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Vom Umgang mit dem »Elefanten  im Zimmer«

Petra Morsbach denkt luzide nach über »Machtmissbrauch und Widerstand«

Von Wolfram Schütte
 

Mit 48 Jahren war 2004 die Schriftstellerin Petra Morsbach als eines der jüngsten Mitglieder in die Literaturklasse der  Bayerischen Akademie der Schönen Künste gewählt worden. Weil sie »jünger und neugieriger« war als ihre Kollegen & ihre vier Kolleginnen, hat sie im Laufe der folgenden sechs Jahre zwei Lesungen aus eigenen Büchern & acht Lesungen von anderen Autoren in der Akademie initiiert. Eine aktive Tätigkeit, die mehrheitlich von der Literaturklasse immer gebilligt worden war – bis der auch als Dramaturgin & Regisseurin tätig gewesenen Morsbach eines Tages von Seiten der Akademieleitung mitgeteilt wurde, dass es »keine Buchvorstellungen« (mehr) geben sollte - wie im Protokoll einer Sitzung des von der Akademie gewählten Präsidenten & der vom Bayerisch Staat delegierten Generalsekretärin vermerkt war.

D.h.: was bislang Usus war, sollte durch den einsamen Beschluss der beiden obersten Repräsentanten der Akademie ab sofort untersagt sein. Sie schreibt es zwar nicht, aber die agile Autorin empfand das Verbot doch wohl auch als eine Art »Lex Morsbach«. Dies umso mehr, als sie schon zweimal davor der Akademieleitung als Störfaktor des gemächlichen Betriebs aufgefallen war. Zum einen hatte sie einem »cholerischen Brüller«, den alle in der Literaturklasse gewähren ließen, weil er ein einflussreicher Mann in der Kulturszene war, »ein paar scharfe Zeilen« entgegengeschrieben; zum Anderen hatte die Generalsekretärin »gegen eine bereits gebilligte Veranstaltung von mir interveniert«. Obwohl »künstlerische Belange die Generalsekretärin nichts angehen«, so die Autorin, wies der von den Literaten gewählte »Klassensprecher« diese »Amtsanmaßung« der staatlichen Aufpasserin nicht nur nicht zurück, sondern machte sich sogar gemein mit ihr. Er forderte von Morsbach, ihr Projekt »kritisch zu überdenken«, mithin anpasserische Unterwerfung. Was natürlich von dieser souveränen Autorin nicht zu erwarten war. Andererseits hat »das bedenkenlose Einverständnis fast aller Kollegen mit der autoritären Anmaßung mich bestürzt.«

Diese Selbsterfahrung mit autoritärem Machtmissbrauch & der eigenen Erfahrung, welche Folgen diese individuelle Entscheidung für den hat, der dagegen sich Widerstand leistet, ließ den von ihr selbst so genannten »Sturm im Reagenzglas« der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zur Keimzelle ihrer systematischen Betrachtung dieses nachhaltigen, folgenreichen Alltagsproblems in unserer liberalen Demokratie werden. Daraus ist ihr Buch »Der Elefant im Zimmer« entstanden.

Wir erleben eben, wie die größte & älteste moderne Demokratie der Welt, die USA, durch vielfachen Machtmissbrauch des derzeitigen Präsidenten – ohne nennenswerten Widerstand über Parteigrenzen hinweg - in eine feudale Herrschaftsform transformiert wird: in ein ähnliches Oligarchie-Format, wie wir es mit verzerrter Demokratie-Maske in Polen & Ungarn, Russland & der Türkei bereits kennen – von Boris Johnsons Trump-Imitation als Vertragsbrecher ganz abgesehen.

Petra Morsbach, die gewiss von der verschnarchten akademischen Hautevolée in CSU-Bayern durch ihre agile Energie als »links-liberales Kuckucksei« längst erkannt worden war, hat aber solche sozialpolitischen Großformen, wie es der Verfall von Staaten ist, nicht im Sinn, wenn sie sich in ihrem Essay »Der Elefant im Zimmer« mit Machtmissbrauch & Widerstand beschäftigt. Allerdings ist sie von der wurschtig-desinteressierten allgemeinen Haltung des Laissez-faire, laissez aller bei dem größten Teil der Bevölkerungen unserer liberalen »westlichen« Demokratien zurecht beunruhigt. Sie fürchtet eine schleichende Aushöhlung von Gesetz & Ordnung der Demokratie & erinnert daran, dass aufgrund der Duldung aller die Verbrechen in der Nazizeit möglich wurden. Deshalb dürfe Machtmissbrauch heute in der Gesellschaft keine Karriere machen & bedürfe des frühesten individuellen Widerstands.

Minutiös erzählt, beschreibt & analysiert sie, neben bzw. vor ihrer eigenen Erfahrung in der Bayrischen Akademie, zwei weitere Fälle von Machtmissbrauch & öffentlich individuellem Widerstand dagegen in jüngster Zeit – wiewohl beide Skandale einem schon längst wieder hinter anderen aktuellen verschwunden & vergessen zu sein scheinen.

Bei dem einen handelt es sich um den sexuellen Missbrauch von Messdienern durch den höchsten katholischen Würdenträger Österreichs, des Wiener Kardinals Groer & welcher Energie es bedurfte, den Täter & Würdenträger zur Verantwortung zu ziehen. Der andere ist der »Fall Haderthauer«, eine nahezu Balzacsche Erzählung von ehepartnerlicher Geld-Gier im Staatsdienst. Diese bayerische Sozialministerin (!) Christine Haderthauer hatte über das Geschäft ihres Mannes, eines amtlich angestellten Psychiaters, der Modellautos lukrativ verkaufte, die seine Psychiatriepatienten hergestellt hatten, sowohl  finanziell profitiert als auch den Landtag & den Fiskus betrogen & war trotz öffentlicher Vorwürfe auch noch zur Chefin der Staatskanzlei Horst Seehofers gemacht worden. Sie musste aufgrund  der unnachgiebigen öffentlichen Aktivitäten zweier (ökonomisch) unabhängiger Juristen zuletzt ihren Rücktritt erklären & aus der Politik ausscheiden.

Ohne die Hilfe mehrerer promovierter & habilitierter Juristen hätte Petra Morsbach dieses Sittenbild aus der Bayrischen Politik nicht schreiben können, erklärt sie & fügt dem »Dank für fachliche Unterstützung« hinzu, dass »nicht alle in jedem Punkt ihre Meinung teilen« - offenbar, weil die hilfreichen Juristen für die Bayerische Staatsmacht nicht als »verdächtig« erscheinen wollten.

Die drei etwa gleich langen Beispiele aus der Praxis betrachtet die Autorin als eine Versuchsreihe, um uns die  der unterschiedlichen Konfliktfälle vor Augen zu führen. Auf Seiten derer, die die Macht missbrauchen, trifft sie z.B. auf den »Wutbrief«, mit dem die Ertappten in der Regel zuerst reagieren, wenn ihre Tat von einer (mutigen) Person im eigenen Milieu, Betrieb oder Verein nicht nur bemerkt & erkannt, sondern auch öffentlich moniert wird. Nahezu automatisch springen dem Inkriminierten dann die Berufs-& Hierarchie-nahen Kollegen bei & bilden durch ihre, auf Einschüchterung abzielenden, vollmundigen Drohungen & melodramatisch aufgeplusterte Parteinahmen für den Angegriffenen eine Art Cordon sanitäre um ihn.

Zugleich wird der kritische Einzelgänger damit verbal isoliert, diskriminiert, ridikülisiert & verunsichert. Aber nicht nur durch die Nebelkerzen der Mitmachthaber, sondern auch durch die Duldung der »Unmächtigen« Mit diesem Neologismus vermeidet Morsbach den naheliegenden Ausdruck der »Ohnmächtigen«. Womöglich, weil sie im Wort das Scheitern eingeschrieben sieht oder es ihr durch den landläufigen Gebrauch zu moralisch kontaminiert erscheint. Obwohl es ja nur den bezeichnet, der »ohne Macht« ist, jedoch gerade nicht »ohnmächtig« ist, will sagen in dem klinischen Sinne von: »geistig abwesender Bewusstlosigkeit«. Ganz im Gegenteil, weil beim solitären »Widerstand gegen Machtmissbrauch« der Opponierende sich ja auf die Verletzung einer bestehenden Rechtsnorm beruft.  

Es sind die »Unmächtigen« jedoch, die aus den verschiedensten Gründen ( z.B. »Familie«, »Hausbau & Schulden«) oder Motiven (»bringt doch nichts«, ,,betrifft mich nicht«, «leben & leben lassen« etc.) sich nicht »einmischen« oder aus Faulheit, Desinteresse & vor allem Feigheit sich eher um die Macht scharen, statt den zum »Sündenbock« erklärten Widerständler  nicht im Regen stehen zu lassen.

Viel gebräuchlicher ist auch die »Pilatus-Attitude«, mit der Macht(Teil)haber sich zu bedauerlichen Unmächtigen erklären, die angeblich nicht recht wissen, worum es geht – um sich nicht selbst zu positionieren. »Wieso gelang es diesen Leuten, ihre selbst erklärte Ohnmacht als Dominanz zu verkaufen?«, fragt sich die Autorin angesichts des Erfolgs derer, die sich eine »objektive Handlungsunfähigkeit« zusprechen: »Warum nahm man das ihnen ab? Enthält auch diese Verantwortungslosigkeit das Geheimnis der Macht? Besteht am Ende der Kick des Missbrauchs in der Vorstellung eines Profits ohne Preis, also der Fantasie einer Freiheit ohne Pflichten. Und das Gefolge? Macht es mit, weil es sich insgeheim nach demselben Schwindel sehnte (der ihm vermutlich nicht als Schwindel, sondern als Größe erschien?« fragt sich die Autorin.

Es ist wohl der anthropologische Wunsch – zumindest in unseren »westlich«-kapitalistisch-demokratischen Gesellschaften -, individuell souverän zu sein. Solche Souveränität, die im vulgären Gebrauch als (schrankenlose) »Freiheit« verstanden wird, de facto aber ein Tun oder Lassen imaginiert, das keinem äußerlichen gesellschafts-ethischen Zwang unterliegt (& deshalb  Willkür entspricht), ist Ausfluss von Macht, die sich gerade in ihrem egoistischen Missbrauch (& dessen Duldung) erst recht manifestiert. Quod licet jovi non licet bovi – was die Ochsen nicht daran hindert, von dem göttliche Privileg selbst zu träumen & den zu bewundern wie zu fürchten, der sich über sie alle hinweggesetzt hat.

Den Katalog von »33 Empfehlungen und Überlegungen«, den das wunderliche, luzide & auch amüsante Buch beschließt, könnte man separat jedem Schulabsolventen mit auf den Lebens-Weg geben, möglicherweise unter dem Titel »Cool bleiben & Recht erhalten«. Dadurch wird vielleicht sich nicht die Zahl derer sprunghaft erhöhen, die dem immer drohenden Machtmissbrauch widerstechen, bzw. Widerstand entgegensetzen. Denn der Mut, der dazu gehört & das sensible Gehör, das knirschende Geräusch beim »Übermut der Ämter« (Hamlet) zu bemerken, wird anderweitig & woanders erworben. Aber es könnte denen eine psychologische Hilfe & zuträgliche Unterstützung sein, die sich entschließen oder entschlossen haben, den Mund aufzumachen, während noch all anderen Betroffen schweigen.

P.S .Zweifellos hatte die Autorin Recht, dass sie in ihrem akademischen Reagenzglas den Sturm auslöste, als sie wider den Stachel löckte, den Präsident & Generalsekretärin speziell ihr ins Fleisch getrieben hatte – ohne den von ihnen inkriminierten Kasus unter allen davon Betroffenen zu diskutieren, abzuwägen & darüber abzustimmen.
In der Akademiesatzung, heißt es, Aufgabe der Mitglieder sei es, »die Entwicklung der Künste ständig zu beobachten, in jeder geeignet scheinenden Weise zu fördern oder Vorschläge zu ihrer Förderung zu machen«. Wenn nun aber Petra Mosbach behauptet, diesem »Auftrag« am besten nachzukommen, indem sie eigene Bücher vorstellt & andere zum gleichen Ritus der Selbstbuchvorstellung einlädt, macht sie sich naiver, einfallsloser & einfältiger als sie sich auch nur einen Augenblick in ihrem Buch darstellt.
Etwas Anderes, als was Schriftsteller in Buchhandlungen oder Literaturhäusern gewöhnlich zur Promotion ihrer neuen Bücher betreiben, wird man sich wohl von einem Akademiemitglied erwarten dürfen. Dergleichen »Reklame für mich selbst« (Norman Mailer) wird nicht unproblematischer, wenn man seine Freunde & Bekannten dazu animiert, am selben privilegierten Ort es einem gleichzutun.
Kann man die Qualität & Intelligenz der eigenen Initiativen bei der »Förderung & Entwicklung der literarischen Künste« nicht besser durch originelle Veranstaltungen beweisen, bei denen kein kollegialer Neider etwa vom »Rüchlein des Nepotismus« faseln könnte? Wäre es in einer solchen Schlangengrube wie es eine jede Akademie auf der Welt wohl immer ist, deshalb nicht  besser, wenn man sich generell die Form der Buchvorstellung versagen würde? Dies auch, weil ja wohl die meisten in Akademie-Ehren ergraute Mitglieder »verstummt«, bzw. literarisch »unfruchtbar« geworden sind. Ich kann mir jedenfalls, abseits einer »Lex Morsbach«, das generelle Unterlassen von Buchvorstellungen in der Literaturklasse  einer Akademie der Schönen Künste als durchaus verständlich & vernünftig vorstellen.

Artikel online seit 15.09.20
 

Petra Morsbach
Der Elefant im Zimmer
Über Machtmissbrauch und Widerstand
Essay
Penguin-Verlag
361 Seiten,
22,00 €
978-3-328-60074-9

 

 


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