Der
französische Existenzialismus, wie ihn Sartre, Merleau-Ponty, Camus
und andere geprägt haben, war schon lange mausetot. Jetzt kommt die
Londoner Schriftstellerin Sarah Bakewell, die an der Uni Creative
Writing lehrt und die bis vor dem Erscheinen ihres Bestsellers über
Montaigne niemand kannte, und erweckt den Existenzialismus wieder
zum Leben, indem sie ihn in allen möglichen Facetten und
Abschweifungen nachspürt, die Biographie ihrer Protagonisten mit
ihren Theorien kurz schließt, zeigt, wie das eine sich auf das
andere auswirkt, wie die Hauptpersonen zueinander finden und sich
gegenseitig beeinflussen, sie lässt Figuren auftauchen, von denen
man nicht unbedingt erwartet hatte, dass sie eine Rolle spielen wie
Boris Vian, in dessen Nachtclub Tabou sich Sartre und seine Freunde
trafen und tanzten und dessen Roman »Schaum der Tage« in der »Temps
moderne« vorabgedruckt wurde, sie erzählt auf elegante und
verständliche, aber nicht vereinfachende Weise die großen
philosophischen Werke von Heidegger, Husserl, Sartre und
Merlau-Ponty und bringt es fertig, sie in ihrem Wesenskern auch für
Menschen begreifbar zu machen, die sich für den Existenzialismus nie
sonderlich interessiert haben.
Sie versteht es, die Neugier des Lesers darauf zu wecken, was wohl
als nächstes passieren wird, so dass man zugeben muss, dass das
nicht gerade sonderlich gut beleumundete creative writing offenbar
auch positive Seiten haben kann.
Der wesentliche Grund aber, warum »Das Café der Existenzialisten« so
grandios ist, findet sich in Sarah Bakewells Begeisterung für ihr
Thema, die aus ihrer Jugend herrührt, als sie fasziniert war von
Sartres »Ekel« und alles las, was ihr in die Hände fiel.
Zwischen den wenigen abgedruckten Fotos der Hauptpersonen, findet
sich auch ein Teenagerfoto von Sarah Bakewell. Man könnte das für
etwas vermessen halten, aber die Autorin erinnert damit an die
Strahlkraft, die der Existenzialismus damals auf die junge
Generation auch weit über die Grenzen Frankreichs hinaus ausübte.
»Unter Sartres Einfluss wurde ich zu einer leidenschaftlichen
Schulschwänzerin. Ich nahm einen Nebenjob in einem Laden an, wo ich
Reggae-Platten und Haschischpfeifen verkaufte. Es war eine
interessantere Ausbildung als jeder Schulunterricht.«
Sie studierte nicht, um Prüfungen zu bestehen, sondern sie las die
Existenzialisten, weil sie etwas entdeckt hatte, das sie unmittelbar
zu sich selbst in Bezug setzen konnte, zu ihrer Existenz, ihrem Sein
und dem der anderen, zu einer Philosophie, die ihr eine ganze Welt
öffnete, weil sie mit der Aufforderung verbunden war, sich zu
engagieren und selbst verantwortlich zu sein für das, was man tut.
Nur unter dieser Voraussetzung kann es einem gelingen, Leser in Bann
zu schlagen auch mit einem Thema, zu dem diese sonst nie einen
Zugang gefunden hätten, weil die Hauptwerke wie »Das Sein und das
Nichts«, »Sein und Zeit« oder »Phänomenologie der Wahrnehmung«, die
Bakewell verhandelt, Leuten verschlossen bleiben, die sich nicht
professionell damit beschäftigen.
Es ist nicht unbedingt so, dass man aus dem Buch etwas neues
erfahren würde, denn Leben und Wirken und Philosophie der
Hauptakteure sind vollständig erforscht, aber das neue Arrangement
des Gegenstands vermittelt immer wieder überraschende Einblicke und
Erkenntnisse, Bakewells Herangehensweise, die Theorien zu erklären
und nachvollziehbar zu machen, ist nicht im geringsten ideologisch,
sondern fast liebevoll und von großem Verständnis geprägt, auch wenn
sich ein Autor verrannt hat wie Heidegger, der zum
Nationalsozialismus überlief, oder Sartre, der Maoist wurde, oder
Merleau-Ponty, der eine Zeitlang dogmatisch prosowjetische
Positionen vertrat.
In diesen biographischen Verfehlungen spiegeln sich eben auch die
Zeit und die politischen Verwerfungen wieder, auf die die
Philosophen, jeder auf seine Weise, eine Antwort zu geben
versuchten. Und dabei gerieten sie sich in die Haare, d.h. es geht
auch um die Zerwürfnisse der Protagonisten, um das
Auseinanderbrechen großer Freundschaften wie zwischen Sartre und
Camus, ein Streit, der »als Chiffre für eine ganze Epoche« gilt.
Während Merleau-Ponty mit dem nordkoreanischen Angriff auf den Süden
des Landes seinen Glauben an den Kommunismus verlor, radikalisierte
sich der vorher eher zurückhaltende Sartre nach einem bizarren
Vorkommnis in Frankreich. Eine Polizeistreife entdeckte bei einer
Verkehrskontrolle im Auto des Generalsekretärs der KPF ein Funkgerät
und zwei Tauben, die angeblich für Spionagezwecke verwendet wurden.
Die Tauben, die Jacques Duclos vorher erstickt haben sollte, wurden
obduziert und nach versteckten Mikrofilmen untersucht. Es wurden
Experten bemüht, die herausfinden sollten, ob es sich um Brief- oder
gewöhnliche Haustauben handelte, ein absurde Affäre, die Louis
Aragon zu einem Gedicht über das »Taubenkomplott« inspirierte und
die »Konversion« Sartres auslöste, für ihn der Höhepunkt jahrelanger
Schikanen gegen die Kommunisten. Er schrieb in rasender
Geschwindigkeit, mit Zorn im Herzen und Corydran im Blut (Sartre hat
täglich durchschnittlich 20 Seiten verfasst) lange Rechtfertigungen
des Sowjetstaates, die später sogar in der Behauptung gipfelten, der
Sowjetbürger würde deshalb nicht ins Ausland reisen, weil er kein
Bedürfnis danach verspüre. Als dann Camus »Mensch in der Revolte«
erschien, war der alte Freund aus Zeiten der Résistance in den Augen
Sartres und Beauvoirs zum Konterrevolutionär geworden.
Selbst in solchen Handlungen findet Bakewell noch nachvollziehbare
Beweggründe, die man nicht teilen muss, die sie aber aus der Zeit zu
erklären versucht, als Sartre unter Druck stand und als »dekadenter
Bourgois« verspottet wurde, um schließlich zu einem
»Ultra-Bolschewisten« zu werden, wie ihn Merleau-Ponty in seinem
Buch »Die Abenteuer der Dialektik« bezeichnete, in dem er sich vom
Kommunismus abwandte, was Merleau-Ponty nicht davon abhielt, in
Sartre einen »guten Menschen« zu sehen, dem seine »Gutherzigkeit«
schließlich zum Verhängnis wurde. Selbst Heidegger, der in allem,
was Bakewell beschreibt, als egomanischer Unsympath erscheint ohne
die geringste Fähigkeit zur Empathie, der sich für das Leben der
anderen nicht interessierte, der Freunde verleugnete und hinterging,
wenn er sich davon einen Vorteil versprach, und dessen Nähe zum
Nationalsozialismus unerträglich war, auch Heidegger verurteilt sie
nie, sondern hebt seine Fähigkeit zu »bohrendem Denken« hervor.
Sarah Bakewells Geschichte über den Existenzialismus ist eines der
sehr seltenen Bücher, die niemals enden sollten, weil die Autorin
nicht einen Aspekt abarbeitet, sondern verschwenderisch und auf
hinreißende Weise das Wissen der Welt ausbreitet.
Artikel
online seit 30.09.16
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Sarah Bakewell
Das Café der Existenzialisten.
Freiheit, Sein und Aprikosencocktails
C.H. Beck, München 2016.
Aus dem Englischen von Rita Seu
Leseprobe
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