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Peter Trawny, geb. 1964, studierte Philosophie in Bochum und promovierte anschließend an der Universität Wuppertal über Martin Heidegger. Nach der Habilitation lehrte er an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.
Er ist Mitherausgeber der Heidegger-Gesamtausgabe und war insbesondere für die Edition der »Schwarzen Hefte« verantwortlich, welche die Diskussion um Heideggers Antisemitismus neu entfacht haben.

»Kommst du jetzt mit dem Poetischen?«

Peter Handke und ich. Reflexionen über Leseerfahrungen - Extended Version

Von Peter Trawny

Nachdem Bob Dylan den Literaturnobelpreis bekommen hat — also Handke. Ich weiß nicht, ob ich mich an seiner Stelle gefreut hätte, nachdem er zig von Preisen erhalten hat, nachdem er sogar mindestens einen Preis abgelehnt hat — ich weiß nicht, ob da die Freude sein muss, vielleicht hätte er ihn wie Sartre ablehnen können, hätte ich vielleicht gar nicht schlecht gefunden, aber andererseits… Im Übrigen existiert jenes Komittee, das Dylan wählte, nicht mehr. 

Sein erster Roman erschien 1966, »Die Hornissen«, da war ich 2 Jahre alt. Ich habe den Roman nicht sogleich gelesen, sondern so dreißig Jahre gewartet. Vorher aber hatte ich seit meinem 20. Lebensjahr angefangen, regelmäßig Handke zu lesen. Es ist ja nun so, dass Handke seit damals, also seit 53 Jahren beinahe jährlich Bücher veröffentlicht. Ich finde sie nicht alle gut, manches wird bei solcher Produktion gewiss eher schwach. Ich könnte sogar ein wenig enttäuscht sein, weil ich ihm einmal ein Buch und Brief geschickt habe und er nicht antwortete. Ich meine auch, dass er sich das mit den Haltungen zu den Dingen etwas zu einfach macht. Doch welch’ eine Wort- und Seh-Arbeit…

»Jugoslawien« — ich kannte und kenne es nicht. Ich kenne Slowenien, habe Freunde dort, empfehle dieses Land jedem, der ein schönes und freundliches kennenlernen will. Ich habe verfolgt, wie Ljubljana seit dem Ende der Achtzigerjahre sich zu einem slowenischen Salzburg entwickelt hat. Ich kenne aber nicht dieses »Jugoslawien«, das für den Kärntner Handke wohl so wichtig war. Da heißt es einmal:

»Und ich dachte angesichts der Drina und denke nun auch hier an dem Schreibtisch: Hat es meine Generation bei den Kriegen in Jugoslawien nicht verpaßt, erwachsen zu werden? Erwachsen nicht wie die so zahlreichen selbstgerechten, fix-und-fertigen, kastenhaften, meinungsschmiedhaften, irgendwie weltläufigen und dabei doch so kleingeistigen Mitglieder der Väter- und Onkel-Generation, sondern erwachsen, wie? Etwa so: Fest und doch offen, oder durchlässig, oder mit jenem einen Goethe-Wort: ‚Bildsam‘, und als Leitspruch vielleicht desselben deutschen Welt-Meisters Reimpaar ‚Kindlich/Unüberwindlich‘, mit der Variante Kindlich-Überwindlich. Mit dieser Weise Erwachsenseins, dachte ich, Sohn eines Deutschen, ausscheren aus dieser Jahrhundertgeschichte, aus dieser Unheilskette, ausscheren zu einer anderen Geschichte.«

Das steht am Ende von »Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien« von 1996. Meine Freunde aus Slowenien haben mir mehrfach mitgeteilt, dass der früher in Slowenien gern empfangene Handke, der auch schön über das kleine Land schrieb (»Unterwegs ins Neunte Land«) nach seiner »Gerechtigkeits«-Forderung für Serbien sich unbeliebt gemacht hat. Ich kann das verstehen. Und dennoch steht dann da am Ende dieses Textes noch Folgendes:

»Kommst du jetzt mit dem Poetischen? Ja, wenn dieses als das gerade Gegenteil verstanden wird vom Nebulösen. Oder sag statt ‚das Poetische‘ besser das Verbindende, das Umfassende — den Anstoß zum gemeinsamen Erinnern, als der einzigen Versöhnungsmöglichkeit, für die zweite, die gemeinsame Kindheit.«

Ich hatte mir damals schon gedacht: Mein lieber Namensvetter, Du lehnst Dich weit aus dem Fenster, wie das eben so Dichter häufiger tun. Und dann fallen sie heraus und alle zeigen mit dem Finger auf sie. Das geschah damals und geschieht jetzt.

Allerdings klingt das, was ich da zitierte, natürlich nicht nach bloßem Feuereifer für Massenmörder, nach Brutalität oder auch nur nach Einseitigkeit. »Jugoslawien« — das hat irgendetwas mit Handke gemacht. Das hat er zu diesem Zeitpunkt sich wohl nicht aus dem Kopf schlagen können, nicht von der Seele schreiben können, sondern da hat er festhalten wollen. Und das hat er dann mit Serbien verwechselt. Und da hat er dann »mit dem Poetischen kommen wollen«.

Dabei muss man wohl das Wort »Versöhnungsmöglichkeit« betonen. Denn vielleicht ist das »Poetische« ja gar nichts anderes, als »Versöhnungsmöglichkeit«: »Versöhnung ist mitten im Streit und alles Getrennte findet sich wieder.«, heißt es bei Hölderlin. Hatte Handke also damals vielmehr an Frieden — und nicht an Krieg — gedacht? Das »Poetische« kann gar nichts anderes sein als die reine Entstehung des Friedens in einem Krieg, der übrigens weit übers Militärische hinausgeht.     

Jetzt erheben sich aus den verschiedenen Kampfzonen des Seins Stimmen, die an Handkes moralisch-politischer Integrität zweifeln, ja eigentlich nicht zweifeln, sondern sich sicher sind, dass es sich um einen Unmenschen handelt. Ich weiß nicht, ob es ihnen nur um den Nobelpreis geht oder nicht doch darum, den Dichter eben in die Unmenschen-Ecke zu stellen. Obwohl ich Handkes »Jugoslawien«-Traum (denn vermutlich war das reale Jugoslawien auch noch anders…) nicht nachvollziehen kann, denke ich, dass das — ungerecht und ungerechtfertigt ist.

Ich lebe so mein Leben und weiß, mit welcher Indifferenz ich mich zu erhalten versuche. Ich möchte das nicht sein, schaffe es aber nicht, mich wirklich für den Anderen (im Sinne des großen Lévinas) zu entscheiden. Beim Moralisch-Politischen sollte ich mich mit meiner Indolenz, meinem Opportunismus beschäftigen. Zudem: Habe ich auch nur einen einzigen Text so hinbekommen, wie der Handke eben zig geschrieben hat? Habe ich mich jemals so riskiert — als Schreibender? Habe ich es geschafft, über Jahrzehnte Leser zu faszinieren — nicht mit Schund, sondern mit »Poetischem«? Schließlich verbeuge ich mich vor dem, der immer noch — immer noch — mit dem Poetischen kommen will.

Artikel online seit 19.10.19

 


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