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Was für ein jokoses Büchlein!

Alberto Savinios bunter Erzählteppich »Nostradamus«

Von Wolfram Schütte

Der latinisierte Name Nostradamus hatte zu Lebzeiten seines Trägers im 16.Jahrhundert einen ebenso einschüchternden wie verheißungsvollen Klang als außergewöhnlicher Arzt wie als einzigartiger Hellseher. Heute kennen ihn wohl nur noch die aficionados der höheren Astrologie & anderer furchteinflößender Aberglauben.

Alberto Savinio (1891/1952), der weniger bekannte jüngere Bruder des weltbekannten Malers Giorgio de Chirico (Pittura metafisica), war ebenfalls surrealistischer Maler, aber auch Musiker & vor allem ein witziger, humorvoller Schriftsteller, dessen Haupt- & einige Nebenwerke in den Achtziger & Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Suhrkamp auf Deutsch vorgelegt wurden, z.B. »Stadt, ich lausche deinem Herzen« & »Neue Enzyklopädie«

Jetzt hat die erfahrene Savinio-Übersetzerin Karin Fleischanderl dessen 1938 in »La Stampa« mehrteilig publizierte Erzählung »Nostradamus« erstübersetzt & der Kenner Richard Schroetter hat für das hübsche, mit einem Selbstbildnis von Nostradamus (!) lockenden Büchlein der Friedenauer Presse ein ebenso umfang- wie faktenreiches Nachwort beigesteuert.

Es ist eine ebenso schmale wie anspruchsvolle Erzählung von 1938, deren Gewitztheiten, Ironien & eleganten Verdichtungen Lesern schieres Lektüre-Vergnügen bereiten, die sich auf  die assoziativ brillierende Prosa des hochgebildeten, verspielten & (deshalb wohl auch gelegentlich) arroganten Autors als gleichwertige Partner einlassen (können). Denn der Erzähler Savinio ist auch zugleich Essayist, jederzeit willens abzuschweifen & mit seinen exquisiten Kenntnissen assoziativ funkelnde Netzwerke zu knüpfen oder mit  Andeutungen, Hinweisen & Metaphern eine mehrdeutige Atmosphäre des Geheimnisvollen & Wunderbaren zu schaffen: ein veritabler Montagekünstler der surrealen Weltbeschwörung.

Das biographische Porträt des 1503 in Saint-Rémy geborenen & 1566 im nicht weit entfernten Salon gestorbenen Provenzalen, widmet sich der mythischen Figur des autonomen (modernen) Menschen am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Dem entspricht bei uns der historische Doktor Faust, der etwa zur gleichen Zeit in Süddeutschland gelebt hat. Wie dieser versteht sich Nostradamus auf die weiße & die schwarze Magie.

Tagsüber war Nostradamus »ein anständiger Bürger«, der mit seinen »florierenden und zukunftsreichen Schönheitsprodukten« sich in den« Dienst der Kosmetik gestellt« hatte. Denn »sein Schädel ist die Geburtsstätte des Schönheitsinstituts. Was wären Elizabeth Arden, Helena Rubinstein, sogar der große Antoine ohne Nostradamus Lehren?« fragt Savinio, dessen Connoisseur-Verweis auf »den großen Antoine« wir Nachlebenden nicht mehr entziffern können.

Im nächstfolgenden Absatz fordert er die direkt von ihm angesprochene Leserin, gemeinsam mit ihm sich über das »bewunderungswürdige Traktat Die wahre und perfekte Verschönerung des Gesichts« zu beugen & »zweistimmig, wie im Duett, die Worte des Magiers« zu lesen. Darin behauptet der Quacksalber (sage ich), mit seinem Elexier »bewahre das Antlitz (einer angeblich jährlich um 5% alternden Frau) zweifellos lange seine Schönheit und jede Hekabe wird sich in eine Helena verwandeln.«

Nostradamus' großmäulige Behauptung in der Anspielung auf die antiken Kontrastfiguren Hekuba & Helena, verführt Savinio zum Machowitz, wonach sich mancher Mann täuschen ließ, »als er glaubte, Helena zu begegnen & sich mit Hekuba in den Armen wiederfand«.

Nach dem Herren-Witz folgt die nächste Abschweifung. Das Rezept von Nostradamus' Schönheitselexier sei von spanischen & italienischen Damen nur mündlich ihren Töchtern mitgeteilt worden & deshalb verloren gegangen, was wiederum an das Schicksal des dritten geheimsten Namens erinnere, den Roma (neben Amor & Flora) einst besaß. »Das Geheimnis dieses Namens wurde so gut bewahrt, dass sich niemand mehr an ihn erinnert«.

Nicht genug damit: die übernächste Abschweifung des Biografen kommt von den exzentrischen Marmeladen, für die Nostradamus damals berühmt war, zur Etymologie des italienischen Wortes »ristorante«. Einer seiner Konfitüren sagt Nostradamus nach, sie habe auf Kranke eine ristorante Wirkung. Das Wort habe nämlich damals »kräftigend« (für Rekonvaleszente & Wöchnerinnen) bedeutet, informiert der allwissende Autor. Als aber1765 ein gewisser Boulanger in Paris ein Gasthaus mit diesem Namen eröffnete, »war das Schicksal des Wortes besiegelt«. Dazu könnte man, wie oft in diesem Buch, das italienische Sprichwort zitieren: «Se non é vero é molto bene trovato!«  

Ich habe diese  Passage so ausführlich zitiert, weil sie paradigmatisch offenbart, wie »Nostradamus« geschrieben ist. Der Autor lässt das Weberschiffchen seiner Assoziationen, Einfälle & Kenntnisse durch die Erzählung hin und her schießen, bis ein bunter Webteppich von skurrilen, bizarren, launigen Assoziationen entstanden ist, durch das sich das Leben des Nostradamus als roter Faden zieht.

Woher der italienische Autor die Unterlagen für sein wohl weitreichend fiktives Porträt & die nur teilweise nachweisbaren lokalen Bewegungen in der Lebensgeschichte des Apothekers & Wahrsagers hatte, verschweigt er. Erkennbar ist ohnehin, dass er aus Fakten & Fiktionen, Anekdoten & kulturhistorisch-literarischen Parallelereignissen (z.B. aus Werken Dantes & Rabelais') eine spannende, wunderliche & farbenreiche Legende von dem eigenartigen jungen  Studenten (in Avignon & Montpellier), Kräutersammler & Marmeladenhersteller, »der wie alle Auserwählte misogyn und keusch« war, zusammenphantasiert hat.

Es ist nicht das einzige literarische Mittel, mit dem Savinio ebenso kennerisch prunkt & augenzwinkernd uns Leser verzaubert. Er kann auch als Erzähler »malerisch« werden, wenn er z.B. die Pest als ein »riesiges schwarzes Skelett mit zwei enormen knarrenden Fledermausflügeln« (usw.) bildhaft uns vor Augen stellt (& wohl einer historischen Allegorie des 16. Jahrhundert nachgestaltet hat.)

Und drastisch kann er auch sein. So geht, von ihm selbst vorausgesagt, das Leben des Wahrsagers mit den von Gicht »zu zwei fetten gelben Talgsäcken« geschwollenen Beinen in Savinios Worten zuende: »Nostradamus beugte sich vor, als wolle er irgendetwas betrachten, dann sackte er mit einem fetten >platsch< zu Boden. Propheten und Kröten geben ähnliche Töne von sich.«

Was für ein jokoses Büchlein!

Artikel online seit 02.05.19
 

Alberto Savinio. Nostradamus.
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Richard Schrötter. Engl. Broschur, Friedenauer Presse, Berlin 2019.
77 Seiten, 18€      

 


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