Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

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Der Empathiker

Warum Navid Kermani  ausgewählte seiner Reden gesammelt hat.

Von Wolfram Schütte
 

Ist es nicht verwunderlich, dass keine der großen deutschen Printmedien das jüngste Buch Navid Kermanis, das Ende letzten Jahres erschienen ist, rezensiert oder einer substantiellen Kritik für würdig befunden hat? Kermanis »Morgen ist da« besteht aus einer Sammlung von Reden, die der 1967 in Siegen geborene Autor zwischen 1999 & 2019 an verschiedenen Orten Deutschland & zu unterschiedlichen Anlässen gehalten hat.

Nie zuvor ist dem Schriftsteller Kermani, dessen Eltern noch unter dem Schahregime 1959 aus dem persischen Isfahan ins bundesdeutsche Exil geflüchtet waren, ein solches Schweigen tonangebender Medien entgegengeschlagen - seit er doch mit jedem seiner Romane, Essays, Reportagen & Aufsehen erregenden öffentlichen Reden als einer der außergewöhnlichsten deutschsprachigen Schriftsteller der Gegenwart von der Kritik wahrgenommen, wenn nicht sogar regelmäßig gefeiert wurde.

Was ist passiert? Hat dieser glänzende Stilist sich thematisch vergriffen? Hat er die Zeitungskritiker so beleidigt, dass sie ihn mit ihrem demonstrativen Schweigen nun geantwortet haben?  Ist das einst öffentliche Ansehen des eloquenten Autors auf ein Minimum zusammengeschmolzen, obwohl ihn tollkühne Verehrer doch bereits als Wunsch-Kandidaten nach dem Rücktritt von Bundespräsident Wulff gehandelt hatten?

Denn die pure Tatsache, dass mehrere dieser Reden – wie die zum 65.Jahrestag des Grundgesetzes im Bundestag (2014) oder jene zum Friedenspreis in der Paulskirche 2015 – bundesweit bekannt & publiziert waren, kann kein Grund sein, nun bei der Wiedervorlage im Kreis anderer über das ebenso umfangreiche wie multithematische Buch hinweg zu sehen – als handele sei sich um ein Nebenwerk, das ein quantité négligeable sei. (Dabei gehört Kermani der Redner so zentral zu seinem Werk & seiner Person wie z.B. Kermani der Reporter!)

Ich erlaube mir die Spekulation, dass der deutschen literaturkritischen Kollegenschaft die ausgreifende & grenzüberschreitende Produktivität & die unbefleckte Karriere des habilitierten Orientalisten in unserer bürgerlichen laizistischen Gesellschaft schlichtweg über die Hutschnur geht. Mit seiner rhetorisch brillanten Redekunst hatte er es ja sogar fertig gebracht, dass sich die Festversammlung in der säkularen Paulskirche zu einem Gebet erhob. Als Spiegelreporter bereiste Kermani den Balkan & den  Orient bis zu den Taliban in Afghanistan, als Religions-Wissenschaftler interpretiert er den Koran oder subtile Texte der islamischen Mystik, als Romancier geht er ästhetisch & existentiell radikal eigenständige Wege.

Es mag Neid auf diesen Autor mitspielen, der wie kein anderer seiner Generation, als links-liberaler Muslim & Öffentlicher Intellektueller, in Deutschland »Everybody's darling« zu sein scheint. Seine schriftstellerische Vielseitigkeit, umfassende literarisch-philosophische  Bildung & seine ebenso zivile wie religiös imprägnierte geistig-politische Unabhängigkeit sind gleichzeitig sein einzigartiges »Alleinstellungsmerkmal», wie das heute im Marketing heißt.

Navid Kermani ist ebenso selbstbewusst wie behutsam, was seine öffentliche Präsenz angeht: in Talkshows ist er nicht zu finden. Aber er stellt auch keines seiner glanzvollen Talente untern Scheffel. Im Gegenteil: er scheint seine öffentliche Existenz als Intellektueller & Moralist zu genießen. »Nur die Lumpe sind bescheiden« (Goethe), d.h. bei der Vielzahl seiner Reden (zumeist als Danksagungen für den Preissegen, der dem Freien Schriftsteller selbstverständlich willkommen ist oder als Laudator oder Nachrufer), hat er nun nur jene Reden ausgewählt, zu denen er »heute noch stehen kann« & von denen nicht nur das hellste, sondern auch das farbigste Licht sowohl auf den Redner als auch auf das von ihm Angesprochene & Dargestellte fällt.

D.h. »Morgen ist da« kann man getrost als Konstitution eines exemplarischen Selbstporträts in Einzelbildern & als literarisches Kaleidoskop seiner persönlichen & öffentlichen Interessen lesen – wie auch  als literarisch-politischen »Musterkoffer« eines Redners ansehen. Damit präsentiert sich ein Redner & seine Kunst, über die entferntesten Themen gleichermaßen eindringlich & nachdenklich nicht nur für die angesprochenen Zuhörer des Ereignisses zu sprechen, sondern auch noch die Nachlesenden des Buches mit seinen jeweiligen Überlegungen emotional & intellektuell zu befriedigen.

Es ist weder Bescheidenheit noch »fishing for compliments«, wenn Kermani diese Reden ganz nüchtern & pragmatisch als »Texte, die öffentlich vorgetragen worden sind«, bezeichnet. Sie offenbaren eben nicht, wie Kleist in einem seiner Aufsätze behauptete, die »allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden«, sondern wie auch alle anderen von Kermanis literarischen Arbeiten beim solitären Recherchieren & Reflektieren verfertigte Gedanken an seinem Schreibtisch. Sie sind gewissermaßen adressierte Essays & Selbstgespräche im Angesicht des Publikums. Der Autor steht dabei dem Schauspieler näher als der Vortragende auf einer Lesung aus dem eigenen Werk.

D.h. was der Redner seinem jeweiligen Publikum zu Gehör bringt, ist die Frucht seiner Imagination. In ihr spielt er seine spezifische Situation als Redner ebenso durch wie die kolloquiale Form, in der er seine thematischen Gegenstände & deren strategische Präsentation darstellt. Wobei der Rhetor Kermani oft allein schon deshalb sein Publikum für sich & seine Überlegungen gewinnt oder dessen Interesse  umso mehr weckt, als er naheliegende Erwartungen, die sich mit seiner Person oder dem Thema verbinden, rigoros enttäuscht & dadurch umso neugieriger macht auf das, was er zu sagen hat. Weil nicht wenige seiner Reden deshalb wie »Abschweifungen« erscheinen, verdanken sie sich einer epischen Ironie.

Besonders schön ist ihm das z.B.  bei seiner »Eröffnung der Lessingtage« gelungen, als er Lessings frühes Selbstopferdrama »Philotas« im Gegenlicht zu der gerade publik gewordenen Mord- & Selbstmordserie des sogenannten »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) betrachtete.

Ich weiß gar nicht, ob Navid Kermani (& auch der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland) bewusst ist, dass in dessen großen Redner-»Auftritten« womöglich die längst vergangene & zeitgenössisch obsolet gewordene Figur des evangelischen Predigers & Kanzelredners noch einmal nachglimmt – eine personale Institution, für die im 19. Jahrhundert manchmal Zuhörer extra anreisten, um sich moralisch & intellektuell von ihr »erbauen« zu lassen. Wohl nicht von ungefähr sind dem Siegener (!) Muslim mit Hölderlin & Jean Paul zwei Autoren des 19.Jahrhunder besonders nahe, die als Metaphysiker die christliche Orthodoxie ebenso aufgesprengt haben wie Kermanis (sufistische) Vision des Islam dessen real existierende autoritär-salafistische Orthodoxie negiert. Er spricht vom Islam wie ein Franziskaner vom Christentum.

Würde man den Redner Kermani mit deutschen Vorläufern wie z.B. Martin Walser, H.M. Enzensberger oder gar dem bereits vergessenen Altphilologen, Bibel- & Fernsehexegeten Walter Jens vergleichen, der über eine ähnlich breite Themenpalette verfügt (Fußball!), träte die rhetorische Eigenart Kermanis noch deutlicher hervor. Es ist gewissermaßen die »Körperlichkeit« seiner rednerischen Präsenz, die ungeschützt & sozusagen frohen Mutes selbstverständlich von sich spricht als pars pro toto. Dabei ist ihm das Pathos des »Ecce homo« so fremd wie die innige Menschenliebe des Dichters der »Flegeljahre«-Dichters vertraut.

Wie wichtig, sprich: auch selbstbezüglich diese Auswahl seiner »Texte, die öffentlich vorgetragen wurden«, ihm ist, kann man an zweien bemerken, die nicht zu den glanzvollsten des Bandes gehören. Ich meine damit die Laudatio auf Norbert Lammert, den ehemaligen Bundestagspräsidenten. Obwohl er den Politiker wegen dessen politischer Souveränität im Amt schätzt, muss der Lobredner,  um sich der Person & ihrem Charakter zu nähern, Lammerts Eloge auf seinen Vorgänger Eugen Gerstenmeier als camoufliertes Selbstporträt mehrfach behelfsweise heranziehen.

Im Gegensatz zu dieser erwünschten Hommage auf Gegenseitigkeit (Lammert hat eine Laudation auf Kermani gehalten), hat der Kölner Autor seinen Vortrag »Zur Eröffnung des XXI. Weltkongresses der Internationalen Gesellschaft für Analytische Psychologie sowie zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der C.G. Jung-Gesellschaft Köln« sowohl dort als auch in Wien gehalten. Es ist einer der längsten, elaboriertesten Texte des Buches  & die versammelten Herrschaften mögen gehörig erstaunt, wenn nicht gar verwirrt gewesen sein über diese veritable Vorlesung des eingeladenen Orientalisten über islamische Poesie des 13.Jahrhunderts. Er hat ihnen mit  philologisch subtilen Exegesen mystischer Texte des andalusischen Philosophen-Genies Ibn Arabi rezitiert & verschlungene geistige Wege offenbart, die aus dem frühen 13.Jahrhundert bis zur Religionsphilosophie des Schweizer Psychoanalytikers & Pfarrersohns C-G. Jung wie auch zu dessen jüdischem Lehrer Siegmund Freud führen.

Kermani war diese mit seiner Gelehrsamkeit geradezu prunkende Rede für seine erwünschte Selbstdarstellung so wichtig, weil er in ihr die geistig-moralischen Grundlage seiner wesentlich vom pazifistisch-toleranten Sufismus geprägten Religiosität offen-& darlegt. Es ist eine unpfäffische Metaphysik, in deren Mittelpunkt die (auch sexuelle) Liebe & die »Barmherzigkeit Gottes« steht, der sich schon für den Dialektiker Ibn Arabi (& seinen Kölner Kenner) in vielen Religionen offenbart hat.

Die Liebe, die Ehe, die Kinder, die Familie sind sowohl sinnliche Bezugspunkte als auch Metaphern im Zentrum von Kermanis Gesellschafts- & Weltverständnis. Nicht von ungefähr spricht er in mehreren dieser Reden, wenn er Menschen schätzt, von deren »Zärtlichkeit«. Sie ist dem Autor selbst eigen – zusammen mit Ironie & Witz. Seit einst Willy Brandt mit dem Fremdwort »Empathie« die damit gemeinte umfassende Einfühlungsbereitschaft & Anteilnahme am Anderen ins Deutsche einbürgern wollte, sind von keinem deutschsprachigen Schriftsteller ähnlich empathetische Reden gehalten worden wie von dem 1967 geborenen Arztsohn, der als einziger seiner drei Brüder nicht den Beruf des Vaters ergriffen hat, sondern im umfassendsten Sinne religiöser Schriftgelehrter & säkularer Schriftsteller wurde: um öffentlich Zeugnis abzulegen von sich, seiner Familie & seinen Freunden; von dem Land & der Gesellschaft, in denen er lebt; von Aufklärung, Demokratie & Toleranz, die er hierzulande schätzt, verteidigt & lebt..

»Wo ich bin, ist Deutschland«, entgegnete einst selbstbewusst der von Nazideutschland ausgebürgerte Literaturnobelpreisträger Thomas Mann. Es könnte auch der eingebürgerte Sohn emigrierter Iraner von sich als deutscher Schriftsteller sagen. Aber derartiges sagt Navid Kermani selbstverständlich nicht; jedoch als Redner handelt er so, dass wir es von ihm sagen müssten.

Artikel online seit 13.03.20
 

Navid Kermani
Morgen ist da
Reden
C.H. Beck
368 Seiten
26,00 €
978-3-406-73942-2

Leseprobe

 

 


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