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Neben dem 17 Jahre älteren
Stendhal (Marie-Henri Beyle) und dem 22 Jahre jüngeren Gustave Flaubert
bildet Honore de Balzac die Mitte im Triptychon der großen französischen
Realisten des 19. Jahrhunderts.
Sein voluminöses Hauptwerk, das er in Anlehnung an Dantes »Göttliche«, »Die
menschliche Komödie« (»La Comédie humaine«) genannt hat, blieb trotz seiner rund
90 fertiggestellten Bände unvollendet. Kolossales Fragment eines auf 137 Romane
und Erzählungen angelegten, in Sektionen unterteilten, weit
verzweigten Gesamtwerks, dessen Einzelbände zu einem Gewebe aus von Roman zu
Roman wiederkehrender Personen wurden.
»Von den rund 2.000 Personen, die in der Comédie humaine ihren Auftritt haben,
sind es insgesamt 593 Darsteller, die mehrfach in Haupt- oder Nebenrollen in den
einzelnen Werken figurieren.« (Willms, Balzac, S. 182)
Mit dieser literarisch revolutionären Idee einer vernetzten Personage entwarf
Balzac mit seinem psychologischen Realismus ein opulentes Sittengemälde der
französischen Gesellschaft der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als deren
Sekretär er sich bezeichnet hat:
»Der Zufall ist der größte
Romandichter der Welt: um fruchtbar zu werden, braucht man nur zu studieren. Die
französische Gesellschaft sollte der Historiker sein, ich nur ihr Sekretär. Wenn
ich die Inventur der Laster und Tugenden aufnahm, wenn ich die hauptsächlichsten
Daten der Leidenschaften sammelte, wenn ich die Charaktere schilderte, wenn ich
die wichtigsten Ereignisse des sozialen Lebens auswählte, wenn ich durch die
Vereinigung der Züge vieler gleichartiger Charaktere Typen schuf, so konnte es
mir vielleicht gelingen, die von so vielen Historikern übersehene Geschichte zu
schreiben: die der Sitten.«
Im Stile eines
psychologischen Portaits führt uns Willms leichtfüßig durch das abenteuerliche
Leben des Romanciers, der uns die Erfahrungen anderer zwar meisterhaft schildern
konnte, für sein eigenes Leben daraus jedoch keine Lehren gezogen, sondern
zeitlebens daran geglaubt hat, daß sich der Schein im Sein verzinsen würde.
Auf 368 Seiten erklärt er uns das Phänomen Balzac.
Mit seiner ausgeprägten Lust am Erzählen erzeugt Willms eine lebendige
Unmittelbarkeit zu dem ewig großen Jungen Balzac, dem Berserker und
Verschwender, der zeitlebens über seine Verhältnisse gelebt und gearbeitet hat.
Dabei liegt der Schlüssel zum Verständnis Balzacs für Willms in dessen Kindheit
und Jugend, die der junge Honoré größtenteils in Internaten und kasernenartigen
Schulen verbringen mußte, in die ihn seine Mutter verfrachtet hatte, die, zur
mütterlichen Liebe offenbar unfähig, das Kind zeitlebens als unzumutbare
Belastung empfunden haben muß.
Zum einen lernen wir den Romancier als einen reaktionären Opportunisten kennen,
der, süchtig nach Ruhm und Reichtum, nichts unversucht läßt, in der
postnapoleonischen Gesellschaft Frankreichs, deren oberstes Gesetz »enrichez
vous!« (Bereichert Euch!) lautete, Karriere zu machen. Aber auch einen
liebenswert (?) unbelehrbaren Glücksritter, der sich rettungslos in hanebüchende
Geschäftsideen verstrickt.
Glanz und Elend liegen bei Balzac stets sehr dicht beieinander, überlagern sich
regelrecht, wobei der Glanz selten Widerschein eigenen Leuchtens, meist Abglanz
eines Popanzes ist, während das Elend in form stetig steigender Schulden
zunehmend existenzbedrohende Dimensionen erreicht.
Es scheint, als wäre der Schriftsteller Balzac, Alexis Sorbas und Don Quichotte
in einer Person, die Entelechie des ewigen (traumatisierten) Kindes, der, um
sein grandioses Werk zu schaffen, sein Leben, gemessen an heutigen bürgerlichen
Maßstäben, ebenso glorreich verfehlen mußte.
Willms facettenreiche Biographie bietet einen ebenso unterhaltsamen wie
erhellenden Zugang zu Leben und Werk von Honoré de Balzac und liest sich
streckenweise wie ein Roman des Meisters selbst.
Artikel online seit 10.12.25
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Johannes Willms
Balzac
Eine Biographie
Diogenes Leinen
368 Seiten
18,00 €
978-3-257-24828-9
Leseprobe & Infos
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