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Jonglage
Marcus
Steinwegs chaotisches Panorama aus geistreich |
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In den großen Städten gehören die Ampel-Jongleure seit langem zum Straßenbild. Während der Rotphasen tauchen sie vor den wartenden Autos auf, um mit bunten Kegeln, brennenden Fackeln oder kleinen Bällen auf einem Einrad ihre Kunststücke zu vollführen. Noch ehe die Ampel wieder auf Grün schaltet und der Verkehr anrollt, wird eine Mütze gereicht, deren Befüllung das Auskommen der Artisten sichern soll. Der Jongleur, so will es die Etymologie, ist der Spaßmacher, dem bereits im Mittelalter eine amoralische Haltung attestiert wurde. Es gibt auch eine Form der Philosophie, die so arbeitet. Statt der Dinge, die durch die Luft wirbeln, sind es Begriffe und manchmal Namen, mit denen man ein lustiges Schauspiel vollführt und auf Applaus hofft. Die bunten Kegel nennen sich dann Hölderlin, Kierkegaard, Kafka, Weil und Wittgenstein, die brennenden Fackeln sind Spinoza, Nietzsche, Deleuze, Foucault, Lacan, und die kleinen Bälle heißen Arendt, Bachmann, Beckett, Proust und Joyce. Die philosophische Jonglage wirft alles in die Luft und zaubert daraus ein chaotisches Panorama aus Miniaturen, Denkbildern und Miszellen. Der Jongleur hat im wahrsten Sinne des Wortes alles in der Hand: Er wirft hoch, fängt auf, achtet auf den Rhythmus der Kaskade aus Gedanken, Ideen und Anekdoten. Wie die Straßenjongleure muss er nicht begründen, sondern nur zeigen, wie es funktioniert, und anschließend hält er das Portjuchhe hin – und alles geht unverändert weiter. Er hat auch deshalb alles in der Hand, weil seine Begriffe und Namen, die er in die Luft wirft, nicht widersprechen können. Mit ihnen wird nicht diskutiert, vielmehr müssen sie tun, wie und solange ihnen befohlen. Der Philosoph als Jongleur sagt: Seht, hier ist Michaux, und er hat dies und jenes gesagt. Dann wirft er ihn in die Luft. Und Blanchot gleich hinterher: Denn dieser hat dies und das gedacht. Und es folgt zum Schluss noch Hegel, der dann und dann jenes verfasst hat. Nichts weiter. Das ist alles. Und alles scheint so leicht und einfach.
Wer sich ein Bild der philosophischen Jonglage machen möchte, lese die „Minima
Amoralia“. Hier zeigt der Philosoph sein artistisches Können. |
Marcus Steinweg |
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