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»Wir leben in einer Zeit der Begriffslosigkeit«

Zur Kontroverse um Saša Stanišić und die Verleihung des
Literaturnobelpreises an Pet
er Handke

Ein Appell von Lojze Wieser

 


© Wieser Archiv

Wir leben in einer Zeit der Begriffslosigkeit, und wir haben in den letzten zwei, drei Jahrzehnten, nach dem Zerfall der eisernen Mauer und dem Zerfall von Jugoslawien, eine Zeit erlebt, in der das politische und das literarische Denken vollkommen durcheinander geraten ist und neu geordnet wird. In diesem Zusammenhang hat Peter Handke, als einer der wenigen, in der Literatur eine Begrifflichkeit zu entwickeln begonnen, die hinter all die scheinbar klar definierten Positionen schaut, die das Denken, das Hinterfragen, das Befragen, als Wegweiser für eine neue, oder andere, Sicht der Welt eröffnet.

Es geht schon längst nicht mehr um Handke und die Gegensätze im damaligen Jugoslawien. Es geht um eine andere Welt, die in der Sprache noch als alte fortlebt und um neue Sichten und Begriffe für Veränderungen. Eine Sprache, die neue Worte dafür finden will, muss, soll, um die Welt in eine ideologiefreie wachsen zu lassen, zu wandeln, um Frieden und Freiheit durch Worte zur Wirklichkeit werden, entstehen, wachsen zu lassen.

Suchen, fragen, kratzen, hinterfragen, neu verstehen, nichts so nehmen, wie es uns vorgesetzt wird. Wohin biegen wir an der Kreuzung: trotten wir in die falsche, mit Falschinformationen und Instrumentalisierungsoptionen bis in die letzte Nische der Kultur verseuchten Welt, oder finden wir verständliche, andere, die Menschheit zum friedlichen Beisammensein und –leben fördernde Worte, Sätze, Geschichten.

Es verdichtet sich das Gefühl, dass mit den derzeit hinausgespülten Anklagen, Vorwürfen, Behauptungen, den Worten mit dieser Sprache zukünftige Lösungen verbaut, verhindert, diskreditiert werden sollen, um in diesen Rauchschwaden den Blick zu vernebeln, das Schweigen zu fördern und die Menschen formbar zu machen.

Wir haben seitens der Politik keine Worte und keine Handlungen, die der neu entstandenen Situation von Armut, Flucht, Vertreibung –glaubhaft – gerecht wird. Es werden längst schon überholte und von den Ereignissen widerlegte – wie man so sagt, von der Geschichte – Neuordnungs- und Machtteilungsstrategien gewälzt, die Menschen in zunehmenden Hass zueinander getrieben und jeglicher Versuch, diesem Treiben, diesem Sog durch Verständigung, durch Erkennen, durch Fragen, durchs Irren und durchs Aufeinander-Zugehen, im Keim erstickt und jegliche Sprachkritik und ideologiefreie Betrachtung des Um-uns-Herum, soll gar nicht erst Fuß fassen können.

Eine Neubewertung des Wahrnehmens ist im Gange, damit einher geht die Zertrümmerung aller vorgefertigten Einheitsmeinungen und Bilder. Handke ist der größte Neuschöpfer der Sprache und ich wage zu sagen, dass es kein Werk gibt, in dem dieser Versuch nicht von der jeweils anderen, wieder neuen, erweiterten, von der Erfahrung angereicherten, widerlegten und in Frage gestellten Sicht durchdrungen ist.

In einer Welt der Ideologien und der uniformierten Schubladisierung muss ein derartiges beharrliche Bestreben, die Welt um sich in anderen Sätzen zu lesen, nicht nur befremdlich wirken. Es wird durch die Konsequenz zur Bedrohung der Scheinfuchtler an sich und für das auf tönernen Füßen stehende Gebäude der derzeitigen Welt!

Lojze Wieser

Artikel online seit 20.10.19
 

Literatur aus dem
Wieser Verlag

Handke, Peter; Wieser, Lojze; Baker, Frederick:
Die Sprachenauseinanderdriftung
Peter Handke und Lojze Wieser im Gespräch mit Frederik Baker
2010, 71 S.; 22 cm + 1 DVD-Video, ISBN: 978-3-85129-861-1 (Gehört gelesen; 6)

Handke, Peter; Kerbler, Michael: … und machte mich auf, meinen Namen zu suchen
Peter Handke im Gespräch mit Michael Kerbler; inklusive Audio-CD / ORF 1, Radio Österreich 1
2007, 66 S.; 22 cm; 1 CD, ISBN: 978-3-85129-543-6 (Gehört gelesen; 1)

Handke, Peter; Amann, Klaus: Wut und Geheimnis
Peter Handkes Poetik der Begriffsstutzigkeit; zwei Reden zur Verleihung des Ehrendoktorates der Universität Klagenfurt am 8. November 2002 an Peter Handke; [eine Publikation des Robert-Musil-Instituts der Universität Klagenfurt / Kärntner Literaturarchiv] / Peter Handke; Klaus Amann
2002, 58 S.; Ill.; 22 cm, ISBN: 978-3-85129-402-6

Handke, Peter; Horvat, Jože: Noch einmal vom neunten Land
Peter Handke im Gespräch mit Jože Horvat
1993, 110 S.; 22 cm, ISBN: 978-3-85129-091-2

Handke, Peter
Die Wiederholung = Ponovitev [Ins Slowen. übertr. von Silvija Borovnik und Klaus Detlef Olof]2005, 600 S.; 25 cm, ISBN: 978-3-85129-540-5 (Wolfs Wörterbücher und Handkes Wiederholung; 5 Bd.)

Handke, Peter
[Immer noch Sturm]
Še vedno vihar. Iz nemščine Brane Čop
2011, 145 S., 23 cm, ISBN: 978-3-99029-000-2

Slowenische Titel:
https://www.wieser-verlag.com/buch/slowenisches-programm-ponovitev/

https://www.wieser-verlag.com/buch/se-vedno-vihar/

Zu Handke:

Harry Baloch
Ob Gott oder nicht Gott
Peter Handke und die Religion

Nenning, Günther
Wenn ich an Handke denke, denke ich an Dante oder Auf dem Läuterungsberg
2012, 44 S.; 23 cm, ISBN: 978-3-99029-011-8

Kapellari, Egon
Verwandlung und Bergung der Dinge in Gefahr
Religiöse Dimensionen im Werk Peter Handkes
2014, 27 S.; 23 cm, ISBN: 978-3-99029-121-4 (Ultramarin-Reihe; 3)

Wieser, Lojze (Hg.)
„… und darin gliegt eine Schwalbe“.
Meine Lieblingsgedichte.
Darin: Kärnten Blues von Handke/Maier/Wieser, S. 124; Gedicht: Zgubljene Besed / Verschollene Worte, S. 119.
 


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