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Aus dem Alltag der Dinge

Christoph Simon Texte über »Die Dinge daheim«

Von Gregor Keuschnig
 

Weil ich immer noch Simons "Spaziergänger Zbinden" für eines der menschenfreundlichsten Bücher der letzten Jahre halte, war ich naturgemäß sofort interessiert, als ich von Simons neuem Buch "Die Dinge daheim" höre. Es sind nur etwas mehr als 80 Seiten mit Zeichnungen und einem kurzen Nachwort. Aber es ist ein Buch zum Schwelgen, zum Amüsieren, zum Lachen.

"'Ich brauch Tapetenwechsel'" sprach die Birke" – so beginnt ein berühmtes Chanson von Hildegard Knef. Es ist eine Art Lehrfabel über den ewig unzufriedenen Menschen. Abseits von Fabeln und Märchen steht die moderne Literatur Anthropomorphismus, also die Vermenschlichung von Dingen, skeptisch gegenüber. Da macht auch das in den letzten Jahren verstärkt aufkommenden neue Genre des "Nature Writing" keine Ausnahme. Generell überlässt man es dem Comic und vergnügte sich maximal in Zeichentrick- oder Animationsfilmen mit sprechenden Tieren oder gar Dingen. Vor vielen Jahren ließ Horst Stern einmal einen Bären erzählen. 2008 gibt es einen therapeutischen, kurzen Text von Selim Özdogan, in der Gegenstände plötzlich sprechen.

Jetzt reden bei Christoph Simon die Dinge. Sie erzählen, lamentieren, schimpfen, appellieren, monologisieren oder treten in den Dialog mit anderen Dingen und manchmal sogar mit dem Menschen (der jedoch schweigt). Sie behaupten sich, sie irren (ohne, dass es ihnen jemand sagt), sie verzweifeln, sie sind arrogant oder bemitleidenswert.

Da wird die Spülmaschine zum Soziotop, in dem die Trinkbecher mit dem Whiskeyglas, dem "Drogenabhängigen", nichts zu tun haben wollen. Oder das Silbermesser möchte nicht neben den "fünfzehn armseligen Kopien" seiner selbst im Besteckkasten liegen. Der große Löffel fragt den kleinen Löffel schelmisch, ob er noch wachsen wolle. Der Kleiderbügel "hing blank im Schrank und verachtete die Anzugträger." Und der Küchentisch glaubte, er sei "das Zentrum der bewohnten Welt". Simon vernimmt auch die Kommandos des Chefs des Druckers, der die Komponenten checkt und ein bisschen verzweifelt ist, als der Druckauftrag gelöscht wurde.

Die Not ist groß bei den Büroklammern im Spender, "ineinandergezwängt, null Privatsphäre." Wo werden sie landen? Ähnliches fragen sich auch die Wattestäbchen. Kaltwasserhahn und Warmwasserhahn beschließen unterdessen, für einen Tag den Job zu tauschen. Das Taschentuch – mit Monogramm – ist empört, dass es nun als Verband dienen soll. Und schließlich nimmt der Leser an der Generalversammlung der Sammelalben teil.

Simons etwas mehr als insgesamt 120 Texte sind lakonisch, bisweilen humorvoll, ohne Verbissenheit oder gar "Botschaft". Es handelt sich um im besten Sinne des Wortes Sprachspiele, manchmal kalauernd; die besten manchmal nahezu zauberhaft. Zugleich erzeugen sie, wenn man sich ein wenig Zeit nimmt mit der Lektüre, Duldsamkeit. Unweigerlich überlegt man (wie auch Christian de Simoni im Nachwort), wer wohl der Mensch ist, der all diese Gegenstände in seinem Haushalt hat. Es sind nur Alltagsgegenstände; nichts Luxuriöses. Ein Mann? Aber es gibt einen Büstenhalter und ein Kondom. Ein Pärchen? Wie alt sie wohl sein mögen. Keine Antwort hierauf. Gut so.

So unscheinbar dies alles erzählt wird: Man beginnt – für einen kleinen Moment - , die Gegenstände im eigenen Haushalt mit anderen Augen zu sehen. Plötzlich entdeckt man zum Beispiel einen Löffel, der inmitten der anderen ein Unikat ist. Und man wird nie mehr vergessen, dass die Packungsbeilage sich zutiefst wünscht, "so zurückgefaltet zu werden, wie sie in der Packung vorgefunden worden war". Von nun an wird man diesem Wunsch genügen. Was für ein Vorsatz.  

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Artikel online seit 09.06.21
 

Christoph Simon
Die Dinge daheim
edition taberna kritika
80 Seiten
13,00 €
978-3-905846-61-4
13,00 €

 

 


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