In bewundernswert stoischer Freundlichkeit hat Christine Westermann
im letzten Literarischen Quartett Norbert Scheuers Roman
»Winterbienen« gegen die Borniertheit einer von der Welt und ihrer
Literatur gelangweilten Sybille Berg und die hyperintelligenten
Einwände der wie stets kampflustigen Thea Dorn verteidigt. Dorn
meinte -allen Ernstes - in der evolutionär gewachsenen, organischen
Struktur von Bienenvölkern, eine Metapher für die Mechanismen eines
totalitären »völkischen Staates« ausmachen zu können. Sie warf
Scheuer gar vor, dieses Bild absichtsvoll eingesetzt zu haben. Nach
der Sendung konnte man verstehen, daß Moderator Volker Weidermann
und Frau Westermann dieses Format nicht weiter verantworten wollen.
Scheuers Roman war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Nach
der Verleihung des mit 30.000 € dotierten
Wilhelm-Raabe-Literaturpreises konnte die Buchpreis-Jury schlecht
noch einen draufsetzen. Möglicherweise ist aber wieder einmal Peter
Handke daran schuld.
Endlich zum Buch: »Winterbienen« ist ein intelligent komponierter
Roman, der auf drei Ebenen funktioniert: Wir befinden uns im Jahr
1944 in einem Bergarbeiterstädtchen in der Eifel, nahe der
belgischen Grenze. Die alliierten Truppen sind nicht mehr weit.
Einheiten der Wehrmacht konzentrieren sich massiv in der Gegend, um
deren Vormarsch auf Köln zu stoppen.
Hier lebt Egidius Arimond. Er ist Epileptiker und wurde vorzeitig
aus dem Schuldienst entlassen. Daß er noch nicht dem
Euthanasie-Programm der Nazis zum Opfer gefallen ist, verdankt er
seinem Bruder, der als Jagdflieger zum Kriegsheld avancierte und
seinen Bruder mit den lebensnotwendigen Medikamenten versorgt, die
der Apotheker des Ortes, ein strammer NSDAP-Parteigänger, ihm
verweigert.
Arimond betreibt eine Imkerei, die ihm zum einen seinen
Lebensunterhalt sichert, zum andern als perfekte Tarnung für seine
riskante Nebentätigkeit dient. Er schmuggelt gelegentlich Juden über
die Grenze nach Belgien, die er in präparierten Bienenkörben
versteckt.
Doch damit nicht genug, forscht der ehemalige Latein- und
Geschichtslehrer im Archiv der Stadtbücherei auf den Spuren eines
Vorfahren, des Benediktinermönches Ambrosius Arimond, der im
15. Jahrhundert offenbar die Bienen aus Italien über die Alpen bis
in die Eifel brachte. Die delikate Tatsache, daß Egidius Arimond im
Ort diverse Liebschaften unterhält, vereinfacht seine Leben nicht
unbedingt.
Der fortschreitende Kriegsverlauf, der rapide schwindende Vorrat an
Medikamenten, die sich häufenden epileptischen Anfälle, und die
Sorge für seine ihm anvertrauten Flüchtlinge überfordern seine
Kräfte zusehends, dazu begegnen ihm seine Mitbürger mit wachsendem
Argwohn, was ihm schließlich einige Nächte im Kölner Gestapo-Keller
einbringt...
Scheuer überliefert uns die Geschichte des Bienenzüchters und
Fluchthelfers Arimond in Form von Tagebuchaufzeichnungen, die nach
dem Krieg in einem Bienenkorb versteckt gefunden wurden.
In den Blättern finden sich neben berichthaften Schilderungen seiner
Erlebnisse auch die von ihm übersetzten Aufzeichnungen des
Benediktinermönches Ambrosius, sowie ausführliche Beschreibungen
seiner alltäglichen Arbeit mit den Bienenvölkern.
Man kann diesen Roman als Lebensbericht eines mutig widerständigen
Sonderlings in mörderischer Zeit lesen, als gelungene Reminiszenz an
Umberto Ecos »Im Namen der Rose«, als Ausdruck der Bewunderung einer
harmonischen Ordnung der Natur, die unsere zerstörerische
Zivilisation überleben wird.
Wenn Scheuer gegen das ruhige Summen der ausschwärmenden Bienen das
Brausen der einfliegenden Bomberverbände setzt, schafft er intensive
Lesemomente, die lange in Erinnerung bleiben werden. Seine
»Winterbienen« sind eine bereichernde, aus der Masse der
zeitgeistlastigen Buchproduktionen herausragende Lektüre.
Artikel
online seit 26.10.19
|
Norbert
Scheuer
Winterbienen
Roman
C. H. Beck
319 Seiten
22,00 €
978-3-406-73963-7
Leseprobe
|