Schlicht und tatsächlich ergreifend: ein dauerhaft schlecht gelaunter
Einzelgänger. Einer aus der Null-Bock-Generation, der durch die Lande zieht,
vorzugsweise durch die Wetterau, viel trinkt und auch viel vertragen kann, dafür
wenig gelten lässt und paradoxerweise, beim Lesen, echt Spaß macht. Das Buch,
entstanden aus sogenannten Kolumnen, die Maier für die Wiener Zeitschrift
»Volltext« zwischen 2011 und 2018 geschrieben hatte, sind eigentlich kurze,
pointierte Erzählungen, die Maiers großen autobiographischen Zyklus »Die
Ortsumgehung«, sechs Bände sind bereits erschienen, begleiten wie ein
Krankenpfleger den Chefarzt. Alle Geschichten beginnen mit »Neulich …«
Maier, der sich auch hier wieder als mächtiger Muffel gibt, sich selbst einen
»Kultursublimierten« nennt, steht im Keller des Suhrkamp Verlages. Er sieht, wie
»all die Originale, die Manuskripte, Texte, Blätter«, die er in den Händen hält,
in Kisten verpackt werden und nach Berlin umziehen. Er ist tief beeindruckt,
denn »am Ende ist aus alldem, meinem Leben, der Wetterau, Anke, der
Buchhändlertochter, den Kolumnen, … ein Buch geworden, ein Suhrkamp-Buch, was
sonst.«
Bescheidenheit ist nicht Maiers hervorstechendste Eigenschaft. Maiers Onkel,
seinen Lesern wohl bekannt, inzwischen 70, hat sein Leben eher auf der
Schattenseite verbracht, erlebt aber am Ende noch einmal einen großen Auftritt:
als Karnevalist des Fastnachtclubs »Die Dummbabbler«. Er steht auf dem Wagen,
wirft Bonbons in die Menge, »ein wenig schüchtern, aber vor allem mit stiller
Freude und einer gewissen Seligkeit im Blick.«
»Neulich dachte ich an das eigenartige Leben, das ich mit sechzehn, siebzehn
Jahren geführt hatte.« Maier trank, seit jeher schon, viel; aß wenig, trug gerne
abgetragene Kleidung. Er liebte das Extreme. Er aß zum Beispiel die übrig
gebliebenen Reste auf den Tellern an den Imbissständen.
Manche seiner Geschichten sind voller Spott, viele mit abgründigem Humor und
böser Ironie durchtränkt. Er hat klare Vorstellungen. Fremdenfeindlichkeit heißt
für ihn, »dass man feindlich schaut, wenn ein Nicht-Stammgast die Wirtschaft
betritt.« In einer Apfelweinwirtschaft muss man, um dazu zu gehören, sich
allmählich hocharbeiten mit viel Feingefühl und ja nicht zu schnell. »Ein
menschenwürdiges Leben beginnt sowieso erst ab sieben oder acht Schoppen. Und
zwar für jeden, egal ob fremd oder nicht.«
Seine Erfahrungen mit dem Schriftsteller Peter Kurzeck, 2013 gestorben,
schildert Maier auf fast liebevolle Weise. Kurzeck rief Maier oft an. Auch nach
seinem Tod noch, seitdem allerdings aus dem Himmelreich. Er bedauert, dass da
oben niemand seine Sprache spricht (vermutlich dieses oberhessisch rrrollende R,
mit dem man Steine klopfen kann). Maier sprach ihn einmal darauf an, dass er
seine unzähligen Buchprojekte kaum alle vollenden könne. Kurzeck fragte zurück,
wo das Problem sei. »Dann schreibe er eben als Engel weiter.«
Immer wieder kreisen Maiers Gedanken ums Schreiben. Was wird bleiben? Doch nur
die Schriftsteller, die ein Werk hinterlassen. Wenn Maier dann auf sein Werk
schaut, voller Ironie, sieht er es bei Zweitausendeins verramscht.
Maier beschreibt, ohne sich zu schonen oder zu beschönigen, wie er lebt, denkt,
wohin er reist, seine Abneigungen, seine Vorlieben, seine Demütigungen. So über
seinen Bart. Dabei geht es keineswegs um den »Hip-Bart«, der »gestutzt und
gehegt und gepflegt und beobachtet« wird und in der Lücke zwischen
»Aromenkochkurs auf La Gomera und Gipfelskisurfen in Nepal« entsteht. Nein, er
meint den langen russischen »Heiligen- oder Literatenbart.« Dieser Bart beginnt
allmählich zu stinken. Apfelwein, Milchkaffee oder Essensreste, die darin hängen
bleiben, senden Botenstoffe aus. Sein Mund ist »nur noch eine Vermutung« in
seinem Gesicht. Trotzdem kommt Maiers Bart nicht an den des Frankfurter
Verlegers Klaus Schöffling heran. Der habe den »längsten und nicht
hintergehbarsten Renommierbart in Frankfurt.«
So tauchen in diesen Geschichten viele Gestalten auf, die man (als Frankfurter)
kennen kann, kennen sollte, oder kennen muss. Viele Geschichten sind amüsant und
oft sehr witzig. Viele bleiben rätselhaft: ernst oder zynisch/ironisch, wer
weiß?
Artikel
online seit 06.06.19
Wir danken dem
Strandgut - Das Kulturmagazin für Frankfurt &
Rhein-Main
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Andreas Maier
Was wir waren
Kolumnen
suhrkamp taschenbuch 4933,
Gebunden, 113 Seiten
16,00 €
978-3-518-46933-0
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