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Der vom Ich bewohnte Planet |
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Das Ziel in der Philosophie, weiß Ludwig Wittgenstein im berühmten § 309 seiner
Philosophischen Untersuchungen, sei, der Fliege den Ausweg aus dem
Fliegenglas zu zeigen. Die Fliege ist in dieser Metapher nichts anderes als der
Mensch, der gedanklich in eine Sackgasse geraten ist, das Glas steht für die
Grenzen seiner Sprache, die jedoch unerkannt bleiben. Die Philosophie tritt nun
als Therapeutin auf, indem sie die unbewussten Denkmuster und die sinngeronnenen
Sprachspiele ins Bewusstsein hebt: Nur, wem es gelingt, die Grenzen seiner
eigenen Sprache zu erkennen, wird am Ende einen Weg nach draußen finden können.
die form der zeit aber ähnle Überhaupt ist Wittgenstein allgegenwärtig, denn die Gedichte werden immer wieder von Zitaten und Gedankensplittern des Philosophen durchkreuzt. So entwickelt sich ein Dialog zwischen den rationalen, sprachphilosophischen Einwürfen Wittgensteins, der im Tractatus (Absatz 3.4.1) festhält, das Satzzeichen sei „der logische Ort“ – und den intimen, melancholischen und konsequent kleingeschriebenen, interpunktationslosen Zeilen, die van der Mele dem entgegenhält: „ich begründe alles / begreife wenig / fremd sind mir / wald und wachsen“.
Besonders virulent ist dieser Gegensatz in „der objektive standpunkt und ich“,
in denen die Gassen von Buenos Aires als Kulisse dienen und das lyrische Ich
„gut versteckt den objektiven standpunkt“ entdeckt. Unweigerlich erinnert dies
an Jorge Luis Borges Kurzgeschichte „Das Aleph“.
Daneben wird die deutsche Dichterin und Zeichnerin Unica Zürn, die 1970 in Paris
verstarb, immer wieder erwähnt. Erstmals in „der schmerz von deinem tod zu
wissen“. Die Zeilen führen auf den Père Lachaise, wo Zürn begraben liegt, und
enden mit der unerklärlichen Sehnsucht, ihr nah sein zu wollen. Es gibt zudem
ein „inparisverliebtgedicht“ mit dem schönen Bild: „gott selbst trägt hier nur
hohe schuhe / und wirkt auf fremde maßlos arrogant“. Und schließlich ist ein
weiteres Gedicht „für unica“ betitelt, in dem auch „der tiger“ Erwähnung findet,
der dem Band den Titel gibt. Der literarischen und künstlerischen Vorbilder gibt es weitere. So findet sich ein feines Liebesgedicht für die in Deutschland eher wenig bekannte, spanische, surrealistische Malerin Remedios Varo und ihre teils durch Salvador Dalí inspirierten Traumbilder. Es gibt so wundervolle Bilder wie jenes „du wohnst in meiner hand“, oder Sätze wie: „mein herz das ist ein puzzle / in hundert teilen und einige / liegen noch bei dir herum“. Der Melancholie ist dabei nicht selten Humorvolles beigemischt: Heraklits „panta rhei“ aufgreifend, heißt es an einer Stelle etwa: „du kannst nicht zweimal den gleichen platz besuchen“. Mein Lieblingsgedicht aber trägt den Titel: sonnenkind
du fragst was ich mache
ich erzähl dir von flieder
soll ich mehr noch erzählen
Der Gedichtband ist in dem kleinen Leipziger Verlag „Anderort“ erschienen. Der
Name ist eine Anspielung auf die Idee der Heterotopien bei Michel Foucault als
jene „Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können.“
Einmal mehr erinnert es an das Aleph, das Fliegenglas, den vom Ich bewohnten
Planeten … |
Charlotte van der Mele |
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