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Wie sich im Nichts einrichten?

Zu Daniel Illgers lesenswertes Essay »Kosmische Angst«

Von Jürgen Nielsen-Sikora

»Grauenerregendes Glück. Adern, in denen sich Tausende von Planeten ausdehnen.« (E.M. Cioran)

Das Buch: geistiger Sprengstoff, poetische Philosophie, tiefschürfende Reflexion über Leben und Tod; ein Buch über das Nichts, in dem man sich wird einrichten müssen. Ein Nichts, das immer schon da war, da ist. Tieftraurige Erkundungen über die Abgründe der Immanenz, über das Jenseits von Raum und Zeit, die Schluchten des Denkens, des Fühlens; ein Versuch, über das Innenleben des Nichts etwas in Erfahrung zu bringen. Ein Buch über den Menschen, der, zwischen den Abgründen von Immanenz und Transzendenz wankend, Schwindel verspürt und diesen Schwindel als ästhetisches Gefühl zu deuten vermag, denn dieser Schwindel gleicht jenem grauenerregenden Glück, von dem Cioran spricht: Andere Welten und Wirklichkeiten, andere Ideen von Raum und Zeit durchdenkend, in einem Gefängnis ohne Mauern, die (eigene) Auslöschung im Blick.

Illger geht es darum, „dass wir nicht mehr wissen, ob sich unsere Alltagswelt in die Hölle verwandelt hat, an die wir nicht glauben.“
Wenn sich die Regeln des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens unserem Begreifen entziehen, scheint momenthaft jene „kosmische Angst“ auf, die Illger als eine Art Gegenentwurf des horror vacui präsentiert und in permanentem Rückgriff auf die weird tales von HP Lovecraft anschaulich macht.

Das Motiv der Kosmischen Angst erinnert nicht zuletzt an die Serie Dark, die Illger dann auch kurz anspricht; es erinnert aber auch an die letzte Szene von Don´t look up, in der Jonah Hill alias Jason Orlean, Sohn und Stabschef der US-Präsidentin, Gebäudetrümmern auf der Erde entsteigt und einen Beitrag im Internet als „letzter Überlebender“ postet. Es sind also weniger die Monster, die Sinnbild kosmischer Angst sind – Monster, wie wir sie aus Stranger Things kennen oder die Zombieherde aus The Walking Dead, und auch kein Terminator, der der Zukunft entsteigt, sondern viel eher jene „Dämonen der Moderne“, die aus den „Laboren, Messstationen und Hörsälen“ kriechen anstatt aus den „Kirchen, Grüften und Ehebetten.“

Kosmische Angst, betont Illger, ist eine Stimmung, eine Atmosphäre, die momentweise aufblitzt, und sie verlangt, im Kunstgenuss „vom Joch der Zeit und des Raumes“ befreit zu werden, ohne dies wirklich in Worte fassen zu können. Jede Handlung, jede Entwicklung einer Figur widerspricht diesem Verlangen. Vielleicht ist sie ein Schachbrett, auf dem nur noch die beiden Könige sich ewig gegenüberstehen, ohne sich näher kommen zu können. Und niemand ist da, der das Spiel beenden könnte.
Die Leerstelle, das leere Feld zwischen dem schwarzen und dem weißen König, der Innenraum des Todes, der sich nicht betreten lässt (siehe Agambens letzten Zeugen“), ist das, was Illger vorschwebt: „Ein Nichts korreliert mit dem anderen; das ist alles, was bleibt.“
Die kosmische Angst erkundet „im lichtdurchfluteten Blattwerk einer vom Wind geneigten Baumkrone den Tod des Universums. Voller Beklommenheit blicken wir auf dieses groteske Schauspiel und ziehen den Hut vor der Schönheit dieses Bildes.



Artikel online seit 12.01.22
 

Daniel Illger
Kosmische Angst
Matthes & Seitz Berlin - Fröhliche Wissenschaft
Bd. 192
240 Seiten
16,00 €
978-3-7518-0522-3
 

 


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