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Denker zwischen Vorsokratik und Sturmabteilung

Über Lorenz Jägers Heidegger Biographie »Ein deutsches Leben«

Von Jürgen Nielsen-Sikora
 

»Seiendes kann ein innerhalb der Welt vorhandenes Seiendes nur berühren, wenn es von Hause aus die Seinsart des In-Seins hat – wenn mit seinem Da-sein schon so etwas wie Welt ihm entdeckt ist, aus der her Seiendes in der Berührung sich offenbaren kann, um so in seinem Vorhandensein zugänglich zu werden.«
                                                           (Sein und Zeit, §12)

I

Wer Heidegger liest, wird sehr bald feststellen, dass dieses (Dichtung imitierende) Gemurmel vom In-der-Welt-sein kaum mehr als eine aufgeblasene Bindestrich-Philosophie voller Neologismen ist, durch die die Nebelschwaden der Theologie, die Symbolwelten Trakls und die Hymnen Hölderlins wabern. Ein hoher Ton, eine pathetisch aufgeladene Sprache, ein Meer aus biblischen Metaphern – alles in allem: ein strapaziöser Jargon, wie Adorno zu Recht festgestellt und Heideggers Begriffen eine pseudo- und quasireligiöse Aura bescheinigt hat. Adorno spricht gar von der »Wurlitzer Orgel des Geistes«, die bei Heidegger aufspiele, jener Pfeifenorgel also, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwecks der musikalischen Begleitung von Stummfilmen im Kino eingesetzt wurde. Wenn die Lebens- und Dingwelt ein Stummfilm wäre, so wäre Heidegger mithin das philosophische Ein-Mann-Orchester, das mit viel Effekthascherei diese Welt klanglich untermalt hat.

II

Heideggers Denken, so Adorno weiter, sei autoritär, dogmatisch, manipulativ und zeige militärische Züge. Er lehre Philosophie mit der Peitsche: »Unablässig blähen sich Ausdrücke und Situationen eines meist nicht mehr existenten Alltags auf, als wären sie ermächtigt und verbürgt von einem Absoluten, das Ehrfurcht verschweigt.«
Diese »Heideggerei« ist sprichwörtlich geworden. Sie passt zur Person des »Zauberers von Meßkirch« insgesamt: Er war der aus der Zeit gefallene Hinterwäldler, dem es keineswegs peinlich war, im Trachtenanzug, mit Kniebundhosen und Jägerhut aufzutreten, verheiratet mit einer Frau alten Schlags: Elfride Petri war ihm treu ergeben, unterwürfig und ertrug seine Affären mehr oder minder tapfer über Jahrzehnte hinweg.
Heidegger war jemand, der die alten Griechen im Original lesen und sich trotzdem am Vorbeimarsch der SA erfreuen konnte, das Hakenkreuz symbolschwanger am Revers tragend. Nicht erst seit der Publikation der sogenannten »Schwarzen Hefte« wissen wir, wes Geistes Kind Heidegger war – auf das Wesen seiner geistigen Welt hat schon früh u.a. sein Schüler Karl Löwith (1897-1973) aufmerksam gemacht.

Am liebsten zog sich Heidegger, der der Diktatur von 1933-1945 intellektuell beiseite sprang, in seine Hütte im Hochschwarzwald zurück, abseits der Zivilisation, und ging in den umliegenden Wäldern spazieren: Ein Solipsist par excellence, der folgerichtig eine solipsistische Philosophie entwarf, ein dunkles Rumoren der Sprache, das vorgaukelt, es habe das abendländische Denken revolutioniert. Eine Antwort auf die Grundfrage der Praktischen Philosophie »Was soll ich tun?« fehlt indes vollständig. Dieser Mangel ist ein Grund dafür, dass ein solches Denken am Ende den Barbaren applaudieren musste. Erst Heideggers Schüler (Hannah Arendt, Hans Jonas u.a.) nahmen sich der Frage vernunftgeleiteten Handelns wieder an. Das eigentliche Drama aber ist, dass sich Arendt und Löwith, mit Einschränkungen auch Jonas, am Ende mit Heidegger wieder versöhnt haben.

Was aber bleibt von dessen Werk heute? Meines Erachtens ist da kaum mehr als eine Unmenge Altpapier, das sich nicht mehr recyceln lässt und allenthalben noch ein Kopfschütteln hervorrufen kann, wenn man etwa über das folgende Gerede stolpert:

»Und was ist das, worin Dasein als In-der-Welt-sein sich vorontologisch versteht? Im Verstehen des genannten Bezugszusammenhangs hat sich das Dasein aus einem ausdrücklich oder unausdrücklich ergriffenen, eigentlichen oder uneigentlichen Seinkönnen, worumwillen es selbst ist, an ein Um-zu verwiesen. Dieses zeichnet ein Dazu vor, als mögliches Wobei eines Bewendenlassens, das strukturmäßig mit etwas bewenden läßt. Dasein verweist sich je schon immer aus einem Worum-willen her an das Womit einer Bewandtnis …«. (§18)

Wären solch lächerlich klingenden und die pure Verachtung gegenüber allen Dialogpartnern offenbarenden Sätze, die sich durch das gesamte Hauptwerk ziehen, doch bloß Satire …

III

Ganze Generationen von Philosophiestudenten sind den geistlosen Wortspielereien auf den Leim gegangen. In Frankreich haben namhafte Denker seit den 1960er Jahren Heideggers Vokabular auswendig gelernt. In Deutschland haben zur gleichen Zeit Theologen versucht, seine Begriffe in ihr Glaubensgebäude zu integrieren. Und manch einer verheideggert sich auch heute noch bei dem Versuch, so dahin zu philosophieren wie der Autor von »Sein und Zeit«, der auch nach 1945 nicht davon ablassen konnte, Banalitäten in eloquenter Geschwätzigkeit vorzutragen: »Das Krughafte des Kruges west im Geschenk des Gusses.« Wikipedia ist hier wesentlich klarer: »Der Krug ist ein … Gefäß, das der Aufnahme, dem Transport, der Lagerung und der Entnahme von Flüssigkeiten dient.«

Nüchtern betrachtet würde es der Philosophiegeschichte also an nichts mangeln, wenn Heidegger kein einziges Wort geschrieben hätte. Eine selbstreflexive Sigetik, eine Schweigelehre, bezogen auf das eigene panglossenhafte Gebrabbel, wäre vielleicht eine Lösung gewesen. Doch zu spät: Da ist nichts als triefender Kitsch, der so tut, als ob da irgendwo – tief verborgen – noch Sinn und Bedeutung hinter den Worten stecke. Plötzlich jedoch, wenn man nur einmal selber denkt, merkt man: Es handelt sich bloß um provinzielle, antimoderne, volkstümliche Glossen, die im Tarnanzug einer Philosophie daherkommen. Man kratzt an der Oberfläche – und kommt kein bisschen tiefer, nirgends. Öffnet man Heideggers Matrjoschka-Begriffe, dann steckt dahinter immer die gleiche Holzpuppe, nur ein Stück kleiner. Und so weiter ad infinitum, bis nichts übrigbleibt. Man könnte es auch mit Spike Jonze so sehen: Wer die Szene aus seinem Film »Being John Malkovich« (1999) kennt, in der John Malkovich in sein eigenes Gehirn rutscht und alle Leute, die aussehen wie John Malkovich nur »Malkovich, Malkovich« sagen, der hat auch Heidegger schon verstanden. Man muss nur das Wort Malkovich durch seinen Namen ersetzen.

IV

In diesem Verstande hat Lorenz Jäger durchaus Recht, wenn er behauptet: »Heidegger ist unser Zeitgenosse« – insofern unsere Zeit Oberflächlichkeit für Hintersinn hält und sich in diversen Ressentiments ergeht. Inwiefern Heideggers Philosophieren jedoch, wie Jäger meint, auch in der Gegenwart noch »eine vibrierende Atmosphäre« schaffe, bleibt indes rätselhaft, ja, die Einschätzung scheint mir doch etwas zu wohlmeinend gegenüber einem Denken, das gerade von zwischenmenschlicher Atmosphäre gar nichts wissen wollte – und auch nichts wissen konnte. Denn es ist ja kein Zufall, dass Heidegger die Vorsokratiker so stark rezipierte, weil auch sie philosophische Reflexion vorrangig als inneres Selbstgespräch verstanden, nicht – wie etwa Sokrates – als Dialog resp. als diskursives Ringen um Wahrheit.

In Bezug auf den Kern von Heideggers solipsistischem Denken als auch hinsichtlich der recht verschwurbelten Formulierungen vergibt Jäger zumindest anfangs die Chance, über Altbekanntes hinaus sich in kritischer Auseinandersetzung dem Meister terminologischer Chimären zu nähern – bzw. ihn weiter von sich weg zu schieben. Diesbezüglich ist die exzellent geschriebene Biografie bis zu dem Kapitel über Carnap ein wenig zu freundlich geraten und findet erst spät zu kritischeren Tönen. Auch aus wissenschaftlicher Sicht bringt sie nur selten wirklich Neues, weil sie abseits der biografischen Daten insgesamt stark an einer Textexegese orientiert ist und auf Erklärung und Darstellung setzt. Das freilich ist durchaus legitim, wenn der Anspruch wie hier der einer Einführung ist und man den Klappentext nicht allzu ernst nimmt.

Es fehlen meines Erachtens trotzdem stärkere Bezüge zu Zeitgenossen wie Bultmann und Jonas, die nur am Rande auftreten, Bultmann gar nur ein einziges Mal in einer Parenthese, Arendt schlüpft im Kern in die Rolle der Geliebten. In Heideggers Augen war sie auch kaum mehr als das: Schülerin und Affäre, jedenfalls keine eigenständige Denkerin, deren Publikationen weitaus wichtiger waren als alles, was er selbst je geschrieben hatte. Muss man sich aber Heideggers Blick auf Arendt zu Eigen machen?

Schließlich waren Carnap und Heidegger nicht, wie Jäger glaubt, der gleiche Jahrgang (vgl. S. 310). Marginalien vielleicht, die man auch vernachlässigen könnte, sicher, denn die Intention des Buches geht ganz klar in eine andere Richtung.

Für alle, die es also nicht lassen können und sich weiterhin mit Heidegger beschäftigen wollen, bietet Jägers Biografie deshalb einen sehr guten Einstieg. Immerhin trägt sie unglaublich viele Facetten eines Lebens in einer beeindruckenden Fülle zusammen; eines Lebens, das 1889 im Kaiserreich seinen Ursprung nahm und über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis in die Bundesrepublik sich fortsetzte, wo es dann im Mai 1976 endete – und das Nachleben dieses höchst umstrittenen Denkers begann. In über einhundert Bänden der Gesamtausgabe lässt sich heute nachlesen, was er zeitlebens gedacht hat.

Artikel online seit 14.09.21
 










Lorenz Jäger
Heidegger
Ein Deutsches Leben
Rowohlt
608 Seiten
28,00 €
978-3-7371-0036-6

 

 


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