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Literatur und Zeitkritik

 











Foto: © Roderich Reifenrath

Personenschutz im Internet

Wider die öffentliche Herabwürdigung im Schutz der Anonymität

Von Wolfram Schütte

 

In der jüngsten seiner »Prantls Blick« genannten wöchentlichen Internet-Kolumnen, mit denen der kürzlich pensionierte Innenressortchef  der »Süddeutschen Zeitung« weiterhin öffentlich präsent ist, hat der ehemalige Richter & Staatsanwalt Heribert Prantl jetzt der 27. Zivilkammer des Berliner Landgerichts die Leviten gelesen. »So liebevoll, wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet« (Benjamin), nimmt sich der Münchner Polemiker gleich drei juristische Säuglinge der Berliner Justiz namentlich vor. Sie hatten für rechtens erklärt, »dass Politiker praktisch jedwede Beleidigung, Schmähung und Unverschämtheit aushalten müssen« (Prantl) & Facebook nicht  die Identität von 22 Personen der von ihnen öffentlich geschmähten, also betroffenen Politikerin mitteilen muss, damit das Opfer gerichtlich gegen die Täter vorgehen kann. Die justiziablen Schmähungen seien gedeckt von der Meinungsfreiheit, hatten die Richterinnen Sonja Hurek und Katharina Saar sowie der Richter Holger Thiel geurteilt.

In einem wie immer kenntnisreichen Plädoyer verlangt Prantl, »dass das Kammergericht Berlin so schnell wie nur irgend möglich, den Beschluss des Landgerichts korrigiert«.
Wenn er auch der letzte ist, der sich über diese seltsame, ignorante Rechtsauffassung der drei Berliner alteriert, erteilt er den namentlich an den Pranger gestellten Juristen der Hauptstadt doch die brillanteste Abfuhr.
Allerdings, muss ich mäkeln, hat der forensische Polemiker das Problem nicht radikal genug durchdacht, was aber notwendig wäre, wenn man der von ihm beklagten »Verrohung der Bürgerlichkeit, die in der AfD und auf Facebook um sich greift« wenigsten im Internet einen Riegel vorschieben will.
Zumindest wurden hilflose Klagen über den verbalen »Sittenverfall« & die Brutalität im alltäglichen Umgangston zuerst laut, als das Internet alltäglich geworden war.
Es liegt doch auf der Hand, dass das Internet – in diesem Fall »Facebook« – selbstverständlich ein technologisch erweiterter Teil der bisherigen Öffentlichkeit ist. Deshalb sollten in ihm genau dieselben juristischen Fakten gelten wie in der nicht-virtuellen Öffentlichkeit unseres bisherigen Alltags.

Würden in der Öffentlichkeit des »analogen« Lebens alle jene verletzend bösartigen, herabwürdigenden verbalen Invektiven vor allen Ohrenzeugen geäußert, wie es im Internet heute der Fall ist, könnten sich die Beleidigten eben deshalb, weil es öffentlich geschehen ist, juristisch zur Wehr setzen.

Denn die öffentliche Beleidigung zur Herabsetzung einer Person wird von dem hohen demokratischen Gut der »Meinungsfreiheit« nicht erlaubt, wohingegen von ihr garantiert wird, dass die gnadenloseste argumentative Kritik, die zu einem vernichtenden Urteil kommen kann, in der Öffentlichkeit, vulgo: vor aller Augen & Ohren, gesellschaftlich erlaubt ist.

Diese kategoriale Differenz basiert in einer liberalen Demokratie darauf, dass der kritische Umgang aller miteinander juristisch derart geregelt ist, dass die verbalen Auseinandersetzungen nicht in den bellum omnium contra omnes ausufert, den der englische Philosoph Thomas Hobbes nicht zu Unrecht als den vorzivilisatorischen Naturzustand der Menschen annahm.

Es hat Jahrtausende gedauert, bis die Menschheit einen Gesellschaftszustand erreicht hat, in der sich alle innerhalb von juristisch fixierten Grenzen des öffentlichen Redens maximal frei äußern können – vorausgesetzt, dass sich alle daran halten & jeder Zuwiderhandelnde sanktioniert wird, der den »Persönlichkeitsschutz« willentlich verletzt hatte.

Das prekäre Gleichgewicht von Erlauben & Dulden kann sowohl erreicht & bewahrt werden durch internalisierte moralisch-ethische Verhaltensweisen als auch durch die Androhung von Sanktionen. Was auch immer von diesen Möglichkeiten ausschlaggebend sein mag: sie konstituieren ein kollektives Sozialverhalten, dass gesellschaftlich »funktioniert«, weil jeder weiß: nicht alles, was ich denke & fühle oder worüber ich mich empöre & womit ich jemanden verletzen kann, muß, darf, sollte ich verbal äußern.

Dementsprechend verhalten wir uns üblicherweise im privaten & öffentlichen Alltag – z.B. auch deshalb, weil wir an uns selbst & im Kontakt mit allen anderen erfahren haben & wissen, dass unsere Emotionen, Ansichten, Gedanken häufig, bzw. plötzlich wechseln können & was uns innerlich-gedanklich eben noch richtig oder begrüßenswert schien, im Laufe der Zeit innerlich falsch & ablehnenswert erscheint. Das lateinische Sprichwort »Si tacuisses, philosophus mansisses« kann auch so interpretiert werden, dass es sich empfiehlt & vernünftiger ist, mit seinen sogenannt »spontanen« Äußerungen zurückhaltender zu sein (z.B. »um sich nicht selbst ins Bein zu schießen«).

Ganz offensichtlich hat die Anonymisierung im Internet dazu geführt, dass nun jeder im Internet gefahrlos »die Sau raus lassen kann«, die doch in jedem von uns schlummert, aber bislang nur im Gehege der öffentlich verschwiegenen, moralisch-ethisch umzäunten Innenwelt sich austobte. Da verwünschen wir täglich diesem oder jene, schicken sie zum Teufel oder belegen sie schon mal mit den übelsten, obszönsten & verletzendsten Beleidigungen (je nach persönlichem Temperament & intimer Kenntnis der Flucherei).

Will man die Anonymität in der Internet-Öffentlichkeit weiterhin schützen, wird man nicht umhin kommen, deren Verletzung des Persönlichkeitsschutzes empfindlich & nachhaltig zu bestrafen. Sowohl dass der Betreiber der Website, auf der diese inkriminierenden Äußerungen erschienen, den Täter wg. des Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen der Plattform verklagt, als auch dass für die betroffenen Opfer die Anonymität des Täters unmittelbar aufgehoben & die in Frage kommenden Beleidigungen gelöscht werden.

Es ist also notwendig, dass die Gesellschaft die virtuelle Öffentlichkeit als Fortsetzung der analogen (an)erkennt & den Verkehr in ihr nach denselben juristischen Gesetzen regelt. Erst, wenn es erkennbar teuer wird, im Internet mit Beleidigungen etc. je nach Laune eines durch Anonymität geschützten Täters herumzufuchteln, ließe sich radikal der verbalen Verrohung Herr werden – ohne die Meinungsfreiheit zu beschädigen oder den Persönlichkeitsschutz zu deren Unterdrückung zu missbrauchen.

Artikel online seit 02.10.19

 

 


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