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Der liebe Gott als calvinistischer Buchhalter |
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Die unbekannte Vermögensgeschichte der Frankfurter Schule? Über die Frankfurter Schule und ihre Entwicklung gibt es mittlerweile eine Reihe von Büchern, weniger erforscht ist die Geschichte ihres Vermögens. Erzählt wird hier also das Leben der Holländerin Sophie Louisa Kwaak im Zusammenhang mit der Geschichte der Getreidehandelsgesellschaft Weil Hermanos & Cie aus Argentinien. Hermann Weil und sein Sohn Felix sind als Stifter des 1924 gegründeten Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt bekannt geworden. Angesichts des großen Erfolgs der NSDAP und einer Studie von Erich Fromm kommt es 1932 zur Eröffnung einer Zweigstelle des IfS in Genf. Bereits zuvor war das Institutsvermögen nach Holland übermittelt worden, bis 1940 gelangte es dann Stück für Stück nach Amerika. Dazu bedurfte es der Gründung der Rotterdamer Investment und Verwaltungsgesellschaft, kurz Robema, die diesen Transfer abwickelte und den übriggebliebenen Rest des Vermögens vor den Nazis versteckte, die 1940 Holland besetzten. Direktor der Robema war Arthur Erich Nadel, 1933 wurde Sophie Luisa Kwaak, genannt Fietje, seine Sekretärin. Nachdem Nadel 1939 in die USA gegangen war, fungierte Kwaak als Direktorin der Gesellschaft. Sie führte die Bücher und richtete das Büro in ihrer privaten Wohnung ein. Sie erfüllte damit in der harten Zeit der Judenverfolgung und der deutschen Besetzung ihre Aufgabe, das Kapital vor dem Zugriff der Nationalsozialisten zu bewahren. 1948 wurde beschlossen, die Robema aufzulösen, das zog sich aber noch hin bis 1964. Ein Landmädchen aus Holland Das patriotisch-holländisch gehaltene Buch folgt der Lebensgeschichte von Frau Kwaak. Diese wird zu einer calvinistischen Lebensparabel aus der Perspektive der Angestellten nach dem Motto: immer Zank und Streit bei den Millionären. Deren großbürgerlichen Leben stellt der Autor den entbehrungsreichen, aber anscheinend ehrlichen Werdegang der einfachen Landarbeitertochter gegenüber. Kwaak wuchs in der Gemeinde Oosterland in Südwestholland auf, zog mit ihrer Mutter nach Den Haag und trat mit 14 Jahren in Apeldoorn in ein Lehrerinnenseminar ein. Mit 19 ging sie ohne Prüfung ab, lernte nun Steno und Maschineschreiben und fand eine Anstellung bei der Maschinenfabrik Stokvis in Rotterdam. Sie zeigte ihr Leben lang Vorlieben für die Theosophie und Geistheiler. 1933 wechselte sie als Chefsekretärin zu dem neu gegründeten Unternehmen Robema. 1938 erhält sie allgemeine Prokura und wird zur stellvertretenden Direktorin ernannt, als der erste Direktor Arthur Erich Nadel 1939 in die USA zieht. Der Donator Hermann Weil – ein Global Player aus Sinsheim
Die jüdische Familie
Weil stammt aus Steinsfurt, heute ein Stadtteil von Sinsheim, einer Kleinstadt
zwischen Heidelberg und Heilbronn in Baden-Württemberg. Hermann Weil (1868-1927)
machte eine kaufmännische Lehre bei der Getreidehandelsfirma Weismann und
heiratete die Tochter seines Chefs. Mit 20 Jahren wechselte er zur Antwerpener
Firma Mosco Z, für die er wenig später in Buenos Aires eine Filiale
eröffnet, an der er zu 20 % beteiligt war. Innerhalb weniger Jahre wurde daraus
ein großer internationaler Konzern, die Getreidehandelsfirma Weil Hermanos &
Cie. Zusammen mit zwei anderen Firmen beherrschten sie 90 % des
argentinischen Getreidehandels. Argentinien blieb im Ersten Weltkrieg neutral,
sodass Weil alle kriegsführenden Länder mit Brotgetreide beliefern konnte. Die
Firma verdiente ein Vermögen. Innerhalb von zwölf Jahren war Hermann Weil zu
einem global player im Getreidehandel geworden. Er verfügte über eine
eigene Handelsflotte mit 60 Schiffen, Niederlassungen in Deutschland, den
Niederlanden, England, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal, mit etwa 3000
Mitarbeitern. Krieg, Besetzung, Deportation und die harte Nachkriegszeit
Am 10. Mai 1940
marschierten die Deutschen in den Niederlanden ein. Rotterdams gesamtes
Stadtzentrum wurde am 14. Mai 1940 innerhalb von wenigen Minuten durch Bomben
zerstört, dabei kommen 1000 Menschen um. In Flammen geht auch das Gebäude der
Robema auf, nur wenige Papiere konnten gerettet werden. Das erwies sich
später als ein Alibi, um anschließend nicht alle Unterlagen an die Deutschen
ausliefern zu müssen. Die Besatzer richten eine Wirtschaftsprüfungsstelle ein,
die effektiv nach ausländischen Vermögen fahndete. Kwaak reichte apokryphe
Bilanzen ein. Nach einer Verordnung mussten alle Barbeträge von solchem
„Feindvermögen“ auf ein Konto in Amsterdam überwiesen werden. Zugleich wurde das
jüdische öffentliche Leben eingeschränkt, das Vermögen der Juden konfisziert und
ihre Kunstschätze geraubt. Sie selbst wurden deportiert und ermordet. Kwaak
setzte sich in ihrem Feld klug gegen die Bestimmungen der Deutschen zur Wehr,
alle Devisen zu melden und auf ein Konto einer Amsterdamer Bank einzuzahlen.
Ein neuerliches „Grand Hotel Abgrund“: Nadel, der sich als Finanzberater in New York weitgehend unabhängig von dem Weil-Clan gemacht hatte, berichtet Kwaak von Auseinandersetzungen mit den „Wissenschaftlern Horkheimer und Pollock“, die „von der Praxis keine Ahnung hätten“. Horkheimer wird in ihrem Briefwechsel immer ironisch „König Horkheimer“ genannt. Solche Vorwürfe, der die Biograf Mulder gegen Horkheimer erhebt, sind nicht sensationell oder unbekannt, sie werden hier nur durch die Maske der Sekretärin wiederholt.[1] Sophie Kwaak kümmerte sich in Rotterdam weiterhin um die Buchhaltung, legte derweil die Steuerzahlungen selbst aus wie die Miete. Die Rationalität der Verwaltung der Firma litt in den Augen der Sekretärin unter den bizarren Streitigkeiten der einzelnen Familienmitglieder. Diese entnahmen ihrem Fonds nach Gutdünken Geld, ließen sich scheiden und wollten ihre Rechte auf die neuen Partner übertragen und so fort. Die vom Biografen kleinteilig referierten Vorgänge werden aus der Perspektive der Verwalterin wiedergegeben, die sich in ihren Augen für die Firma aufopfert und selbst kaum etwas dafür bekommt. Dafür soll in ihren Augen ihre Herrschaft immer mehr verkommen. Der Darstellungsrahmen der Biografie, der die episch ausgebreiteten Einzelheiten zusammenhält, ist damit ganz von einer calvinistischen Arbeitsmoral getragen. Der verlotterten Welt der Millionäre werden die einfachen Deichbauweisheiten von Kwaaks Großvater gegenübergestellt: „Nichts ist veränderlicher als der Mensch und das Wetter“ – heißt es da noch andeutend über die Charaktereigenschaften der Millionäre, für die Kwaak arbeitet. Intuition in Bedrängnis Die konkreten Urteile über Horkheimer, Weil und die anderen fallen aus solcher Sphäre dann naturgemäß vernichtend aus. Für Kwaaks Chef Nadel war Horkheimer „das eingebildeste Geschöpf, dem er jemals begegnet war“. Sophies Urteil über Horkheimer stimmt damit überein.[2] Danach gleiche Horkheimer einer Schlange, Anita Weil, die Schwester von Felix, sei opiumsüchtig und Pedro Weil, Felix‘ Cousin, ein Bigamist – so lautet die Quintessenz dieser Kritik an der Frankfurter Schule als „Grandhotel Abgrund“ wieder einmal. Kwaak nimmt aus ihren vernichtenden Urteilen allein Friedrich Pollock aus: der elegante Pollock kommt oft nach Amsterdam, macht ihr Komplimente, behandelt sie immer wie eine Dame und führt sie ins Restaurant, ins Museum der ins Kino aus. Kein Familienglück für das ungesunde Geschlecht? Inzwischen verlottern in der Millionärsfamilie die Sitten weiter: Felix drogensüchtige Schwester Anita bekommt nach ihrer Scheidung einen Nervenzusammenbruch, geht in ein Schweizer Sanatorium und stirbt Anfang Mai 1953 durch Suizid. Ihren Bruder Felix lässt das kalt: „Felix Weil habe es fast beiläufig zur Kenntnis genommen, so wie er es mit allem tue, meldeten Nadel auf eine Frage von Fietje.“ Der entsprechende Niedergang verlotterten Sitten zeige sich auch im sexuellen Verhalten. Mulder schreibt in einem groben Sittengemälde im Sinne einer neuen Kannitverstan-Parabel frei nach Johann Peter Hebel: Anita Weils gescheiterte Ehe und das traurige Ende ihres Lebens waren keine Ausnahme. Familienglück war den Weils offenbar nicht beschieden; von allen Seiten hörte Fietje von diesen gescheiterten Ehen, was sie zu dem Stoßseufzer veranlasste: „[...] wie schwierig das Leben dieser Menschen doch eigentlich ist, mit all dem Geld. Ich würde gern über etwas Geld verfügen, aber so viel wäre mir doch eine zu große Last.“ Sie hatte auch wenig Verständnis für Anitas Opiumkonsum: „Ich bin kein Freund davon — bin viel zu nüchtern, um so etwas verstehen zu können. Jeder normale Mensch sieht doch von selbst ein, dass das grundfalsch ist und furchtbar ungesund und dass man dadurch immer tiefer sinkt? Ich glaube ohnehin, dass es kein gesundes Geschlecht gewesen sein kann, auch was den Charakter betrifft, denn beide Nachkommen [Felix und Anita, B.M.] benehmen sich eigentlich ein bisschen seltsam, finde ich.“ (S. 217)
Mulder kommentiert diese
Aussagen seiner holländischen Heldin nicht kritisch, sondern zustimmend. Nun
wird auch klar, warum der Autor bemerkt hatte, dass Hermann Weil, als er 1912
nach Deutschland kam, an Syphilis erkrankt gewesen sein soll. Es passt in das
Schema des dekadenten Gebarens der Reichen und folgt, wie auch die eugenische
Idee des „ungesunden Geschlechts“. Diese hängt bei Kwaak vielleicht auch mit
einem theosophischen Sozialdarwinismus zusammenhängt, einem weitverbreiteten
antisemitischen Standard. Die Welt als eine große Bankfiliale
Die gute Holländerin
Sophie Kwaak dagegen ist nicht verheiratet und hat (auch) keine Kinder, sie ist
aber wohl in einem höheren Sinne fruchtbar. Sie betrachtet, wie es sich für die
gute Arbeiterin gehört, die Robema als ein solches, wenn sie an Nadel
schreibt: „Was unser Kind Robema angeht – haben Sie daran gedacht, dass
es im Mai 25 Jahre alt wird? Ich nicht.“ (Brief an Nadel vom 16. März 1957). Am
Ende bekam die Sekretärin schließlich doch ihre Auslagen ersetzt, musste aber
die Millionäre, die sich immer lustig aus ihrer Schatulle bedienten,
nachdrücklich auf die kleinen Schulden hinweisen, die diese bei ihr hatten. Was bleibt? Aufklärung tut immer Not. In dem Heuhaufen der Namen und biografischen Details findet Mulder dann tatsächlich einige Nadeln über das schurkige Verhalten der Millionäre den Angestellten gegenüber, die ihnen das Geld gerettet haben: der generelle Bogen des Buches aber ist auf einer rigiden protestantischen Arbeitsmoral aufgebaut. Es kommt heraus, was wir schon vorher wussten: die Frankfurter waren persönlich nicht immer gute Menschen und: der Kapitalismus und der Krieg wirken auch in diesem Umfeld. Mulder versucht hier statt eine Dialektik zu bemühen, die mit Widersprüchen umgeht, eine Moraldebatte zu führen, die mit Anwürfen arbeitet. Diese zielen mit entsprechenden Tiervergleichen und eugenischen Urteilen unter die Gürtellinie. Sie reihen sich ein in ähnlich gelagerte Versuche – in jüngster Zeit etwa von Toon Horsten, Eva Weissweiler oder Stuart Jeffries –, komplexe Zusammenhänge im Zusammenhang mit der Geschichte der Kritischen Theorie populistisch zuzuspitzen.[3] Mulders Wirtschaftsgeschichte ist das eine, seine Moralgeschichte, die einer protestantischen Ethik nachfolgt, das andere. Sein Pathos verfängt nicht bei allen Lesern; diese bemerken die Absicht und sie sind verstimmt. [1] So hatte Mulder bereits 1991 Horkheimer beschuldigt, den Leiter des Genfer Büros des IfS, Andries Sternheim, den Nazis überlassen zu haben. Ähnlich Vorwürfe in bezug auf Walter Benjamin sind z.B. von Hannah Arendt bekannt etc. Eine Anzeige mit entsprechenden Vorwürfen erschien beispielsweise dieses Jahr an Benjamins 81. Todestag in der TAZ: „Vor 81 Jahren starb Walter Benjamin in Port Bou. Hintergründe.“ (TAZ, 26. 9. 2021) [2] „An den King [Horkheimer, B.M.] erinnere ich mich sehr gut: Entsinnen Sie sich noch, dass ich damals gesagt habe (oder habe ich es seinerzeit nur gedacht und noch nicht zu sagen gewagt), dass er mich an ein Reptil erinnere? Diese unheimlichen, starren, hellen Augen von ihm fand ich fürchterlich. Wie ist es möglich, dass ein Mann wie Dr. P[ollock], der doch auch nicht irgendwer ist, unter seinen Einfluss gerät? Es scheint, dass große Intelligenz und Gelehrsamkeit sehr oft mit einem Mangel an Menschenkenntnis einhergehen — oder vielleicht sage ich es besser so: Durch zu hohe geistige Begabung kommt die Intuition in Bedrängnis. Bloß gut, dass ich nichts mit ihm zu tun hatte.“ (S. 210-211). Hier zeigen sich anscheinend Bruchstücke aus Kwaaks spiritistischem Weltbild.
Fietje Kwaak war von 1933 bis 1964 mit der Robema beschäftigt, aber die Bedeutung der langjährigen Korrespondenz Fietje Kwaaks für die Geschichte des Instituts für Sozialforschung in den entscheidenden 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts kann Herr Bock nicht aufzeigen. Der Untertitel meines Buches lautet „ein Beitrag zur Wirtschafsgeschichte der Frankfurter Schule“. Ich werde Punkt für Punkt aufzeigen, worauf es ankommt.
Dr. Bertus Mulder |
Bertus Mulder |
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