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Der Kriegsheld als Witzfigur der Geschichte
Franzobels schelmischer Roman
»Die
Eroberung Amerikas«
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Die Verwüstung der Westindischen Länder Von den Grausamkeiten der europäischen Eroberungszüge in der Epoche der Conquista der Neuen Welt wissen wir unter anderem aus Bartolomé de Las Casas berühmten Bericht über die Verwüstung der Westindischen Länder. Der Theologe und Schriftsteller Las Casas klagte dort bereits zur Mitte des 16. Jahrhunderts die Tyrannei der kolonialen Expansion an, darunter auch die Taten Hernando de Sotos, der zahlreiche »Völkerschaften« vernichtet habe, »wenn er sie auf seinem Weg antraf, weil er zu den berüchtigten und erfahrenen Übeltätern und zu jenen gehört, die mit ihren Kumpanen die meisten Schäden, Übel und Verwüstungen in vielen Provinzen und Königreichen angerichtet haben.«
Bereits Mitte des 15. Jahrhunderts ermächtigte die päpstliche Bulle Ecclesia
militans von Nikolaus V. zur Eroberung und Versklavung aller Länder der
Ungläubigen. Die Bulle bezog sich ursprünglich auf Westafrika und war als
moralische Unterstützung der Reconquista, der Rückeroberung der
muslimisch besetzten iberischen Halbinsel gedacht. Einer seiner Nachfolger,
Papst Alexander VI., dehnte die Bulle zur Jahrhundertwende schließlich auf alle
neu entdeckten Länder aus: Meso- und südamerikanische Gebiete galten fortan als
herrenlose Sache. Sklaverei und Folter Im Jahre 1500 kam es zu einem vorläufigen Stopp der Sklaventransporte, der im Jahre 1503 durch eine Anordnung der spanischen Krone wieder korrigiert wurde. Von nun an war die Sklaverei bei »Kannibalen« und widerspenstigen Indios offiziell gerechtfertigt. Die unterworfenen Stämme setzte die Krone als »Arbeitskräfte« in den Minen ein. Die Inferiorität der Indios, so die Einschätzung der Spanier, zeige sich durch ihre Nacktheit, die fehlende politische Ordnung ihrer Länder und ihre sexuelle Freizügigkeit.
Bald darauf begann man auch damit, afrikanische Sklaven nach Mittelamerika zu
transportieren, um sie in Goldminen, Zuckerplantagen und Mühlen einzusetzen.
Nachdem im Jahre 1508 die Krone das Patronatsrecht erhielt und damit eine
weitreichende Aufsicht über die Kirche im Reich erhielt, wurden erste kritische
Stimmen hinsichtlich der Methoden der Eroberungen laut. Doch noch galt der
Missionsauftrag als Legitimationsquelle. Requerimiento Die spanische Krone reagierte 1513 mit einem Schreiben, dem so genannten Requerimiento, das allen Indios vor möglicher Gewaltanwendung vorgelesen werden musste. Es war eine Kurzfassung der Heilsgeschichte und die Erklärung, dass die Päpste von Christus die weltliche Macht über die Fürsten der Ungläubigen übertragen bekommen hätten. Ihre Herrschaftsbefugnis werde mit diesem Schreiben an die christlichen Fürsten weitergegeben. Wer sich füge, habe nichts zu befürchten. Wer sich weigere, den christlichen Glauben anzunehmen, dem drohte das königliche Schreiben mit Gewalt und Unterwerfung. Längst waren in Europa auch zahlreiche Theorien über die Herkunft der Indianer zur Rechtfertigung ihrer Unterdrückung im Umlauf. Juan Quevedo etwa glaubte, sie seien »Sklaven qua Geburt«. Assimilation oder Unterdrückung lautete die Losung. Insgeheim aber waren Europas Gold- und Silbergier die eigentliche Triebkraft der Eroberung. Viele Europäer erhofften sich Prestigegewinn und sozialen Aufstieg. Auch sollte der Herrschaftsanspruch der spanischen Könige unterstrichen werden. Kein Land besaß im 16. Jahrhundert eine solche Macht und einen solchen Einfluss wie Spanien, das sich bei seinen Kolonisierungen auf das traditionelle Kriegsrecht des Eroberers berief. Es galt, eine Europäisierung voranzutreiben: Vom nackten heidnischen Halbmonarchen zum europäisch gekleideten christlichen Bauern. Sublimis Deus Es dauerte bis zum Jahre 1537, bis die päpstliche Bulle Sublimis Deus die Indianer als rationale menschliche Wesen und sie zur Annahme der christlichen Botschaft fähig erklärte. Auch die Päpstliche Weltherrschaft sowie die Ideologie der kaiserlichen Universalmonarchie wurden bald darauf von Francisco de Vitoria infrage gestellt. 1550 scheiterte dann die letzte große, öffentliche Diskussion über die Rechte der Indios in Valladolid auf Geheiß Karl V. zwischen dem Dominikaner Bartholomé de Las Casas, der diese Rechte verteidigte und seinem Kontrahenten Juan Sepulvéda. 1568 erklärt Karls Sohn Philipp II. die Debatte über »legitime Ansprüche« der Indios endgültig für beendet. Hernando de Soto
In dieses historische Geschehen bettet Franzobel seine aberwitzige wie makabre
Geschichte um den Seefahrer Hernando de Soto, im Buch Ferndinand Desoto genannt,
ein. De Soto und seine Männer kamen Ende Mai 1539 in der Nähe der Tampa Bay (Golf von Mexiko) an und verbrachten den Großteil des Jahres damit, zunächst durch den heutigen Bundesstaat Florida zu reisen. Dann drangen sie bis in den Norden des heutigen Thomas County, Georgia, vor, und gingen auch mit zwei kleineren Schiffen auf Erkundungstour an der Golfküste. Die Expeditionsteilnehmer segelten entlang des Pfannenstiels von Florida und erreichten Pensacola Bay, bevor sie im Februar 1540 zurückkehrten. Mitte April hatte die Expedition South Carolina durchquert, Ende Mai hielt sie sich in North Carolina auf und reiste weiter nach Tennessee und Alabama sowie in das heutige Territorium des Mississippi. Den Winter 1540/41 verbrachte de Sotos Trupp in der Stadt Chicaza. Sie setzten ihren Weg nach Westen fort und erreichten den Mississippi im Mai 1541. Nach der Überquerung kamen sie ins heutige Arkansas, auf der erfolglosen Suche nach Gold, und immer wieder verstrickt in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Indianern, darüber hinaus gezeichnet vom Hunger aufgrund schwindender Vorräte. Geschlagen und demoralisiert kehrten de Soto und seine Truppe im Frühjahr 1542 zum Mississippi zurück. Dort erkrankte der Konquistador schwer und verstarb noch im Mai desselben Jahres: »Der Morgen«, heißt es im Roman, »an dem Ferdinand Desoto starb, war strahlend schön. Das Licht hatte eine besondere Beschaffenheit, war aprikosenfarben und klar. Nachts hatte es geregnet, jetzt glänzte alles in der Morgensonne, strahlte in frischen, kräftigen Farben. Abseits des Lagers saßen Geier, die auf ein Frühstück hofften … Niemand weinte um Ferdinand Desoto … Niemand schnitt sich, wie es bei den Indianern Brauch war, die Haare und streute sie auf sein Grab.« Franzobels literarischer Humor De Sotos Unternehmungen der Florida-Expedition bilden den Hauptstrang von Franzobels meisterhaft recherchierter Geschichte, in der er die historischen Umstände rekonstruiert, sie literarisch verfremdet und immer wieder bitterbösen Humor einstreut. Selbst die Folterszenen, von der eine weitere Hauptfigur namens Elias Plim berichtet, oder der Vorgang einer narkosefreien Beinamputation sprühen nur so von garstiger Heiterkeit. Als berichtet wird, wie einige Konquistadoren von Indianern bei lebendigem Leib gegrillt werden, erkundigt sich einer der Zuhörer, welche Marinade denn verwendet worden sei. Das Buch (in dem der Erzähler wie ein Filmregisseur die Schauplätze wechselt und die historischen Szenen durch Dialoge und Diskurse aus anderen Zeiten bereichert) mit seinen geistreichen, wenn auch oft derben, der spanischen Kolonialgeschichte entliehenen Handlungssträngen, strotzt jedoch nicht nur von burlesker Situationskomik; es besitzt auch einen eigentümlichen Sprachwitz und glänzt nicht zuletzt durch die beeindruckende Kenntnis der seltsamen Welt des 16. Jahrhunderts, von der Las Casas schrieb, die Schandtaten, die damals von De Soto und anderen begangen wurden, seien »unbeschreiblich groß und ganz ungeheuerlich.« De Soto aber starb »als ein Unglücklicher, ohne Beichte, und wir zweifeln nicht, dass er in die Hölle geworfen wurde.« Ex post facto sind alle Kriegshelden bloß unheilvolle Witzfiguren der Geschichte. Franzobels Portrait von Hernando de Soto unterstreicht dies einmal mehr.
Artikel online seit 13.06.21 |
Franzobel
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