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Die Umtriebigen
Willi Winklers Doppelporträt
»Kissinger
& Unseld«
Von Wolfram Schütte |
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Unter der Vielzahl von Büchern, die zum 100. Geburtstag Siegfried Unselds erschienen, dürfte Willi Winklers historische Recherche »Kissinger & Unseld« das ungewöhnlichste sein. Wer wusste denn schon, dass den Verleger des seiner Zeit berühmtesten Verlags der Bundesrepublik Deutschland eine Duz-Freundschaft mit dem berühmtesten (& berüchtigten) Sicherheitsberater & Außenminister der Nachkriegs-USA verband? Der Welt-Politiker, dessen Name sich unheilvoll mit dem Krieg in Vietnam & Kambodscha oder dem Pinochet-Putsch in Allendes Chile verband & der Verleger, dessen Frankfurter Verlag nicht nur die Ton angebende deutschsprachige Nachkriegsliteratur publizierte, sondern auch der vertriebenen & exilierten deutsch-jüdischen Geistigkeit eine umfassende Rückkehr, vielfältige Präsenz & bestimmende Wirksamkeit verschafft hatte. Der antikommunistische Atomkriegstheoretiker & der links-liberale Verleger von (u.v.a.) Brecht & Marcuse?
Der Untertitel »Die
Freundschaft zweier Überlebender« bezieht sich darauf,
dass der in 1923 in Fürth geborene Kissinger als Jude mit seiner Familie gerade
noch vor der Ermordung durch seine deutschen Landsleute 1938 in die USA
entkommen konnte; und Unseld, geboren 1924 in Ulm, der als Soldat der deutschen
Wehrmacht 1943 in Sewastopol der Vernichtung oder Gefangennahme durch die
siegreiche Rote Armee entkommen war, indem er sich mit dem Mut der Verzweiflung
ins Schwarze Meer stürzte & so lange hinausschwamm, bis ihn ein vor der
ukrainischen Küste kreuzendes Schiff der deutschen Marine auffischte. Für Kissinger waren die USA sein Fixpunkt der Lebensrettung & der freien Lebensweise, in deren Dienst sich der Harvard-Student auch als Promovierter & Politologie-Professor stellt. Die von ihm ins Leben gerufenen »Internationalen Seminare« in Harvard sollten kommende politische, intellektuelle & literarische Meinungsführer in Europa (& später in Asien) für die »Freie Gesellschaft des Westens« gewinnen & gegen totalitäre »kommunistische Versuchungen« immunisieren. Theo Sommer, Teilnehmer & späterer Chefredakteur der »Zeit« bekannte im Rückblick über dieses elitäre Rekrutierungsprogramm der USA: »Es ging (…) um nichts anderes als psychologische Kriegsführung«. Siegfried Unseld, der junge Adlatus des durch seine KZ-Haft gesundheitlich schwer versehrten Verlegers Peter Suhrkamp, kam durch ein Empfehlungsschreiben des Nobelpreisträgers Hermann Hesse, über den er promoviert hatte, zur unvorhergesehenen Ehre, Teilnehmer des Seminars 1955 zu werden, wo er nicht nur Ingeborg Bachmann, sondern erst recht den brillanten Initiator Henry Kissinger kennenlernte. Daraus entwickelte sich ihre beiderseitige Freundschaft (über alle politischen Fährnisse & biographische Klippen hinweg), während sie beide – jeder an seiner statt – ihre Karrieren, die sich mehrfach kontrovers überschnitten, über ein halbes Jahrhundert hinweg mit Entschiedenheit & Weitblick verfolgten. Was sie einander ähnlich machte, war ihre Umtriebigkeit. Sie führte den Verleger regelmäßig zu seinen Autoren, wohingegen der Politiker nicht nur als klandestin operierender US-Außenminister & gefragter Sicherheitsberater ununterbrochen den Globus bereiste. Willi Winkler – Journalist, Schriftsteller & Übersetzer & u.v.a. ein Kenner & kritischer Beobachter der Deutschen & Deutschlands – hat dem Lebensweg der beiden Selfmademen in ihrer Zeit ein ironisches Doppelporträt vor dem Hintergrund eines Mosaiks von unbekannten oder vergessenen (kultur)politischen Details gewidmet, woraus weniger bloß eine journalistische Rekonstruktion als die erzählerische Evokation & voltairianische Besichtigung eines (transatlantischen) Zeitalters im Schatten des deutschen Zivilisationsbruchs entstanden ist. Das Coming of age der beiden Protagonisten & ihrer Zeit ist so spannend – freilich vor allem für Zeitgenossen – wie ein Thriller. Beängstigend, nebenbei (wo nicht gar vom Autor bewusst provoziert), wie oft man in dieser Erzählung sich gedrängt glaubt, gegenwärtigste ideologische Verlautbarungen präludiert zu sehen. Allein die 27 (!!) Seiten Anmerkungen, denen eine jahrelange, weitreichende, kombinationsfreudige Recherche vorausgegangen sein dürfte, nötigen einem tiefe Bewunderung für Winklers akribische Recherche-Sammelei ab, die einem journalistischen Stubenhocker fast wie eine Messie-Leidenschaft erscheinen könnte. Aus wie vielen Zettelkästen mag der Schriftsteller seine große Erzählung aus den Zeiten des Kalten Kriegs wohl gezogen haben? Allerdings: ein Manko hat das süffig geschriebene Buch, ausgerechnet mit seinem letzten Satz. Er lautet: »Der Geschichte wird gar nichts anderes übrig bleiben, als zu sagen: Henry Kissinger und Siegfried Unseld, das waren vielleicht Männer!«
Man ist versucht, dem
gendernden Winkler zu sagen: Das waren nicht »vielleicht Männer«, sondern:
selbstverständlich waren es Männer! Natürlich wollte er das auch nicht (bei
diesen Womanizern!) bezweifeln. Man spürt aber fast physisch in dieser mehrfach
schiefen Formulierung das Unbehagen des Autors, am Ende des doppelten
Lebensbildes seiner beiden immer auf ironische Distanz gehaltenen Helden, ihnen
nicht einmal ein Quäntchen Bewunderung für ihre Existenzleistung zuzubilligen.
Selbst die napoleonische Ambiguität des »Voilà, un homme!« erlaubt sich Winkler
nicht. Es muss die sprachlose Anonymität der Geschichte sein, der die läppische
Bemerkung zugeschoben wird, durch die besondere Betonung des vielleicht
einen Hauch von kopfschüttelnder Bewunderung zu artikulieren – im Sinne von »das
waren vielleicht merkwürdige Figuren«. Souverän ist nicht,
wer vorm Ausnahmefall kleinlich einknickt. |
Willi Winkler
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