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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Artikel online seit 26.01.14

Kein großes Finale, sondern »ein stiller Tod«

Manfred Rauchensteiners packendes Panorama
vom Ende der Habsburgermonarchie ist eine
historiographische Meisterleistung

Von
Klaus-Jürgen Bremm



 

In den Jahren vor Kriegsausbruch gab es in den gehobenen Kreisen Europas das Bonmot, man müsse noch einmal rasch die Habsburgermonarchie besuchen, ehe sie endgültig auseinanderfiele. Tatsächlich schien in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts der Prozess der Erosion des alten Vielvölkerstaates so weit fortgeschritten, dass die Heeresleitung in Wien bereits einen Plan »U« in der Schublade hatte. Dahinter steckte die Option, im Notfall auch militärisch gegen die von den Ungarn dominierte zweite Reichshälfte vorzugehen. Doch anstelle des befürchteten Bürgerkrieges kam es im Sommer 1914 zum »Großen Krieg«, in dem Österreich-Ungarn überraschenderweise nicht nur vier weitere Jahre durchhielt, sondern sogar – wenn auch nicht ohne deutsche Unterstützung – mit Russland und Serbien gleich zwei seiner ärgsten Widersacher überlebte und den dritten, Italien, (nach Flitsch-Tolmein) bedenklich nahe an den Zusammenbruch brachte.

In seiner jetzt beim Wiener Böhlau-Verlag erschienenen Neuauflage der Geschichte Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg zeichnet Manfred Rauchensteiner, der ehemalige Leiter des Heeresgeschichtlichen Museums, das lange Ende einer europäischen Großmacht, die längst schon keine mehr war. Obwohl seine Armee numerisch und technisch seit Beginn des Jahrhunderts gegenüber ihren Rivalen stagniert hatte, forderte die k. u. k. Heeresleitung unter dem exzentrischen Generalstabschef Franz Conrad v. Hötzendorf ein ums andere Mal abwechselnd einen Präventivkrieg gegen Italien oder das herausfordernde Serbien. Es mochte schon in Wien niemand mehr hören und der lästige Conrad stand längst auf der Abschussliste von Thronfolger Franz Ferdinand.

Als die Wiener Hofburg dann aber nach dem Attentat von Sarajewo tatsächlich die Karte des Präventivkrieges gegen das Balkankönigreich zückte, musste der privatim durch seine Liebschaft zu einer verheirateten Frau stark beanspruchte Generalstabschef den militärischen Offenbarungseid leisten. Die Hälfte seiner Armee befand sich im Ernteurlaub und der Rest gelangte nicht vor Mitte August 1914 in seine Einsatzräume. Einen schlüssigen Plan für den Krieg gegen den Hauptgegner Russland gab es ohnehin nicht.

Rauchensteiner schildert in seinem voluminösen Panorama das von Conrad zu verantwortende Aufmarschdesaster der Armee mit einem milden Fatalismus: Was hätte er sonst tun sollen? Für die politische Führung der Doppelmonarchie in der Julikrise 1914 findet er aber klare Worte: »Der Krieg wurde herbei geführt, mehr noch, er wurde entfesselt. Und Österreich Ungarn war es, das die Fesseln löste.« Für seine Kernthese, die in gewisser Weise das österreichische Pendant zu Fritz Fischers Diktum vom deutschen Griff nach der Weltmacht bildet, gibt es durchaus Evidenzen.

So war offenbar der greise Franz-Josef bereits sehr früh auf den Kriegskurs eingeschwenkt und wurde dabei vom Außenministerium energisch unterstützt. Aus dem Blut Ferdinands sollten jetzt »sehr kostbare Früchte für die Monarchie reifen«, schrieb ein enger Mitarbeiter von Amtschef Graf Berchthold in den ersten Julitagen an den Chef der Militärkanzlei des ermordeten Thronfolgers. Man unterließ es daher auch, zu dessen Bestattung die Vertreter der europäischen Höfe einladen, aus der nicht unberechtigten Sorge, es könne sich aus diesem Treffen eine internationale Initiative zur Beilegung des Konflikts entwickeln. Zweimal seit dem so genannten Ersten Balkankrieg von 1912 hatte die Armee bereits gegen Serbien mobilisiert und damit zwar die drohende Okkupation Albaniens verhindert, aber auch die eigene Staatskasse ruiniert. Eine dritte Mobilisierung ohne Krieg würde die Armee nicht mehr ertragen, hieß es in Militärkreisen. Rauchensteiner stellt somit die bisher akzeptierte Rollenverteilung in der Julikrise auf den Kopf. Österreich agierte und Deutschland sekundierte. Im Verlaufe des Krieges sollte sich das jedoch rasch ändern. Zwar erwies sich die multiethnische k. u. k. Armee wider Erwarten als erstaunlich zuverlässiges Instrument der Wiener Kriegspolitik, doch von allenfalls mittelmäßigen Generalen geführt wurde sie allmählich in zahllosen aussichtslosen Offensiven in ihrer Substanz aufgerieben. Spätestens seit dem verheerenden Schock der Brussilow-Offensive im Sommer 1916 hatte die notorisch überforderte österreichische Heeresleitung ihre Unabhängigkeit gegenüber den Deutschen verloren. Ohne die Divisionen des ungeliebten Verbündeten als so genannte Korsettstangen ging seither gar nichts mehr. Sämtliche wichtigen Entscheidungen fällte nunmehr die Dritte Oberste Heeresleitung allein.

Der militärische Zusammenbruch Bulgariens im September 1918 bedeutete dann auch das Ende des Doppeladlers. Ungarn rief seine Divisionen zum Schutz der bedrohten Südgrenze aus Italien ab, die Tschechen stellten sich offen auf die Seite der Entente und die Deutschösterreicher trafen angesichts des allgemeinen Verfalls Vorbereitungen für einen eigenen Staat. Lange ließen die Alliierten das Waffenstillstandsangebot Kaiser Karls vom 14. September 1918 unbeantwortet, ehe Präsident Wilson am 20. Oktober unmissverständlich erklärte, dass seine 14 Punkte für die Donaumonarchie keine Gültigkeit mehr besäßen. Als traditionelle Ordnungsmacht in Europa hatte sie seit ihrem abenteuerlichen Kriegskurs in der Julikrise ausgedient. Der alte Vielvölkerstaat in der Mitte Europas wurde durch den neuen, Jugoslawien, ersetzt. Dass der serbische Traum von einem Reich der Südslawen einmal zu einem Alptraum werden würde, ahnten da nur wenige. Das Ende Österreich-Ungarns war kein großes Finale, resümiert Rauchensteiner, eher ein »stiller Tod« und so erschien ihm auch die letzte Messe, zu der sich anlässlich des Namenstages von Kaiser Karl am 4. November 1918 noch einmal sämtliche Regierungsmitglieder im Wiener Stephansdom versammelt hatten, nicht wie ein »Requiem für das Reich«, sondern bloß als ein »Tedeum«.
 

Manfred Rauchensteiner
Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburger Monarchie
Böhlau Verlag
1222 Seiten, 45,- €
978-3205782834

 


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