Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

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Die Wahrheit & wär's der Offenbarungseid

Der erschlichene Kulturabbau in den öffentlich-rechtlichen Medien

Ein Kommentar von Wolfram Schütte
 

Als im Januar der verantwortliche SZ-Redakteur für Literatur, Felix Stephan, davon Wind bekam, dass der WDR ab März von der täglichen Literaturkritik in seinem Programm WDR3 absehen werde, hat er laut Alarm geschlagen. Der Perlentaucher hat sich mit etwas hochgezogener Augenbraue darüber lustig gemacht, dass in seiner zweispaltigen Empörung über diese jüngste Verabschiedung der ARD aus ihrem Kulturauftrag der empörte Felix Stephan die Literaturkritik in toto als ein Movens der bundesdeutschen Demokratie hochstapelte. Stephans Alarmismus klang ein wenig so, als sei die Demokratie in Gefahr, wenn WDR3 seine tägliche Buchkritik verliere.

So ganz falsch ist diese schockierende Mutmaßung nicht. Die Literaturkritik gehörte in der Bundesrepublik neben der Theater-, Musik-, Kunst- & Filmkritik zum Grundbestand intellektueller Aktivität in der Bundesrepublik. Ein »neuer« Frisch, Walser oder Böll war jedes Mal ein synchron besprochenes kulturpolitisches Groß-Ereignis in der BRD.

Die vielfältige Reflexion nationaler & internationaler Kunst im öffentlichen Raum hat ohne Zweifel das westliche Deutschland demokratisch zivilisiert. Im Konzert kritischer Stimmen spielten die Rundfunkanstalten eine hervorragende Rolle. Sie waren mit ihren brillant besetzten Kulturredaktionen & deren Freien Mitarbeitern kritische Vermittler der erschienenen Bücher; aber auch Mäzene, die Literatur (Hörspiele, Features, Abendstudio-Essays) erst ermöglichten. Ohne die Rundfunkanstalten wären z.B. die Oeuvres von Günther Eich & Jean Améry oder die großen Reisebücher Wolfgang Koeppens nicht entstanden & das Werk Arno Schmidts gäbe es gar nicht. Ganz zu schweigen von der anspruchsvollen, kenntnisreichen Literaturkritik, die auf einer Vielzahl von Kritikern beruhte, die ebenso wie Schriftsteller ein finanzielles Aus- & Einkommen durch die Rundfunkanstalten sich erwirtschaften konnten.

Es versteht sich von selbst, dass auch für das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Bildungs- & Informationsauftrag, der für den Rundfunk in den Staatsverträgen fixiert war, ebenso galt & durch eine Vielzahl regionaler & überregionaler TV-Sendungen (zu Abend-, aber nicht Nachtzeiten) ernst genommen wurde. So gab es in allen 3.TV-Programmen Buchsendungen, überregionale Film- & Kulturmagazine, schließlich im ZDF auch das durch M. R.-R. höchst populäre »Literarische Quartett«. (Letzteres war allerdings so etwas wie das noble Vorspiel einer dürftigen Zukunft, wie sie heute herrscht.)

Während die Printfeuilletons über immer neue literarische Talkshows oder den jährlichen Lesewettbewerb in Klagenfurt oder die Nominierungen der deutschen Buchpreise sich den  Kopf heißredeten, wurden in Funk & Fernsehen die bunte Kulturlandschaft, auf der einst »tausend Blumen blühten« (um eine maoistische Metapher zu gebrachen), nach & nach durch das Glyphosat der Programmreformen vernichtet. Die öffentlich-rechtlichen Sender (samt ZDF) synchronisierten ihre Verpflichtung zum Bildungs- & Kulturauftrag klammheimlich mit Drakulas Auferstehungstunde, zu der Max Moor (TTT) regelmäßig sich auf Schlaflose freut.

Felix Stephans auftrumpfende Emphase bei der Empörung über die Kassierungen der täglichen Literaturkritik bei WDR3 hatte womöglich noch einen anderen Grund: er war zugleich der verzweiflungsvolle Aufschrei des Literaturredakteurs über den längst auch schon eingeschmolzenen Platz des kritischen Genres in der SZ selbst.

Wenn überhaupt auf dem verringerten Platz, dürfen sich dort nur noch »Feste Freie« (wie Seibt oder Böttiger) & Redakteure (zunehmend auch solche, die bislang keine Rezensionen geschrieben hatten, aber kostenneutral sind) zu Büchern äußern.

Stephan ist «am Ball« geblieben, indem er nicht nur elf deutsche Verleger & Verlegerinnen zu Statements animierte (SZ, 30./31. 1. 2021), sondern auch eine Veranstaltung des Kölner Literaturhauses entschieden kritisch kommentierte, auf der über den allgemeinen »Umbau der Kulturberichterstattung im öffentlichen Rundfunk« debattiert wurde.

Idealtypisch führte die Kölner Diskussion vor Augen, schreibt Stephan, »wie unverschämt, wie selbstgerecht und aufgekratzt die Medienmanager des öffentlich-rechtlichen Rundfunks« mit ihrer Macht hantieren. Sie haben keinen Begriff mehr von dem, was man unter »Öffentlichkeit« bislang verstand.

Für die sogenannten »Verantwortlichen« der ARD (denn, was bei WDR3 geschieht, wurde & wird auch bei den anderen Anstalten der ARD vollzogen) sei die Öffentlichkeit in zahllose »Communitys« zerfallen & der »Öffentliche Auftrag« bestehe heute einzig (noch) darin, möglichst viele in diesen Interessens-Blasen osmotisch mit den Segnungen der Kultur zu erreichen. Dazu müsse aber alles Herkömmliche konsumentengerecht nivelliert werden, um jedes Spezialinteresse von Minderheiten, die gewissermaßen per se ebenso »elitär« seien wie deren »anspruchsvolle« kulturelle Interessensgebiete, auf diese Weise »demokratisiert« würde. Es geschehe im »öffentlichen Auftrag«, wenn die »Hochkultur« von ihrem Sockel geholt werde, um (was davon noch nivelliert übrig ist) möglichst vielen Hörern & Hörerinnen zugänglich gemacht zu werden, die bislang durch »Schwellenangst«, Kenntnislosigkeit oder Desinteresse von ihr ferngehalten worden sein sollen.

»Der öffentlich-rechtliche Rundfunk«, resümiert Felix Stephan unfroh »die Lehre aus Köln«  in der SZ (25.2.21) »sieht seine Aufgabe darin, diese Leute (in den Communitys) von der allgemeinen Öffentlichkeit, deren Existenz er leugnet, fernzuhalten, er sortiert sie einer Blase zu und erklärt ihnen diese Erniedrigung mit der Beobachtung, soeben sei das 21,Jahrhundert angebrochen. (…) Der Umbau der Gesellschaft, den der Rundfunk auf diese Weise zwangsläufig vorantreibt, während er vorgibt, ihm nur zu folgen, sollte man sich genau vor Augen stellen. Rousseaus Gemeinwohl, Kants Vernunftidee, Habermas´ Diskursbegriff werden dort nicht mehr als Fundament der Republik verstanden, sondern als Spleen einer linksliberalen (…) Blase«.

Man muss gar nicht so weit ausholen wie der SZ-Kollege, um das, was diese frisch-fröhlichen Verantwortungsträger in den öffentlich-rechtlichen Medien vorantreiben, als kulturellen Kahlschlag zu erkennen. Ihm entspricht haargenau, was Jan Brachmann (FAZ) kürzlich aus einer Richtlinie des Senders rbb über die laxe Inkompetenz & Ignoranz seiner Moderatoren mitgeteilt hat: »Unser Publikum prüft uns nicht, ob wir kulturbeflissen alles richtig machen. Und die drei Studienräte, die es dennoch tun, halten wir aus. Denn jede Kompetenz hat Lücken. Wichtiger ist: Unser Publikum ist interessiert, will begeistert und unterhalten werden.”

Allein schon die Formulierung, es sei »kulturbeflissen«, wenn verlangt werde, dass eine Aussage zutreffend & wahrheitsgemäß ist, zeigt den arroganten Ungeist an, der hier herumstolziert. Diese Selbstherrlichkeit, tun & lassen zu können, was man will, weil »unser Publikum uns nicht überprüft« & »die drei Studienräte, die es dennoch tun« – also unverschämte Knallköpfe & Korinthenkacker – ignoriert werden, wird ergänzt von der Marketing-Losung, dass »unser Publikum«, die imaginäre angepeilte numerische Zuschauerzielgruppe, eigentlich nur daran interessiert sei, »begeistert und unterhalten« zu werden: von Moderatoren & Programmachern, die kulturell von Tuten & Blasen keine Ahnung haben. »Durch den schnoddrigen Ton der Moderationsleitlinien wird populistisches Bildungsbürgermobbing plötzlich gebührenwürdig«, resümiert Bachmann.

Diese galoppierende Abschaffung des Kulturauftrags der öffentlich-rechtlichen Medien Radio & TV & damit die Annullierung von deren gesetzlich fixierter Existenzgrundlage ist schon seit Jahren im Gange. Das pathetische (Stephan) oder das routinierte Gejammere (die von Stephan aufgerufenen Verleger) über den öffentlich-rechtlichen Kulturabbau & seine Opfer ist umso lächerlicher, als die Täter in den Funkanstalten sich keinen Deut darum kümmern. Noch nicht einmal wird öffentlich gejammert über die wahrhaft absurden Veränderungen auf dem Sektor der »Klassischen Musik«. Dort soll deren Verdrängung durch vermehrten Einsatz von Hollywood-Filmmusiken dem avisierten Publikum gewissermaßen ein roter Teppich vorgelegt werden, um über ihn  ohne »Schwellenangst« oder künstlerischem »Anspruch« von welchen moderierenden Ignoranten auch immer, so »begeistert und unterhalten« zu werden, dass keine »Kulturbeflissenheit« sich mehr dazwischen drängt. Kenner & Liebhaber Hatten aber schon die Flucht ergriffen, als die jüngsten Barbaren mit ihrem Marketingslang die Macht & das dumm-dreiste Wort der selbstverschuldeten Unmündigkeit ergriffen hatte.

Offenbar ist keine Gruppe, die von diesen kulturzerstörerischen, langfristig das ganze kulturelle  Leben des Landes tiefgreifend tangierenden Aktivitäten betroffen ist – Kritiker, Verlage, Film- & Musikproduzenten, Verleiher, Kinos -, auf die Idee gekommen, die Rundfunkräte in die Pflicht zu nehmen. Keine Partei, keine Religionsgemeinschaft, keine Interessenvertretung. Die in den Rundfunkgremien versammelten Vertreter der Öffentlichkeit hätten doch auch die Aufgabe, darüber zu wachen, dass der kulturelle- & der Bildungsauftrag erfüllt & notfalls verteidigt wird!

Niemand von den vielen & vielerlei Betroffenen hat offenbar je darüber nachgedacht, den umfassenden Kulturabbau in den öffentlich-rechtlichen Medien zum Thema eines bundesweiten & breit-thematischen öffentlichen Hearings oder Kongresses zu machen! (Ältere erinnern sich noch an »das Ende der Bescheidenheit«, als die bundesdeutschen Schriftsteller unter diesem Motto ihre Schriftstellergewerkschaft gründeten.)

Und selbst wenn heute die Betroffenen (& ihre Sympathisanten) am Ende ihres hingenommen, allseits immer wieder beklagten Elends erfahren müssten, dass nichts & niemand für sie mehr eintritt (noch nicht einmal sie selbst!), weil der »Consumismo« (Pasolini) längst alle Bereiche & Institutionen durchdrungen & erfasst hat, wäre das eine ebenso wichtige wie notwendige Erkenntnis: der öffentlich bekannt gemachte Offenbarungseid. Es wäre das Ende der Illusion über die Existenz der Kulturpflege in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Artikel online seit 22.03.21
 

 

 


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