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Das Gerücht über den Text tritt an die Stelle des Textes

Eine Antwort auf Alida Bremers demagogisches Pamphlet

Von Lars Hartmann

 

Beim Perlentaucher erschien am 25.10. in der Debatte um Peter Handke ein Artikel von Alida Bremer mit dem Titel „Die Spur des Irrläufers“. Man könnte solche Texte angesichts des Tones und der Art, wie sich rhetorisch und sophistisch mit Handkes Reiseessays auseinandergesetzt wird, unkommentiert vorüberziehen lassen. Die Gefahr beim Nichtkommentieren besteht jedoch darin, daß sich solche von Bremer in die Welt gesetzten Aussagen in Windeseile verbreiten und Behauptungen als geltend genommen werden. In den sozialen Medien wurde dieser Text bereits häufig und zustimmend verlinkt. Insofern müssen nun doch ein paar knappe Bemerkungen zur Rhetorik und zur Methode dieses Textes von Alida Bremer, – wie sagte man früher? – zu Papier gebracht werden.

Zunächst: Bremers Text ist gefüllt mit freien Assoziationen, Handke-Zitate werden bewußt dekontextualisiert. Daß es sich bei den Texten von 1995 und 1996 um Reiseberichte eines Schriftstellers handelt, die bewußt eine subjektive Sicht wählten, wird nicht wahrgenommen. Daß Handke sich in diesen Essays teils tastend und fragend voranbewegt: geschenkt und ignoriert. Es paßt dies alles nicht in Bremers Bild, das sie von Handke in Umlauf bringen will. Dafür aber assoziiert man gerne Anders Behring Breivik, Brenton Tarrant, den Attentäter von Christchurch also, und rechtsextremes Denken, um mit solchen Namen auch Handke zu kontaminieren.

Es wird zudem ein Interview herangezogen, was Handke niemals autorisierte. Bremer reißt Textstellen aus dem Zusammenhang, um dann dasjenige an Deutung in ein vermeintlich bedenkliches Zitat zu packen bzw. das herauszukonstruieren, was ihr in den Kram paßt. Und aus diesen dekontexualisierten Sätzen liest Bremer dann genau den Sinn heraus, den sie bereits vorher hineinlegte. Hermeneutische Referenzrahmenbestätigung und Spiegelbild mithin. Ein Schuft, wem da nicht das Lichtenberg-Zitat in den Sinn käme.

In dieser Weise etablieren sich im öffentlichen Diskurs Interpretationskonstrukte, die in der Öffentlichkeit nach dem Prinzip stille Post sich immer weiter und weiter verbreiten. Das Gerücht über den Text tritt an die Stelle des Textes. Daß sich all diese Passagen in Handkes Jugoslawien-Texten auch anders lesen lassen und auch so zu lesen sind, verschweigt Bremer geflissentlich. Oder frei nach Goethes Spott in den Zahmen Xenien: „Im Auslegen seid frisch und munter! Legt ihr's nicht aus, so legt was unter.“ Und sei das auch nur der eigene und verengte Deutungshorizont.

Nach dieser Methode wäre auch Thomas Mann mit seinem Text „Bruder Hitler“ ein Nationalsozialist par excellence. Unter dem Nazi, unter dem Faschismus und Breivik macht es Bremer nicht. Suggestiv der gesamte Text und wenn man die Methode Bremer auf sie selbst einmal selbst anwendete, dann käme womöglich heraus, daß durch dieses Überdehnen des Nazi-Begriffes dieser entleert und damit zugleich verharmlost und relativiert wird, und wo der Nazi oder der Rechtsextreme beliebig als Spielmarke eingesetzt wird, um andere zu diskreditieren, ist am Ende jeder oder eben niemand mehr ein Nazi bzw. ein Rechter. Den echten Nazis kommt das gut zupasse. Betreibt Bremer also das Geschäft der Nazis? So müßte man nach der Art Bremers fragen. Mit ihrer Methode zumindest entwertet Bremer den Begriff des Rechten und leert ihn aus.

Bereits im Auftakt ihres Textes zeigt sich das sophistische Moment ihres Unternehmens, daß dieser Text rhetorischer Klimbim ist. Im Heranzitieren einer Äußerung von Marcel Reich-Rancki wird sogleich jegliche Kritik an einer Handke-Kritik abgebügelt und gleichsam pathologisiert. Kritisiert man den Kritiker oder hier eben, die Kritikerin, so gehört man bereits zur Handke-Gemeinde.

Zudem wird hier ein Pappkamerad aufgebaut und eine homogene Gruppe von „Jüngern“ konstruiert, so daß man sich damit gegen jegliche Kritik immunisieren kann. Denn jeglicher, der nun die Texte Handkes verteidigt oder gar eine hermeneutisch gründliche Lesart fordert, gehört dann grundsätzlich bereits zur Gemeinde und ist damit kaum satisfaktionsfähig. Und dabei kann man dann wunderbar von jeglichem Inhalt absehen, die der Kritiker der Kritikerin vorbringt, denn als Anhänger der Handke-Gemeinde muß er per se falsch liegen. Es sind dies eben Jünger – egal ob man jenes Assoziieren Handkes mit Attentätern und Mördern kritisiert oder nicht. Eine Assoziation übrigens, die ansonsten als Haßrede durchginge, wenn so etwas Botho Strauß, Ulrich Greiner oder Martin Mosebach sich leisteten.

Als Argument funktioniert dieses Gemeinde-Konstrukt aber nicht – zumal auch Kenner des Handke-Werkes wie Lothar Struck schrieben, daß man über bestimmte Äußerungen und Inhalte von Handkes Denken durchaus streiten und daß man darin Handke auch kritisieren könne. Wogegen Struck sich wendet und wogegen ich mich wende, ist eine denunzierende Art des Umgangs, seltsamerweise oft von Leuten vorgebracht, die ansonsten bei jedem kleinsten Anzeichen falscher Kritik hellhörig werden und schnell mit dem Vorwurf der Haßrede bei der Hand sind.

Was Bremer ebensowenig bemerkt: daß man diese Kiste genauso umdrehen kann. Die Handke-Kritiker gehören dann halt zu einer Gemeinde von Handke-Hatern, für die von vornherein die Schuld feststeht, egal was im Text vorkommt. Aber auch das funktioniert als Argument nicht. Beide Verfahren haben gemeinsam, daß sie sich gegen Kritik immunisieren.

Das nächste Fettnäpfchen steht schon im nächsten Satz bereit: Im Sinne einfachster Recherche gelingt es Bremer nicht einmal, Marcel Reich-Ranickis Literarisches Quartett korrekt zuzuordnen. Daß der Mann bereits 2013 tot war und also am 27. September 2014 – so in der Ursprungsfassung ihres Textes, bis zum 27.10. (morgens) in dieser Form online – kaum auf Sendung gehen konnte: geschenkt (inzwischen hat der Perlentaucher es korrigiert). Ebenso wie mit Zahlen geht sie mit den Zitaten um: ungenau und ausgedeutet nach ihrem Gusto, so wie es in Bremers Schema paßt. Differenzierungen können da gar nicht erst auftauchen. Daß es in der Deutung mehrere Dimensionen gibt, wird ausgeblendet.

Kritik aber heißt unterscheiden und eine Sache zunächst einmal zu sichten. Das heißt nicht, Handke in jedem zuzustimmen. Das aber, was Bremer macht, ist ein Tribunal. Ihr geht es um die Vernichtung eines Autors, indem etwa bewußt Zitate und Sätze Handkes aus dem Kontext gerissen werden und dazu dann ein rechtes Narrativ aufgefahren wird, in das man den Autor einbettet.

Die komplexe Geschichte des Jugoslawienkriegs, der in der Tat gut erforscht ist, löst sie in eine Richtung hin auf, nämlich die ihr in den persönlichen Abrechnungskram passende.

Und um es auf den Punkt zu bringen, und darin scheitert der Bremer-Text: Eine komplexe und überdeterminierte Angelegenheit wie die Prosa Handkes und auch dessen Essays bzw. Aufsätze zu Jugoslawien werden reduziert auf einen einzigen Aspekt: Ein rechter Autor, ein rechter Denker. Jegliche Mehrdimensionalität, die nicht nur literarischen Texten, sondern ebenso Essays zu eigen ist, wird in bewußter Entstellung exkulpiert. Solche Texte wie die von Bremer verhindert damit eine tatsächliche und sachliche Auseinandersetzung mit Peter Handke – das also, was Bremer vorgeblich anstrebt, wird vereitelt durch die Methode und die Thesen solcher Texte.

Lesen und Gelesenes begreifen und verstehen sind übrigens zweierlei. Vielleicht sollte dies irgendwer der Frau Bremer einmal stecken.

Artikel online seit 30.10.19
 














 


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