Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

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Lisa Eckhart und der Hohe Spatz von St. Pauli

Oder vom weltanschaulichen Wachschutz

Von Lars Hartmann

Was in der legendären HBO-Serie »Game of Thrones« durch die Figur des Hohen Spatz gezeichnet ist, hat sein Vorbild in der Realität: Es stehen dafür Begriffe wie Cancel Culture und Political Correctness, die von den US-amerikanischen Universitäten aus nach Deutschland gelangten, um das Vorgehen einer repressiven bzw. identitätspolitischen Linken zu bezeichnen, die abweichende und nicht genehme Sichtweisen mundtot macht. Und wie so häufig der Fall, gehen sie aus einer Bewegung hervor, die einst etwas Gutes wollte, nämlich reale Diskriminierungen abzubauen und auch solchen Leuten eine Stimme zu geben, die sie bisher nicht hatten. Zwar ist die Situation an US-amerikanischen Universitäten zum Glück nicht mit der an deutschen Universitäten vergleichbar, und insofern sind die Diskriminierungsszenarien nicht übertragbar, aber dennoch zieht mehr und mehr ein unheilvolles Klima der Verdächtigungen auf. Manchmal reicht ein vermeintlich falscher Satz aus, um eine Person zu bezichtigen, gesellschaftlich unmöglich zu machen, ins Abseits zu bugsieren oder ein Narrativ zu erzeugen, so daß mit dem Namen dieser Person nichts Gutes verbunden ist. Und dies ohne hinreichende Argumente in der Sache, sondern einfach auf Verdacht hin: sei es ein Gedicht an der Wand, wo bereits der Eindruck ausreicht, es könne irgendwie sexistisch sein, ein Kinderbuchautor, wo ein schwarzer Junge und ein Lokführer vorkommen, oder eine Kabarettistin, deren komplexes Programm man nicht recht zu erfassen vermag, und so nimmt man eine Rede eben eins-zu-eins und unmittelbar.

Inzwischen ist aus diesem einmal sinnvollen Ansatz, Diskriminierung zu bekämpfen, ein Hobby geworden, um unliebsame Ansichten loszuwerden: es nennt sich Denunziation oder wenn man es ein wenig akademischer einkleiden will: Hermeneutik des Verdachts. Ohne hinreichendes Argument, auf ein bloßes Insinuieren hin, wird nicht etwa eine andere Sicht kritisiert, sondern von vornherein ausgeschlossen. Immer schön mit dem Hinweis, daß Rassismus keine Meinung sei. Manche möchten Cancel Culture und Political Correctness als irreal abtun, ausgedacht und als Kampfbegriff einer Rechten eingesetzt – was schon aus dem Grunde falsch ist, weil nicht nur Neurechte, sondern ganz unterschiedliche Schichten der Gesellschaft diesen Begriff verwenden, um eine bestimmte intolerante Form des Denkens auf den Begriff zu bringen. Andere wiederum tun so, als wären da ein paar wenige Beispiele, auf denen sich diese Annahme von Cancel Culture gründete: aber auch das stimmt nicht. Die Beispiele im Feld von Kunst und Kultur, wo Auftritte abgesagt, Bücher am besten umgeschrieben oder vom Ladentisch sollen, Denkmäler zerstört, Straßennamen gestrichen, Lesungen unterbunden und Vorlesungen von Identitätslinken niedergeschrien werden, sind inzwischen Usus und könnten einen Blogartikel ausfüllen: all die Orte, wo in Museen Bilder blockiert, freies Reden und Denken behindert und wo selbst im kleinsten Bereich an Kunsthochschulen zu Abschlußausstellungen eine unliebsame Künstlerin angegangen und ihr Bild beschädigt wird, ohne daß die Rektorin dieser Hochschule in Berlin irgend etwas unternimmt, um das zu unterbinden. Am Ende ist es die Künstlerin, die keinen Lehrauftrag erhält, nicht aber werden jene Studentinnen und Studenten der Universität verwiesen, die solche Denunziationen inszenieren. Das Narrativ »Einzelfall«, das von einer bestimmten Literaturwissenschaftler-Bubble auf Twitter und auch sonst von den Identitätslinken im Internet bemüht wird, um solche Tendenz herunterzuspielen, ist schlicht eine Lüge oder aber es soll die Öffentlichkeit täuschen.

Solches Vorgehen des Bezichtigens gab es in Deutschland (und nicht nur dort) allerdings bereits lange schon: mit dem Beginn linker Bewegungen. Es nennt sich Ideologiekritik. Davon existieren zwei Varianten – Zwischentöne seien außen vor gelassen. Einmal eine kluge Form, die jene hinter den Dingen, den Diskursen und den sozialen Szenarien verborgenen Mechanismen zutage fördert, frei nach Marx, daß das, was uns in der Gesellschaft als eine Naturform erscheint, ein gesellschaftlich Gemachtes ist: Diskursanalyse sagen manche auch dazu oder eben Kritik – auch vom griechischen Wortstamm genommen: unterscheiden. Und wie es mit klugen Sachen ist, die in die Hände von Dummköpfen und Tölpeln fallen, wird aus dem guten Sinn schlechter Sinn. Und es entsteht jene vulgäre Dummvariante der Ideologiekritik, die hinter einer Aussage einen tieferen und verborgenen Sinn wittert, der auf Rassismus, Misogynie oder überhaupt einer reaktionären Gesinnung beruht, die man dem Sprecher dann unterjubelt. Und so kann man bequem mögliche Konkurrenten, anderen Gesinnungen, anderen Meinungen das Wort abwürgen und man kann das praktisch genommen bis zum kulturrevolutionären Furor treiben, indem man mit der bürgerlichen Gesellschaft mal grundsätzlich aufräumt. Man selbst ist schließlich im Begriff der Wahrheit, der andere ist es nicht, denn Rassismus  ist keine Meinung und Bourgeois eine klassenverderbliche Haltung.

Jene Linke wird ihre alten Onkel Stalin und Mao nicht los – zum Glück freilich geschieht all das in einer abgeminderten Form. Niemand muß ins Lager: es reicht der Verdacht, um sozial zu ächten, und treffen kann es jeden – auch das gehört zum Spiel dazu: »Auch du kannst der nächste sein. Paß also auf, was du sagst!« Im Sinne der Psychoanalyse und der Lesart von Paul Ricoeur in seinem Buch zu Freud entsteht jene »Hermeneutik des Verdachts«: man sucht eine Sache so lange nach Symptomen ab, bis der Rechercheur einen entsprechenden Umstand findet. Der Verdacht bestätigt sich post festum. Der Ankläger hat immer recht. Foucault beschrieb in seinem Aufsatz »Nietzsche, Freud, Marx« in den Dits et Ecrits I dieses Phänomen derart:

»dass die Sprache nicht genau das sagt, was sie sagt. Der erfasste, manifeste Sinn ist möglicherweise nur ein Sinn minderer Art, der einen anderen Sinn schützt, zurückhält und dennoch übermittelt, wobei dieser Sinn der stärkere und‚ darunterliegende Sinn ist.«

Und solche ursprünglich einmal sinnvolle Genealogie und Analyse (im Sinne einer Aufklärung und als Kritik, um Strukturen freizulegen, freilich immer unter der Maßgabe der Sache bzw. des Textes) wird dann in seiner pervertierten und herabgedämmerten Form dazu in den Dienst genommen, um nicht nur Irrlehren ausfindig zu machen, sondern zugleich auch bestimmte unliebsame Personen gesellschaftlich zu isolieren. Und wer gibt sich schon gerne mit Rassisten, Antisemiten, Misogynen ab? Politische Sauberkeitserziehung und ein neuer autoritärer Charakter identitätslinker Provenienz.

In »Game of Thrones« sind die Spatzen eine religiöse Bewegung mit fanatischen Zügen. Teils aggressiv und teils mit Gewalt gehen ihre Jünger gegen Andersdenkende oder ganz einfach nur gegen politisch Unliebsame vor. Angeführt werden sie von Septon, der als Hoher Spatz bezeichnet wird. Sie predigen die Armut, sie sind Bilderstürmer, sie überwachen die reine Lehre. Heute heißen sie identitätspolitische oder aber auch neocalvinistische Linke. Und wie auch die Spatzen, die die Armut in Westeros bekämpfen wollten, die nach dem endlosen Krieg dort herrschte, gingen sie aus einem eigentlich guten Ansatz hervor. Aus Weltrettung oder Revolution aber wird Tugendterror, und eines dieser Erpressungswörter heute heißt Antifaschismus.

Wir kennen diesen Tugendterror von Robbespieres Rede »Über die Prinzipien der politischen Moral«, gehalten am 5. Februar 1794 vor dem Konvent:

»Wenn die Triebkraft der Volksregierung in Friedenszeiten die Tugend ist, so ist die Triebkraft der Volksregierung in Zeiten der Revolution zugleich Tugend und Terror: die Tugend, ohne die der Terror unheilvoll ist, der Terror, ohne den die Tugend machtlos ist. Der Terror ist nichts anderes als die schlagfertige, unerbittliche, unbeugsame Gerechtigkeit, er ist somit eine Emanation der Tugend; er ist weniger ein besonderes Prinzip, als ein Postulat des allgemeinen Prinzips der Demokratie, das auf die dringlichsten Anliegen des Vaterlandes angewendet wird.« (Maximilian Robespierre)

Für die vermeintlich gute Sache ist die böse Tat dann gerade recht und billig. Das Manko eben jeder Revolution, auch der vermeintlich gerechten. Philosophisch genommen impliziert das die Frage nach der Gewalt.

Aber so weit will ich im Rahmen der politischen Philosophie und in diesem Kontext der Cancel Culture nicht ausgreifen, und zum Glück haben die Gesinnungswächter der besseren Welt heute noch nicht hinreichend reale Macht, auch wenn sie gesellschaftlich in Medien wie Zeit-Online, taz oder teils in Deutschlandfunk Kultur bereits hinreichend vertreten sind und den sozialen Support von dort erhalten. Manche Journalisten wollen keine Journalisten mehr sein, sondern gute Allys. Oder wie der Leiter und Moderator des Monitor-Magazins Georg Restle es einmal schrieb: Ein Journalist müsse Haltung haben. Leider meinte er damit nicht die Haltung, eine Sache angemessen darzustellen, auch in ihrem Diffizilen, sondern eine politische Haltung: fürs sogenannte Gute einzutreten. Auch hier wieder instrumentalisiert man den Kampf gegen rechts als Antifaschismus und als Eintreten für die eigene politische Agenda.

In Hamburg nun sollte die Satirikerin und Kabarettistin Lisa Eckhart im Nochtspeicher auf St. Pauli lesen. Es ging um den mit 10.000 Euro dotierten Klaus-Michael Kühne-Preis, der für das beste deutschsprachige Romandebüt des Jahres vergeben wird. Eckhart macht nicht nur ein bitterböses Kabarett, das sich politisch in kein Schwarz/weiß-Schema des Volker-Pispers-Humors zwingen läßt, sondern sie ist mit ihrem Debüt Roman »Omama« (am 17. August bei Zsolnay erscheinend) zugleich Autorin. Eine berechtigte Einladung also, unabhängig von ihrem Kabarett, und sie wurde immerhin für dieses Debüt von einer Jury ausgewählt, um zu lesen.

Zunächst lautete die Nachricht, Lisa Eckharts Auftritt wäre abgesagt worden, weil es Drohungen aus der Linksautonomen St. Pauli-Szene gebe, die Veranstaltung zu stören, dann hieß es, daß einige der Autoren nicht zusammen mit Lisa Eckhart lesen wollten. Auch eine Weise, sich eine lästigen Konkurrentin vom Hals zu schaffen. Es geht immerhin um 10.000 Euro Preisgeld, da fallen die Hemmungen. Um mal das Spiel dieser Leute ein wenig zurückzuspiegeln und mit der Hermeneutik des Verdachts und einer sozusagen monetären Psychoanalyse aufzuwarten. Wenigsten offen immerhin hetzt auf Twitter die Autorin Olga Grjasnowa gegen Lisa Eckhart.

In der Presserklärung des Nochtspeichers heißt es dann:

»Seit 2016 ist das »Deplatforming« bekanntlich fortgeschritten und die Atmosphäre aggressiver geworden. Angesichts der Erfahrung mit der Martenstein-Lesung und nach besorgten Warnungen aus der Nachbarschaft (nicht, wie inzwischen kolportiert, »Drohungen«) waren wir uns sicher, daß die Lesung mit Lisa Eckhart gesprengt werden würde, und zwar möglicherweise unter Gefährdung der Beteiligten, Literaten wie Publikum.«

Das ganze macht die Sache freilich nur noch viel schlimmer, wie in vorauseilendem Gehorsam bereits auf den bloßen Verdacht hin gecancelt wird. Ganz unbegründet ist der Verdacht freilich nicht wenn man an die Martensteinlesung dort im Nochtspeicher denkt, wo es genau diesen Linkskrawall der Gesinnungswächter gab. Auch diese Gewaltdrohkulisse zeigt, wo die Probleme liegen: schon die Möglichkeit, daß Linksextremisten Rabatz machen, führt dazu, daß Lesungen nicht stattfinden. Berichte von Anwohnern sind nun schon der Maßstab, um eine Lesung abzusagen. Darin liegt der Skandal und eben in der Informationspolitik der Betreiber des Nochtspeichers – wobei man da freilich noch genauer die Hintergründe recherchieren und wissen muß, und es stellt sich mir zugleich die Frage, inwieweit vielleicht auch einige der nominierten Autoren Druck machten, um die Lesung mit Eckhart zu verhindern. Man ist gerne unter sich und Pluralität und »Gegen den Haß« gilt lediglich für die eigene Sichtweise. Aus schönbunt wird dann freilich farblosgrau.

Manche machten nun die Journalisten verantwortlich und taten all das als ein Problem der Darstellung ab, die sich vorauseilend ereifere, um einen Skandal zu erzeugen, dazu mit dem malizösen Hinweis, bzw. der Täter-Opfer-Umkehr, daß ja nun Lisa Eckhart genug Publicity hätte. Aber diese Journalistenschelte ist falsch. Denn Journalisten können nur das berichten, was sie wissen, und wenn dies das Statement ist, so muß es eine Zeitung auch so berichten, und bei der Relevanz solcher Nachrichten und der Mittelknappheit im Journalismus schickt man ob solcher Tickermeldung in der Regel kein Rechercheteam vor Ort. Diese Angelegenheit als Problem des Journalismus zu sehen, greift insofern zu kurz, weil hier Ursache und Wirkung vertauscht werden sollen. Der Skandal liegt immer noch in der Ausladung von Lisa Eckhart und das Goutieren desselben durch die, wie Götz Aly es heute in der »Berliner Zeitung« zu Recht nennt »politisch korrekt beschränkte Schwarmdummheit« des »weltanschaulichen Wachschutzes«.

Und damit sind auch jene Autoren im Spiel, die feige, anonym und aus der Deckung heraus ohne ihren Namen zu nennen, nicht mit Eckhart zusammen auftreten wollen. Was für harte antifaschistische Helden! Es geht nichts über eine Haltung und über Menschen, die für eine Sichtweise auch mit ihrem Namen einstehen können.

Nicht einmal dieses Minimum an Tugend ist da noch vorhanden. Erbärmliche Waschlappen! Vor allem hätten diese Autoren-Denunzianten Haltung zeigen und dann mit einer Protestnote namentlich absagen können. Aber das mögliche Preisgeld nimmt man gerne mit und Haltung ist genau dann gut, wenn sie nichts kostet, für lau, nicht einmal den Namen mehr. Wem aber bei einem Wettbewerb ein Teilnehmer oder ein Konkurrent nicht gefällt, der sagt ab und verzichtet auf den Preis und seine Teilnahme. So einfach ist das. Zwar ist dies ein wenig lächerlich, andere Sichtweisen nicht aushalten zu können, aber das muß jeder selbst wissen. Haltung erfordert eine gewisse Konsequenz und auch einen Arsch der Hose. Aber man man hat es gerne bequem. Statt dessen schwärzt und scheißt man Lisa Eckhart an. Haben sich eigentlich die anderen Autoren des Habour- Literaturfestivals mit Lisa Eckhart irgendwie solidarisiert, hat sich irgendeiner der Autoren – Christian Baron, Dominik Barta, Verena Keßler, Daniel Mellem, Benjamin Quaderer, Janna Steenfatt, Sebastian Stuertz – die ebenfalls für den Literaturpreis nominiert sind, solidarisiert? Ein einziger ist mir bisher bekannt, der seine Teilnahme bei diesem Harbour-Festival abgesagt hat, und der stammt nicht aus der Riege der Nominierten: Sascha Reh nämlich. Er schreibt auf Facebook einen offenen Brief:

Sehr geehrte/r Petra Bamberger, Nikolaus Hansen und Heinz Lehmann,
ich ziehe hiermit meine Zusage für meine Lesung beim diesjährigen Harbourfront-Festival zurück. Ich sehe mich außerstande, bei einer Veranstaltung zu lesen, die sich nicht unmissverständlich hinter das Recht auf Freiheit in Kunst und Rede stellt – auch dann, wenn mit Krawall zu rechnen ist.
Frau Eckhardt hat vor zwei Jahren ein Kabarettprogramm aufgeführt, über das man verschiedener Meinung sein kann, aber so ist das eben mit Kabarettprogrammen. Dass Ihre linke Nachbarschaft aus irrigen Gründen daran Anstoß nimmt, zeugt nur von ihrer angestrengten Suche nach Feindbildern und ihrer bisweilen arg verengten Weltsicht; so groß meine Sympathien für viele ihrer Anliegen ist, so sehr missfällt mir diese Kurzsichtigkeit in diesem Fall. Doppelt unrecht hat die Linke, weil es bei Eckhardts geplantem Auftritt nicht einmal um ihr in keiner Weise antisemitisches Programm von vor zwei Jahren, sondern um ihren Debütroman geht, den die betreffenden ProtestlerInnen ebensowenig kennen dürften wie ich. Die Ankündigung, die Veranstaltung zu sprengen, entbehrt also jeder Rechtfertigung.
Ebensowenig finde ich es nun gerechtfertigt, vor dieser Androhung einzuknicken und als Veranstalter damit zu signalisieren, irgendetwas an der Kritik der Linken sei legitim. Dies diskreditiert die Künstlerin, und man muss in diesen hypersensiblen Zeiten wohl auch sagen: die Kunst.
Da auch ich mit meinem neuen Text ebenfalls an der polical correctness kratze, fühle ich mich von Ihrer Hasenfüßigkeit mitbetroffen. Ich bedaure, mich für eine Absage entscheiden zu müssen, denn ich hatte mich sehr auf die Lesung bei Ihnen gefreut. Schade, dass Sie nicht mehr Mut gehabt haben.
Herzliche Grüße
Sascha Reh

Chapeau und Respekt! Solches ist heute selten. Man kann es auch derart wie der Politologe Claus Leggewie auf den Punkt bringen:

»Vieles was jetzt passiert, passiert auf der Basis blanker Gerüchte. Das ist die Entmündigung eines mitdenkenden und womöglich kritischen Publikums – und zwar im Schutz der Anonymität«.

Randalieren auf Verdacht nennt Leggewie dies, und diese Beschreibung trifft es ziemlich genau.

Gerne wird gegen Lisa Eckhart der Satz gebracht »Kabarett sollte nach oben treten, nicht nach unten, …« Und genau das tut Lisa Eckhart. Sie greift jenen selbstgefälligen linken Mainstream an: jene Denkfaulen und Einsortierer, jenen Oliver Welke-Humor. Und sie weist auf eine Linke, deren Humor inzwischen auf dem Niveau von Leo Fischer liegt. Vor allem aber läßt ihr Kabarett auch die neue Rechte und ihre Denkmuster nicht ungeschoren. Daß Satire drastisch sein kann und daß sie nicht schont, zeigte damals die Crew der Titanic in den frühen 1980er Jahren bis hin zu den frühen 1990ern. Und auch Martin Sonneborn als Chefredakteur von Titanic machte genau das. Heute gibt es dafür einen Kreischalarm. Sonneborn in einem Interview der BLZ vom 8./9. August:

»Aber auch bei mir melden sich unbedarfte 17-Jährige, die sich über alte Aktionen beschweren. Vor zehn Jahren hatten wir ein Wahlplakat. Ich hatte mich schwarz angemalt und plakatiert: ‚Ich bin ein Obama‘. Das war kurz nach Obamas Besuch und der hysterischen Verehrung, die die Berliner diesem – zumindest nicht unproblematischen – Politiker entgegengebracht haben. Ich wollte das persiflieren. Ein US-Journalist hat mich danach nachts angerufen und gefragt, ob das nicht rassistisch sei. Ich sagte: »Das ist kein Rassismus, das ist Schuhcreme.
[…]
Wenn man jeder möglichen Kritik Rechnung trägt, dann dürfte man frei nach Robert Gernhardt nur noch Witze machen über Wüsten und unentdeckte Planeten. In jedem anderen Fall könnte man Betroffene kränken.«

Man kann gar nicht genug diese Arschkriecherlinke auslachen. Synonym für Wokeness? Arschkriecher. Eine Identitätslinke, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Zum Glück aber gibt es das Kabarett von Lisa Eckhart, um diese Saturiertheit – auch in die andere Richtung übrigens – zu destruieren. Und zusammenstehen sollten heute alle jene demokratischen Kräfte, die für eine liberale Gesellschaft einstehen, die die Freiheit des Wortes sichert.

Es gab einmal eine Zeit, da traten Linke für Freiheit der Kunst und die Freiheit der Meinungen ein, auch die Freiheit unliebsamer Meinungen. Heute hat ein Großteil der Linken das Niveau des Bayernkurier erreicht. Inzwischen hoffe ich, daß auf St. Pauli die Gentrifizierung diese Sache regelt.

Artikel online seit 11.08.20
 

 

 


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