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»Herzlich-herzöffnend ernst…«

Fabjan Hafners »Erste und letzte Gedichte«

Von Lothar Struck
 

Als ich Fabjan Hafner das erste Mal persönlich begegnet bin, auf einem Handke-Symposium 2012 im Jelinek-Geburtsort Mürzzuschlag, kannte ich keines seiner Gedichte. Er war mir als Kärntner Slowene und vor allem als Handke-Kenner bekannt. Seine Monographie "Peter Handke – Unterwegs ins Neunte Land" war sehr erhellend, weil er sich mit Handkes Affinität zum Slawentum und seinem hieraus sich ableitenden Jugoslawien-Engagement auseinandergesetzt hatte. Hafner hatte verstanden, dass Handkes Geh-Land Slowenien nicht das Slowenien der slowenisch sprechenden Intellektuellen war, die in den 1990er Jahren zahlreich die Abspaltung von Jugoslawien begrüßten. Hafners Buch war die erste ausführliche Schrift, die Handkes Jugoslawien-Texte schlüssig autobiographisch deutete und es als "Lebensthema" des Schriftstellers erkannte. (Und wenn man ehrlich ist, gibt es danach nicht mehr sehr viel ähnlich Kenntnisreiches zu diesem Thema.) Ich hatte es vier Jahre zuvor gelesen und im Blog ausführlich besprochen. Keck wie ich war, schickte ich ihm einen Link und er kommentierte dort meine Einwände.

Ob er sich 2012 an mich erinnerte? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht mehr. Aber da standen wir jetzt vor dem Tresen zur abendlichen Stunde und warteten auf eine Lesung. Ich stellte mich vor und er zückte nach einigen freundlichen Worten seine Geldbörse, um mich zu einem Glas Wein einzuladen. Ich wies ihn darauf hin, dass für Teilnehmer des Symposiums die Getränke frei sind. Am nächsten Tag sollte ich meinen Vortrag halten; eine Premiere für mich vor all den Handke-Experten. Wie wohl mein Text ankommt? Niemand kannte ihn. Er lächelte meine Bedenken weg. "Freuen Sie sich gefälligst", rief er mir prostend ein Wort Handkes zitierend zu. Sprudelnd seine Eloquenz, ein brillanter Kopf, charmant und dennoch bestimmt. Der Klang seiner Stimme bisweilen an Klaus-Maria Brandauer erinnernd. Die Gespräche mit ihm waren vergnüglich und erkenntnisreich. Jahre später fragte ich ihn zu meiner kleinen Erzählung. Sein Urteil war freundlich, er benannte deutlich meine Fehler, aber ermunterte mich auch. Ich bat ihn, mir einige Gedichte zu schicken. Und da lernte ich Fabjan Hafner erst richtig kennen.

Nicht, dass er seine literaturwissenschaftlichen Arbeiten und das Übersetzen nicht gemocht habe, aber er habe sich immer als Dichter gesehen, sagte man mir vor ein paar Jahren in Klagenfurt. Hatte man das seinerzeit nicht genügend wahrgenommen? So, wie man vielleicht Lyrik immer ein bisschen an den Rand stellt? Überall war und ist bis heute noch die Trauer zu spüren. Und sie kommt bei mir wieder, wenn ich dieses Buch mit seinen "ersten und letzten Gedichten" in den Händen halte.

Hafners lyrisches Œuvre ist neben etlichen Veröffentlichungen in Zeitschriften hauptsächlich auf drei Bücher verteilt: "Indigo", Drava-Verlag (1988), "Gelichter + Lichtes", Droschl (1991) und "Freisprechanlage, Brezročno govorjenje, Vivavoce", Drava (2001). "Erste und letzte Gedichte" versammelt nun bisher unübersetzte Lyrik Hafners zwischen 1982 und 1987 und von 2008 bis 2016. Er schrieb in slowenischer Sprache und übersetzte seine Gedichte selber ins Deutsche. Für den neuen Band hat dies Peter Handke übernommen, der auch das Vorwort verfasste. Das Nachwort hat der Literaturwissenschaftler Dominik Srienc übernommen. Als eine Art Epitaph ist ein Gedicht von Gustav Januš, abgedruckt, Fabjan Hafner gewidmet.

Hafner wurde 1966 geboren. Sein Vater war Schneider und Lehrer, seine Mutter Schneiderin. Er wächst zweisprachig auf, studiert. Früh beginnt er Gedichte zu schreiben und zu publizieren. Mit 17 Jahren ist er schon Mitherausgeber einer Anthologie. Wenn man die "ersten Gedichte" nun liest, ist man verblüfft über diese Kraft, aber auch die fast immer durchschimmernde existentialistisch angehauchte Melancholie (die natürlich in Anbetracht von Hafners "Ausderweltscheiden" [Peter Handke] auch schnell als Vorbote von Schwermut erkannt werden könnte).

                                      *  * *

Nicht immer wählt Hafner in seinen Gedichten das "Ich". In der Strophe

Wirst am Ende
sterben
vor Durst
im Regen

im Gedicht Du lebst besinnungslos zeigt sich schon früh das immer wieder aufgegriffene Paradoxon des Fremdseins im eigenen Leben und die ambivalente Mischung aus Lebenslust und Dunkelheit.

Dem Gedicht Ich werde mir das Schreiben verbieten ist als Motto vorangestellt:

Für eine halbe Stunde
verdichtet die
Dämmerung
sich zu Finsternis.

Hafner fängt diese Stimmung im Gedicht ein. Es endet:

Bin Larve, herausgeschält aus einer Larve. Bin mein Sohn,
Frucht des Rebstocks und des Winters, bitter und süß zugleich.
Habe mir nichts zu heißen. –
Wer wünschte nicht, zu sterben …… auf dem Gipfel des Lebens?

Elegisches wechselt mit Hoffnungsvollem. In Morgen – Frühling wird die Natur zur Retterin vor der "finsteren" Zukunft:

Frühlingsmorgen
Der Bauer geht übers Feld
Goldsaat wird anvertraut der Erde
Die Pflanze fängt die
Kraft der Sonne ein
und verwahrt sie
in sich
für unser Brot
im finstern Winter

Der Regen ist diesmal nicht der schlechte Bote:

Die Luft bringt Duft
junger Blüten
Die Auen haben gegrünt
nach dem warmen Regen
und der sanften Sonne
Die Seele offen
in der Natur
wie neugeboren
 

Hier ist die Seele offen und es gibt ein versöhnliches Ende. Bisweilen schlägt aber auch mitten im Gedicht die bukolische Stimmung um. So heisst es in Mittag – Sommer nach

Gesundend
sitze ich im milden Glanz
des nahenden Morgens
und spüre
daß ich wachse

Plötzlich:

Was anhält
wird sterben
was sich entfaltet
lebt

Entfaltung, Ausbreitung als Ziel, als Mittel für die Zuversicht des Lebens. Ansonsten das Geständnis: Grauen frißt mich.

Welche Vitalität  des 16 bis 20jährigen Fabjan Hafner. War er nicht einst auch ein bisschen das "Wunderkind"? Schon 1982 dichtet er von den verlorenen Erwartungen der Kindertage:

Schmucke Bilder
wundersame Stimmen
Burgen auf Bergeshöhen

All das
hab' ich verloren
mit dem Heranwachsen:

Und was hab' ich dazugewonnen?
Und was ist mir geblieben?

Peter Handke findet in seinem Vorwort den Begriff des "Zungenredens" (eine Art lyrischer Écriture automatique, welches Heranwachsenden sozusagen geschieht). Er schreibt von Arthur Rimbaud – um dann schnell diese Parallele zu verwerfen und Hafners Gedichte als einzigartig zu beschreiben: "Diese Gedichte da sind ernst; der Mensch, der sich darin äußert, das Ich, welches da, eher tonlos, spricht, stockend zugleich sind wendend, jetzt an mich, jetzt an dich, ist herzlich-herzöffnend ernst, von Alpha bis Omega jugendlich ernst – kindlich ernst – fabjanhafnerisch ernst."  Wunderbar, wie Handke den Bogen vom Suchenden, Flehenden zum zeitweilig sich als Glückskind empfindenden F. H. spannt, erzählt, nachbildet und somit diese Gedichte jenseits aller lyrischen Genres begreifbar macht.

Und dann liest man die "letzten Gedichte" (es sind einige wenige nur), zum Beispiel von diesem Hymnus des

Allerwelttag[s]
Zum Vor-Sonntag,
durchsiebt von einer Ahnung

naher und dauerhaft
künftiger Helligkeit

                                    
*  * *

Dominik Srienc weist auf Hafners "ambivalentes Verhältnis" zur Zweisprachigkeit slowenisch/deutsch hin. Er sah sich als österreichischer Dichter, der slowenisch schreibt. Aber nicht nur in Ljubljana  kann man die Entfremdung Hafners aus dieser Nischenrolle herauslesen: ich bin ein Fremdkörper in dir heißt es in dem Gedicht und weiter:  

Jonas Wal bist du, weißes Wahnbild, das ich
ein jedesmal wieder, in Hast und Lust,
zurückübersetze in die sichere, die sachliche Welt

um dann im letzten Satz zu bekennen:

Bin inmitten von dir bestens bei mir

In Viertes Gebot mäandert der Dichter zwischen Mutterland- und Vaterlandsuchen, das Erschauen des Neunten Landes (beziehungsweise die Sehnsucht danach), das Mutterland, ein anziehendes, einladendes, honigreiches, hingegen das Vaterland,  bleinernes Erbe. Hin- und hergerissen. (Gerne hätte man gewusst, ob das zu Lebzeiten publizierte Gedicht "Das vierte Gebot" ein Vor- oder Nachwurf zu diesem Gedicht war.)

Ja, Fabjan Hafner war auch ein politischer Mensch. Und ein Kenner des Kärntner Widerstands während des Zweiten Weltkriegs. Er war Seismograph für die Diskriminierungen der Kärntner Slowenen im Nachkriegsösterreich bis hin zu den zeitgenössischen FPÖ-Schmähungen. Freilich ohne in Agitprop-Lyrik zu verfallen. Glücklicherweise.

Sriencs Befund, dass die Gedichte für Hafner "Selbstvergewisserung und Vergegenwärtigung zugleich" waren, wird nach der Lektüre deutlich. Gerade hieraus entsteht beim Lesen diese seltsame Spannung, die einem nicht mehr loslässt und große Lust macht, auch die anderen Gedichte zu lesen. Vielleicht ist es ja irgendwann möglich, das Werk zu bündeln, in einem großen Band.

Es gäbe noch viel zu sagen, zu vermuten, zu deuten. Aber der Idiot sollte nun schweigen. Das Publikum ist nur noch zu bitten (oder aufzufordern?), diese Gedichte zu lesen, sich in diesen Kosmos zu begeben.
Jetzt? Ja. Vielleicht gerade jetzt. 

Die kursiv gesetzten Passagen sind von Fabjan Hafner aus dem besprochenen Buch.


Artikel online seit 01.04.20
 

Fabjan Hafner
Erste und letzte Gedichte
Bibliothek Suhrkamp 1513
119 Seiten
20,00 €
978-3-518-22513-4

Leseprobe

 

 


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