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Literatur und Zeitkritik

 










Foto: © Roderich Reifenrath

Hin- & Herkunft

Handke, Jugoslawien, Stanišić & kein Ende

Von Wolfram Schütte

 

Selbstverständlich ist der Österreicher Peter Handke ein Literaturnobelpreisträger wie alle andere auch, z.B. der letzte deutsche: Günter Grass. Der Autor der »Blechtrommel« hatte die höchste literarische Auszeichnung der Welt so selbstverständlich »verdient« wie der Autor von »Publikumsbeschimpfung« oder »Mein Jahr in der Niemandsbucht« – obwohl der eine als Nazijunge in den letzten Tagen des 2.Weltkriegs bei der Waffen-SS war (& es bis nach seinem Nobelpreis verschwiegen hatte) & der andere in den Neunziger Jahren während der Jugoslawienkriege gegen den politischen Mainstream des Westens sich politisch auf die Seite der Serben & deren Führer Milosevic öffentlich (& zwar literarisch!) stellte.

Handke, der durch seine Mutter auf slowenische Wurzeln gerne sich berief & den »Vielvölkerstaat« Jugoslawien (zurecht, wie ich finde) schätzte, war über die Einmütigkeit der westlichen Medien & der Nato-Politik empört, die den kriegerisch-nationalistischen Zerfall Jugoslawiens nach Titos Tod  ausschließlich dessen größtem, dominanten Teilstaat zuschrieben. Handke verlangte deshalb »Gerechtigkeit für Serbien«.

Er glaubte dies dadurch begründen zu können, dass er als »Dichter« & »sehender« Reisender in Serbien von »friedlich«-ländlichen Bereichen erzählte, in denen der mörderische Bruder-Krieg nicht gewütet hatte; & als er dann in einem zweiten Buch von einem kurzen Aufenthalt im zerstörten Bosnien berichtete, schrieb er zwar von den sichtbaren Zeugnissen der kriegerischen Zerstörungen, weigerte sich aber, deren Vorfeld & Nachwirkungen zu benennen & berichtete sogar (stolz?) von seinem Treffen mit einem der weltweit bekanntesten, übelsten serbischen Bandenführer, ohne ihn jedoch namentlich zu nennen.

Das Verstörende an Peter Handkes beiden jugoslawischen Reisebüchern war nicht sein öffentliches Verlangen, bei der Betrachtung & Beurteilung des selbstmörderischen Zerfalls Jugoslawiens die (historisch-politische) »Gerechtigkeit« auch »für Serbien« zu verlangen, sondern dass er (wider allen recherchierenden Journalismus, dem er parteiliche Voreingenommenheit attestierte) für sich selbst den überlegenen, vorurteilsfreien, tiefenscharfen Blick auf die reale Welt reklamierte: die (metaphysisch aufgeladene) seherische Fähigkeit des Dichters.

Eine derartige ontologistische Selbst-Nobilitierung ist uns vornehmlich von Hölderlin bekannt. Aber der kommunistische DDR-Autor Stephan Hermlin hat sich (unausgesprochen) sogar auch noch darauf berufen, als er die Zensurbegehren der SED, der er angehörte, öffentlich zurückwies mit »dem Vorrecht der Dichter, vernunftlos zu träumen«. Gegen das »vernunftlose« oder auch »widervernünftige« literarische Träumen von einem einmal gewesenen Jugoslawien, das »ein Bewohner des Elfenbeinturms« (Handke) dem hässlichen politischen Pragmatismus, dem völkischen Nationalismus & dem separatistischen Machtstreben entgegenhält, wäre weder politisch noch ästhetisch etwas Substantielles einzuwenden.

Aber wenn sich ein Schriftsteller selbst auf das Gebiet des Journalismus begibt & als Berichterstatter des vor Ort Gesehenen & Erfahrenen fungiert, müsste er schon etwas zu bieten haben, was den journalistischen Bericht an Wahrheit & Wahrhaftigkeit übertrumpft & ins geistig Überlegene transzendiert.

Sich strikt für geistig blind & ignorant zu halten, indem nur das zu berichten wert, wahr & wirklich sei, was dem »Dichter« im Augenblick seiner lokalen Anwesenheit vor Augen gekommen ist, obwohl ja schon die Reise, ihre Route & Erlebnisse von zahlreichen Imponderabilien abhängt & tangiert ist: darin kann man wohl, wenn man bei Verstand ist, keine »poetische« Überlegenheit des reisenden Dichters erkennen, sondern eher eine existentielle Selbsttäuschung & ungerechtfertigte Selbsterhebung des Autors Peter Handke – wenn man in dieser Anmaßung nicht einen unbewussten oder bewussten Akt der Verdrängung aus Hass auf »die Medien« oder unerwünschte Untaten sehen will.

Der 24jährige Peter Handke hatte bekanntlich 1966 die Tagung der Gruppe47 in Princeton benutzt, um weltweit in literarischen Kreisen Aufmerksamkeit für den österreichischen »Bewohner des Elfenbeinturms« zu erregen. Der Nobody warf den etablierten Kollegen »Beschreibungsimpotenz« vor & formulierte seine zornige Ablehnung der »läppischen« deutschsprachigen Literaturkritik.

Es ist eine bislang gar nicht bemerkte kolossale ironische Pointe, dass die sinnfälligste & brillanteste Widerrede gegen den mittlerweile 77jährigen Nobelpreisträger auf dessen einst provokative Formulierung der »Beschreibungsimpotenz« anspielt. Der kaum halb so alte, noch in Bosnien geborene, aber erst nach der Flucht in Deutschland zum grandiosen Schriftsteller gewordene Saša Stanišić nutzte jetzt ebenfalls die Öffentlichkeit bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises, den er für seinen autobiografischen Roman »Herkunft« erhielt, um seine Zuhörer daran zu erinnern, dass da einer vor ihnen stehe, der »das Glück hatte, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt. »Dass ich hier heute vor Ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichkeit zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat, und die in seine Texte der 90er Jahre hineinreicht Und das ist komisch, finde ich, dass man sich die Wirklichkeit, indem man behauptet, Gerechtigkeit für jemanden zu suchen, so zurechtlegt, dass dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht«.

Stanišić weist mit dem eigenen Leib & Leben (& dem denkerischen Witz des philosophischen Dialektikers) darauf hin, wie wahrnehmungsbeschränkt Handkes vermeintlich seherisches »DichterPriestertum« (Arno Schmidt) de facto war & wie leicht eine Ontologisierung von Poesie im Hinblick auf die empirische Realität des gelebten Lebens »in das Verschweigen so vieler Untaten« (Brecht) umkippen kann.

Artikel online seit 20.10.19
 

Lothar Struck
»Der mit seinem Yugoslawien«

Peter Handke im Spannungsfeld
zwischen Literatur, Medien und Politik

»Als Jugoslawien anfing, mir etwas zu bedeuten, war Tito schon am Verwesen.« (Peter Handke)
Strucks Analyse stellt die bequemen Urteile über Handkes Äußerungen zu Jugoslawien infrage und öffnet so den Weg zu einer Neubewertung. Dabei wird gezeigt, wie Biographie, Sprachkritik und Politik einen Dreiklang bilden, in den Handke seine Stellungnahmen für ein Jugoslawien bettet, das für ihn zu einem Ideal eines möglichen Europa wurde, eines Europa, »wie es sich gehört hätte oder wie es hätte werden können«.

Verlag Ille & Riemer


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