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Zwischen Selbst- und Welthaß

Die Tage- und Notizbücher der Patricia Highsmith konfrontieren uns
mit einer zeitlebens zunehmend misanthroper werdenden Persönlichkeit

Von Lothar Struck
 

Einst wurde Fritz J. Raddatz einmal gefragt, wer aus den Tagebüchern von Thomas Mann all diese Intimitäten wissen sollte oder gar müsste. Raddatz antwortete ostentativ: »Ich. Ich habe alle Bände gelesen und keine Zeile ausgelassen. Warum sind Banalitäten […] bei Thomas Mann so wunderbar? Ich finde, sie sind das Unterfutter eines großen Werkes. Selbst seine Masturbationsexerzitien fand ich schön absurd.«

Die erhaltenen und publizierten Tagebücher von Thomas Mann umfassen vielleicht 9000 Seiten. Von den 18 Tage- und 38 Notizbüchern, die man nach Patricia Highsmiths Tod gefunden hatte und die insgesamt rund 8000 Seiten umfassen sollen, kann man nun bei Diogenes aus Anlass ihres 100. Geburtstages 1300 Seiten lesen. Federführend als Herausgeberin fungiert Anna von Planta, Lektorin des Diogenes Verlags, der die Weltrechte von Patricia Highsmith besitzt. Die ersten publizierten Einträge sind von 1941. Der letzte Eintrag ist vom 6. Oktober 1992; über die Jahre 1993 bis zu ihrem Tod 1995 wird der Leser durch eine kurze Zusammenfassung informiert.

Patricia Highsmith wurde am 19. Januar 1921 in Fort Worth, Texas, geboren. Ihre Eltern ließen sich bereits vor Patricias Geburt scheiden. Die Mutter heiratete 1924 erneut. 1927 Umzug nach New York. Ihren leiblichen Vater, einen deutschen Einwanderer (daher brachte sie sich eifrig die deutsche Sprache bei), lernte sie erst mit 12 Jahren kennen. Sie studierte bis 1942 englische Literaturwissenschaften am Barnard College. Bereits während des Studiums verfasste sie Kurzgeschichten, die im studentischen Magazin »Barnard Quarterly« veröffentlicht wurden, dem sie auch kurz als leitende Redakteurin diente. Neben ihrer schriftstellerischen Ambition zeichnete sie auch und fertigte Skulpturen.

Die Tagebücher nutzte Highsmith für die Dokumentation der unmittelbaren Erlebnisse, während die Notizbücher für intellektuelle und, mit der Zeit immer stärker, literarische Verarbeitungen, als eine Art »Spielwiese« (die Herausgeberin), dienten. Die Einträge in den Tagebüchern verfasste Highsmith anfangs häufig in französisch, deutsch und spanisch, später auch italienisch, um eine heimliche Lektüre beispielsweise der Mutter zu erschweren; die Einträge in den Notizbüchern sind in englisch. Für die vorliegende Ausgabe wurden die fremdsprachigen Passagen der Tagebücher von Elizabeth Lauffer, Sophie Duvernoy, Noah Harley und Hope Campbell Gustafson übertragen. Im Buch wird gekennzeichnet, welche Sprache Highsmith jeweils verwendete. Die Passagen, die Highsmith auf deutsch verfasst hatte, wurden geglättet; die englischen Texte von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Härtle und Peter Torberg übersetzt.

Auslassungen sind, wie es heißt, der besseren Übersichtlichkeit halber, nicht gekennzeichnet. Es gibt Fußnoten (sehr kleines Schriftbild) in denen zumeist die zahlreichen Lokalitäten, getroffenen Personen und einige werkgenetische Anmerkungen skizziert werden. Literaturwissenschaftliche Einschübe gibt es selten; man bleibt fast immer deskriptiv. Über die im Vorwort angedeutete Editionspolitik, dass man besonders üble Formulierungen Highsmiths beispielsweise gegen Schwarze und Juden nicht aufgenommen habe, wird noch zu reden sein.

Jedes Kapitel (zu Beginn jedes Jahr, später werden Epochen zusammengefasst) beginnt mit einer kurzen Übersicht der Ereignisse durch die Herausgeberin. Von Planta druckt die Tage- und Notizbücher chronologisch ab und verwebt beide Textkorpora miteinander, wie dies Highsmith auch wünschte (obwohl sie sich nicht für eine Publikation zu Lebzeiten entscheiden konnte). Der Unterschied wird nur darin sichtbar, dass bei den Tagebüchern der Monat des Datums ausgeschrieben wird, während in den Notizbüchern die Monate in numerischer Form geschrieben werden. Im Laufe der Lektüre kann man rasch auch ohne genauen Blick auf die Monatsschreibung meist sicher vorhersagen, aus welchem "Buch" der jeweilige Eintrag stammt.

Partyreigen, Zahnschmerzen und Überdruss

Zwar bleibt man in den Tagebüchern von Patricia Highsmith von Masturbationsexerzitien wie bei Thomas Mann verschont. Dafür erfährt man beispielsweise einiges über ihre Fähigkeiten zu multiplen Orgasmen und die Trinkgewohnheiten der New Yorker Intellektuellenszene. Der Eintritt in das rege lesbische Gesellschaftsleben von Greenwich Village bei New York erfolgt von Null auf Hundert. Die meisten Teilnehmerinnen (es gibt nur wenige Männer) sind älter als Highsmith, die zu Beginn noch Studentin ist und gehören der Ober- oder oberen Mittelschicht an, was bei ihr nicht der Fall ist. Es eröffnet sich dem Leser ein wahres Feuerwerk von Begegnungen, glücklichen wie unglücklichen Verliebtheiten mit und ohne Sex, Alkoholabstürzen (weniger Drogen), durchgemachten Nächten und reichlich Klatsch und Tratsch. Bei Highsmith kommen noch Mutterstreitigkeiten, finanzielle Sorgen, quälende Zahnschmerzen, zahlreiche Lektüreeindrücke (meist sehr knapp) und zähe, aber durch die Partybesessenheit immer wieder gestörten Versuche, zu schreiben oder auch künstlerisch zu wirken (hier schwankt sie länger) hinzu.

Ihr Ehrgeiz im Studium ist groß, aber manchmal leiden die Noten unter dem Partyleben. Zunächst macht man sich noch die Mühe, die zahlreichen Bekanntschaften, Freundinnen, Liebschaften und sexuellen Affären zu sortieren. Schnell resigniert man allerdings – zu sprunghaft der "Verschleiß" und, seltener, die Wiederaufnahme. Oft gibt es Dreiecksbeziehungen; nicht immer ist klar, wer gerade beim wem die Favoritin ist. Irgendwann wird eine handschriftliche Liste Highsmiths abgedruckt, in der die Amouren tabellarisch erfasst und die Frauen bewertet werden – aber selbst sie gibt bald auf. Eben noch rauschhaft und ekstatisch verliebt, stellt sich nach wenigen Monaten, manchmal noch früher, ein Überdruss ein; aus der Liebe wird dann höchstens noch eine Freundschaft. Zu heftigen Verstimmungen bei Highsmith führt dies, wenn sie selber »Opfer« des Überdrusses wird.

Nur wenige Männer kommen in ihrem Liebesleben vor, wie etwa der Fotograf Rolf Tietgens oder der Schriftsteller Marc Brandel. Obwohl sie sich (fast immer) vor Umarmungen und Berührungen von Männern ekelt überlegt sie lange, sich proforma mit einem Mann zu verheiraten, verlobt sich sogar mit Brandel (den sie Jahre später einen "beschissenen Kerl" nennt), denkt sogar an ein Kind. Dies nur um einen äußeren Schein zu wahren (was vice versa auch für die Männer gilt). Aber ihre Furcht vor Abhängigkeiten und vor dem Sturz in die Gewöhnlichkeit ist einfach zu groß. Tatsächlich versucht Highsmith auch Affären mit heterosexuellen Männern (unter anderem Artur Köstler). Aber sie enden zumeist desaströs. Am besten kommt sie mit Männern zurecht, die von vornherein keinerlei sexuelles, sondern nur intellektuelles Interesse an ihr haben wie beispielsweise Raimund von Hofmannsthal, der Sohn des berühmten österreichischen Schriftstellers oder Wolfgang Hildesheimer, den sie 1951 kennenlernt und »großzügig, clever, witzig und rundum nett« findet.

Irgendwann (zum ersten Mal so um Seite 300) erinnert man sich an Raddatz' Bemerkung vom »Unterfutter eines großen Werkes«. Highsmiths Tagebuch-Schreibpensum insbesondere 1941 und 1942 ist enorm; von Planta spricht von 450 Seiten 1941 und sogar 750 Seiten 1942. Im Buch nehmen diese Jahre 130 und 150 Seiten ein. Die Jahre von 1941 bis 1950 machen mehr als die Hälfte des Buches aus, was man durchaus befragen könnte.

Ist es wirklich relevant zu wissen, ob und wie sie in Rosalind, Helen, Allela, »Texas«, Chloe, Ann, Natica, Joan, Ginnie, Jean, Jeanne, Lewis, Kathryn, Maria, Ann, Tessa, Ellen, Madelaine, Caroline, Tabea oder Monique verliebt war (Aufzählung ist nicht vollständig), wann und wie der Sex war und wann wo wieviel getrunken wurde? Die tatsächlichen Identitäten der Liebhaberinnen werden übrigens nur dann genannt, wenn sie durch andere Publikationen schon bekannt sind, ansonsten gilt Persönlichkeitsschutz. Highsmith erkennt in der Nachbetrachtung selber, dass die Aufzeichnungen überquellen von »unreflektierten persönlichen Ergüssen«. Mit 40 möchte sie die Tagebücher einmal ins Feuer werfen und resümiert, dass ihr Leben eigentlich erst mit 30 begonnen habe, um dann irgendwann doch wieder die Hefte zur Hand zu nehmen, wobei sie 1968 »entsetzt« ist über das Wiedergelesene.

Und ganz harmlos ist dieser Reigen nicht, denn einige Frauen verüben aus Liebeskummer Suizidversuche; einmal schlitzt sich jemand vor ihr die Pulsadern auf. Allela trinkt Salpetersäure und stirbt an den Spätfolgen einige Monate später. Highsmith reagiert meist nur kurz betroffen. Wenn sie mal in Tränen ausbricht, dann nur aus Selbstmitleid. Mit ihrem eigenen Selbstmord kokettiert sie nur.

Das Zentrum der Welt

Also warum soll man sich diese ersten 700 Seiten mit backfischhaft anmutenden Liebesreigen, manisch-depressiven Stimmungsschwankungen und maßloser Egozentrik antun? Sicherlich ist es zunächst einmal zeithistorisch interessant festzustellen, dass es, während zu Beginn in Europa ein brutaler Vernichtungskrieg und die Shoah tobt, in den Bars und Restaurants von New York wichtig zu sein scheint, wer mit wem speist und trinkt und wann welche Frau Hosen trägt.

Denn Europa ist weit weg und New York das Zentrum der Welt. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang Highsmiths Sympathien für den Kommunismus Anfang der 1940er Jahre. Sie hat Stalins »Grundlagen des Leninismus« gelesen (»sehr wichtig«) und arbeitet in kommunistischen studentischen Organisationen. Aber schon Mitte 1941 lässt der Elan nach; bald wird sie austreten. Es fließen anfangs noch Meldungen aus dem Krieg in ihr Tagebuch ein. Sie ist besorgt über die Niederlagen der Briten in Nordafrika und die scheinbare Übermacht der Deutschen in der Sowjetunion. Den Kriegseintritt der USA kommentiert sie eher nebenbei. Dann gibt es keine relevanten Eintragungen mehr bis zum Tode Hitlers und der Kapitulation. Für die USA geht der Krieg in Japan noch weiter; der Atombombenabwurf hinterlässt keinen direkten Eindruck bei ihr. Später, Ende der 1940er Jahre und zu Zeiten des Korea-Krieges, ist von ihrer Kommunismus-Sympathie nichts mehr zu spüren. Sie fürchtet sich vor einem dritten Weltkrieg und einem Einmarsch der Russen nach Deutschland. Dennoch glaubt sie 1957, dass der Lebensstandard der Bevölkerungen der UdSSR und USA "gleichwertig" sei und phantasiert über ein Idealbild des "neuen Kommunismus der reinen Art", der nicht, wie in Ungarn 1956, niedergewalzt würde.

Zum anderen ist es durchaus wichtig, dass Highsmith – entgegen ihrer eigenen Einschätzung als "Spannungsautorin" (viel später wird sie Suspense- und Kriminalroman als je eigene Genres unterscheiden) – unmittelbar nach ihrem ersten Erfolg "Zwei Fremde im Zug" den 1952 erschienenen Roman "Salz und sein Preis" (bzw. ab 1990 in Neuauflagen "Carol") über eine lesbische Liebesbeziehung verfasste. In diesem Buch, dessen Entstehung in den Tagebüchern sehr gut nachverfolgt werden kann, werden Highsmiths Erlebnisse in der Schwulen- und Lesbenszene gespiegelt. Während die Figur Therese als ein Alter ego Highsmiths gelesen werden kann, fließen in Carol Charaktereigenschaften ihrer Freundinnen ein. Die Reaktionen antizipierend, einigte sie sich mit ihrer Agentin, dass der Roman unter dem Pseudonym Claire Morgan erscheinen soll. Nicht zuletzt deshalb, weil mit den informellen Regeln, die für homosexuelle Helden in der Literatur in den USA galten, gebrochen wurde. Hinzu kam, dass die lässige Duldung Homosexuellen gegenüber in den USA während der Kriegsjahre in der McCarthy-Zeit vorbei war. Später wird sie mit "Der Stümper" (1954) und "Tiefe Wasser" (1957) in allegorischer Form ihre Beziehung zu einer lange Zeit prägenden Geliebten, Ellen Hill, verarbeiten. Ob es hierfür zwingend der Rezeption der Tagebücher bedarf, um diese Texte verstehen und einordnen zu können, müssten die Literaturwissenschaftler klären.

Wer sich die Details des Amourendschungels der Tagebücher ersparen möchte, lese insbesondere in den Notaten von 1941 bis 1950 (bzw. bis 1954) die jeweiligen kurzen Einleitungen der Herausgeberin und dann nur Highsmiths Eintragungen in den Notizbüchern. Diese enthalten nicht nur literarische Fingerübungen (von denen, wie von Planta angibt, die meisten nicht abgedruckt sind), sondern bereits sehr früh pointierte literarische Überlegungen, Ideen und, besonders später, das, was man Lebensweisheiten nennen könnte.

Hauptthemen sind hier die Liebe, der Unterschied zwischen homosexueller und heterosexuellen Lieben und Partnerschaften, der Schriftsteller und der Alkohol (sie ist hin- und hergerissen zwischen der "Selbstzerstörung" durch Alkohol und einer durchaus gewollten, weil einer Erfahrung erschaffenden "Bewusstseinsveränderung" und erhebt früh das Trinken in den Rang einer "ausgezeichneten Imitation des künstlerischen Prozesses"), das Schriftstellersein per se und der zeitweilig verzweifelte Versuch, sich das Christentum irgendwie anzueignen. Der Mensch sei "ohne einen Gott nicht das Geringste wert", schreibt sie als junge Frau und lobt die Bibel als "ein sehr gutes Buch". Jahrzehnte später ändert sie ihre Ansichten, betrachtet die Seele als vom Menschen ausgedacht und Religionen als "organisierte Vortäuschung" oder schlichtweg "Auslassventil für Schuld".

Die Liebe, so Highsmith als 20jährige, gebe es nicht "ohne eine Spur von Hass: Jeder, den wir lieben, hat irgendetwas an sich, das wir abgrundtief hassen." In sich selber macht sie einen "Mahlstrom aus Liebe und Hass" aus. Wichtig für sie ist der Sex, den wahlweise zur Religion erhoben wird, um ihn dann wenig später als "Schwindel" abzutun. Die sexuelle Liebe erklärt sie zum einzigen Gefühl, das sie "wirklich je berührt" habe.

So übermütig sie sich in die Affären stürzt – glücklich ist sie immer nur sehr kurz. Dann beginnt das Beschwören ihrer Sehnsucht nach einem "Seelenfrieden", dem Alleinsein. So sehr sie allerdings "Seelenfrieden" sucht, so deutlich wird ihr, dass "glückliche Tage…zur Stagnation des Geistes" führen. Fast jede Tagebuchaufzeichnung beginnt entweder mit "guter Tag" oder "schlechter Tag", und dies im stetigem Wechsel. Bereits mit 27 resümiert sie ihr Leben als von "Kampf, Gewalt, von verbittertem, verzweifelten Streben" bestimmt.

Lange zögert Highsmith, sieht sich eher zur Künstlerin berufen statt als Schriftstellerin, ändert dann jedoch ihre Prioritäten. Sie wird aber immer wieder Zeichnen, wenn auch nur in Phasen. Überraschend ihre These, dass sie Malerei dem Schreiben in den letzten Jahrhunderten immer "weit voraus" gewesen sei: "Goya nahm Zola voraus, Manet Dos Passos, und de Chirico die Einsamkeit und das Alleinsein von Camus". Ihre selbstauferlegten Schreibimperative beginnt sie mit dem Satz: "Schreibe, wie ein Maler malt…".

Sie lamentiert sie über die Bedeutungslosigkeit des Individuums und mutmaßt, dass der moderne Mensch "wie von ständiger Furcht gelähmt" lebe, obwohl er keine Tragödien mehr kenne, er im Gegensatz zu den Griechen "keine festen Prinzipien" mehr hätte. Sie zetert über "König Gier", der die Welt regiere um dann wieder voller Tatendrang zu agieren.

Durch die Fürsprache unter anderem von Truman Capote bekommt sie 1948 einen Dreimonatsaufenthalt in der Künstlerkolonie Yaddo spendiert. Hier öffnet sich für sie eine Art Paradies und sie kann ungestört durch die Partyfreundinnen schreiben, entsagt weitgehend dem Alkohol (und nur ab und zu bricht sie aus) und fühlt sich unter ihresgleichen. "Salz und sein Preis" erhält hier den Schliff. Aber zurückgekehrt nach New York haben ihre guten Vorsätze kaum längeren Bestand, werden von den Ereignissen immer wieder eingeholt, was dann wiederum zu einigen Selbstvorwürfen und Reflexionen über ihr Schreiben führen.

Der Schriftsteller, "ein Fenster zwischen Gott…und dem Menschen"

Aufgrund ihres "F.-Scott-Fitzgerald-mäßigen" Lebensstils (Selbstbeschreibung) kann sie bis weit in den 1950er Jahre hinein – trotz des Erfolgs und der Verfilmung von "Zwei Fremde im Zug" durch Alfred Hitchcock - nicht vom Schreiben leben, ist auf den Job als Comictexterin angewiesen, den sie nicht liebt, weil sie sie von ihrer eigentlichen "Arbeit", dem Schreiben und dem Nachdenken abhält.

Sie schreibt Geschichten, die sie (bzw. ihre Agentin) versucht, zu verkaufen. Es fällt auf, dass viele der bis in die 1960er Jahre hinein geschriebenen und auch in amerikanischen Magazinen damals publizierten Erzählungen auf deutsch erst posthum erschienen sind. Auch mit Romanen hat Highsmith nicht immer Glück. Manchmal gibt sie ein Projekt vorzeitig auf. Häufiger werden die Manuskripte abgelehnt. Man kritisiert die Figuren oder das Ende; Highsmith ist zwar bekannt, aber nicht vor Ablehnungen gefeit. Der Roman "Die zwei Gesichter des Januars", erscheint erst nach etlichen Umarbeitungen vier, fünf Jahre später als von ihr gedacht. Das Manuskript zu "The Traffic of Jacobs Ladder" ist sogar verschollen nachdem es von zwei Verlagen abgelehnt und Ende 1952 von Manès Sperber in seiner Eigenschaft als Cheflektor bei Calmann-Lévy zerschmettert wird (was Highsmith erstaunlich gelassen aufnimmt). Und noch in den 1980er Jahren werden zwei Romane von Highsmith in den USA zunächst abgelehnt.

Immer wieder neu wird sie sich mit ihrem Schreiben im speziellen und der Position des Schriftstellers im allgemeinen auseinandersetzen. So unterscheidet sie zwischen Dichtern und Romanschriftstellern: "Der Dichter darf gesunde und einfache Prosa schaffen; das Schreiben eines Romanschriftstellers muss sich in den gedanklichen Rahmen einer Philosophie einfügen…" Dichter sind im Unterschied zu Schriftstellern für sie "Menschen, die sich um nichts scheren, die allein ihren Weg gehen"; Dylan Thomas ist hier ihr Vorbild. Ihre literarischen Götter sind neben den Klassikern unter anderem Fjodor Dostojewski ("mein Meister!"), Marcel Proust ("ein Genuss und eine Inspiration"), Henry James, Graham Greene (dessen "Ende einer Affäre" sie allerdings missbilligt, Jean-Paul Sartre, James Joyce und Herman Melville. Sie hält Thomas Mann für "größer" als Franz Kafka, weil Mann "seine Ideen vermitteln konnte". Am Ende ihres Lebens erhebt sie Oscar Wilde noch in den Status eines "Christus".

Der Schriftsteller, so erkennt sie früh, sei "nie aktiv auf der Suche" nach seinem Stoff. Er "sollte nicht denken, dass er sich von anderen Menschen so sehr unterscheidet." Er habe "einen bestimmten Teil von sich weiterentwickelt, der in jedem Menschen angelegt ist: das Erkennen, das Niederschreiben. Nur wenn er diese demütige und heroische Tatsache erkennt, kann er das werden, was er sein muss: ein Medium, ein Fenster zwischen Gott auf der einen Seite und dem Menschen auf der anderen". Das ist dezidiert eine Absage an den "Elfenbeinturm", aber beinhaltet dennoch den Geniekult, von dem sie nicht ablassen wird, etwa wenn sie sich selber einmal als "Gesalbte" bezeichnet. Für ihr Schreiben findet sie Anfang der 1950er Jahre zwei Kriterien: "Es muss eine eindeutige Idee geben, klar und unverkennbar; er muss lesenswert sein, so lesenswert, dass der Leser ihn nicht ein einziges Mal aus der Hand legen kann." Dabei ist ihr das zweite Kriterium wichtiger als das erste.  

Häufig fasst sie den Vorsatz, ihr Leben zu ändern. Vor allem ihren exzessiven und bisweilen zerstörerischen Alkoholkonsum. Sie ist dann der Gesellschaft ihrer "Miststücke" überdrüssig. Einerseits will sie der Szene entkommen, andererseits schult sie hier auch ihre Beobachtungsgabe. Als man sich beispielweise bei einer Vernissage begegnet, sieht sie "eine Schar Homosexuelle, die mehr einander als die Kunstwerke beäugen". Später beschreibt sie den "wissenden Blick", mit dem sich Homosexuelle praktisch sofort verständigen und sofort ein "überwältigendes Gefühl der Brüderlichkeit" füreinander erzeugen. Sie macht sich lustig über die "hohlköpfigen Mädchen…die in amerikanischen Bars herumsetzen", bezeichnet diese als "hauptberufliche Homosexuelle" um einen Tag später den grassierenden McCarthyismus zu kritisieren. Denn sie hält Homosexuelle für eine "höhere Art Mensch" und die "Heterogeselligkeit" stößt sie ab. Ihre erste größere Reise nach Europa, die 1951 beginnt und zwei Jahre dauert, ist ein Stück weit eine Befreiung von der Clique, obwohl sie diese dann auch wieder vermisst, sehnsüchtig auf Post und den neuesten Klatsch wartet.

"Triumph des Bösen"

Patricia Highsmith beendete ruckartig am 12. Mai 1954 das Tagebuchschreiben für sieben Jahre und konzentrierte sich auf ihre Notizbücher. Auch später wird sie die unmittelbaren Ereignisse in Tagebüchern nur noch sporadisch dokumentieren. Als Grund mutmaßt die Herausgeberin, dass ihre ständige (aber nicht einzige) Geliebte Ellen Blumenthal Hill in ihren Tagebüchern gelesen hatte. Highsmith erwähnt Hill, die ihr Leben sehr beeinflussen wird, zum ersten Mal 1943 eher beiläufig. Sie begegnet ihr dann im September 1951 in München erneut. Jetzt entflammt sie sofort. Aber auch hier hat der gelungene Sex einen Preis, denn die beiden streiten im Alltag unaufhörlich. Sie erkennt: "Niemand mag Ellen…Sie hatte nie Freunde" und sie beschwört sogar den Psalm 23. Hill, sechs Jahre älter und aus vermögendem Hause, ist rastlos, besitzergreifend, streitlustig und egozentrisch. Beide reisen, meist auf Anregung von Hill, kreuz und quer durch Europa. Lange halten sie es nirgendwo aus. Hill treibt Highsmith mit "tyrannischen Launen", ihrer "Übellaunigkeit" und kaum verhüllten Aggressionen in Depressionen, die irgendwann mit "XX" (gutem Sex) wettgemacht werden. Aber selbst der wird einmal problematisch: "Nicht vor den Streits fürchte ich mich, sondern vor den Versöhnungen" seufzt sie. Die beiden können jedoch trotz all der Reibereien, Hektik und Ruhelosigkeit nicht voneinander lassen. Und der Leser bekommt dieses jahrelange Wechselspiel zwischen "Hölle" (P.H.) und Wonne über hunderte von Seiten geschildert.

Highsmiths Idiosynkrasien hören mit dem Ende des Tagebuchschreibens nicht auf. Sie dringen allerdings nicht mehr so stark hervor. Das Notizbuch ist wie ein Vorhang, der sich nur hin und wieder öffnet, nicht zuletzt durch erklärende Anmerkungen der Herausgeberin.

Ab Ende der 1950er-Jahre wächst Highsmiths schriftstellerische Positionierung und mit ihr die Ambitionen. "Ich will nur reich & berühmt sein! Nicht viel, was?", so schreibt sie kokett. Als sie den ersten Ripley-Roman fertig hat, freut sie sich über den "Triumph des Bösen". Man erinnert sich, wie sie lustvoll ihre Faszination für das "Morbide, das Grausame, das Abnorme" aussprach. Einmal vergleicht sie Raub mit Mord und hält Raub für schlimmer, weil es nur die Gier befriedigt. Mord ist für sie "eine Art des Liebesspiels", des "Besitzergreifens"; eine "männliche" Tat, die zumeist aus "emotionalen oder logischen Gründen" geschieht.

Schon 1947 schreibt sie, dass sie "keinen moralischen Kompass" habe, sieben Jahre später ist sie sich sicher: "Mein Leben hat keine Moral", "außer: 'Stell dich und wird damit fertig'". Alles andere sei "Gefühlsduselei". Ihr Denken ist elitär, aber es ist ein Elitarismus, der sich nicht auf Stand und Geld gründet. Highsmith sucht immer mehr die Extreme, verabscheut Mittelmäßigkeit und meint damit intellektuelles Mittelmaß. Empathie findet sie, wenn überhaupt, für andere: "Alles Mitleid, das ich mit der Menschheit habe, habe ich für die Geistesgestörten und Kriminellen…Normalität und Mittelmaß? Die brauchen keine Hilfe. Sie interessieren mich nicht."

Sie ist unstet, siedelt nach Europa über, erst England, dann Frankreich, meist der Liebe wegen. Aber die Liebesfeuer "verglühen" meist rasch. Erst die Großstadt, dann immer häufiger das Land, kleine Städte oder gar Dörfer. Das Landleben habe sie 1956 begonnen, schreibt sie mit 47 und sehnt sich (kurz) nach den Zeiten der "Lebendigkeit", nach "mehr Sozialleben", oder auch einfach nur nach einer funktionierenden Müllabfuhr wie in Paris zurück um dann sofort allerdings wieder die Vorteile der "Freiheit" zu erkennen, die in diesem Landleben trotz der Engstirnigkeit einiger Nachbarn liegen. Im Alleinsein kann sie arbeiten, was sie auch fast berserkerhaft ab den 1960er Jahren macht, aber es quälen sie "Enttäuschungen, Schmerz, Tränen" und eben dann doch wieder Einsamkeit. Aber sie hadert auch mit den "erbärmlichen Leuten"; die sie sich als Freunde "ausgesucht" habe und ihr nicht einmal geliehene Bücher zurückgeben, aber sie habe eben eine "miserable Menschenkenntnis". Eigentlich will sie nach vorne schauen, verordnet sich "Überlebensregeln". Aber es gelingt ihr zu wenig.

Als ihre Mutter 1959 zum Besuch nach Europa kommt, ist Highsmith schockiert. Sie bemerkt bei der 64jährigen manisch-depressive Charakterzüge der Großmutter, "als diese viel älter war. Die Geistesabwesenheit, die Wiederholungen, die lächerliche, schamlose Angeberei." Sie fragt sie sich nun, ob sie in 25 Jahren genauso sein werde. Den geistigen Verfall der Mutter in einem Pflegeheim in Texas, der 15 Jahre bis zu ihrem Tod 1991 dauern wird, bekommt Highsmith fast nur noch aus der Ferne durch die Schilderungen ihres Cousins mit.

Ihre Niedergeschlagenheit versucht sie zunächst trotzig zu widerlegen: "Der Künstler kennt keine Depressionen, nur die Rückbesinnung auf das eigene Ich." Aber es gebe dennoch "schwarze Stunden". Sie ist Ende 30, als sich die Einträge mehren, ihr Leben sei "absolut aussichtslos" oder "eine Abfolge unglaublicher Fehler". Aber an ihrer besonderen Position hält sie immer fest: "Würde ich mich ausruhen und ein Mensch werden, könnte ich mein Leben nicht ertragen." Und dann zieht sie sich – für kurze Zeit - wieder am eigenen Schopf aus dem Sumpf: "Es ist besser deprimiert zu sein, als verwirrt." Dann wiederum wähnt sie sich "gefangen wie eine Ratte in der Höhle".

Mit dem Erfolg melden sich die Steuerbehörden. "Der Lohn harter Arbeit", spottet sie in einem Gedicht, "Ist eine höhere Steuerklasse". Sie muss sowohl in den USA wie in Frankreich Steuern bezahlen, zieht im Alter dafür in die Schweiz, erwägt sogar, die Staatsbürgerschaft der Schweiz anzunehmen.

Im Weltkrieg mit allen

Was man bei der Lektüre nie vergessen darf: Diese Notizen sind intim und spontan und ohne direkte Rücksichtnahme auf potentielle Leser verfasst. Zwar waren Veröffentlichungen durchaus einmal geplant und von Planta berichtet davon, wie Highsmith wünschte, einige Wörter zu verändern (etwa "negroes" durch "Schwarze"). Aber da es zu Lebzeiten nicht dazu kam, ist vieles in bisweilen robusten Vokabeln geblieben, die Kreisen, die nur idealistische Vorstellungen von Schriftstellern zulassen wollen (wobei sie selber bestimmen, was das genau ist), heutzutage unangenehm aufstoßen.

Man nehme ihre Reisebeschreibungen. Es gibt bukolische, meist kurze Orts-Stimmungsbilder, etwa über den East River, Salzburg am frühen Morgen, die "erotisch aufgeladenen Atmosphäre" in Acapulco, Paris aus dem Bus heraus, "den Westen" in Santa Fe, eine Cowboy-Kneipe in Texas (das Niveau sei hier "ziemlich niedrig"), den mexikanischen Ort Ciudad Juárez (der Jahrzehnte später Schauplatz von Massenmorden wird und zu einem literarischen Ort von Roberto Bolaño), Aldeburgh (England), Venedig oder Afrika als "großartiger Ort zum Nachdenken" stehen. Und dann negative Eindrücke, die drastisch formuliert sind. So ist sie auf ihrer ersten Mexiko-Reise von der Hauptstadt "höchst angeekelt", um dann allerdings Jahre später eine Eloge auf den kleinen Ort Hidalgo del Parral anzustimmen, den sie mit Florenz vergleicht und danach gebannt von Veracruz berichtet.  Italien ist für sie 1949 ein Land von "Starrern", Rom eine "schmutzige Stadt", aber Neapel und Florenz liebt Highsmith und lernt italienisch. Sieben Jahre später bekundet sie ihre Italienzuneigung. Ähnliches kann man über Spanien finden. Interessant ihre Charakterisierungen der Deutschen, die Fragen stellten "wie Feststellungen".Die Deutschen hätten "nie gelernt, das Leben zu genießen, und sie werden es auch nie lernen." Solche Menschen seien, so Highsmith 1955, "gefährlich, und der Rest der Welt weiß das. […] Es gibt die Deutschen, so wie es Krähen und Giftspinnen gibt". Aus den freundlichen Reiseimpressionen füllen sich im Alter die Notizbücher häufiger mit dem Häßlichen: "Schmutz, Hitze, Chaos" (Tunis), "Hausbesetzer und Hippies" in Texas und übergewichtige Menschen in Wien.

Immer wieder beschäftigt sie sich mit dem Unterschied zwischen Europa und Amerika. Europa lehre den Amerikanern "unendliche Geduld", aber das europäische Herz sei "ausgeblutet" – ein Befund von 1952. Das Urteil ist insgesamt ambivalent; mal neigt sie Europa zu, dann wiederum eher Amerika. Später wird sie dann zur Gänze nach Europa übersiedeln, findet aber auch hier zwischen England, Frankreich und der Schweiz lange nicht ihren Platz.

Die Lektüre der Notizen insbesondere der späten Jahre ist zwiespältig. Selten blitzen launige oder gar humoreske Einträge hervor, etwa wenn sie ich über die Präzision der Setzung ihrer i-Punkte auslässt. Mit 48 stellt sie fest, dass sie noch drei Schachteln Durchschlagpapier besitzt – es würde bis zum Ende ihres Lebens reichen. Kokett überlegt sie kurz, sich selber zu übertölpeln: "Ich war drauf und dran, eine Schachtel wegzuwerfen, damit ich nicht mehr genug für den Rest meines Lebens hätte…" Ihre Favoriten in der Musik sind Mozart (für große Krisen) und Bach (für kleine Krisen). Später schwärmt sie noch von Andrew Lloyd Webbers "Phantom der Oper". Bitterböse der Aphorismus, warum man Autos bewundern soll: "Sie richten mehr Personenschäden an als der Krieg". Auch für die Presse hat sie eine böse Sentenz: "Journalisten: Prostituierte sind mir lieber, sie verkaufen nur ihren Körper, nicht ihren Verstand."

Mit fortschreitender Zeit stellt man Verhärtungen in der Persönlichkeit von Highsmith fest. Sie bricht im Streit mit langjährigen Freunden wie Rolf Tietgens. "Ich mag….keine Menschenmengen", schreibt sie schon mit 40. Highsmith vereinsamt zusehends – und dies trotz ihrer zahlreichen Kontakte und Bekanntschaften. Sie arbeitet berserkerhaft, lenkt sich ab mit Kreuzworträtseln, ihrer Schneckenzucht und Katzen. Der Tod ihrer ältesten Schnecke oder einer ihrer Katzen versetzt sie in tiefe, tagelange Depressionen. Ihre Liebes-, Katzen- und Todesgedichte zeigen einen mindestens phasenweise tief verzweifelten Menschen.

Peter Handkes Aufsatz über Highsmith vom Januar 1975 im "Spiegel" trug dazu bei, die Rezeption ihrer Romane im deutschsprachigen Raum aus dem Genrekäfig "Kriminalschriftstellerin" zu befreien. Handke sprach von den "persönlichen Weltkriegen der Patricia Highsmith gegen alle". Er meinte zwar die Figuren in ihren Romanen – traf jedoch (vermutlich ungewollt) den Kern der Person Highsmith. Denn genau so lesen sich große Teile der Notizen der späten Phase: als persönliche Kriege gegen alle. Der Besuch Handkes mit Wim Wenders vom Oktober 1974, der zu dem Artikel führte (und zu Wenders' Film "Der amerikanische Freund", einer Variation des Romans "Ripley's Game" führte, mit der Highsmith nachträglich nicht einverstanden war[1]), ist im Buch erwähnt. Highsmith fühlte sich durch das ehrliche Interesse der beiden geschmeichelt und ist verblüfft, als Handke ihr erzählt, dass es in Deutschland keine Literaturagenten gebe (bzw. dass er keinen habe). Im Rückblick erzählt Handke, dass Highsmith ihm ihr "Haus am Kanal" verkaufen wollte.[2] Nein, sagt er, schwierig sei sie eigentlich nicht gewesen.

Hass und Groll

Der Besuch Wenders/Handke war einer der scheinbar raren Lichtblicke im zusehends von Verbitterung geprägten Alltag  - wenn man der Auswahl glaubt. Aber Highsmith befragt sich trotz ihrer deterministisch-pessimistischen Weltsicht nebst stetig vergrößernder Menschenfeindlichkeit in lichten Augenblicken immer wieder selber. Zuweilen erschrickt sie über sich und sucht und nach Gründen für ihre "fehlgeleitete nervöse Energie". In einem Gedicht an eine imaginäre Geliebte (gewidmet ist es nicht) wird diese Mischung aus Ungläubigkeit, Trotz und Angst über sich selber schon Ende 1964, mit 43 Jahren, deutlich:

»Mein Neid wurde zu Hass
Und der Hass zu Verachtung.
Jetzt wunderst Du Dich über meine Bitterkeit,
Du, die Du frei warst, wie ich nie,
Kritisierst mich für allerlei Fehler,
Ohne den Geschmack meiner Kindheit zu kennen.
Voller Missgunst sei ich, sagst Du,
Doch Missgunst war mein zweites Gefühl,
Eins, das mit vertraut war, bevor ich es benennen konnte.
[…]
Mein Gegner nicht mehr eine Person, oder Personen,
Sondern die Gesellschaft, die ein Tabu errichtete. 
[…]
Ich wäre lieber nicht bitter,
Wäre lieber fröhlich und offen,
Aber wundere Dich nicht über meine Bitterkeit.
«

Mit fast 60 bescheinigt sie sich, ein Leben "von Empfindungen wie Hass und Groll bestimmt" geführt zu haben. Ihre Selbsterkenntnisse nutzen jedoch nichts; zu tief steckt sie in ihren manisch-depressiven Stimmungsschwankungen. Ihre Psychoanalysestunden in der Jugend haben ihr zudem die Möglichkeit einer Bewältigung genommen; die freundianisch geprägte Analytikerin wurde von Highsmiths messerscharfen Intelligenz rasch durchschaut. In einem hochinteressanten Eintrag setzt Highsmith die "humanistische Moral" gegen die Lehre von Freud (wobei sie auf Joseph Conrad rekurriert).

Einen Eintrag vom März 1975 kann man als Resignation vor sich selber verstehen: "Paradoxerweise ist bessere Allgemeinbildung mit gesteigerter Dummheit verbunden. Man entfernt sich nur noch mehr von Land und Natur, statt wie unsere weniger gebildeten Vorfahren im Einklang mit ihnen zu leben." Der Eintrag endet mit einer derben Allegorie: "Heute lesen wir von Pillen und nehmen sie – haben aber Angst davor, offen zu rülpsen."

Deutlich ist zu bemerken, wie sie sich politisch radikalisiert. In der (amerikanischen) Verbindung zwischen Demokratie und Christentum sieht sie einen "Zustrom von Mittelmaß und Banalität". Sie legt sich heftig mit der Abtreibungsmoral der Kirche an, wünscht einmal sogar Bomben auf den Vatikan. Dann wieder geißelt sie den Rassismus ihrer Landsleute und der Kirche. Unverhofft die Frage, warum Christus keinen schwarzen Jünger gehabt habe. Sie ist betroffen, als Robert Kennedy ermordet wird (über JFK findet sich nichts), weil sie den Ausgleich mit den Schwarzen will. In Texas könnte sie auf Dauer wegen der Behandlung der Schwarzen nicht leben.

Der Antisemitismus und die Manipulationen

Zu einem besonderen Kapitel ist der bisweilen schockierende Antisemitismus Highsmiths, der in den Betrachtungen der vorliegenden Edition besonders ins Rampenlicht rückt. Nach Maßgabe einiger Kritiker habe die Herausgeberin in bewusster Auslassung oder auch übersetzerischer Schönfärbung Highsmith in allzu weiches Licht gesetzt. Von Planta schreibt schon im Vorwort, dass sie "in wenigen extremeren Fällen" aus "redaktioneller Pflicht" bestimmten Einlassungen "eine Bühne verweigert" habe.

Tatsächlich tauchen in der Ausgabe immer wieder kurze Bemerkungen von Highsmith über "das jüdische" auf, die man als ähnlich ihren Äußerungen über Deutsche, Italiener oder Amerikaner einschätzen könnte. Im Oktober 1944 schreibt sie: "Juden – warum stört mich andauernd irgendetwas an ihnen? Ich mag sie nicht wegen ihres schieren Bewusstseins der Tatsache, dass sie Juden sind (und es kann keiner ohne dieses Bewusstsein sein), und ich mag all die vielen, vielfältigen, widersprüchlichen Manifestationen davon nicht. Die Christen haben dafür gesorgt, dass ihnen ihr Judentum so bewusst ist. Deshalb muss ich mich als Christin auf eine Art selbst hassen".

Dem gegenüber steht eine Bemerkung im Mai 1945. Sie berichtet von einem Treffen mit einer Redakteurin, "die Juden hasst, die Republikaner liebt" und ergänzt in Klammern: "alles, was mich anwidert" und im Februar 1947 steht im Tagebuch: "Ich bin glücklich – und ziemlich stolz -, dass ich so viele jüdische Freunde habe. Es bedeutet, dass meine Zuneigung zu ihnen aufrichtig ist." Sie widersetzt sich hier einem Tenor einer nicht weiter ausgeführten "Diskussion" bei einem Diner über "Juden und ihr Verhalten hinsichtlich der gegenwärtigen sozialen Gepflogenheiten". 1951 nimmt sie Bezug auf Thomas Wolfe, der sich, so Highsmith "oft von jüdischen Frauen angezogen fühle", was sie veranlasst, die "neurotische Großzügigkeit" ihrer jüdischen Freunde festzustellen.

Sowohl Manuel Müller wie auch Manfred Papst machen in ihren Texten über die Diogenes-Ausgabe nun je eine Stelle ausfindig, in der sie von Planta kritisieren, markante Stellen zum Antisemitismus Highsmiths verschleiert bzw. unterschlagen zu haben. Zunächst geht es um einen Eintrag vom 26.11.1943. Dort steht unter anderem: "Briefe in die Büros in der Canal Str. gebracht, die verdreckten Gebäude, in denen die jüdischen Zeitungen ihren Hauptsitz haben. Widerlich." Manuel Müllers Archivfund zeigt, dass dort im Original "C'est dégoûtant" steht. Dieses französische Wort kann zwar mit "widerlich" übersetzt werden. Die Frage bleibt allerdings, ob mit "dégoûtant" die verdreckten Gebäude (was das genau heißt, ist natürlich auch nicht klar) oder tatsächlich Juden gemeint sind.

Gravierender ist Manfred Papsts Einwand. Es geht um den 27.6.1943. Dort heißt es: "Zu Hause rief Krim an. Wider besseres Wissen ging ich mit ihm zu den Hymans, die für den New Yorker arbeiten. Furchtbar." Wieder geht es um das Wort "dégoûtant" im Original. Jetzt wird es mit "furchtbar" übersetzt. Aber das ist nicht alles. Tatsächlich steht bei Highsmith im Original: "Les [oder Ces?] juifs dégoûtant", also, frei übersetzt, "die [oder: jene] furchtbaren Juden". Papst, der schon einen gehörigen Furor auf die Übergriffigkeit der Herausgeberin in Anbetracht der fehlenden Auslassungen entwickelt hatte, stellt hier die berechtigte Frage, was denn sonst noch so alles fehle bzw. verändert oder abgeschwächt wurde.

Acht Seiten über Highsmiths "nützliche Freundschaften"

Immer wieder wird in Bezug auf Patricia Highsmiths Antisemitismus auf Joan Schenkar rekurriert, die in ihrer Biographie mehr als nur zwei kleine Textstellen als Belege für Highsmiths latenten Judenhass aufführte. Schenkar berichtet darin gleich zu Beginn vom unverhohlenen Antisemitismus Highsmiths auf Partys oder anderen Zusammenkünften. So soll sie von "Holocaust, Inc." (eine Anspielung auf eine Holocaust-Industrie) und "Semicaust" gesprochen haben. Sicherlich eine Ungeheuerlichkeit, aber Schenkar bleibt einen belastbaren Quellenbeleg hierfür schuldig. Eine weitere Biographie von Richard Bradford, die Anfang des Jahres erschien, wiederholt letztendlich nur Schenkars Anwürfe.

Umso gespannter ist man über das Nachwort von Joan Schenkar für dieses Buch. Es ist mit knapp acht Seiten verblüffend kurz – und beschränkt sich ausschließlich auf Highsmiths "gesellschaftlichen Erfolg" in ihren Zwanzigern unter all den "höheren Töchtern" und dem "internationale[n] Netzwerk aus Intelligenz, Erfolg, Talent, Vermögen und/oder Privilegiertheit und Unabhängigkeit". Highsmith habe in ihrer Jugend "nützliche Freundschaften" unter "höheren Töchtern" geknüpft. So wird suggeriert, Highsmith habe sich ihre Freundinnen mit der Intention ausgesucht, Karriere zu machen und ihre Lieben "notdürftig verschleiert durch eine künstlerische und berufliche Mentorenschaft". Inwiefern nun Highsmith aus ihrer "Mentorenschaft" Vorteile für ihr literarisches Werk gezogen haben soll, bleibt unerwähnt; das Thema Antisemitismus ausgespart.

Was macht also der entmündigte, in Unwissenheit gesetzte Leser? Er schaut auf das, was ihm präsentiert wird. Als Menachem Begin Ministerpräsident von Israel ist, glaubt Highsmith, dass "die Juden" in Israel keinen Frieden wollen. Dieser Eintrag wird nach dem Camp-David-Abkommen 1978 getätigt, welches von ihr somit schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen wird (wenigstens, so muss man jetzt sagen, ist dazu nichts abgedruckt). Highsmith unterstützt moralisch die PLO, ist fasziniert von der Intifada und überlegt, ihr Vermögen den Palästinensern zu vermachen. Ihre Gedanken zur Weltbürgerschaft ohne Nationalitäten, mit denen sie kurz gespielt hatte, wurden wohl aufgegeben.

Fragwürdig sind Highsmiths Äußerungen von 1982 über die Deutschen und den Antisemitismus. "Dank Hitler können sie [die Deutschen] an die Sympathie und Nächstenliebe aller appellieren, und noch wichtiger, ihren Kritikern mit der Beschimpfung 'Antisemiten' drohen." Der Eintrag schließt mit der versteckten Invektive, Israel führe "für mehr Land Krieg" und praktiziere einen Rassismus, "vor dem man selbst erst vor kurzem gerettet wurde".

Dennoch ist Highsmith erschüttert, wenn sie als Rassistin beschimpft wird, was in zwei Eintragungen im Buch dokumentiert ist. Zum einen 1974 aus ihrer ehemaligen Universität heraus (sie habe "reagiert", steht im Tagebuch knapp). Zwei Jahre später trifft sie in Berlin auf Lil Picard, eine in der New Yorker Kunstszene gut vernetzte Künstlerin, die sie auch noch als Faschistin bezeichnet. Beide kannten sich seit 30 Jahren. In beiden Fällen findet der Leser keine Ausführungen, was zu diesen Beschimpfungen geführt hat – weder von Highsmith noch von der Herausgeberin.

Worin mögen die Gründe für Highsmiths Antisemitismus liegen? Häufig wird angeführt, es sei auf ihre erste Arbeit im Juni 1942 als Redaktionsassistentin bei einem jüdischen Verlag zurückzuführen. Sie empfand ihre Bezahlung als zu gering was wohl dazu führte, dass sie in den Bürostunden immer mal in Büchern las oder an ihren eigenen Geschichten schrieb, was nicht unbemerkt blieb. Im November, nach knapp fünf Monaten, folgte für sie aus heiterem Himmel die fristlose Entlassung. Der Erklärungsversuch erscheint in Anbetracht der im Alter ausgesprochenen und ihr zugeschriebenen Äußerungen eher hilflos.

Aber in der Konzentration auf Highsmiths Judenhass und die editorischen Verwerfungen wird ein wenig die Erfassung des ganzen Ausmaßes des in Verbitterung und (Selbst-)Hass versunkenen Kosmos von Patricia Highsmith ausgeblendet. Schockierend ihr Szenerioausbruch im Notizbuch von 1971, in dem sie sich vorstellt, "aus lauter Wut zuschlagen und möglicherweise ein zwei- bis achtjähriges Kind töten" zu können. Sie ergänzt noch zynisch: "Für die über Achtjährigen würde ich zwei Schläge brauchen." Ist das ein Wunsch oder einfach nur ein Gedankenspiel für einen Text? Oder das diabolische Notat vom 1.12.1992 (da ist sie 70 Jahre alt), wonach AIDS "das Leben der Menschen auf der Erde um ein paar Jahrhunderte verlängern" soll, "indem es Millionen tötet!" Der Eintrag geht noch weiter und am Ende stockt einem der Atem: "Geschlechtsverkehr ohne Verhütung fördert Hungersnöte, Tod und Ausrottung. Vorher werden sich noch die Soldaten der 'entwickelten' Länder daran gewöhnt haben, eindringende Horden an ihren Grenzen zu bombardieren und zusammenzuschießen" Der letzte Satz, Folge einer zynischen Kettenreaktion – ist er nicht schon in manchen Regionen Realität geworden?

Es bleibt die Frage, inwieweit Highsmiths Misanthropie von der ihr Antisemitismus nur ein Teil ist, das "Unterfutter" des Werkes sind und es beeinflusst haben. Hier bleiben die meisten Kritiker und Biographen ziemlich schmallippig, bemühen sich sogar manchmal von "Meisterwerken" zu sprechen. "Das Gute kann so leicht zum Schlechten werden", schreibt Highsmith einmal. (874) Man könnte es als Motto für die Diskrepanz zwischen Werk und Autor bei ihr deuten. Die Möglichkeit, dies auszuloten, bleibt dem Leser verwehrt.

Noch wird nicht gefordert, ihre Werke zu verbannen; vermutlich ist dies nur noch eine Frage der Zeit. Leider ist diese Edition als literaturwissenschaftliche Textgrundlage unbrauchbar. Papsts Fund, der für sich genommen nur ein editorischer Lapsus gewesen wäre, lässt einem nicht mehr froh werden mit diesem Buch, weil man nicht weiß, wie weit die Seuche des "Sensitive Publishing" hier getrieben wurde. Sicherlich schadet man Highsmith damit mehr, als einmal "reinen Tisch" zu machen. Schade um diese Arbeit. Dem interessierten Leser kann man nur empfehlen, seine Zeit mit den Büchern von Patricia Highsmith zu verbringen.

[1] In der englischen Ausgabe Biographie von Joan Schenkar wird in einer Fußnote auf den Wenders-Film hingewiesen. Dort steht, dass Peter Handke für das "Script" verantwortlich gewesen sei. Das stimmt nicht. Man hofft, dass die Sorgfalt von Frau Schenkar ansonsten etwas besser war.

[2] Gemeint ist ihr Haus in Montcourt am Canal du Loing.

Artikel online seit 09.12.21
 



Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Patricia Highsmith
Tage- und Notizbücher
Herausgegeben von Anna von Planta
Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg
Diogenes
Hardcover Leinen
1376 Seiten  
978-3-257-07147-4
€ (D) 32.00

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