Er zählt zu den
bedeutendsten amerikanischen Erzählern der Gegenwart. 1961 wurde er in
Pittsburgh geboren. Er hat einen ordentlichen Beruf gelernt und einige Jahre
auch als Flugzeugingenieur gearbeitet. Dann ging er zurück an die Universität,
studierte an der Cornell Literaturwissenschaften, unterrichtete und begann
schließlich erfolgreich zu schreiben (auch wenn ihm bei uns – leider noch – der
ganz große Erfolg versagt blieb). Sein neuer Roman, »Henry persönlich«, setzt
die Geschichte der Familie Maxwell fort, auch wenn er für sich steht. Denn
letztlich ist es egal, wo man anfängt, O’Nan zu lesen. Hauptsache, der Anfang
wird gemacht.
Die Maxwells sind eine typische Mittelklassenfamilie aus Pittsburgh,
Pennsylvania. Emily und Henry sind 48 Jahre verheiratet. Die Familienfeier zum
50. werden wir auch noch erleben. Henry, 74, ist ein pensionierter
Entwicklungsingenieur, der anfangs seine Fähigkeiten als Projektleiter auch bei
Emilys täglicher Arbeit einbringen will. Das konnte nicht gutgehen. Konsequenz:
ihre Arbeitsgebiete werden klar getrennt. Er reinigt verstopfte Rohre, repariert
den Rasenmäher, befreit das Haus von Mäusen, sie organisiert den Haushalt und
die sozialen Kontakte. Konflikte gibt es danach keine mehr.
Wir begleiten Henry auch zurück in die Kindheit, als er sich z.B. in seine
deutsche Klavierlehrerin verliebt oder als er sich, um zu überleben, als junger
Soldat mit seinen Kameraden, über ein erfrorenes Pferd hermacht. Emily und Henry
haben zwei erwachsene Kinder und vier Enkel. Tochter Margret soll inzwischen
eine trockene Alkoholikerin sein. Mit ihrer Schwiegertochter Lisa hat Emily
ebenfalls Probleme und da sie »sarkastisch, schroff und gedankenlos« sein kann,
kracht es dann zuweilen bei den Familientreffen. Die alten Maxwells besitzen ein
Sommerhaus am See. Trotz mancher Reibereien zwischen den Generationen ist es für
alle »eine Zuflucht vor der Plackerei des Großstadtlebens« und speziell für
Emily und Henry sind die Aufenthalte »ein Zauber, der höchst zerbrechlich ist«.
Die alten Maxwells lieben Kahnfahrten bei Nacht, wo sie immer »nach
Sternschnuppen Ausschau halten«. Henry kann sich aber nicht mehr so sicher sein,
»ob er noch imstande« ist, aus dem Kahn »ein- und auszusteigen«. Er tendiert
dazu, das Risiko erst gar nicht einzugehen. Oft fühlt er sich »träge und
ziellos«, er bemerkt, seine Unkonzentriertheit. »Er brauchte länger als nötig,
um sich zu erinnern, was er gerade tat und warum, ... die Leere, die sich auf
ihn herabsenkte, hatte etwas Zermürbendes.«
Das Leben der beiden Maxwells verläuft meist unspektakulär, doch so, dass sie
ihr Zusammensein genießen, auch wenn »das Verlangen von langlebiger Zuneigung
abgelöst worden war«. Stewart O’Nan versteht es, die vielen Episoden dieses
Lebens, die alltäglichen Vorkommnisse eindringlich, fast liebevoll zu
beschreiben. Die Geschichte entwickelt dabei einen Sog, der den Leser immer
tiefer in ihr Leben hineinzieht. Die Maxwells spielen Golf, engagieren sich in
der Kirche, feiern Feste, die sorgfältig und liebevoll geplant werden. So geht
das Leben dahin. Es verlangsamt sich zu Henrys Bedauern auch immer mehr. Alles
wird beschwerlicher, trüber, Freunde sterben und man trifft sich zu Beerdigungen
und dem Leichenschmaus. Doch dann passiert etwas Unvorhergesehenes: Tochter
Margret hat einen Unfall und Emily fliegt zu ihr ins Krankenhaus. Henry muss das
alljährliche Familienfest zu Thanksgiving mit Truthahn und allem, was dazu
gehört, alleine organisieren. Spätabends ruft Emily an und will wissen, wie
alles gelaufen ist ohne sie. Es hatte alles bestens geklappt. Es hatte keinen
Familienstreit gegeben, »der Kartoffelbrei war cremig, die Süßkartoffeln
lieblich, der Truthahn wunderbar saftig«. Doch, das war ihm sofort klar, »das
durfte er nicht sagen«. So bringt uns Stewart O’Nan, völlig unspektakulär, und
doch fast ergreifend, eine Gestalt nahe, die wir so bald nicht vergessen werden.
Artikel online seit 06.01.20
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Strandgut - Das Kulturmagazin für Frankfurt &
Rhein-Main
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Stewart O’Nan
Henry persönlich
Roman
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Rowohlt Verlag, Hamburg, 480 Seiten
24,00 €
Leseprobe
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