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Panoramaschwenk, Splitscreen & Großaufnahme Drei höchst unterschiedliche Bücher widmen sich dem gleichen Ziel: der Musik Von Wolfram Schütte |
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Immer mal wieder hört man, dass Kühe, denen Mozart-Musik vorgespielt wird, mehr Milch geben. Wieviel Milch mehr & mit welchen Stücken des Köchelverzeichnisses die Leistungssteigerung besonders lukrativ für die Milchbauern ausfällt, ist meines Wissens noch nicht mitgeteilt worden. Ob andere Komponisten der Klassik auch solche Wirkungen in unseren Kuhställen zuwege brächten oder ob gar auch z.B. die Beatles, David Bowie oder Leonard Cohen vergleichbaren Milch-Erfolg gehabt hätten, ist mir noch nicht zu Ohren gekommen. Und ob das nicht doch alles Humbug ist (& zu schön, um wahr zu sein), darf man als Skeptiker sich gewiss fragen. Mir fiel diese wunderliche Behauptung wieder ein, die mich schon rund ein Vierteljahrhundert als kurioses fait divers begleitet, als ich jetzt in Ullrich Fichtners „Die Macht der Musik“ las - & gleich darauf Christoph Reuters „Musik macht schlau“. Zwei Bücher, die thematisch einander ganz nah sind - & literarisch doch ganz fern. Offenbar wie ihre beiden Autoren: der „Spiegel“-Reporter Fichtner & der Pianist, Komponist & Kabarettist Reuter. Man könnte ihre beiden zur gleichen Zeit publizierten Bücher als gemeinsame Anstrengung ansehen, der flüchtigsten & seltsamsten unter den menschlichen Künsten eine nachhal(l)tige Hommage aus Enthusiasmus & Liebe zu widmen. Ullrich Fichtner, dessen kollegiale Großherzigkeit & Bewunderungsfähigkeit ihn um den Chefredakteursposten des einstigen „Sturmgeschützes der Demokratie“ (Augstein) brachte, weil er die Brillanz seines Kollegen Relotius nicht als Betrug erkannt hatte, entwickelt sein enthusiastisches Plädoyer „Die Macht der Musik“ & (wie es zwischen diesen Titelzeilen heißt) „über ihre Kraft, unser Leben glücklicher und unsere Gesellschaft gerechter zu machen“ aus umfangreichen Recherchen wissenschaftlicher Fachliteratur & einer Reihe von Reportagen. Sie zeigen ihn auf der journalistischen Höhe seines beruflichen Metiers, weil er die Fakten nicht nur bedacht & in Augenschein genommen, sondern auch selbst vor Ort (mit)erlebt hat - wie z.B. in der Frühchenstation der Universitätsklinik von Dijon, wo die Krankenschwester Solène Pichon seit Jahren eruiert, wie früh die Musik im Leben des werdenden Menschen eine folgenreich-prägende Rolle spielt. Oder er besucht die Weltmusikmesse Womex in Manchester, wo die gesamte Musikbranche sich „offenohrig“ (Fichtner) zum Ideen-Austausch, Ein- & Verkauf trifft. Auch steht er in Montreux „an den Ufern der musikalischen Zukunft“ & genießt den Vorschein einer Utopie der weitgehend hierarchielosen menschlichen Gesellschaft – von Gnaden der Musik. Einmal porträtiert er den Mann, „der im Alleingang Millionen Menschen zum Gitarrespielen bringt“, ein andermal beschreibt er, wie sich die von ihm ritornellhaft in allen Teilen beschworene „Macht der Musik“ z.B. in der Musikwerkstatt der Bremer Philharmoniker unter den turnusmäßig eingeladenen Grundschulkindern tätig entfaltet. Fichtners Reportagen & Reflexionen demonstrieren immer wieder das ebenso vielgestaltige wie auch stetige Wirken der Musik in unserem Leben. Offenbar hält er sowohl den laienhaften Konsumismus der Publika in Konzertsälen, Arenen oder in/mit den Medien als auch das aktive künstlerische Schaffen, Aufführen & Interpretieren solo oder in Gruppen für gleichwertig. Da habe ich aber meine Zweifel. Fichtner ist großzügig, sein Panorama der Musik reicht vom Mainstream des Pop & Jazz bis zur Avantgarde, die sich jährlich in Donaueschingen trifft – worüber er wie auch in allen anderen Essays anschaulich & transparent schreibt. Die Idee zu seinem Buch, erzählt er, kam ihm, als er kürzlich einer Probe der Bamberger Symphoniker als einziger Zuhörer beiwohnte. Ein Erweckungserlebnis – das zweite, weil er in seiner Jugend durch die unverhoffte Begegnung mit Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ für die Klassische Musik gewonnen wurde. Vielleicht kommt aus diesen positiven Schockerfahrungen der mitreißende Enthusiasmus, mit dem er die emotionale Wucht, die Gemeinschaft bildende, zivilisierende Wirkung des Musizierens & kollektiven Musikerlebnisses im Konzertsaal oder den Fan-Arenen der Popgrößen feiert - & da kein Mensch (wie Fichtner behauptet) „unmusikalisch“ sei, davon träumt, dass eine „Musikalisierung der Gesellschaft“ die Weltordnung mehr ins Geglückte & Gerechte transponieren würde. Soweit in die Gesellschaftsutopie, der Rettung durch die Musik in allen Formen ward, wie Florestan durch die mutig-tätige Liebe Leonorens zur Freiheit geführt wird, wagt sich der ausübende Musiker, Komponist & Kabarettist Christoph Reuter nicht ins Wunschdenken hinein - obwohl er immerhin davon überzeugt ist, dass Musik „schlau macht (außer manche)“ & er Fichtners entschiedenes Plädoyer für eine musikalische Bildung in der Schule vollauf teilt. Wie Fichtners Buch reportagehaft (auch empfindsam) erzählt, so brilliert Reuter durch den Witz eines professionellen Unterhalters, der sich & seinen Lesern ein Vergnügen daraus macht, sie sowohl in einen Dialog zu verwickeln als auch durch kenntnisreiche Flapsigkeiten oder gelegentlich etwas verwunderliche Abschweifungen zu amüsieren (z.B. „Der Aberglaube auf der Bühne“ oder „Brauche ich ein Hörgerät?“). Wollte man die beiden Bücher musikaffin metaphorisch vergleichen, müsste man von einer (Fichtnerschen) Brahms-Symphonie & einer (Reuterschen) Offenbachiade sprechen, will sagen: einmal dichte, ernsthafte Durchführungen der Themen & ein andermal jokoses Treiben, wohin Witz & Laune des gutgelaunten Autors ihn & den amüsierten Leser verführen. Wähle jede(r) eines der beiden Bücher nach Lust & Laune: chacun à son gout. Und nehme noch hinzu: Axel Brüggemanns ebenso detaillierte Untersuchung wie seine emphatisch-pragmatische Aufforderung, „wie wir unsere Musikkultur retten“ sollten, die schon vor zwei Jahren unter dem etwas verquast witzigen Titel „Die Zwei-Klassik-Gesellschaft“ erschienen ist. Brüggemann selbst hat mittlerweile aus seiner Empathie eine kleine Geschäftsidee gemacht: den Blog „Backstage-Classical“.Artikel online seit 19.12.25 |
Ullrich
Fichtner
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Reuter
Axel
Brüggemann |
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