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Dazwischen hat man gelebt Jon Fosses schmaler großer Roman »Morgen und Abend«
Von
Wolfgang Bock |
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Ein
prekärer Preis
Johann steht zwar auf, isst ein Brot mit Geitost, raucht eine Zigarette und will
eine kleine Fahrradtour zur nahen Bucht unternehmen. Im Schuppen sieht er, dass
sein Fahrrad einen Plattfuß hat und seine Werkzeuge zugleich auf besondere Weise
leuchten. Seine Frau Erna ist schon seit Jahren tot wie auch sein Fischer-Freund
Peter, dessen Haus nur einen Steinwurf entfernt steht. Trotzdem erscheint Peter
nun, die beiden reden zusammen und fahren zum Fischen aufs Meer. Ihren Fang
wollen sie dann wie immer in dem nahen Ort Hunstad am Fjord verkaufen. Aber
alles dort ist seltsam leer und erst am Ende ihrer Wartezeit kommt die erwartete
Anna Petersen, ein älteres Fräulein, die die Tüte mit Krebsen an sich nimmt, als
sie bereits abgelegt haben. Doch nun ist sie plötzlich jung und schwanger und
geht mit Johann spazieren, der sich erinnert, ihr peinlicherweise einmal, bevor
er Erna kennenlernte, einen Liebesbrief geschrieben zu haben. Den hatte sie
nicht beantwortet. Er bringt sie nach Hause, sie schlüpft unter seinem Arm durch
und so fährt er mit Peter zurück. In seinem Haus trifft er auf seine Frau Erna.
Und als seine Tochter Signe ihn besuchen will und er ihr entgegenkommt – geht
sie einfach durch ihn hindurch und bemerkt ihn nicht. Er ist bereits gestorben
und statt am Morgen aufgestanden zu sein, durchgeistert er eine Halbwelt von
Gespenstern. Dennoch will Johann zu Peter gehen, um ihm die Haare zu schneiden.
Da gesteht ihm dieser, dass er nur ein Stück Körper zurückbekommen habe, um ihn
abzuholen. So fahren beide auf Peters Kutter hinaus, an einen Ort, an dem nur
die Guten angelandet sind. Noch sieht Johann zurück auf sein Begräbnis: wie der
Pastor wie in einer Szene aus Lars von Triers Film Breaking the Waves am nahen
Friedhof Erde auf den Sarg wirft und wie seine Tochter weint. „Er war ein
eigener, aber guter Mensch“, sagt sie. Fosses Figuren wiederholen sich im Gespräch und in ihren Gedanken. Peter und Johann haben sich über 40 Jahre lang die Haare geschnitten und so viel Geld gespart. Krebse konnte man immer fangen und Fräulein Petersen habe immer welche abgenommen. Dass aber dennoch heute etwas anders ist, erkennt Johann daran, dass sein Pilker, wenn er ihn wie gewohnt beim Angeln ins Meer werfen will, von diesen nicht angenommen wird. Er sinkt nur ein paar Handbreit, um dann auf einer bestimmten Höhe stehenzubleiben, als habe er seine Qualität der Schwere eingebüßt. Auch sein Freund Peter registriert das und sagt: „Das Meer will Dich nicht mehr, dann bleibt nur Erde.“ So setzt Fosse seine Figuren ins Bild wie in einer Tuschezeichnung von Edvard Munch. Hier geht es nicht um einen ausgewalzten und seriellen Text wie bei Karl-Ove Knausgård. Reduktion aufs Wesentliche ist hier alles. Die Hauptfigur Johann erscheint als ein norwegischer Herr Teste, den sein Autor Paul Valéry 1896 mit dem kleinen Text »Der Abend mit Herrn Teste« erstmals auftreten lässt. Peter und Johann, seine Tochter Signe und sein Schwiegersohn Leif sind auch Wiedergänger von Samuel Becketts Figuren wie Vladimir und Estragon, die in Warten auf Godot mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart leben. Sie treffen bald auf Lucky und Pozzo, die Herr und Knecht spielen. Wer jemals in Irland gewesen ist, weiß, wie viel Lokalkolorit in Becketts Figuren steckt. Und wer die Gegend um Bodø kennt, sieht etwas Ähnliches in den Norwegern Johann und Peter. Und doch stehen sie für alle Menschen. In Becketts Stück ist die Bühnenausstattung denkbar spärlich: ein Baum, ein Stein, heißt es. Bei Fosse gibt es Fels und Wasser und Luft. Leben und Tod sind hier nur leicht gegeneinander verschoben. Im Leben gibt es schon den Tod im Nebel, in den grauen Inseln, im Saltstraumen und auch der Tod bei Fosse ähnelt noch dem Leben. Dass etwas nicht in Ordnung ist, erkennt Johann auch daran, dass er einen Stein durch Peter hindurch werfen kann.
Ein
moderner Erzähler
Fosses Erzählung bringt das zu Bewusstsein und die Zeit schnurrt entsprechend
zusammen. Das trifft den Leser direkt ins Herz. Er denkt an die eigenen Eltern,
die gestorben sind und denen er unweigerlich nachfolgen wird. Wenn es
unregelmäßig zugeht, früher mit Krieg und Zerstörung, aber auch wenn es
regelmäßig zugeht, etwas später. Ohne Pathos irgendeiner Maschine, einem
Transhumanismus oder irgendeines Existenzialismus spricht Fosse schlicht davon.
Und der Kritiker wird leise gewahr, dass sich der Geburtstag seines Vaters in
ein paar Tagen zum 100. Male jährt. |
Jon Fosse
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