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Kriegs- & Literaturgeschichten

In seinem neuen Roman
»Propaganda« spannt Steffen Kopetzky
einen großen Bogen von der Allerseelenschlacht im
Hürtgenwald (1944)
bis hin zur Veröffentlichung der Pentagon-Papiere (1971
)

Von Klaus-Jürgen Bremm
 

Ein Grenzgänger zwischen verschiedenen Welten ist der junge Oberleutnant John Glueck. Als Deutsch-Amerikaner aus der Bronx schwärmt der Offizier im Departement für Psychologische Kriegsführung für die deutsche Kultur und Literatur. Ja, er beherrscht sogar den kölnschen Dialekt, den ihm sein rheinischer Großvater beigebracht hatte, und foppt damit später an der Front eine Reihe waschechter Nazis. Dann aber ist Glueck auch ein Anhänger von Franklin Delano Roosevelt. Als Kind bewunderte er dessen väterliche Kamingespräche und später dessen politische Agenda, die Welt von allen Diktatoren und Kolonialisten zu befreien. Trotz seines amerikanischen Patriotismus bleibt Glueck ein Entwurzelter. Nirgendwo hält es den angehenden Romancier auf der Suche nach dem ultimativen Romanstoff besonders lange. Von London zieht es den Propaganda-Offizier Ende August 1944 in das gerade von den Deutschen befreite Paris, wo er seinem großen literarischen Vorbild Hemingway näher kommt, als ihm lieb ist. Der weltberühmte Autor entpuppt sich als ein dem Alkohol und der Gewaltigtätigkeit verfallendes Wrack auf der verzweifelten Suche nach dem großen Kriegsthema.

Doch an die Front wagt sich die verblassende Dichterikone nicht mehr – jedenfalls im Roman - und so flieht Glueck ernüchtert aus der Stadt der Lichter, reist allein in den finsteren Hürtgenwald, wo kurz hinter der deutschen Grenze der sommerliche Siegeslauf der Amerikaner vorerst von der Wehrmacht gestoppt werden konnte. In den regennassen Kiefernwäldern beiderseits der Kall mutiert Glueck an der Seite eines kernigen US-Sergeanten, der sich als durchaus nicht assimilierter Irokese aus dem westlichen Pennsylvania entpuppt, zum Grenzgänger zwischen den Fronten. Anders als seine Vorfahren erleichtert die Rothaut im modernen Olivdress jedoch nicht mehr britische Rotröcke in den Urwäldern von Ohio um ihre Kopfhaut, sondern sammelt jetzt eifrig Naziskalps im Hürtgenwald. Auf ihrer letzten gemeinsamen Tour stößt das ungleiche Paar zwar nicht auf die großen Seen, wohl aber auf das angestaute Wasser des Rurtalsees, von dem die Amerikaner bisher keine Ahnung hatten.

Glueck bezahlt seine Entdeckung nun ebenfalls mit einem Teil seiner Kopfhaut, der Irokese lässt ihn halb skalpiert und in deutscher Uniform zurück, um die Chancen seiner Rückkehr zu den eigenen Linien zu erhöhen. Der geschundene Glueck kann tatsächlich die Deutschen täuschen, ermordet außerdem noch einen alten Bekannten mit einem angespitzten Bleistift und erlebt, für einen Grenzgänger nicht übermäßig erstaunlich, in raschem Wechsel der Fronten auf beiden Seiten die unglückselige Allerheiligenschlacht um Schmidt und Kommerscheidt.

Mit mehr als genügend Erzählstoff kehrt der Offizier an seinen Londoner Schreibtisch zurück, entschlossen, seinen großen Kriegsroman zu schreiben, von dem er seit seiner Studienzeit geträumt hat. Die Ruhe dazu findet er jedoch auch später als Besatzungsoffizier in München nicht. Die Flucht scheint überhaupt das stete Schicksal von Kopetzkys Protagonisten. Aus der Bayernmetropole mit ihren zahllosen Vorzügen für gewitzte Besatzungssoldaten zieht es John Glueck schon nach kurzer Zeit in seine vermeintliche Heimatstaat New York zurück, nur um kurz darauf, ausgestattet mit einem üppigen Stipendium, nach Kalifornien zu gehen, wo er zwar immer noch nicht seinen großen Kriegsroman zu Papier bringt, wohl aber eine Doktorarbeit ausgerechnet über die militärische Führungskunst des deutschen Heeres.

1971 hat es Glueck dann an die Seite eines amerikanischen Generals in Vietnam verschlagen. Als ihm jedoch klar wird, welchen Krieg sein Land in Südostasien führt und er erkennt, dass inzwischen das moderne Amerika kaum noch mit dem Amerika seines Idols Roosevelt zu vergleichen ist, verlässt er angewidert und fluchtartig das Hauptquartier des genozidalen Militärs. Seine abenteuerliche Reise in einer Rikscha nach Saigon endet jedoch mit einem brutalen Unfall, der seinen vietnamesischen Chauffeur das Leben kostet und ihm selbst die heile Haut. Glueck muss tagelang in einer mit Kriegschemikalien verseuchten Grube zubringen, ehe ihn Landsleute aus seiner misslichen Lage befreien. Danach fällt ihm die Haut in Fetzen vom Körper. Doch für den fünfzigjährigen
»Anywhere« Glueck, der sich inzwischen in seiner Rolle als alter weißer Mann sichtlich unwohl fühlt, ist der partielle Verlust seiner weißen Pelle, dem Kainsmail der zukünftigen New World-Order zwar unangenehm, aber keine Katastrophe. In die Vereinigten Staaten zurückgekehrt, wird Glueck in die Veröffentlichung der so genannten Pentagon-Papers verwickelt, was den ehemaligen amerikanischen Patrioten plötzlich zum Staatsfeind macht und ihm eine mehrmonatige Untersuchungshaft im Staatsgefängnis von Missouri einbringt. Erst in der feuchtheißen Zelle gelingt dem ewigen Unruhegeist dann auch der Einstieg in seinen Kriegsroman, den er unter den misstrauischen Augen einer dicklichen Staatsanwältin nunmehr zügig zum Abschluss bringt.

Gluecks Intermezzo im Gefängnis bildet dann auch Kopetzkys Haupterzählstrang, in den sich alle anderen Handlungsfäden mehr oder weniger einfügen. Sein Roman ist im Ansatz solide konstruiert und weist etliche starke und erzählerisch dichte Partien auf, wie etwa Gluecks Begegnung mit einem Truppenarzt der Wehrmacht im nächtlichen Hürtgenwald. Phasenweise liest sich sein Buch wie eine Mischung aus John Toland und James Fenimor Cooper mit einem eindeutigen Schwerpunkt auf dem Krieg in Europa. Gluecks Erlebnisse in Vietnam dagegen behandelt Kopetzky nur sehr oberflächlich, was seinen Roman, der ja einen Bogen zwischen beiden Kriegen spannen will, um den Gegensatz von gutem und bösem Amerika hervorzuheben, in eine starke Schieflage bringt. Noch bedauerlicher ist freilich, dass Gluecks viel zu lange Monologe und vor allem sein seitenlanges Plädoyer vor Gericht über die jüngste Entwicklung der amerikanischen Politik, die in ihrer Political correctness bestenfalls anachronistisch sind, manche Leser wiederholt auf eine harte Probe stellt. So dürfte etwa ein weißer Amerikaner im Amerika des Jahres 1944 kaum einen modernen linken Kampfbegriff wie das Wort »Rassismus« verwendet haben. Auch gibt sich Kopetziky mit seiner Invektive auf Senator McCarthy wenig Mühe, den Subtext zu kaschieren. »Was würde passieren, so lässt er seinen Protagonisten im Gerichtssaal fragen, »wenn jemand wie McCarthy – ein paranoider, psychopathischer, Lügen verbreitender Mensch – eines Tages Präsident und damit der Herr unseres Atomarsenals würde?« Zu stark erinnert die Passage dann doch an das in deutschen Medien inzwischen übliche Trump-Bashing. Kopetzkys ständige Versuche, literarisch nur flüchtig in die Handlung eingepasste Standpunkte des aktuellen Mainstreams in seinen Roman unterzubringen, lassen den vom Autoren oder vom Verlag gewählten Titel »Propaganda« jedenfalls in einem überraschenden Licht erscheinen. 

Artikel online seit 09.09.19
 

Steffen Kopetzky
Propaganda
Roman
Rowohlt Berlin 2019
496 Seiten
25,00 €
978 3 7371 0064 9

Leseprobe

 


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