Wenn man den vordergründig
theatralisch-burlesken Sound des Briefwechsels zwischen Thomas Bernhard und
Siegfried Unseld (1) noch (halbwegs) im Ohr hat, dann wird einem fast naturgemäß
mit dem vorliegenden Buch der Dokumentation der Korrespondenz zwischen Peter
Handke und Siegfried Unseld eine ganz andere Welt offenbar. Katharina Pektor und
Raimund Fellinger publizieren insgesamt 611 Schriftstücke (meistens Briefe, aber
auch Karten und Faxe), entstanden zwischen 1965 und 2002. Bei der
chronologischen Nummerierung der jeweiligen Dokumente wird nicht zwischen
Handke- und Unseld-Texten unterschieden. Aus der Korrespondenz ergibt sich, dass
mindestens drei Dokumente verschollen sind. Wie schon bei der Bernhard/Unseld-Ausgabe
werden die Peter Handke betreffenden Notizen und Reiseberichte (und auch die
»Chronik«) von Siegfried Unseld abgedruckt, in denen dieser mündliche
Vereinbarungen und seine Eindrücke zu Begegnungen oder Telefonaten unmittelbar
festhielt. Vereinzelt werden auch Schriftstücke an oder von anderen Personen und
auch Textauszüge beispielsweise aus Zeitungen abgedruckt. Alle Ergänzungen
finden sich als Fußnoten wie gehabt direkt unter dem jeweiligen Dokument.
Es begann eher prosaisch: Am 10. August 1965 teilte Unseld dem damals 22jährigen
Peter Handke die Annahme seines Manuskriptes »Die Hornissen« mit (es sei
allerdings »ein Gespräch über Einzelheiten erforderlich«). Von diesem Moment an
war Handke das, was man einen Berufsschriftsteller nennt. Er schmiss sein
Jura-Studium und stürzte sich in den »Betrieb«. Zur Tagung der Gruppe 47 1966 in
Princeton wurde er eingeladen (»Ich habe Hans Werner Richter gebeten, Sie
einzuladen«, so Unseld (2)). Aber er trat nicht nur als Lesender in
Aktion, sondern auch als Kritiker. Zunächst kritisierte er Walter Höllerers Text
als »geistlos« (Höllerer war nicht nachtragend und Handke schrieb früh für seine
Literaturzeitschrift »Akzente«). Und dann, nach der Lesung von Hermann Peter
Piwitt, schritt er zum programmatischen Angriff, in dem er der damals gepflegten
Literatur »Beschreibungsimpotenz« bescheinigte, den literarischen Realismus
»fürchterlich konventionell« nannte und dies schließlich als »völlig läppische
und idiotische Literatur« bezeichnete. Handke griff aber nicht nur die Kollegen
an. Wenn man genau zuhört (und nachliest) ist dies auch (vor allem?) eine Klage
an die Sympathisanten einer solchen Literatur, an diejenigen, die (im fast
wörtlichen Sinne) den Ton angaben: die Kritik, die »damit einverstanden« sei,
»weil eben ihr über-kommenes Instrumentarium noch für diese Literatur ausreicht,
gerade noch hinreicht.« Und damit ist die Kritik, so Handke in Princeton »ebenso
läppisch...wie diese läppische Literatur.«(3)
Reichlich Publicity
Als Handke dies sagte, befindet sich die Korrespondenz bei Brief Nummer 18. Der
erste Roman, »Die Hornissen«, war knapp vier Wochen vorher, im März 1966,
erschienen. Fast parallel wurde in der Zeitschrift »manuskripte« (4) ein
Vorabdruck der »Publikumsbeschimpfung« publiziert, eines Sprechstücks, das
Handke bereits am 21.10.1965 (5) fertig gestellt hatte. »Für Publicity haben Sie
reichlich in Princeton gesorgt«, bemerkte Karlheinz Braun (seinerzeit Leiter des
Suhrkamp Theaterverlags) gegenüber Handke, von den Proben zum Stück berichtend
(6). Im Juni wurde das Stück von Claus Peymann am Frankfurter »Theater am Turm«
uraufgeführt; im September erschien es im Suhrkamp-Verlag zusammen mit
»Weissagung« und »Selbstbezichtigung« als Buch. Einen Monat später schrieb
Günter Grass seinen »Offenen Brief« an Peter Handke (»Bitte um bessere Feinde«),
in dem er auf dessen Auftritt in Princeton polemisch reagierte. Handke
antwortete einige Wochen später durchaus gewitzt und kess (»Bitte kein
Pathos!«).(7)
Peter Handke war binnen weniger Monate satisfaktionsfähig geworden. Dabei
spielte sein Erstlingsroman kaum eine Rolle. Entscheidend waren das als
provokativ empfundene (heute noch immer erfrischend les- und spielbare)
Theaterstück und der Auftritt in Princeton. Da-mals wie heute besteht Handke
darauf, dass es sich um eine »Augenblickhandlung« gehandelt habe. Es gibt
Stimmen, die dies anzweifeln (zum Beispiel F. C. Delius (8)) und von einer
inszenierten Aktion sprechen. Aber Handke wollte damals tatsächlich mehr als nur
seine Person in den Vordergrund spielen. Er spürte die Probleme der Gruppe 47,
einer heterogenen Vereinigung, gestützt und verpflichtet auf Hans Werner
Richters Spielregeln, die längst vom Rebellentum gegen eine restaurative
Gesellschaft in den 1950er Jahren zu einer Institution geworden war und dadurch
ähnlich verkrustet und träge wurde wie diejenigen, die man einst attackierte.
Handke wollte eine andere Literatur als die dort prämierte. Hierfür mussten die
Sprachmuster des Bestehenden destruiert und Kritik an jenen Strukturen geübt
werden, die einer neuen Entwicklung im Weg standen.
In der Erwiderung auf Grass wurde die Stoßrichtung des Angriffs präzisiert: »Ich
finde«, so Handke, »die meisten Kritiker in ihr [der Gruppe 47; L.S.] (Marcel
Reich-Ranicki, Joachim Kaiser, Walter Jens, Hans Mayer) indiskutabel«. Heute ist
bekannt, dass auch Grass den Einfluss der Kritik innerhalb (und außerhalb) der
Gruppe 47 als zu hoch erachtete; hier dürfte er dem jungen Österreicher
insgeheim zugestimmt haben. Aus den Tagebüchern von Hans Werner Richter wird
deutlich, dass es vor allem Grass war, der fast bis zuletzt den
Werkstattcharakter der Gruppe 47 – Autoren stellen sich Autoren – wiederbeleben
und den Einfluss der »Berufskritiker« zurückdrängen wollte. Das alles blieb ohne
Erfolg, Richter erging es ein bisschen wie dem Zauberlehrling, der die gerufenen
Kräfte nicht mehr bannen konnte. Die letzte reguläre Tagung der Gruppe fand ein
Jahr später statt. Dem Mythos tat dies keinen Abbruch; eher im Gegenteil.
»Seien Sie fleißig, arbeiten Sie, schreiben Sie«
Handke lehnte sich auf, aber nicht politisch (wie dies der Zeit entsprochen
hätte), sondern ästhetisch. Er wehrte sich dezidiert gegen Kritiker seines
Romans die »kritiklos die literarische Formen jener Gesellschaft verwenden«, die
»sie zu kritisieren vorgeben«. Und weiter heißt es: »Ich interessiere mich für
die sogenannte Wirklichkeit nicht [...] Wenn ich schreibe, interessiere ich mich
nur für die Sprache«. Handke wandte sich nicht gegen Kritik per se, er
kritisierte aber die Kriterien der Kritiker. Sein Verleger beäugte ein dermaßen
offensives Erscheinen mit einer gewissen Skepsis. Sein Ratschlag lautete im
Oktober 1966 – womöglich in Antizipation des Kommenden: »Werden Sie bloß nicht
zu übermütig«, und er fährt in geradezu väterlichem Duktus fort: »seien Sie
fleißig, arbeiten Sie, schreiben Sie.«(9)
Aber Handke ließ sich nicht zügeln: Drei Jahre später griff er in einem Aufsatz
Marcel Reich-Ranicki mit Verve und ohne Rücksicht auf die sich womöglich
einstellenden Konsequenzen frontal an. Handkes Schluss lautete, Reich-Ranicki
sei »der unwichtigste, am wenigsten anregende, dabei am meisten selbstgerechte
deutsche Literaturkritiker seit langem«, denn »[j]eder seiner Sätze ist schon
fertig da, beliebig verfügbar, ist ein Kernsatz, der am Kern seines Gegenstandes
vorbeigeht. Kein Satz argumentiert, etwa um zu einem Kommuniqué als Endsatz zu
kommen; seine Sätze sind alle schon Endsätze, sind Kommuniqués. Reich-Ranicki
stellt sich schon lange keine Fragen über sich selbst mehr.« (10)
Der Briefwechsel illustriert sehr anschaulich, wie ernst es Handke mit seinem
ästhetischen Programm war. So gab es konkrete Vorstellungen zu Ausstattung und
Erscheinung zu seinem zweiten Roman »Der Hausierer« oder des Gedichtbands »Die
Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt«. Bis ins letzte Detail des Umschlags oder
des Satzes brachte Handke hier seine Vorstellungen vor (man hört, dass es in
abgeschwächter Form immer noch so sein soll). Man spürt förmlich heute noch, wie
begeistert Unseld um den vor Energie fast sprudelnden Autor war, der genau
wusste, was er wollte. Diese Stellen räumen auch endlich mit dem lächerlichen
Diktum auf, Handke sei ein »Popliterat« gewesen. Seine optische Erscheinung und
die medial gerne verbreiteten öffentlichen Inszenierungen mögen Züge eines
popkulturellen Einflusses aufweisen. Das Rubrum »Popliterat« als jemand, der in
seiner Literatur mit der Sprache des Alltags »spielt«, um einen
Bewusstseinswandel in eine wie auch immer vorformulierte gesellschaftliche und
politische Richtung umzuleiten, ist in Bezug auf Peter Handke jedoch vollkommen
unzutreffend. Eher finden sich reale Früchte in massenproduzierten Joghurts.
Handke ging es zwar um die Aufbrechung normierter Strukturen in der Literatur im
Allgemeinen und der Sprache (und damit auch der Alltagssprache) im Besonderen.
Er wollte diese jedoch nicht augenblicklich wieder mit neuen Interpretationen
aufgefüllt wissen. Sein Ansatz vertraute auf eine Bewusstmachung von
manipulativen Elementen in Sprache und Literatur und einen aufklärerischen
Umgang mit dieser Erkenntnis durch den Rezipienten selber. Statt Indoktrination
ging es um Illustration. Tatsächlich war Handke in den 60er Jahren ein
Experimentalautor; hochartifiziell, hochkompliziert und vor allem -ambitioniert.
Und damit das Gegenteil eines bloß sprachzertrümmernden, ironisch-infantilen
Beatniks. Er nutzte zwar das Mittel der Provokation, aber nicht nur um der
Provokation willen sondern um sich und sein Anliegen besser darstellen zu
können.
Versuch einer neuen Kritik
Mit großem Schwung beteiligte sich Handke an Unselds Plänen für eine
Zeitschrift, die so etwas wie Literatur- und Filmkritik ganz neu definieren
wollte und in der schon die »Anordnung der Beiträge selbst Literatur oder
ästhetische Methode« sein sollte. Und so schickte er im Januar 1969 Unseld einen
mehrseitigen Brief(11), ein »Gedächtnisprotokoll« über eine Zusammenkunft, in
der diese Möglichkeit einer solchen Zeitschrift angedacht und konzipiert wurde.
Der Brief wird zwischenzeitlich zu einem kleinen Manifest. Es wurden Namen
genannt, die er sich als Mitmachende vorstellen konnte, wie Urs Jenny und Uwe
Nettelbeck (Namen, die auch schon von Jürgen Becker in einem Brief an Hans
Werner Richter als Alternativen zu den Kritikerpäpsten genannt wurden (12)).
Handke brachte noch Botho Strauß und einige ambitionierte Filmkritiker ins
Spiel. Eine Zeit lang arbeitete er vor allem mit Jürgen Becker und Peter Bichsel
an diesem Projekt, aber als einige Monate später Jürgen Becker »mutlos« geworden
war, versandete es. Auch die »hämischen« Reaktionen, die in einem »Text und
Kritik«-Heft zu Handke im Oktober 1969 (13) versammelt wurden, brachten keine
neuen Initiativen. Erstaunlich souverän überspielte Handke dies.
Diese Auseinandersetzung mit der Kritik bzw. deren Gebaren spielt bis heute bei
Handke eine sehr wichtige Rolle, was in diesem Buch immer wieder aufleuchtet.
Vermutlich hatte er die Kraft jener sich längst etablierten »Netzwerke«
unterschätzt, als er sich mit den Deutungshoheiten der Gruppe 47 angelegt hatte.
Vielleicht dachte er, mit der sich abzeichnenden Auflösung der Gruppe würde auch
die Macht der in ihr agierenden Kritiker weichen. Tatsächlich waren diese jedoch
längst in die Institutionen jenseits des Gruppenverbunds eingedrungen; ihre
ästhetischen Maxime wirken bis heute noch nach.
Sehr deutlich zeigt der Briefwechsel, dass im Zusammenhang mit der Rezeption
seiner Texte (und Filme) Handke schon in den 70er Jahren Vorbehalte gegenüber
Deutschland entwickelte. Er, der unter anderem in Düsseldorf, Berlin und
Kronberg gewohnt hatte (dort kaufte er sich 1971 ein Haus) nannte das Land schon
1975 »abstoßend« (14) und entwickelte einen immer größeren »Haß gegen die
Bundesrepublik« (1978 (15)). Für Handke wurde Deutschland in diesen Jahren durch
das deutsche Feuilleton repräsentiert. Zusätzlich waren natürlich seine »beiden«
Väter (sein Stiefvater wie auch der erst später bekanntgewordene biologische
Vater) als Wehrmachtsoldaten Deutsche im für Handke schlechtesten Sinn.
Handke fühlte sich in Deutschland unverstanden. Er zeigte Unseld 1978 die
ausländischen (zumeist französischen) Kritiken zu seinem Film »Die linkshändige
Frau«, die fast alle lobend bis hymnisch ausgefallen waren während sich in
Deutschland offensichtlich nicht mal ein Verleih für den Film fand. Im Juli 1979
wollte er sogar ein »Verbot aller Rezensionen« (16) für »Langsame Heimkehr«
erwirken, »insbesondere von M.R.-R.« und mindestens zwei Mal führte Handkes von
nun an fast durchgängig ausgeführtes kategorisches Verbot im Vorfeld zu seinen
Büchern Leseexemplare zu verschicken (bzw. diese sehr stark zu begrenzen) zu
Krisen zwischen Verlag, Verleger und Autor. Unnötig zu erwähnen, dass
Reich-Ranicki, der schon den »Tormann« 1971 (17) (als fast einziger) und die
»Linkshändige Frau« verrissen hatte, auch für die »Langsame Heimkehr« keinerlei
lobende Worte fand, einem Buch, das Handke vorher sowohl gesundheitlich als auch
literarisch in eine große Krise gestürzt hatte. Daher resultierte die besondere
Empfindlichkeit, und noch 2012 sagte Handke im Interview in der »Süd-deutschen
Zeitung«: »Was Reich-Ranicki zu Langsame Heimkehr geschrieben hat, war nackter
Vernichtungswille. Er wollte mich weghaben.« (18)
Dabei war es nur scheinbar eine rhetorische Frage, die sich Handke stellte:
Warum schreibt eigentlich jemand wie Reich-Ranicki überhaupt fortlaufend
Rezensionen zu Büchern eines Autors, den er mit Hedwig Courths-Mahler verglich
(»verantwortungslos« nannte Unseld dies und drückte - typisch für ihn - damit
sogleich die Hoffnung aus, dass »neue, verantwortungs-volle auf den Plan«
gerufen würden (19)). Handke hatte mit seinen Angriffen auf das Establishment
des Literaturbetriebs gezielt. Und das Imperium vergaß nicht und schlug nun
zurück; die Texte spiel(t)en kaum noch eine Rolle. Rezensieren nach »Geruch«
nannte Bazon Brock dieses Verfahren neulich (20) - eine Praxis, die immer noch
leidlich praktiziert wird.
Bei aller Vorsicht vor einem solchen Vergleich fühlt man sich zuweilen an den
Österreich-Hass (der Österreich-Hassliebe) Thomas Bernhards erinnert. In seinen
Büchern beschreibt Handke zwar bis in die 90er Jahre immer wieder Deutschland
als das »Volk der Leser«, aber die »mehr als 20.000« potentiellen Leser, die er
erreichen kann (so 1994 in einem Gespräch mit Unseld über die Zielgruppe des
»Niemandsbucht-Buches« (21)), repräsentieren für ihn nicht das Land. Verstärkt
wurden die Vorbehalte durch die Rolle des gerade wiedervereinigten Deutschlands
1991 bei der unkoordinierten, voreiligen diplomatischen Anerkennung Slo-weniens
und Kroatiens, die Handke als ein fahrlässiges Zerschlagen Jugoslawiens
interpretiert und schließlich die geschichtsvergessende Teilnahme Deutschlands
am Jugoslawien-/Kosovo-Krieg 1999. Beide Ereignisse spielen im Briefwechsel
keine Rolle. Durch die Korrespondenz vor allem der späten 70er Jahre sieht man
Handkes heftige Ausbrüche in den 90ern jedoch in klarerem Licht. Literarisch
kann man bei Handke erst 2008 in der »Morawischen Nacht« eine sich schüchtern
anzeigende Entspannung mit Deutschland bemerken.
Von der Pflicht, Schönes zu schaffen
Die Kritik in Form von Marcel Reich-Ranicki spielte auch beim ersten ernsten
Streit zwischen Unseld und Handke 1981 eine wichtige Rolle. Malte Herwig hatte
den Brief vom 25. Februar mit der Anrede »Lieber Siegfried (immer noch)« (22) in
seiner Biographie »Meister der Dämmerung» bereits abgedruckt. (23) Handke fuhr
eine ganze Galerie von Vorwürfen auf, die für sich betrachtet eher kleinere
Probleme und Missverständnisse sein könnten, in der Summe jedoch die Verstimmung
durchaus begründet erscheinen lässt. So begann er mit einem Ereignis, dass zwei
Jahre zurücklag (also so lange in ihm »gebrodelt« haben muss), als er »am
Frühstücks-tisch in Frankfurt in dem Sammelwerk des übelsten Monstrums, das die
deutsche Literatur-betriebsgeschichte je durchkrochen hat« eine Widmung an ihn,
Siegfried Unseld, »meinen Verleger«, gelesen hatte, und zwar, wie Handke in
Klammern ausführt »als Vorsatzblatt zu den nackt mordlustigen Artikeln über
'Wunschloses Unglück' (24) und 'Die linkshändige Frau'«. »In alter
Verbundenheit« hatte Reich-Ranicki an Unseld in seinen Band »Entgegnung. Zur
deutschen Literatur der siebziger Jahre« geschrieben, in dem tatsächlich die
beiden inkriminierten Rezensionen publiziert waren. Jetzt erscheint die Notiz
Unselds bei einer Begegnung im Juni 1980 plötzlich in anderem Licht. Unseld
berichtete damals von Handkes Zorn über Unselds (und des Verlags) »verbrüdernde,
zersetzende, krebserregende Umarmung mit den Medienpäpsten« (25) und seine Suche
nach neuen Publikationsmöglichkeiten. Und nun, Monate später, kündigte Handke
grußlos (mit Einschreiben/Rückschein) die Geschäftsbeziehung mit Suhrkamp auf
(»Unsere Wege trennen sich hiermit«), aus »Pflicht vor meiner Freude, das
dauernd Schöne zu schaffen und gegen das säuische, verkrebste Zeitalter« (26).
Über die Umstände, wie Handke an das Buch mit der Widmung gekommen ist, gehen
die Schilderungen auseinander. Sie spielen eigentlich auch keine Rolle. Unselds
Entgegnung hierauf fünf Tage später ist eine rhetorische Meisterleistung und
könnte in jedem Seminar über gewaltlose Kommunikation als Musterbeispiel
präsentiert werden. Zuerst zeigte er sich »tief getroffen«, ging dann jedoch
sofort wieder in die (sanfte) Offensive und machte Vorschläge. Einer davon war,
Handke einen »Ein-Autor-Verlag« anzubieten (der natürlich unter Suhrkamp-Ägide
eröffnet werden soll), nachdem dieser bereits vorher mit einer Art Selbstverlag
geliebäugelt hatte. (27) Außer einem Treffen mit Raimund Fellinger mehr als
sechs Wochen später, unterbleibt zwischen Autor und Verlag offensichtlich
jeglicher Kontakt für die nächsten sechs Monate. Und dann das Erstaunliche:
Plötzlich nimmt dann Unseld den Faden wieder auf als sei nichts gewesen und
avisierte die Auslieferung von »Über die Dörfer« an die Buchhandlungen - im
Brief vom Februar hatte Handke noch verfügt, dass das Stück nicht bei Suhrkamp
erscheinen soll. Sollte es zu keinerlei Interventionen mehr gekommen sein? In
einer Notiz zum Treffen am 8. August 1982 bemerkt Unseld: »Die Begegnung mit
Peter Handke war nach eineinhalbjährigem Pausieren bewegend.« (28) (Tatsächlich
weist die Dokumentation im Buch die letzte Zusammenkunft vorher am 29.12.1980
aus; das fünfte Treffen zwischen den beiden im Jahr 1980.)
Abkühlungen
Wie schon in den anderen Briefwechseln Unselds mit Schriftstellern anklingt,
kümmerte er sich auch bei Peter Handke um viele Dinge, die nicht direkt etwas
mit dem Verlegertum zu tun haben. Er besorgte ihm einen Steuerberater, suchte
über seine Verbindungen in den 70er Jahren ein Quartier in Paris, ließ sich
instruieren, Handkes Mutter Geld zu überweisen und half bei dem Prozess gegen
die Baufirma seines Hauses in Kronberg. Die humorig-nervigen Verhandlungen über
Vorschüsse und Prozente, die den Briefwechsel mit Bernhard sehr stark
bestimmten, findet man hier (glücklicherweise) kaum. Handke versucht zwar immer
wieder verbesserte Konditionen zu erreichen, bleibt jedoch ziemlich moderat. Bis
auf Unselds Ordnungsruf von 1986 zu einigen despektierlichen Äußerungen Handkes
über Thomas Bern-hard (nach anfänglicher Euphorie bemerkte Unseld schon 1971,
dass Handkes Wertschätzung für Bernhard »allmählich« abnehme (29)) und einigen
kleineren Missverständnissen blieb das Verhältnis lange Zeit fast ungetrübt. Um
1992 herum wurde die Beziehung komplizierter. Die Zahl der Briefe nahm ab, die
Spannungen zu. Handke fühlte sich unwohl, konnte sich zu Hau-se nicht auf sein
neues Buch (»Niemandsbucht«) konzentrieren und erwog einen Zweitwohnsitz in
Wien. Unseld sagte seine finanzielle Unterstützung sofort zu, aber Handke
entdeckte überall Misstöne und schien fast Widersprüche und Ungenauigkeiten zu
suchen. Es gab Differenzen über den geplanten Vorschuss, von Handke als
despektierlich interpretierte Äußerungen Unselds zu Hubert Burda und
vermeintlich »falsche« Meldungen von Auflagenzahlen. Unselds Aussage, er sei
»der wichtigste Autor des Verlages« (30) fruchteten nicht. Handke war »Tief-Traurig«
(31) und monierte auch noch, dass er nicht über Unselds Probleme mit seinem Sohn
Joachim informiert wird (Joachim Unseld war 1983 in den Suhrkamp Verlag als
designierter Nachfolger eingestiegen und wegen Unstimmigkeiten 1991 mit seinem
Vater ausgeschieden, hatte aber noch 20% der Geschäftsanteile).
Von diesen Vorwürfen genervt meldete sich Unseld sogar aus seiner jährlichen
Fastenkur aus Überlingen und am 4. Juli 1993 zum einzigen Mal ein bisschen
bärbeißig: »...ab und an hätte ich nicht übel Lust, dem einen oder anderen Autor
einen Brief zu schreiben, derart wie Du ihn mir geschrieben hast. Aber im
Autor/Verleger-Stück braucht es ja unbedingt das umgekehrte Rollenspiel, in dem
es fettgedrucktes Gesetz ist, ausschließlich nach Verletzung und Wahrheit des
einen Protagonisten zu fragen.« Aber Unseld wäre nicht dieser vollkommene
Diplomat, den man in diversen Briefwechseln nun längst kennenglernt hat, wenn er
aus diesem sanft, aber bestimmt vorgetragenen Ärger nicht offensiv wieder
hinausfinden würde. Er fährt fort: »Woraus der Protagonist des anderen Fachs
sich die Freiheit nehmen kann, das Folgende zu erlernen: der beste Schutz ist
die Schutzlosigkeit, die derjenige trägt, der keine bewußten Verwundungen
aussendet. – Da ich dieses seither mit wechselndem Erfolg versuche, hebe ich
jetzt nur zu einigen wenigen Verteidigungssätzen an und halte Dir, in alter
Freundschaft, die andere Wange hin.« (32)
Aber der »zärtliche Terrorist« (1979 (33)) blieb reserviert, die Stimmung
gereizt. Treffen wurden vorgeschlagen, kamen aber nicht zustande. Erst Ende
Dezember 1993 traf sich Unseld mit Handke und übergab ihm das »Niemandsbucht«-Manuskript.
Schon im Juni 1994 dräute neues Ungemach: Handke störte sich daran, dass die
Übertragung des handschriftlichen Manuskripts und Unselds Lektüre so lange
dauerten. Dann fand er den Ankündigungstext »schauderhaft«, insbesondere die
sensationalistischen Formulierungen (»groß«, »großes Werk«) (34). Er fühlte sich
übergangen und formulierte kurzerhand selber Vorschau- und Klappentext. Unseld
sah sich gezwungen in einem sehr direkten Brief, die Probleme anzusprechen (»ich
wehre mich, dafür nur Vorwürfe entgegenzunehmen« (35)).
Die Arbeit mit Raimund Fellinger am Manuskript heiterte für kurze Zeit die
Stimmung auf, bis im Oktober erneut Zorn aufkam, diesmal über Belegexemplare,
die an bestimmte Redaktionen geschickt wurden (darunter ausgerechnet Spiegel und
FAZ). Bei Handkes Besuch im Verlag im Dezember befürchtete Unseld schon einen
»Gerichtstag« nebst Verlagsaustritt. Und in seiner Dankesrede zum
Siegfried-Unseld-Preis 2004, die am Ende des Buches abgedruckt ist, spricht
Handke tatsächlich davon, einen Austrittsbrief aus dem Verlag fertig geschrieben
bereits in der Tasche gehabt zu haben, »so ganz biblisch drei Seiten voll. Zum
Glück bin ich dann weitergewandert, und der Brief hat sich dann in die
Jackentasche ver-strickt über die Jahre und ist nie abgeschickt worden... « (36)
Ganz so schlimm kam es also nicht, auch wenn scheinbar kein gutes Haar am Verlag
gelassen wurde. (37) Es gärte weiter in Handke. Im August 1995 findet sich eine
Notiz Unselds, Handke könne mit seinem Lektor Raimund Fellinger nicht mehr
arbeiten. (38) Im Dezember will er dann mit ihm weiterarbeiten. (39) Ende
Dezember übergab Handke Unseld das Manuskript zur »Winterlichen Reise«.
Solidarität und Loyalität
Die Umstände, die dieses Buch haben entstehen lassen, sind inzwischen gut
untersucht. (40) Die »Testlesung« mit Freunden wurde in Herwigs Biographie
beschrieben. (41) Er hatte sich entschieden und »verwandelt«, sein Arkadien (vulgo:
Jugoslawien) wurde zerschlagen und er fühlte sich »zuständig«. In der »Niemandsbucht«-Erzählung
wird dieses Ringen mit sich selber aufgezeigt. Der Epiker trat zu Gunsten des
Sprachkritikers zurück. Wie einst Gregor Keuschnig als Botschaftsangehöriger in
der »Stunde der wahren Empfindung« die »Kraft-sätze« gegen Österreich anstrich
(42), markiert nun Handke diese über Serbien bzw. Jugos-lawien. Womöglich liegt
hier einer der Gründe für das sehr fragil gewordene Verhältnis zu Unseld und dem
Verlag. Fast von Anfang an macht Unseld keinen Hehl daraus, dass er politisch
anderer Meinung ist. Deutlich wird dies schon früh in seiner Reisenotiz zum »Einbaum«-Stück,
in dem er sein Gespräch mit Handke über das Stück wiedergibt. Er bezeichnete
darin Handkes »Haltung« als »autistisch«, »die für ihn [Handke, L.S.] schwierig
werden kann« (43). Aber es bestand kein Zweifel daran, dass die Bücher verlegt
werden. Und Handke bedankte sich für die »Solidarität«, die er bei Unseld
gespürt habe (44).
Und ist diese Solidarität nicht auch Loyalität seinem Autor und dessen Literatur
gegenüber? Es lohnt sich Handkes Kommentierung zu Unselds Vorgehen beim
sogenannten »Aufstand der Lektoren« vom Herbst 1968 nachzulesen. Diese
verlagsinterne Rebellion zog zahlreiche Kündigungen von renommierten Lektoren
und Verlagsmitarbeitern nach sich, unter anderem auch von Karlheinz Braun.
Handke schreibt in einem Brief vom 20. Januar 1969 (45): »Zu dem 'Fall' Braun
möchte ich noch sagen, daß Du wohl gemerkt hast, daß ich mit Deiner Meinung
darin nicht übereinstimme.« Und dann schreibt der 26jährige an seinen Verleger:
»Überdies erscheint mir der Begriff der 'Loyalität' so sehr ein autoritärer, aus
dem 'Nibelungenlied' stammender, daß ich es niemandem verdenken kann, wenn er
ihn endlich mißachtet.«
Und wie stand (steht) es mit Handkes Loyalität zu Suhrkamp? Handke schloss sich
dem »Verlag der Autoren«, der von den »abtrünnigen« Suhrkamp-Lektoren gegründet
wurde (46), an; einige seiner Stücke erschienen dort. Unseld ahnte, dass eine
Konfrontation mit seinem Autor das Gegenteil dessen erzeugt hätte, was er
wollte. Also wies er Handke nur auf die rechtlichen Situationen hin, so dass die
Verwertung durch Suhrkamp nicht verhindert wurde. Handkes Engagement bei diesem
damals von vielen als Befreiung empfundenen Verlag hielt sich von Anfang an in
Grenzen und 1981 war es für ihn schlichtweg »eine Bande« (47).
»Bitte geh sorgsam mit Dir um«
Etwas sorgenvoller betrachtete Unseld Handkes Verbindung mit dem
Residenz-Verlag, der in unregelmässigen Abständen mit Manuskripten bedacht
wurde. Gelegentlich trübte Unselds Eifersucht sogar das ästhetische Urteil, etwa
als er den Journalband »Das Gewicht der Welt« (1977 erstmalig im Residenz-Verlag
erschienen) als ein »Buch mit vielen Schwächen« aus-machte, dann aber sofort die
»vielen faszinierenden Aufzeichnungen« entdeckte (48). Ob die »Schwächen« bei
der Übernahme im Suhrkamp Buch beseitigt wurden? Oder wirkte da noch nach, dass
Handke vor seinem Umzug nach Paris im Juni 1976 Unseld anwies, die für ihn
bestimmten Briefe zum Residenz-Verlag zu schicken, da er vorübergehend ohne
feste An-schrift war? (49) Handke begründete sein Engagement für Residenz 1986
(»Nachmittag eines Schriftstellers«) sogar als »politisches Zeichen« (gegen
Waldheim und den »Stumpfkopfparteivorsitzende[n]« Haider) (50) und als
patriotischen Akt für sein Land Österreich. Die Lektüre zeigt, dass Unseld die
Veröffentlichungen zwar störten, er jedoch deutlich gelassener reagierte als bei
Thomas Bernhard. Zumal Handke für Suhrkamp mitdachte: Residenz hatte lediglich
die Rechte für die Erstausgabe; ansonsten blieben die Rechte beim Autor, die
dieser dann irgendwann an Suhrkamp verkaufen konnte. So blieb das Werk nach
einer gewissen Zeit leidlich komplett.
Die ersten Briefe Handkes sind noch zurückhaltend, fast schüchtern. Als er
einmal von einem »etwas unfreundliche[n]« (51) Brief Unselds spricht, verwahrt
sich dieser explizit dagegen: »In den zwölf Zeilen des Briefes finden wir auch
nicht den leisesten unfreundlichen Ton« (52).Was dann Handke passiv kontert:
»Schreiben Sie die Wendung von der Unfreundlichkeit in meinem letzten Brief
meiner blöden Empfindlichkeit zu.« (53) Der erste Brief, in dem man zum »Du«
übergeht, ist vom 12. Dezember 1967 (54); etwas mehr als zwei Jahre nach der
ersten Mitteilung.
Wie sehr Handke Siegfried Unseld geschätzt hat, blitzt an einigen Stellen auf.
Etwa, wenn er nach einem neuen Treffen fragt und mit Understatement und Empathie
»Du fehlst mir schon hin und wieder« (1985 (55)) schreibt. Oder eine
improvisierte, intentionslose Begegnung ein Jahr später, die er retrospektiv
fast beschwört: »...es war schön, Dich so überraschend für eine Stunde am
Flughafen zu treffen, vor allem, weil es um gar nichts besonderes ging. [...]
...nur um die Gegenwart von Dir und mir.« Fast fürsorglich schreibt Handke dann:
»Bitte geh sorgsam mit Dir um, setz Dich zwar weiter so ein für den Fortgang der
Bücher, aber vielleicht mit einer mehr gelassenen, Dich selber auch mehr in der
Ruhe lassenden Einstellung«. (56) Der Leser reibt sich verwundert die Augen:
auch das ist Peter Handke.
Liest man Unselds Vorschautexte insbesondere zur »Wiederholung«, und zu den
Versuchen über »die Jukebox« und den »geglückten Tag«, mag man Handkes
emphatisches Leserlob in der bereits erwähnten Rede von 2004 verstehen: »ein
Leser, wenn je einer ein Leser war«. (57) Zwei von Unselds Büchern werden im
Briefwechsel über die Maßen gerühmt: »Goethe und seine Verleger« von 1991 nennt
er »fast ein Epos« (58) (ein sehr großes Kompliment) und »Goethe und der Gingko«
(1998) ein »anmutige[s], weiträumige[s] Buch« (59) und man spürt in den
Antworten (»Dank. Dank. Dank.« (60)) den Stolz des Gelobten, der dann, für
diesen Augen-blick, eben nicht Verleger, sondern gleichberechtigter
Schriftsteller ist. Einer der Höhepunkte dieses Briefwechsels, eine Pretiose
besonderer Güte, ist dann der Brief vom 21. September 1999 zum 75. Geburtstag
Siegfried Unselds (61).
Weit voraus
Sehr deutlich zeigt sich in dieser Korrespondenz, wie weit Handke sein Werk
immer schon vorausdachte. In einem Brief vom Oktober 1979, kurz nach der
»qualvoll-schönen« (62) Fertigstellung von »Langsame Heimkehr« entwirft Handke
seinem Verleger die Pläne für nicht weniger als vier Bücher (das letzte dieser
Reihe, »Die Wiederholung«, wurde 1986 realisiert) (63). Und ebenfalls
bemerkenswert, wie Handke bereits mitten in sprachkritischen Phase im Februar
1966 an Karlheinz Braun proklamierte, dass er jetzt nur noch »'Epiker' sein
möchte«. Im Mai 1968, nach der Fertigstellung zum »Innenwelt«-Buch, schrieb er
an Unseld: »Im Herbst möchte ich ein Prosabuch anfangen, richtig spannend (na
ja!), in klassischer ruhiger Prosa wie Kleist oder Stifter.« (64) Und bei einem
Treffen mit Unseld anlässlich seines »Langsame Heimkehr«-Manuskripts wird Handke
von Unseld mit dem Ausspruch »man muß Mut haben, wieder Glück zu formulieren«
zitiert. (65)
Das Ende dieser schönen, epischen Korrespondenz ist fast abrupt; der letzte
Unseld-Brief ist vom 11. Dezember 2001: eine handschriftliche Notiz auf einer
Karte. Er sandte Handke das erste, handgebundene Exemplar des »Bildverlust«-Buches,
Handkes umfangreichstes Werk (bis heute von vielen - unter anderem auch von mir
- fast unverstanden), das er »großartig« und »eine bedeutende Dichtung« nennt.
Und Handke schickte seinem Verleger im April 2002 noch das Manuskript zum
»Untertagblues«. Dann ist noch eine Replik Unselds auf einen Schmähartikel von
Denis Scheck in der FAZ abgedruckt. Und danach ist es zu Ende. Jeder weiß,
warum. Und der Leser trauert jetzt, nach mehr als zehn Jahren, wieder aufs Neue.
Aber Trost kommt am Horizont auf, ein Handke-Satz, den dieser an Unseld
schreibt, als er vom Tod von dessen Mutter erfahren hatte: »Hauptsache, man
lebt, statt in der Nachrichtengegen-wart, in jener der Erzählung.« (66)
Die Arbeit von Katharina Pektor und Raimund Fellinger verdient und erzeugt
Respekt und Anerkennung. Dieser Briefwechsel ist ein sehr instruktives, rundes
Dokument und durch die vorbildliche Edition erheblich mehr als nur ein Abdruck
der Korrespondenz. Es ist Zeit-zeugnis, Epochendrama, Genrebild eines Betriebs,
Studie zweier großer Persönlichkeiten und literaturwissenschaftliche
Untersuchung. Man sieht Großes und Kleines, den katapulthaften Anstieg von
Bücherpreisen über die Jahrzehnte hinweg, die Bedeutung des Suhrkamp Verlags
anhand von Unselds Begegnungen, Handkes Entdeckungen von bis dato eher
unbekannten Schriftstellern und Künstlern (Klaus Hoffer, Georges-Arthur
Goldschmidt, Hermann Lenz, Josef W. Janker, Ludwig Hohl, Ernst Meister,
Jean-Marie Straub/Danièle Huillet [»letzte Mohikaner, aber die letzten...«
(67)], Walker Percy, Emmanuel Bove, Francis Ponge) oder die Entwicklung des
Schriftstellers Peter Handke, Buch für Buch, Stück für Stück, Film für Film,
Übersetzung für Übersetzung. Im ein oder anderen Fall hätte man vielleicht noch
gerne dieses oder jenes gelesen, wobei man allerdings berücksichtigen muss, dass
die Herausgeber die Balance zwischen Korrespondenz und Kommentar im Auge haben
mussten.
Das äußerst gelungene, dichte Nachwort stellt Handkes Idiosynkrasien, wie sie
sich immer wieder nach Fertigstellung und Übergabe von Manuskripten zeigten, den
»schnöden« Arbeits-prozessen des Verlages gegenüber. Verbunden war dies, wie
Handke dann selber ausführt, mit einem Rollenwechsel Unselds vom Leser zum
Verleger (und dann, irgendwann, wieder zurück). Wenn heute das Fehlen von
Verlegerpersönlichkeiten beklagt wird (freilich, es gibt ja noch welche und
irgendwann kommt beim Aufzählen vielleicht auch noch die zweite Hand dazu), dann
liegt dies vielleicht auch darin, dass die meisten ihr Lesertum längst rein
markt-ökonomischen Erwägungen angepasst haben.
Was bleibt, ist nur noch Optimismus. »Der Leser heute ist besser als sein Ruf«,
frohlockt Siegfried Unseld einmal. Also dann, Leser, auf!
Bemerkungen:
1 http://www.glanzundelend.de/Artikel/briefwechsel_bernhardunseld.htm
2 Brief Nr. 17 [im weiteren wird die Brief- bzw. Schriftstücknummer mit #
abgekürzt]
3 Im Band wird die Webseite erwähnt, die ein Mithören von Handkes Einwurf
ermöglicht: http://german.princeton.edu/landmarks/gruppe-47/recordings-agreement/recordings/
- zitiert nach: Adolf Haslinger: "Peter Handke – Jugend eines Schriftstellers",
Suhrkamp, 1995, S. 110ff.
4 Etwas despektierlich Unselds Bemerkung zur Zeitschrift "manuskripte", die
"etwas außerhalb der Öffentlichkeit" herauskomme (# 10). Daher hatte er nichts
gegen den Vorabdruck.
5 #7
6 Zu #19
7 Zu # 24 ausschnittweise abgedruckt.
8 In seiner Essaysammlung "Als die Bücher noch geholfen haben. Biographische
Skizzen" mutmaßt Delius, dass Handke den Text aufgeschrieben und dann auswendig
gelernt habe. Bei aller Distanz kann er eine gewisse Wertschätzung für Handkes
Vorstoß nicht verbergen.
9 # 26
10 Zitiert nach "Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms", Suhrkamp, 1972, Seite
206.
11 # 76
12 Vgl.: Helmut Böttiger: "Gruppe 47", DVA, 2012, Seite 407.
13 # 117
14 # 217
15 Zu # 275
16 Zu # 288
17 Vgl. Wendelin Schmidt Dengler: "Bruchlinien I", Residenz-Verlag, 1995/2012:
Über Peter Handke "Wunschloses Unglück": http://www.residenzverlag.com/upload/titles_doc/doc2_1314.pdf
18 http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/38671
19 # 248
20 http://www.begleitschreiben.net/rezensieren-nach-geruch/
21 Zu # 527
22 # 329
23 Malte Herwig: "Meister der Dämmerung", DVA, 2011, Seite 291ff.
24 http://www.zeit.de/1972/37/die-angst-des-peter-handke-beim-erzaehlen/komplettansicht
25 Zu # 306
26 # 329
27 Treffen im April 1980; zu #306
28 Zu # 337
29 Zu # 162
30 # 506
31 # 508
32 # 509
33 Zu # 288
34 # 521
35 # 522
36 Seite 742
37 Zu #533
38 Zu # 538
39 Zu # 543
40 Die
Eigenwerbung sei erlaubt: Lothar Struck "'Der mit seinem Jugoslawien' - Peter
Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik", Ille & Riemer
2012 -
http://www.ilri.de/ilri-bibliothek-wissenschaft/lothar-struck-handke/
41 Malte Herwig: "Meister der Dämmerung", DVA, 2011, Seite 274f
42 Peter Handke: "Die Stunde der wahren Empfindung", Suhrkamp, 1975, Seite 20
43 Zu # 567
44 # 549
45 # 76
46 Vgl.: http://faustkultur.de/kategorie/literatur/chronik-der-lektoren.html#.ULCl5Yf8JPI
47 # 329
48 Zu # 257
49 # 244
50 # 422
51 # 19
52 # 20
53 # 21
54 # 65
55 # 378
56 # 419
57 Seite 743
58 # 483
59 # 573
60 # 484
61 # 587
62 # 290
63 # 295
64 # 69
65 Zu # 283
66 # 397
67 # 466
Artikel
online seit 15.11.19
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Peter Handke,
Siegfried Unseld
Der Briefwechsel
Herausgegeben von Raimund Fellinger und Katharina Pektor
Suhrkamp Verlag, 2012.
Leinen, 798 Seiten
EUR 39,95 (A: EUR 41,10)
Leseprobe
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