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Kracauer, on the road again
Siegfried Kracauers »Straßentexte« in
Wiederauflage zum Lesen und Nachgehen |
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»Straßen in Berlin und anderswo« versammelt Arbeiten, die Siegfried Kracauer (1889-1966) Mitte der 1920er bis Anfang der 1930er Jahre für die Frankfurter Zeitung (FZ) geschrieben, als eigenständiges Buch aber erst 1964 veröffentlicht hat. Die Zeitung war damals ein altes Frankfurter Familienunternehmen, das sich seit den 1930er Jahren einer Vielzahl an Konkurrenz, insbesondere durch Radio und Kino gegenübersah. Hitler erblickte in der Zeitung die Speerspitze der »Judenpresse«. Dort arbeitete Kracauer seit 1920, ab 1921 als fester Mitarbeiter, der 1924 das Filmressort unter sich hatte und im Frühjahr 1930 nach Berlin wechselte, wo er fortan die Stelle als Leiter des Berliner Feuilletonbüros innehatte und sich zunehmend auf Literaturkritik verlagerte. Laut Arbeitsvertrag war Kracauer für die gesamte Berichterstattung des Feuilletons zuständig und sollte der Frankfurter Redaktion zuarbeiten. Zu dieser Zeit plagten ihn
neben seinem ausgeprägten Stottern auch Rückenschmerzen, Übermüdung und ein
nervöses Gallenleiden. Er sei ein etwas unnahbarer Außenseiter gewesen, glaubten
die Kollegen, und Joseph Roth ergänzt, er selbst habe Kracauer als einen klugen,
ironischen »Kopf ohne Phantasie« kennengelernt. Die Dinge, die Kracauers
Interesse fanden, waren u.a. Klaviere, Schreibmaschinen, Regenschirme, Scheren,
Puderdosen, Zigarettenanzünder, Oberhemden, Seifenblasen, Jagdflinten, Krimskram
aller Art, Buden und Karusselle.
Seine Themen waren die Labyrinthe der Stadt, der Asphalt, die »Vegetation der
kleinen Leute«, das Dickicht der Schornsteine, die Passagen, die Ornamente, die
eine Brücke zum Gestern bilden. »Text-Straßen« hat Gerwin Zohlen diese Arbeiten
vor rund 40 Jahren einmal treffend genannt. Aber auch über die Pariser Faubourgs, Montmartre, die Bai in Marseille und über Nizza weiß er zu berichten. Hallen, Heime, Hinterzimmer, Mietshäuser, Kinos, Restaurants, Schaufenster, Lichtsignale (Ampeln), Theater, Opern, Kneipen tauchen in seinen Miniaturen auf, ein Eckladen wird zum Heiligtum, zum Tempel und Altar. Jedes Ding besitzt seine eigene Geschichte.
Im Herbst 1930 dann lauscht er
Heinrich Manns Lesung in einem Berliner Warenhaus. Mann stellt dort seinen neuen
Gesellschafts- und Künstlerroman, »Die große Sache«, vor – eine Zeitdiagnose der
Weimarer Republik. In dem Roman geht es um die (fiktive) Erfindung des berühmten
Birk, einen Konzern-Angestellten und Vater von fünf Kindern. Dieser Birk wird
bei der Arbeit verletzt und gibt vor, etwas Ungewöhnliches erfunden zu haben,
eine »große Sache«. Es handele sich hierbei um einen Sprengstoff von »äußerster
Brisanz«.
Artikel online seit 06.03.20 |
Siegfried Kracauer |
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