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Freiheit, Form und Glanz

Zwischen sinnlicher Lust, ästhetischem Spiel und soziale Praxis.
Ute Cohens Essay »Glamour«

Von Lars Hartmann
 

Was Glamour ist, lässt sich nicht leicht beantworten, zumal dieser Begriff tief in die Umgangssprache eingedrungen und zu einem Allerweltbegriff geworden ist. Das reicht mit all den Inszenierungen und Accessoires bis in die Schichten des Pop hinein. Der Modemacher Harald Glöckler wähnt sich in seiner Selbstbeschreibung glamourös, sein Modelabel Pompöös will in den Werbeinszenierungen den Hauch von Glamour verbreiten und damit auch verkaufen. Wer das von einer Warte herkömmlicher H&M-Mode betrachtet, wird dem Glitzerstyle zwischen Straß und Glitter womöglich zustimmen; sicherlich aber nicht, wenn man Ave Gardner, Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Grace Kelly oder auch Jacky Kennedy vor Augen hat. Glamour kann outriert sein, aber Glamour ist niemals Protzerei. Wer diese Welt stilvoller Inszenierung bei öffentlichen Auftritten aber nicht einmal mehr von Konzerten, Theatern, alten Filmen und von den klassischen Modephotographien aus Zeitschriften kennt, für den ist bereits das übliche HipHop-Bling-Bling eine Weise des Glamours. Billiges Glitzern ist keineswegs Glamour. Wie unterschieden?

Ute Cohens Buch nähert sich in verschiedenen Themenkapiteln diesem Begriff auf eine konstellative Weise, um seinen Gehalt zu erfassen und vor allem, um diesen Begriff mit Emphase wieder positiv zu besetzen: essayistisch und spielerisch im Verfahren der Analyse. Wie in einem Kaleidoskop zeigt sie uns verschiedene Bilder und Möglichkeiten des Glamours, um uns Lesern ein Gespür zu geben, was Glamour bedeutet, was Glamour nicht ist, was Glamour auch politisch sein kann, um einen Horizont von Spiel und Freiheit zu öffnen. Mit Ave Gardner taktet sie auf: jene »Ikone des Hollywoodfilms«, die mit allen Erwartungshaltungen brach.

»Nicht Attitüde war es, die das Publikum erwartete, keine affektierte Geste oder moralische Haltung, sondern attitude, eine innere und filmische Einstellung, die sich ästhetisch als etwas Flirrendes, Brillantes offenbarte. Glamour fasziniert und bannt, er zieht unsere Aufmerksamkeit an in Zeiten der Flüchtigkeit und schafft damit Ungeheures. Darin und in der Unfähigkeit, rational erfasst zu werden, liegt seine Magie. Glamour ist elegant und wild, entfaltet sich erst im Widerstreit. Er lässt sich nicht unter Begriffe subsumieren, ruft stets nach seinem Gegenteil …«

Was aber nicht unter einen Begriff subsumiert werden kann und also unbestimmt bleiben muss, kann sehr wohl ästhetisch und das heißt also anschaulich erfahren werden. Die Arbeit des Essayisten ist es, für jenes zunächst Sprachlose Begriffe zu finden und neue zu erfinden. Sprache und Erscheinung. Um diese Magie und das »Je ne sais quoi« einer bezaubernden Eleganz, die über das bloß Elegante hinausreicht, geht es Cohen.

»I put a spell on you. Die Angst vor dem Zauber« heißt das Auftaktkapitel. Einen Bann aussprechen, andere verzaubern, jemanden in seinen Bann ziehen. Das freie Spiel eines reizvollen Unbestimmten, welches unsere Normalität und den Alltag überstrahlt und in bestimmten Augenblicken jenen besonderen Glanz bietet, hat für Cohen aber auch eine politische Dimension. Das Zauberwort ist Freiheit. Gelungener Glamour ist immer auch rebellisch und opponiert gegen den Zeitgeist. In dieser Rebellion ist Glamour der Kunst verwandt, sofern sie sich denn offen hält: sie ist nicht Organ von Sprachpolitiken und aktivistischer Message, sondern sie entdeckt das »Träumerische und Zauberhafte« wieder, wie wir es auch bei Novalis finden, so Cohen.

»Glaubt man nicht nur an die Magie des Glamours, sondern weiß man zugleich um seine Fähigkeit, unsere Wahrnehmung und unseren Willen zu verzücken, dann wird Glamour zu einer bereichernden Facette des Lebens. Denn in dieser Gleichzeitigkeit von Zauber und realer Einflussnahme liegt auch Freiheit: Glamour befreit uns vom Ballast der Wirklichkeit und lässt genau dadurch die Grenze zur Entrückung um so deutlicher hervortreten. Solange wir bereit sind, uns wegzuträumen, uns mitreißen zu lassen, solange wir mit dem Bezaubernden liebäugeln, solange wir Romantik und Aufklärung in ihrer Gleichzeitigkeit gelten lassen, solange wir das Paradoxe goutieren und den Widerspruch schätzen, wird es ihn geben, Glamour.«

Das könnte man fast als Fazit nehmen. Aber für Cohen ist dieser zentrale Satz vielmehr der eigentliche Auftakt, um diesem angestoßenen und ramponierten Begriff seinen Glanz wiederzuverleihen. So heißt das darauf folgende Kapitel konsequenterweise »Authentizität. Wahrheit oder Spiel«: Es ist das Spiel mit Rollen, was in gewisser Weise bereits beim Karneval anfängt und sich in der Mode fortsetzt. Dabei kritisiert Cohen zugleich die »Adepten der Autofiktion« und jenen Kult ums Authentische, der in der Kunst zuweilen groteske Züge annimmt und zu einer uneleganten Mode geworden ist, die freilich verkaufsfördernd wirkt. Bis dass der letzte Arbeiter und die letzte Angestellte im familiären Kontext aus ihren Gräbern gezerrt und auf dem Buchmarkt verwurstet wurden. Diese Kritik am Zeitgeist setzt sich in dem Kapitel »Moralexhibitionismus. Glanzlose Tugendwächter« fort. Und weil der Rezensent es selber nicht besser pointieren kann, zitiert er an dieser Stelle gerne:

»Die Bühnen unseres Landes verkommen mehr und mehr zu moralischen Erziehungsanstalten, in denen herrschenden Vorstellungen von Geschlechter- und Sprachgerechtigkeit Genüge getan werden muss, anstatt menschlicher Experimentierfreude in Szene zu setzen und auch dem Abgründigen eine künstlerische Form zu verleihen. Theatralische Systemsprenger sind die Ausnahme geworden. Frank Castorf haderte noch mit der planmäßigen Modellhaftigkeit des Dramas und der vorgeblichen Beherrschbarkeit von Wirklichkeit.«

Der Trick jedoch, um die eigenen Wünsche und das eigene Begehren zu erkunden, kann unter anderem die glamouröse Inszenierung mittels Mode sein, um einem »matten Alltag etwas Glanz zu verleihen«. Die ungeschminkte Wahrheit kann hässlich machen. Deshalb braucht diese Welt zugleich den Zauber, zumindest zuweilen in jenen besonderen Momenten. Glamour lebt vom Besonderen und zugleich ist es wie mit der Schönheit des Weihnachtsfestes: wäre jeden Tag eine solche Feier, verflöge der Reiz.

»Glamour ist ein phantastisches Spiel für Erwachsene, sofern man seine Regeln beherrscht und zu brechen weiß, und die Mode bietet ein herrliches Terrain, um das Spiel mit Form und Farbe, mit Glanz und Eleganz zu erproben.«

Solcher Glamour kann sich in verschiedenen Feldern zeigen: Im Luxussegment und im Reich des großen Geldes: »Die Crux mit dem Mammon«, wie ein weiteres Kapitel heißt – nur eben garantiert auch der größte Reichtum keinen Glamour. Dieser will erzeugt werden: Es ist Arbeit! Glamour ist nicht identisch mit Luxus, schreibt Cohen in dem Kapitel »Glamouröse Rebellion«, doch ohne das Luxuriöse fehlt ihm etwas. Glamour wirkt billig, sofern auf bloßen Flitter und auf Gefunkel gesetzt wird. Glamour ist Verführung – womit auch die erotische Dimension angesprochen ist. Scharf kritisiert Cohen insofern jene Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle »Femme fatale. Blick – Macht – Gender«, die dort im Winter 2022/23 zu sehen war.

»Die Femme fatale vegetiert in dieser Ausstellung als Konstrukt dahin, in Glossaren und spröden Texten, die nur eines zum Ziel haben: die Auslöschung der Weiblichkeit und das Verschwinden der Frau. Sex als Liebesspiel und Lustbefriedigung ist inexistent oder dient anhand von Bildern zur Veranschaulichung von Machtgefällen und Unterdrückung.«

Die Subversionen einer femme fatale freilich, die im Sinne der Selbstbestimmung immer auch eine femme genitale ist, können in solchen sich politisch anbiedernden Ausstellung naturgemäß nicht mitgedacht, geschweige denn erfahren werden. Glamour oder gar der Vamp als Möglichkeit weiblicher Selbstermächtigung und als Inszenierung von Glamour spielen in dieser Ausstellung insofern naturgemäß keine Rolle. In diesem Sinne ist Cohens Buch auch eine gelungene Abrechnung mit dem woken und hochmoralisch aufgeladenen Kulturbetrieb.

Glamour ist für Cohen aber nicht nur eine Sache von sinnlicher Lust und ästhetischem Spiel, sondern eine soziale Praxis des (implizit politischen) Widerstands: sich gegen Konventionen zu stemmen. Sich als Subjekt zu inszenieren und dies nicht bloß in einem Rahmen, wo es politisch wohlfeil ist, wenn die im Mainstream bereits lange angekommene Dragqueen in die kleinbürgerliche Stube gelangt:

»In Deutschland hingegen, wo Stil gemeinhin ein Schattendasein fristet, vom glanzvollen Auf tritt ganz zu schweigen, ist man anfälliger für das Extrem, den parodistischen Firlefanz queerer Ästhetik.«

Das Problem freilich, das Cohen anspricht, ist keineswegs das Queere als solches, wie es eine Rezensentin der FAZ annahm, sondern die Anpassung einer einst widerständigen Praxis an den Zeitgeist und ans Opportune. Mit guten Gründen rekurriert Cohen auf den queeren, nein, schwulen Dandy, Rebellen und Exzentriker Quentin Crisp, der bereits in den 1960er Jahren mit seinem Auftritt die englische Gesellschaft in Wut und Wallung brachte, und ebenso ist David Bowie ihr Gewährsmann, der in den 1970er Jahren mit einer changierenden Sexualität spielte. Eine schöne Reminiszenz, dass eines der Kapitel »Ch-ch-changes. Die Lust auf Verwandlung« heißt. Zauber und Spiel: Magie verwandelt. Jener Emphase vom Selbstsein aber, als statische Größe, und der Suche nach einem Man-Selbst« misstraut Cohen, weil eben darin immer auch das »man« der schlechten Allgemeinheit steckt. Pop kann zwar Wege auftun. Aber deshalb ist noch lange nicht jeder Pop glamourös.

»Das Glimmern und Leuchten, das Schillern und Funkeln, dafür müssen wir unsere Sinne wieder schärfen, um das Potential zu erkennen, das wir in uns tragen, damit wir unser Leben gestalten und verändern können. Bowies Song ist eine Aufforderung, den Wandel zu akzeptieren, sich für das Unbekannte zu begeistern und auf die schöpferische Gewalt des Chaos und auf unsere eigene Gestaltungskraft zu vertrauen, […].«

Im Glamour steckt ein ethischer Imperativ, ohne dabei ins Moralinsaure zu gleiten oder banale politische Haltung zu propagieren. Glamour erstickt, so Cohen, wenn er unter einer Glasglocke gebannt wird: Glamour braucht Leben, braucht Sauerstoff, vor allem aber einen wachen und kreativen Geist, um jenen Glamour »wahrnehmen und entfalten zu können.« Wie sehr Cohen in diesem Kontext von Bowies Ausdrucksstärke fasziniert ist, kommt auch in dem Kapitel »Welch eine Erscheinung! Ästhetik und Charakter« zum Ausdruck, darin sie Bowie und den Glamrock als Phänomene analysiert, die sich einer Festlegung verweigern. Cohen bringt es auf den Punkt: »Das Spiel mit dem Ich bleibt lediglich aufregend, wenn es nicht zum Klischee gerinnt. Als ewige Wiederholung seiner selbst gibt sich Glamour der Lächerlichkeit preis.« Bowie wusste das in seinem proteushaften Erscheinen. Das eben ist die Hohe Kunst: zu wissen, wann ein Fest vorbei ist und wann neue Wege beschritten werden müssen. Glamour ist Rebellion und entzieht sich der Festschreibung und Fixierung. Glamour hängt nicht am Zeitgeist, wie Cohen immer wieder betont.

Im Blick darauf, dass Glamour uns vom Ballast der Wirklichkeit befreit, sind freilich auch die problematischen Seiten zu nennen. Adorno widmete dem Glamour in seinem 1941 erschienen Essay »On Populare Music« ein kleines Kapitel und formulierte es wie gewohnt drastisch: »Das, was glamor anstrebt, wird zu einer Aktivität, die noch gleichförmiger ist als das, was in glamor getaucht werden soll. […] alle glamor girls sehen gleich aus, [...]« In der Kritik der Warengesellschaft und als Kritik der Warenform bleiben Adornos Vorbehalte konsequent. Um aber irgendwie in dieser Warengesellschaft halbwegs zu überleben – was nicht bedeuten muss, sich dort bequem einzurichten – ist jenes Spiel mit dem Glanz des Glamours zuweilen unabdingbar, auch wenn es kein richtiges Leben im falschen geben mag, was gerade im Blick auf den Glamour eine spannende Sentenz ist, geht es in jenem Aphorismus Adornos doch zugleich um das Interieur, mit dem wir uns umgeben. (Der Aphorismus heißt, nebenbei, »Asyl für Obdachlose«.)

Dennoch bleibt Glamour als schöner Schein, für den auch Adorno Sympathie hegte, eine Möglichkeit, dass die Farben dieser Welt nicht verlöschen, wie er es zum Ende seiner »Negativen Dialektik« formuliert. Cohen unternimmt mit ihrem Buch eine Rettung dieses Begriffes in rigiden Zeiten von Hypermoral. Mit Schiller könnte man sagen, dass der Mensch nur dort ganz Mensch ist und dass der Mensch nur dort frei sein kann, wo er spielt: der Weg zur Freiheit führt bei ihm bekanntlich durch die Schönheit – deshalb eben eine ästhetische Erziehung. Man wird vermutlich durch den Glamour nicht derart zur Freiheit wandern, wie Schiller dies in seinen Briefen im Blick auf die Schönheit andachte, aber jener Glamour ist doch eine ganz wesentliche Voraussetzung für diesen schwierigen wie auch steinigen Weg. Ute Cohens Buch ist dafür ein gutes Vademecum – auch im Sinne jener (Foucaultschen) (Selbst)Praktiken des Changierens und einer Lust aufs Anderswerden, die nicht bloß Slogan bleibt, sondern die sich jeweils im praktischen Tun neu einlösen muss.

Artikel online seit 25.10.25
 

Ute Cohen
Glamour
Über das Wagnis, sich kunstvoll zu inszenieren
zu Klampen Verlag
ebook 16,99
9783987374357

 

 


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