Neuorientierung des Politischen durch den Enklaven-Königs Pablo) näher zu beleuchten. Denn in vielen von Handkes Stücken spielen mögliche neue Formen eines Zusammenlebens von Menschen eine wesentliche Rolle. Sehr interessant ist Katharina Pektors Gespräch mit Claus Peymann (vom Mai 2012). Peymann überkommt zuweilen eine doch arg veteranenhaft daherkommende Vergangenheits(v)erklärung, die manchmal in seltsamen Formulierungen mündet, etwa wenn er glaubt, mit den Augen von Peter Handke zu sehen. Aber dann wiederum gibt es sehr schöne Passagen, etwa die Kurz-Charakterisierungen von Handkes Theaterstücken nebst dessen Suche der »'heile[n]'« Welt, die Peymann auch politisch-utopisch deutet. Aber auch Diskrepanzen habe es immer gegeben, so sei ihm, dem »Antitheoretiker« (Peymann über sich selbst), Handkes Begriff des »Wahrspielers« immer fremd geblieben. Mit der Überreichung des Belegexemplars dieses Buches könnte sich dies ändern, denn Anke Roeder widmet sich in ihrem Aufsatz »Wahrspieler - Performer« just diesem Thema. Peymann äußert sich zu der »tiefen Zerrüttung und Entfremdung« zwischen ihm und Handke während der Vorbereitungen zur geplanten Uraufführung von »Immer noch Sturm« am Wiener Burgtheater mit dem Berliner Ensemble. Peymann spricht von »zunehmende[r] Misanthropie« Handkes, das Misstrauen sei unüberbrückbar gewesen. Der tatsächlichen Grund für die Entfremdung soll jedoch die unterschiedliche Beurteilung des Films »Das weiße Band« von Michael Haneke gewesen sein, wie Pektor Peymann entlockt. Das Stück wurde ja dann in Salzburg von Dimiter Gotscheff uraufgeführt; die Inszenierung lobt Peymann zunächst, um dann kurz darauf zu erklären, dass das Stück »in seiner ganzen Vielfalt bis heute nicht uraufgeführt« sei. Inzwischen seien sie jedoch »wieder versöhnt« und er warte auf ein neues Stück von Handke »fürs Berliner Ensemble«. »Die schönen Tage von Aranjuez« schrieb Handke allerdings mit der Intention, es von Luc Bondy inszenieren zu lassen. Der Band widmet sich diesem Stück von mehreren Seiten recht ausgiebig. So analysiert Katharina Pektor in einem sehr instruktiven Beitrag Bühnenbilder von Handke-Uraufführungen. Neben »Immer noch Sturm« (Bühnenbild Katrin Brack), »Über die Dörfer« (Jean-Paul Chambras), »Die Fahrt im Einbaum« (Karl-Ernst Herrmann) eben auch Amina Handkes' »Aranjuez«-Bild. Luc Bondy erläutert bei Wolfgang Kralicek seine Gedanken zur Inszenierung und der Schauspieler Jens Harzer, der sowohl in »Immer noch Sturm« als auch im Zwei-Personen-Stück die männlichen Hauptrollen spielt, erzählt im Gespräch mit Hartmut Wickert noch einiges über seinen Zugang zu Handke. Wie ein roter Faden zieht sich Erkundung, Kennzeichnung und Definition von Handkes »'epischem Theater'« durch den Band. Katharina Pektor betont, es sei »nicht nur antiaristotelisch, sondern auch antibrechtisch«. Hans-Thies Lehmann sieht Handkes Theaterstücke als »Texte, die postdramatisches Theater erwarten, Texte, die die fragende Anforderung an das Theater richten, für jeden Text zuerst eine Spielform zu erfinden, statt dem Pfad der Spiel-Konventionen des Dramas zu folgen.« Handke bedient sich nicht einfach bestehender Strukturen, er will, wie Pektor deutlich macht, »die Bühne gegen die Selbstverständlichkeit ihrer Formen in der Künstlichkeit ihres Spiels bewusst machen.« Dabei ist Handkes Theater, so Lehmann, »emphatisch bezogen auf Literatur«, als »Theater der Literatur, als Sprachtheater und Theater der Sprache « wie auch, dann später, »Spiele des Fragens, Geisterbegegnung und Monolog« und, wie dann Peymann erläuterte, auch als Experimentierfeld für die Erfindung (oder eher: Findung) neuer sozialer Gemeinschaftskonstruktionen. Die Sprache Handkes findet Lehmann »prosalyrischer….nur formal hier und da einmal dialogischer Art.« Tatsächlich gibt es kaum »die Dramaturgie einer ausgefalteten Fabel«. Theater ist eben mehr »in« als »mit der Sprache« bei Handke, was den vordergründigen Zugang erschwert. Aber, und das klingt auch im Gespräch mit Thomas Oberender an: »es geht um was« - so übersetzt Handke das Wort »Drama«. Es bleibt nie bei der formal-theoretischen Ebene – selbst in den Sprechstücken vom Anfang nicht. Über den »Beat von Achtundsechzig« und die ersten Stücke des damals als Provokateur empfundenen Jungschriftstellers erzählt Karlheinz Braun. Herbert Bannert weiss einiges über die drei Übersetzungen Handkes aus dem Griechischen zu berichten (»Prometheus, gefesselt«, Aischylos, 1986; »Ödipus in Kolonos«, Sophokles, 2003; »Helena«, Euripides, 2010), »allesamt in gewissem Sinne Außenseiter« in der griechischen Tragödiendichtung. Manchmal ergänzen sich die Beiträge auf wunderbare Weise, etwa wenn Franziska Schößler und Christoph Narholz ihre Eindrücke vom (scheinbar) stummen Stück »Die Stunde da wir nichts voneinander wußten« wiedergeben. Dass es dann doch ab und an kleine Widersprüche gibt, ist eine natürliche Angelegenheit und vermag den Leser durchaus anzuregen.
Und
so schwankt der Leser oft zwischen geistreicher Lektüre und beschwingtem
Blättern in den zahlreichen Dokumenten und dem Sich-Verlieren darin. Einmal
aufgeschlagen, möchte man dieses Buch so schnell nicht mehr aus der Hand legen.
Und auch die rechtzeitig zur Ausstellung freigeschaltete
Forschungsplattform der Österreichischen Nationalbibliothek zu Peter Handke
lädt zum Verweilen ein; das bisher eingestellte Material verspricht für die
Zukunft noch einiges. Klaus Kastberger und Katharina Pektor (mit Assistenz von
Christoph Kepplinger-Prinz) haben großartige Arbeit geleistet (und so ganz
»nebenbei« ist Pektor ja auch noch Mitherausgeberin
des famosen Handke/Unseld-Briefwechsels). Und so hat Peter Handke nun auch
im Netz einen Ort. Lothar Struck |
Klaus
Kastberger/Katharina Pektor (Hrsg.) |
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