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Vom Richtigen im Falschen |
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»Daß das bloß solche Geschichten bleiben, / Die man den Enkeln erzählen kann …«, so hieß es 1969 in dem gleichnamigen Song von Franz Josef Degenhardt im Blick auf die Studentenbewegung der ausgehenden 1960er Jahre. Das Verklären der Vergangenheit, wenn eine Gestalt des Lebens alterte: die einstmaligen Ziele wurden vergessen, übrig blieben jene Legenden, zuweilen ausgeschmückt und von Mund zu Mund getragen. Aus Geschichte wurden Geschichten. »Hockt in der Nähe der Wodkaflasche / Ein APO-Großväterchen und hebt an: / ‚Also damals, als wir mit Dany nach Forbach zogen / Da hatten wir Blumen im Haar – / Und Gaston war da, und KD / Und wir sangen die Internationale, und das war wunderbar!‘« Die APOs freilich (Außerparlamentarische Opposition), die wenigen, die noch leben, sind in die Jahre gekommen. Deren Träume von Revolution, von einer anderen, klassenlosen Gesellschaft scheiterten. Was nicht zerbrach, war ein neuer Geist, der in die Gesellschaft der ausgehenden 1960er und 1970er Jahre getragen wurde. Aber auch hier existiert viel Legendenbildung, denn die unruhigen Studenten knüpften ihr Band nur an einen Zeitgeist, der bereits in der Luft lag, schon Anfang der 1960er Jahre. Sexuelle Befreiung über Pop, die konventionelle Lebensweisen der bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Eltern gerieten in die Kritik. Man hörte jenen »Negerjatz«, den die Alten verachteten und bewegte sich dazu freizügig auf der Tanzfläche. Und auch die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit samt der Erkenntnis, dass die Mörder mitten unter uns lebten, war keineswegs das Verdienst der 68er. Sie griffen lediglich das auf, was mit den Auschwitzprozessen Anfang der 1960er Jahre und der Debatte um die Verjährung der Nazi-Verbrechen vom März 1965 lange schon die Öffentlichkeit bestimmte. Martin Stallmann arbeitete dies in seiner lesenswerten Studie »Die Erfindung von ‚1968‘. Der studentische Protest im bundesdeutschen Fernsehen 1977–1998« (Wallstein Verlag, 2017) heraus. Dennoch: Das, was da von jenen Studenten auf die Straße und von der Straße in die Medien getragen wurde, sollte die alte Bundesrepublik nachhaltig beeinflussen. Bis tief in die 1990er Jahre und bis in die Gegenwart hinein, wenn man bedenkt, dass jene, die damals Studenten waren, mit den1970er und 1980er Jahren den Marsch durch die Institutionen der alten BRD antraten. Ganz nach Antonio Gramscis Überlegungen zur kulturellen und politischen Hegemonie: Beamte, Richter, Politiker, Künstler, Journalisten, und insbesondere jene linken Lehrer an den Schulen zeigten, dass es einen anderen Zeitgeist gibt. Und das schlug sich vor allem in der Welt der Bücher und Verlage auch nieder. »Was von den 68ern geblieben sei?«, so wurde Jürgen Habermas einmal gefragt. Seine lakonische Antwort 1988 in der FR lautete »Frau Süssmut« [1985 unter Helmut Kohl Familien- und Gesundheitsministerin]. Das ist sicherlich zugespitzt, auch wenn die Antwort im Blick auf die Emphase dieser damaligen Jugendbewegung richtig war. Geschichte und Geschichten also, die bleiben. In Degenhardts Song heißt es freilich weiter: »Es gibt ʼne Menge Leute, die hätten / Großes Interesse daran! / Streiche von Kindern besserer Leute – / Die letzten Streiche vor dem großen Abspeisen! / Ja, so hätten sie's gern, die Abgespeisten / Und die, die die Speisen verteilen!/ Aber wir werden sie enttäuschen – denn: / Venceremos! / Venceremos!« So schmetterte es der Sänger mit revolutionärem Elan. Daraus wurde – zum Glück! – nichts. Tempi passati. Aber es gelang doch der eine oder der andere Lebensentwurf und das Politische ist auch das Private, um von dort öffentlich und damit auch politisch wiederum zu wirken. Der Geist von »1968« war revolutionär in einem ganz anderen Sinne: als List der Vernunft gleichsam eine ganze Gesellschaft evolutionär neu zu formen. Wer genauer wissen will, wie das damals war und wie diese Ereignisse bis heute wirken, der greift zum guten Sachbuch: Die Bücher zu den 1968ern sind Legion und ich spare hier die Titel – hinzuweisen allenfalls auf Gerd Koenens »Das rote Jahrzehnt«. Wer den Geist der Zeit nacherleben will, der nimmt sich eine der zahlreichen Autobiographien und liest. So etwa die im Sommer 2025 erschienene Lebensgeschichte des Verlegers KD Wolff, die den schönen wie auch poetischen Titel »Bin ich nicht ein Hans im Glück?« trägt. Freilich kann man solches nur im Rückblick sagen: im eigenen Anfang des Lebens und auch Jahre danach bis ins Erwachsenenalter liegt selbiges offen noch da und es könnte auch die Pechmarie dabei herauskommen. Klaus Dieter Wolff – Jahrgang 1943, geboren in einer bürgerlichen Familie in Marburg – sollte eine Institution werden. Schon während der 68er-Revolte. »[D]ass meine Initialen den Referenzpunkt bilden sollten, mit dem ich durchs Leben gehen wollte«, war ihm früh schon klar. Seitdem nannte er sich KD und firmierte unter diesen Initialen. Sich selbst finden und zugleich auch sich selbst erfinden. Eine Legende, weit über die 68er hinaus, und jedem Hölderlin- und Kafkaleser im Germanistikstudium ein Begriff. Das Buch ist in vier Teile gegliedert: die »Jugendjahre und politische Kämpfe«, also jene Phase, wo Lebensweichen gestellt werden, warum einer wird, was er dann später ist: Studentenbewegung, SDS-Vorsitzender, linkes Lesen, Rudi Dutschke, der Aufenthalt in den USA. Der zweite Teil handelt von Wolffs Anfängen als Verleger wie auch von seiner politischen Umtriebigkeit, der dritte Teil von der Professionalisierung seiner Arbeit und dem Leben im Frankfurter »Holzhaus«, auf das noch zu sprechen zu kommen ist, wenn es um jene alternativen Lebensformen geht, die mit Wolffs Verlags- wie auch Privatleben sich entwickelten. Der vierte Teil hat die erste Pleite zum Thema sowie die Wiederauferstehung eines Verlages und dann dessen endgültiges Ende: Gemeint ist hier der Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Und in diesem Sinne kann man das Buch genauso als eine Verlagsbiographie lesen. Stroemfeld/Roter Stern ist der zweite Akteur dieser Biographie. »Ein Stern verglüht« heißt gleich das erste Kapitel in diesem letzten Teil. Anders aber als Peter Trawnys philosophische Autobiographie »Aschenplätze« (Matthes & Seitz, 2025) reflektiert Wolff nicht auf jenes »Erkenne dich selbst«, welches immer das Movens autobiographischen Schreibens bildet, sondern Wolff erzählt, was war. Vom Schreibstil liest sich das flott, wenngleich etwa Karl Heinz Bohrers »Granatsplitter« und »Jetzt« wie auch Helmut Lethens »Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug« mich von der Lektüre mehr gefesselt haben, was den kulturgeschichtlichen Blick betrifft – und bei Lethen natürlich ganz besonders die philosophischen Referenzen. Freilich will ich nichts gegen Wolffs Buch sagen, wir blicken auf ein spannendes wie bewegtes Leben und auch für all jene Jungen, die heute im Kulturbetrieb sich bewegen, ist es sinnvoll, die Ahnen zu kennen. Zudem kann man diese drei Biographien als verschiedene Facetten ein und derselben Sache lesen, bilden sie doch unterschiedliche kulturgeschichtlich motivierte Sichtachsen auf die alte BRD – von ihren Anfängen bis in die 2000er Jahre hinein. Wer sich für Einblicke aus dem Maschinenraum von 68 und fürs alternative Verlagsleben interessiert, wie man einen Verlag gründet und wie es passieren kann, dass ein Verlag stirbt, der wird dieses Buch mit Interesse lesen. Und so ging es auch dem Rezensenten. Das fängt mit der Kindheit an. »Ruinenkinder« eben, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: »Unsere Eltern bekamen die gefährlichen Ausflüge zwar mit, erzogen uns aber buchstäblich wie abwesend. Seltsam, wie stark und intensiv mir diese Sommer und Winter im Edertal in Erinnerung geblieben sind. Ich glaube, die spätere Revolte meiner Generation war in gewisser Weise wie ein Versuch, dieses Lebensgefühl direkt nach dem Krieg zu wiederholen. Meine Generation wusste, dass unsere Eltern, unsere Väter den Krieg verloren hatten. Diese Ohnmacht der Väter war immer vorhanden: Entweder waren sie gestorben oder auf andere Weise geschwächt.« (S. 25f.) Was für unsere heutige Gegenwart schwer nachzuvollziehen ist und was Jüngere gar nicht mehr kennen, das war der Geist jener 1950er Jahre, der in der BRD herrschte und der noch in die 1960er drang: »Es ist heute kaum noch vorstellbar, wie die Restauration in den Fünfzigerjahren die Haltung der deutschen Gesellschaft bestimmte. Die Nürnberger Prozesse […] galten als ‚Siegerjustiz‘ – diesen Ausdruck kannten wir als Kinder ganz genau.« Und zügig ging es, im jugendlichen Furor gegen jenes Verstaubte, nach links: Marxtexte, SPD und zugleich die Abwendung von ihr, aber auch die Reize des anderen Geschlechts. Frauen werden in Wolffs Vita eine große Rolle spielen. Schülerreise in die USA – eine Erfahrung, die Wolff nachhaltig prägen und ihn vor dem dumpfen Antiamerikanismus vieler 68er schützen sollte. Und man siehe und staune: Wolff diente bei der Bundeswehr, zwei Jahre, freiwillig. Studium in Marburg, Freiburg und dann der Wechsel nach Frankfurt, wo es ohne Kritische Theorie und ohne Adorno freilich nicht abging. Zugleich auch die bunte, wilde Welt des SDS, des »Sozialistischen Deutschen Studentenbundes«. Texte zwischen Georg Lukácsʼ »Geschichte und Klassenkampf«, Wilhelm Reichs »Funktion des Orgasmus« und Adornos/Horkheimers »Dialektik der Aufklärung«. Daß der Staat bei den unruhigen Studenten nicht zimperlich vorging, zeigten die Überwachungen durch Polizei und Verfassungsschutz, die auch Wolff trafen. Im Blick auf die Krawalle im Jahr 1967 und 1968, etwa nach der Ermordung von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und dem Attentat auf Rudi Dutschke vom 11. April 1968 schreibt Wolff: »Wenn mir jemand unterstellen wollte, ich sei ein Krawallmacher gewesen, wäre ich das jedenfalls unter engmaschiger polizeilicher Bewachung gewesen.« Im Januar 1969 dann in Frankfurt eine weitere Zuspitzung und eine der zentralen Szenen, zumindest im 68er-Internen und im Blick auf den Theoriehintergrund: nämlich die Besetzung des Instituts für Sozialforschung, das von Adorno geleitet wurde. Was für ihn ein Schockmoment bedeuten sollte. Unnötige Konfrontationen im Grunde. Wolff schreibt in diesem Kontext einen der schönsten Sätze dieses Buches vielleicht und eine wunderbare Würdigung auf den Großmeister der Kritischen Theorie: »Vermutlich wusste Adorno gar nicht, wie sehr wir ihn eigentlich liebten. Er war eine Lichtgestalt für uns. Alles, was wir gelesen, alles, mit dem wir uns beschäftigt hatten - dafür stand er als Person ein. Mit Blick auf die Kritische Theorie verkörperte niemand für uns eine derartige moralische Integrität wie er.« Auch die politischen Makel der Studentenbewegung werden bei Wolff nicht ausgespart, ohne dass er ins Renegatentum kippt – etwa der Antiamerikanismus und auch der linke Antisemitismus, der nach dem Sechstagekrieg teils offen und unverhohlen zutage trat. Am 1. September 1970 dann die Gründung des Verlages »Roter Stern«, nachdem es zum Zerwürfnis mit Jörg Schröder kam, legendärer Verleger des März Verlags, bei dem Wolff angestellt war. Ganz berufspraktisch führt uns diese Biographie in die Welt der linken Verlage: Arbeit zwischen Selbstausbeutung und politischem sowie intellektuellem Engagement, freilich auch mit Menschen, deren Vita im Terrorismus münden sollte: Winfried Böse, Mitbegründer der »Revolutionären Zellen«, und Hannes Weinrich, rechte Hand des Terroristen Carlos später. Der Weg in die Gewalt ist auch bei Wolff Thema – insbesondere die antisemitische Seite der Linken, wenn wir daran denken, dass die deutsche RZ-Terroristen Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann bei der Flugzeugentführung eines Passagierflugzeugs nach Entebbe an der Selektion von Juden mitwirkten. Wolff war entsetzt und das scheint mir auch glaubhaft und keine nachträgliche Geschichtsklitterung. Detailliert geht Wolff auf die Umstände ein und auch auf ein Umfeld, zu dem er Kontakt hatte. Wolff jedoch als Sympathisanten zu bezeichnen, wie es damals in polemischer Absicht von Konservativen, aber auch von manchem Sozialdemokraten getan wurde, führt an der Sache vorbei. Vor allem aber ist es die Verlagsarbeit, die Mühen der Ebene, in die Wolff uns führt. Mit dem »Räuberbuch« (1974) gelang seinem Verlag eine erste Publikation, die nicht bloß im Sinne der Bewegungslinken aktivistisch konzipiert war und darin es nicht um Politpropaganda ging. Es war das erste wissenschaftliche Buch. Auf der »Metaebene literarischer Geschichtsschreibung« konturierte es Friedrich Schillers Drama »Die Räuber« neu, und zwar perspektiviert auf die jeweiligen ideologischen Interpretationen dieses Stückes durch die Germanistik. Mithin eine »politische Historiographie«. Damit war eine zentrale Weiche für die Neuausrichtung des Verlags »Roter Stern« gestellt. Allerdings blieb es monetär meist vertrackt und es stand oftmals Spitz auf Knopf: »Wir hatten eine gute Ausgangslage, waren aber sehr naiv«, so Wolffs Bekenntnis im Blick auf die Arbeit und den Weg, der noch vor ihnen lag. Zu nennen ist hier vor allem das Großprojekt einer Hölderlin-Ausgabe der andren Art, indem die Dichtung völlig neu angeordnet und unterschiedliche Textschichten freigelegt werden. Die neue Edition sollte die verschiedenen Entwicklungsphasen und die Prozesse der Dichtung kenntlich machen. Statt ein fertiges Hölderlingedicht zu liefern, gab es einen Hölderlin im Fragment, eine praktisch unendliche Dichtung, was dann auch die Interpretationen ändern sollte. Ein revolutionärer Hölderlin wurde gezeigt, die Klassikerstatue zertrümmert. Wie in jenem 68er Slogan, der an manches Germanistische Seminar gepinselt wurde: »Macht die blaue Blume rot – schlagt die Germanistik tot«. Nur dass es hier nicht Novalis war, sondern ein explizit revolutionär denkender Dichter – auch und vor allem ästhetisch. Klassiker statt Klassenkampf, so titelt Wolff die Lage, um mit genau dieser Arbeit dann das konservative Hölderlinbild zu drehen. Ähnliches später bei den Ausgaben von Kleist, Karoline von Günderode, Gottfried Keller, Georg Trakl und Franz Kafka. Es ging ums Etablieren anderer, avancierter Lesarten Das Hölderlin-Projekt war aufreibend, es begann 1975 und dauerte bis ins Jahr 2008. Allein die Passagen zu diesem Unterfangen und wie sich eine hochkomplexe Edition, komponiert aus verschiedenen Bearbeitungsstufen Hölderlins, Schritt für Schritt ins Werk setzte, gerade auch dank der Arbeit D. E. Sattlers, sind lesenswert, eine Art Editionskrimi, insbesondere deshalb, weil diese Ausgabe von den Hölderlin-Auguren der Germanistik keineswegs mit Freude aufgenommen wurde und Sattler keineswegs zu den führenden Hölderlinforschern gehörte: ein Dozent, mit profundem Wissen freilich, aber ohne akademische Meriten, wird plötzlich Hölderlinexperte. Wolff formuliert es derart: »Im Grunde ging es mir darum, die Allmacht von germanistischen Großordinarien zu brechen, die dachten, sie allein hätten die Fähigkeit, Texte zu analysieren, zu deuten.« (S. 136) Dazu brauchte es freilich Geld und Förderungen – und da sprang, Witz der Geschichte im Blick auf links versus konservativ, 1993 Helmut Kohl ein, der Gelder vermittelte. Kohl liebte Hölderlins Dichtung. Das erwies sich von Vorteil. Ein weiterer Coup gelang Wolff mit Klaus Theweleits »Männerphantasien« – »dem für den Verlag finanziell erfolgreichsten Buch«, welches in den 1980er Jahren insbesondere die Germanistik oder vielmehr deren Studenten in eine andere Schwingung bringen sollte: der bewegte, selbstkritische Mann im Blick auf patriarchale männliche Körperpanzer der faschistischen Männerbünde der 1920er, 1930er Jahre: »Die Angst vor der Körperauflösung bereitete faschistischen Handlungen den Weg.« (S. 137) Gewalt ist die Lösung für die Probleme, mit denen der männliche »Fragmentkörper« nicht umgehen kann. Das Buch rief in den 1980er Jahren und bis heute hin zahlreiche Debatten wie auch scharfe Kritik hervor. Intensiv schildert Wolff hier den theweleitschen Bezugsrahmen, so etwa dessen Einflüsse durch die verschiedenen poststrukturalistischen Positionen von Foucault, Deleuze und Guattari und vor allem auch die Hinwendung zu einer kritisch gewendeten Psychoanalyse. »Der lange Sommer der Theorie« prägte auch Wolffs Verlag, wenngleich sicherlich nicht derart wie bei Merve, der immer wieder und in hoher Schlagzahl avancierte Theorietexte in Umlauf brachte. In die Verlagsarbeit eingestreut die Szenen des Lebens: zwischen Lieben, Arbeit, Genuss, aber auch das Politische. Patchwork-Familienkonstellationen. Die Geburt der Tochter Jenny 1977, der Deutsche Herbst und wie ein linker Verleger mit dieser bleiernen, grauen Zeit umgeht und auch 1989 Wolffs Einsatz für Salman Rushdies »Die satanischen Verse« – was aufgrund der Todesdrohungen aus dem Iran und durch radikale Muslime ein lebensgefährliches Projekt war. Ein Gang durch die Jahre des Lebens: die Wiedervereinigung, die große Teile der Linken und so auch Wolff mit Skepsis betrachteten. Der dritte Teil widmet sich dann vor allem dem Leben in jenem sogenannten Holzhaus, das im Frankfurter Nordend liegt und in das Wolff sowie seine Entourage und damit auch der Verlag 1972 einzogen: Eine alte, zu renovierende Villa. Hier wurde nicht nur eine Wohnstatt gefunden, sondern ein Lebensort, darin sich Arbeit und alternativen Lebensform verquicken ließen, was es sonst eher auf dem Land gibt, wie Wolff betont, wenn man an die damals aus dem Boden sprießenden Landkommunen denkt: das Politische sollte sich im Privaten realisieren. Im »Holzhaus« verbanden sich die Sphären. Es kamen Autoren vorbei, die nicht nur geschäftlich einen Verlag besuchen wollten, sondern es ging immer auch um die persönlichen Bindungen. Die Arbeit am Geist als Lebensform. Bücher zu machen nicht bloß wegen des Profits, sondern für eine gute Sache. »Hätten wir nicht auf unsere eigene Weise miteinander gelebt und gearbeitet, hätten wir den Verlag nie lebendig und über Wasser halten können«, so formuliert es Wolff. Diese Lebensemphase kann Wolffs Biographie auf anschauliche Weise vermitteln und ebenso die vielfältige Arbeit als Verleger. Autoren wie Peter Kurzeck und der FU-Gelehrte und Religionswissenschaftler Klaus Heinrich kamen hinzu. Beide legten auf einen individuellen Verlag wert, bei dem ihre Bücher kein Massenprodukt waren. Zunächst erschienen Heinrichs Bücher freilich bei Suhrkamp. Als Heinrich aber erfuhr, dass seine Bücher im Modernen Antiquariat verramscht werden sollten, so berichtet Wolff, kündigte Heinrich per Einschreiben an Siegfried Unseld sämtliche Rechte und kehrte Suhrkamp für immer den Rücken. In fast fünfzig Verlagsjahren verlegte Stroemfeld/Roter Stern rund 800 Bücher. Das klingt nicht viel, ist aber für einen kleinen linken Verlag, der lange Zeit in der Nische lebte, eine große Zahl, wie Wolff bilanziert. Hinzuweisen ist vor allem auf die Kafka-Ausgabe, weil deren Editionsprinzip, insbesondere von »Der Process«, auch für die ästhetische Konstruktion erhebliche Relevanz besitzt: »Weil aus den erhaltenen Konvoluten keine endgültige Reihenfolge der Kapitel erschlossen werden kann, gaben wir unsere Wiedergabe der Schriften in Einzelheften in einem Karton-Schuber heraus. Nicht allen Rezipienten gefiel das, weil sie eine Sortierung vermissten Wolfram Groddeck führte in einem Rückblick aus, unsere Frankfurter Kafka-Ausgabe sei vielleicht die methodisch radikalste unter den zahlreichen Stroemfeld-Editionen. Diese nicht nummerierten Hefte seien der ‚Schrecken aller Bibliothekare‘ gewesen. Für Roland war die fehlende Reihenfolge aber Voraussetzung, um die von Kafka selbst experimentell hergestellte Variabilität der Abfolge sinnfällig zu machen.« (S. 224) Im vierten Teil dann der Einschnitt und 1993 der Konkurs und damit die Auflösung des Verlags Roter Stern als eigenständiges Unternehmen. Aber für Stroemfeld/Roter Stern brachen trotz vorheriger Krisen nach der Jahrtausendwende zunächst mal gute und bessere Zeiten. Doch kurz nur, der Buchmarkt änderte sich, Buchkäufe gingen zurück, es war, so Wolff, nicht mehr zeitgemäß im Privathaushalt aufwendige Buchausgaben zu besitzen. Konzentrationswellen im Buchhandel und in der Verlagslandschaft taten ein Übriges, so dass kleine Verlage und Buchhandlungen verschwanden oder aber unters Dach eines Großkonzerns rutschten. Die Betrübnisse, die Sorgen nehmen zu. Im März 2014 starb Wolffs Freund, Kompagnon und Mitverleger Michel Leiner. Der war Impulsgeber und Korrektiv. Die Verlagsarbeit funktionierte gerade deshalb, weil Leiner und Wolff unterschiedlich tickten, was zu gegenseitiger Inspiration führte. Das Ende, mithin die Auflösung des Verlages samt seinen Büchern und auch die Auflösung der SOVA (Sozialistische Verlagsauslieferung GmbH) ist traurig, und zwar nicht nur im Blick auf einen derart bedeutenden Verlag, der für immer verschwindet, sondern auch für den Umgang mit dem magischen Medium Buch. Für all jene Besessenen ist es mehr und viel mehr nur als eine Ware unter anderen: »Das Verrückte war, dass im Land der Dichter und Denker die nicht mehr verkäuflichen Bücher schließlich nur noch als Altpapier bewertet wurden und in die Schredder wanderten. Doris erzählte mir, eine ganze Palette mit unserer historisch-kritischen Ausgabe des Processes sei gekennzeichnet gewesen, um zum Altpapierhändler geschickt werden zu können.« Mit dem Verlag Stroemfeld/Roter Stern hat es ein Ende, die Hölderlin-Ausgabe etwa ging an den Klostermann Verlag. Leben aber geht weiter und Tradition – ein Begriff nebenbei, mit dem viele Linke nur schwer etwas anfangen können – lebt auch in den Erzählungen und in den Legenden. Sein 50. Jubiläum konnte der Verlag 2020 nicht mehr feiern. Am 26. November 2019 endete eine Ära. Eine Zeit ist vorüber. Mit den 68ern tat sich eine neue Gesellschaftsordnung auf, die andere Wege der Lebensgestaltung hervorbrachte. Die Alternativbewegungen unter anderem, darin sich ein von Konzernen unabhängiger Verlag wie der von KD Wolff gründen und wider alle Erwartungen fast fünfzig Jahre hat halten konnte. Man muss einen Knall haben, so schreibt es Wolff. Ohne Wagnis freilich setzt sich nichts Neues in die Welt – darin gleichen sich Kapitalist und Sozialist womöglich. Doch wie mit allen endlichen Dingen in unserem endlichen Leben, so wird aus dem Neuen ein Altes und irgendwann vergeht es. »Das Wachsende […] tritt an die Stelle des Fallenden, um über kurz oder lang selber ein Fallendes zu sein. Das ist ewiges Gesetz.« So Theodor Fontane in seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg«, so auch geschehen mit dem Verlag Stroemfeld/Roter Stern.
Vieles in dieser Vita
lese ich mit Melancholie und Wehmut: Der Bericht aus einer längst vergangenen
Zeit und da denke ich mir: dass das nicht solche Geschichten bleiben, die
irgendwann ins Vergessen geraten, gerade dazu ist das Medium Buch der beste Ort.
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K.D. Wolff |
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