Michel Houellebecq stellte seinen neuen Roman »Unterwerfung«, »Soumission«, am
19. Januar in der rheinischen Domstadt vor. Am Ausweichort des Kölner
Schauspiels im rechtsrheinischen Mühlheim, hinter der beliebten türkischen
Restaurant- und Geschäftsmeile Keupstraße, 2004 das Anschlagsziel des
rechtsradikalen NSU-Nagelbombers. Umringt von der Presse und den Medien, als
einzige Ausnahme-Veranstaltung des Autors nach dem mörderischen Angriff auf die
vier Redaktionsmitglieder des Satiremagazins mit stark sinkender Auflage, auf
dessen Titelbild eine Karikatur von Houellebecq als potentiellem Konvertiten zum
Islam wie eine neue Ikone prangte.
Der
Auftritt
Er
liest eine Erklärung vor, in einem fragmentarischen, immer
wieder von Pausen und Brüchen durchzogenen Tonfall, der für einen matten
Moderator, eine diffuse Übersetzerin und ein kritikarmes Publikum viele Anlässe
zu Vagheiten, Widersprüchen und Interpretationsspielräumen gibt. Es geht dem
Autor in seinem eigenen Vorab-Statement um die »liberté d’expression«, auf die,
über die ihm nahestehenden Menschen und Freunde hinaus, ein Anschlag verübt
worden sei. Frankreich sei ein besonderes oder besonders exponiertes Land dieser
Meinungsfreiheit. »Unterwerfung« sei als Projekt und Intention kein »islamophobes«
Werk. Houellebecq gibt zu erkennen, wenn er schon auf dem Präsentierteller
stehe, so sei er nur wie zufällig und unverstanden in die Situation
hineingerutscht. Unverstanden von allen Seiten. Dennoch sieht er bedenkliche und
sogar unausweichliche gesellschaftliche Entwicklungen. Er spricht
vernünftigerweise nicht von »islamkritisch«, eine Vokabel, die in Deutschland
längst zu einer hirnlosen Kampfvokabel vermeintlicher rationaler Begründung und
des täglichen Freifahrtscheines für einen überflüssigen Kulturkampf und
Mobilmachungsjournalismus pervertiert ist. Er verteidigt den typisch
französischen Absolutismus literarischer und satirischer Freiheit, natürlich in
der Variante des staatstreuen und gesellschaftlich konformen
Befürchtungsszenarios und zugleich in der von Charlie Hebdos primitiver
Haudrauf-Methode gegen Politik, Religion und Minderheiten deutlich
unterschiedenen Softvariante des sanfter sich gebenden Zynismus, kokettierend
zwischen Frustration und Dystopie, in Form einer atheistisch-interreligiösen und
philosophie-geschichtlich verbrämten Travestie des Nihilismus, wie er zu einem
alten neoliberalen Gewohnheitsmenschen gehört, der jederzeit vor lauter
Sinnleere zum Überlaufen bereit ist. Und das in aller Bescheidenheit eines
Augen-zu-und-durch, damit das Buch dem Leser die Augen öffnet: »Wenn man will,
sollte man auch ein islamphobes Buch schreiben können.« Und so etwas sei
natürlich einfacher zu bewerkstelligen.
Aber Houellebecq wahrt selbst für sein Werk eine autonome Position auf einer
imaginären Grenze, im Niemandsland, das weder von der einen noch von der anderen
Seite, weder von der national-konservativen, noch der liberal-multikulturellen
oder islamistischen Seite beeinflusst worden sei. Auch ein pathetisches, leicht
instrumentalisierbares Helden- und Märtyrertum schließt er aus. Apathie und
Eigensinn sind ihm Gegengift, so auch auf dem Podium.
Den Helden kann er nur jenseits des Helden, als alltäglich-professionellen
»Sturkopf«, als Starrsinningen und Suchtkranken denken. Als denjenigen, der sich
am Zeichentisch und Schreibtisch auf seine Konzentration auf die Kunst als
letztes Lebenselixir in einem spaßfreien gesellschaftlichen Kampf konzentriert.
Und eben hier bringt er das Voltaire zugeordnete Zitat, ausgerechnet via
Schopenhauer, dem deutschen Pessimisten: »Wir haben nur noch drei Tage zu leben.
Also machen wir es so leicht wie möglich.« Das ist eine Verdrehung von Carpe
Diem und Memento Mori, oder jenem Frederizianischen Sanssouci (ohne Sorge), das
auch dem Soldatenkönig-Sohn kaum vergönnt war.
Voltaire und Schopenhauer. Aufklärung und Pessimismus. Führt Houellebecq mit
diesem Fake-Zitat nicht etwas anderes im Schilde? Denn gegen diese kleinliche
Art, sein Glück im Untergang noch hastig als mikro-ästhetische Henkersmahlzeit
zu genießen, spricht ein anderes, nicht zitiertes Zitat aus »Die Welt als Wille
und Vorstellung« Bd. 2, § 46, »Von der Nichtigkeit und dem Leiden des Lebens«.
»Ganz in Uebereinstimmung mit der von mir bewiesenen Wahrheit sagt auch der von
Natur und Glück so begünstigte
Voltaire:
le bonheur
n'est qu'un rève, et la douleur est réelle;
und setzt hinzu:
il y a quatre-vingts ans
que je l'éprouve.
Je n'y sais
autre chose que me résigner, et me dire que les mouches sont nées pour être
mangées par les araignées, et les hommes pour être dévorés par les chagrins.«
In der Übersetzung:
»Glück ist nur ein Traum, und der Schmerz ist real. Ich bin dafür seit 80 Jahren
der lebende Beweis. Für mich bleibt wohl nur noch die Resignation und Entsagung
übrig. Ich sage mir, dass Fliegen geboren werden, damit die Spinnen sie fressen,
und die Menschen, damit der Kummer sie verzehrt.«
Also Pessimismus, nur individuell oder sogar kollektiv? Und wenn ja, von allen
Menschen als geplagtes endzeitliches enttäuschtes Totum, oder nur einem Segment,
der sozial und politisch ausgelaugten Mitte der Gesellschaft, den nihilistisch,
materialistisch und atheistisch gewordenen Exchristen, die alles und alle, sich
selbst und andere, vor allem immer wieder auch Fremde und Andere in
spaßgesellschaftlicher neronischer Hegemonie bis zum bitteren Ende verachten und
quälen? Vor allem geht es Houellebecq in seinem neuen Roman-Vademecum um die
Sorglosigkeit und um die »Verantwortungslosigkeit« als Voraussetzung einer
spätästhetizistischen Klein-Kunst, einer Tätigkeit, bei der sich der Autor oder
Zeichner oder Dramaturg ganz auf sein Tun konzentriert und verlangen darf, dass
der Staat ihn bei seinem entwurfsarmen Existenzial-Klaumauk beschützt, bei der
Ausübung seines Grundrechtes, ganz ohne Blick auf die Konsequenzen, zumal dann,
wenn Gruppierungen und Lager mit anderer Meinung oder anderem Glauben massiv
betroffen sind, und die symbolisch-kommunikative Gegenwehr, nicht nur in
Einzelfällen, unter Terror- und Sympathie-Verdacht gestellt wird.
Houellebecq umkreist das absolute Recht auf die freie Rede, Meinung und Kunst in
den Termini der Monade, nicht einer Leibnizianischen, sondern Schopenhauerschen
Entität im Stadium des endlosen Verfalls, die ihn blind vor den
gesellschaftlichen Ereignissen abschottet und nur auf seine innere Stimme als
Reflex zu den erlittenen äußeren Prozessen und Entwicklungen der letzten
Jahrzehnte hören lässt. Diese Rede zum Recht auf freie Kunst und freien Verfall
klingt wie ein aufgedunsenes Echo der 1980er Jahre, die definitiv vorbei sind.
Houellebecq erfährt in Köln auf dem Podium keine peinlichen Fragen sondern fährt
wie von selbst in die Rolle eines Überlebenden und angeblichen Divinatoren, der
allein aus der Kraft der Literatur ein Orakel über die Zukunft in der Form einer
Jetztzeit-Satire zu liefern imstande ist. Zu diesem Orakel wird auch ein
Betäubungsmittel, eine einzige Zigarette als Kultgegenstand erlaubt. Alle
inhalieren aus der Ferne mit. So entsteht der Gleichklang einer Buch- und
Zigarettenreklame. Der Geruch von Freiheit und Abenteuer. Die interne Gefahr des
Kulturkollapses und die externe Terrorbedrohung konvergieren zu einem
Betroffenheitsabend tiefsinniger Endzeitschönheit. Und so werden als Beweis
seiner ungebrochenen Kunstfertigkeit Passagen aus dem Roman in sonorem
Verkündungs-Deutsch vorgetragen, zu denen sich Houellebecq fast schamvoll selbst
auf die Fremdsprache hinhörend wie von einem fremden Text Notizen macht, als
handelte es sich um ein sakrosanktes Vermächtnis, von dessen Gegenwärtigkeit er
ein Stück abbekommen will.
Streiflichter aus dem Roman
Die
Vorlesung in Köln umfasst mehrere Streiflichter und dialogische Exkurse. Diese
leiden unter einer schlechten Übersetzung der Wortbeiträge und hauchdünner Vorbereitung. »Es ist
üblich, dass man seine Exfreundinnen weiterhin duzt, aber statt eines
echten Kusses gibt man sich Küsschen auf die Wange.« Diesem routiniert
abgeklärten Abschiedsgedanken aus dem Roman (S. 34 ff.) folgt eine Expertise von
Myriam, der ehemaligen jüdischen Freundin der Hauptfigur François, dem
Ich-Erzähler und gealterten Literaturdozenten, wonach dieser trotz seines
Machogehabes und seiner zweideutig naturalistisch-symbolistischen Vorliebe
zwischen Mallarmé und Huysmans nicht in das Konsum-und-Partner-Raster der
aktuellen Frauenzeitschriften passe. Mit Boris Cyrulnik spricht François, der
Ich-Erzähler, sogleich den Startheoretiker der Resilienz, der Widerstandskraft
und des Überlebenswillens von Menschen in außergewöhnlichen Krisen-, aber auch
in Alltagssituationen an. Und zwar im Widerspruch zu seiner Liebe zu Nick Drake,
dem britischen Folk-Geheimtipp und mittlerweile VW-Verkaufsikone (»Pink
Moon«). Nick Drake hat jenen wunderbarem Hochwasserhosen-Lyrismus, der wohl auch
den aktuellen Kleidungsstil Houellebecqs für die popkulturell Unbedarften
erklärt. Eine tragische Figur, die den Mythos, mit 26 Jahren 1976 an einer
Überdosis Antidepressiva zu sterben, für sich reklamierte und damit den Forever
27 Club von Hendrix, Joplin, Morrison und Cobain toppte. Die Kampfzone ist zur
diskursiven Verhandlungsfläche des Lebens und Sterbens geworden, das Projekt Sex
und Kinderkriegen wird wegen Selbstdefinitionsbedarf bis aufs weitere
aufgeschoben.
»Der
Regierungswechsel hatte im Viertel keine sichtbaren Spuren hinterlassen.« (S.
154) Die Romanfigur François geht davon aus, dass er seinen Posten an der
Universität behalten wird. Die neugewählte muslimische Regierung unter Mohamed
Ben Abbès kommt 2022 an die Macht, durch die Koalition des anwachsenden
muslimischen und des schwächelnden sozialistischen Lagers gegen den rechten
Front National. Sie führt ein theokratisches Gouvernement ein mit dem
»Bekehrungseifer« von Scharia und Polygamie, die allerdings durch den »Ozean
dieser riesengroßen Zivilisation« gebremst zu werden scheint, wie der
Protagonist vermutet. In dem weniger spektakulären Einkaufszentrum Italie 2
treten nun vermehrt Frauen in Hosen auf, die Anzahl der Schleier nimmt draußen
nicht zu. Und damit wird dem an »Elementarteilchen« erinnernden Lustkalkül der
Hauptperson, Einhalt geboten, wonach François nicht mehr seine Don-Juaneske
Liebe zur Geometrie als Voyeur in aller Öffentlichkeit am berockten triangulären
Frauenunterkörper ausleben kann. Da wird ihm von seiner Islamisch gewordenen
Universität Paris-Sorbonne mitgeteilt, dass er nur noch an einer laizistischen
Institution seine über allen fachlichen Zweifel erhabene Lehrtätigkeit
fortsetzen könne. Die großzügig berechnete frühzeitige Rente umfasse die volle
Summe, die an sich erst ab dem 65. Lebensjahr fällig wäre. Der Haupteingang des
Universitätsgebäudes, in dem Françcois seine Pensionierung unterschreibt,
enthält als Außenverzierung die neuen Insignien, Stern und Mondsichel, innen Plakate mit Kalligrafien aus dem Koran und Fotos von Pilgern,
die die Kaaba umrunden. Sein Freund Steve nimmt eine Stelle an der neuen
Universität an zu einem fürstlichen Dreifach-Salaire und doziert über Rimbaud,
der in seinem abenteuerlichen und aufreibenden Leben als Dichter der Moderne
sich sogar einer »schlussendlichen Konversion zum Islam« unterzogen habe und die
nun als »unumstößliche Tatsache dargestellt« werde. Das Thema der Kollaboration
und Heteronomie wird deutlich angesprochen.
»Ich
befand mich im besten Alter, war von keiner tödlichen Krankheit direkt
bedroht...« (S. 161) Die Lebensplanung des Frührenters setzt ein, der seine noch
vorhandene Vollvitalität vom Kontakt zum weiblichen Geschlecht abhängig macht.
Myriam nimmt Abstand, geht nach Israel, lernt jemand anderes kennen.
François erlaubt sich die Begegnung mit professionellen Liebesdienerinnen und
wählt Muslimas aus, die er wie ein Spezialmenü à la Carte verspeist. Die
gebildete Tochter eines Radiologen ist gut erzogen, war nie verhüllt, stammt aus
liberalem Elternhaus und studiert Literatur. Die Sexualpraktiken werden kurz
aber explizit ausbuchstabiert, Enttäuschung empfindet der Gourmand bei der
Tatsache, dass die Begleiterin keine Lust zeigt, angeblich »Angst bekam, Lust zu
empfinden«. Die exakte Spiegelung scheitert. Die nächste Dame ist wiederum zu
geflissentlich-ordinär. Die Selbst-Beobachtung frisst das Erlebnis auf. Das
Leben ist nur noch ein stillgestellter einsamer Konsum.
Über
einen freien Auftrag, die Kommentierung einer Huysmans-Ausgabe für den
renommierten Pléiade-Verlag unter dem Leiter Bastien Lacoue gerät François in
Kontakt mit dem Hochschullehrer Robert Rediger. »Als ich die Rue des Arènes Nr.
5 erreicht hatte, begriff ich, dass Rediger nicht nur in einer bezaubernden
Straße im fünften Arrondissement wohnte, sondern dass er in einem Stadtpalais
... wohnte«. Ausdrücklich werden hier die emphatischen Floskeln des
Immobilienmarktes insistent wiederholt, der neogotische Stil des Gebäudes mit
dem neobabylonischen Gesamtbild der Métro-Station Monge, Ausgang »Arènes de
Lutèce« und seinem römischen Bezug kontrastiert. Außerdem wird das flankierende
Türmchen am Stadtpalais hervorgehoben, zur Erinnerung an den Wohnort von Jean
Paulhan, bis zu seinem Tod 1968 Mitherausgeber der »Temps Modernes« (nach
Charlie Chaplins gleichnamigem Film), einem linken, politischen, literarischen
und kulturwissenschaftlichen Projekt, an dem damals Jean Paul Sartre maßgeblich
beteiligt war. Paulhan war zugleich der Konspirateur für Dominique Aury, alias
Pauline Réage, bei der Verfassung der »Geschichte der O«. Rediger ist zugleich
eine Schlüsselfigur für den zeitgenössischen Philosophen Robert Redecker, der
Papst Benedikts islamkritisches Regensburg-Zitat 2007 in einem ähnlich
pointierten Artikel aufgriff und von den »Intimidations islamistes« sprach und
seine Stelle an der Universität in Toulouse aufgeben musste, um an einem
unbekannten Ort unter Polizeischutz zu leben.
Dies ist die eine Form der Soumission, der Unterwerfung, bei der sich
staatlichen Mächte plötzlich außerstande sehen, einer kritischen Stimme noch
Schutz zu bieten, angesichts der unsichtbaren, aber für real gehaltenen
Fern-Bedrohung. Die Romanfigur Rediger bewegt sich im Sinne der Soumission in
eine affirmative Richtung: Der ehemals nationalistische Parteigänger tritt über
zum Islam, mit allen damit verbundenen Vergünstigungen, der Vielehe und der
Liebe zu einer Minderjährigen und dem Job als Präsident der Universität Sorbonne.
Seine Dissertation trägt den Titel »Die Nietzsche-Lektüre von Guénon«. René Guénon ist keine semi-fiktive Figur, sondern ein einflussreicher Mitbegründer
der französischen traditionalistischen Schule, die die Philosophie wieder als
Metaphysik direkt mit Religion und Mystik in einem vormodernen Sinne verbinden
wollte. Dieses Projekt zeitigt merkwürdige Folgen: entweder, indem Guénons
Positionen sich im Zeitalter von Historismus, Relativismus und Agnostizismus
nicht mehr auf Dauer rational stabilisieren lassen, oder in dem anderen Sinne,
dass Guénon ein breit gefächertes Bildungs- und Glaubenserlebnis erfährt, das
ihn als Grenzgänger zum Islam führt. Zunächst römisch-katholisch und
freimaurerisch gesonnen streifte er später seine christlich-mitteleuropäische
Bindung ab zugunsten einer islamisch-mystischen Bekehrung zum Shadili-Sufismus
in Nordafrika und Kairo.
Houellebecqs Held ist an dieser Stelle genau so verwirrt und ermüdet wie Huymans,
der sich selbst missverstehende und von anderen fehlgedeutete Polystilist und
Konvertit an der Jahrhundertwende und wie die Zuhörer in Köln 2014: »Ich war nur
mit Mühe dazu in der Lage, ihm zuzuhören. Ich stand kurz vor einem Kollaps.«
Nicht umsonst kritisiert Rediger seine eigene Nietzsche-Guénon-Arbeit, während
er bei François umfangreicherer Dissertation Nietzscheanische Bezüge gerade
zwischen dem künstlerischen Überschwang der Ideen wie in der Geburt der
Tragödie im Gegensatz zu den rationaler und sparsamer argumentierenden
Unzeitgemäßen Betrachtungen hervorhebt. Rediger versucht »wirklich
angesehene« Hochschullehrer »von internationalem Format« zu gewinnen. Einzige
Bedingung ist die Aufgabe des bisherigen Glaubens und der bisherigen Lebensform,
ganz gleich ob Theismus, Deismus, Atheismus oder rebellischer Humanismus, vor
allem der Rückzug aus dem Engpass der westlichen Debatte zwischen Kommunismus
und Liberalismus. Rediger schmeichelt sich durch eine maliziöse Rede bei
François ein, den Untergang des christlich-jüdischen und des säkularen
»Abendlandes« in der Geste der Unterwerfung des intellektuellen Mannes unter den
Islam zu besiegeln und damit die verbundene unbedingte Unterwerfung der Frau
unter den Mann zu gewinnen, »wie sie in Geschichte der O beschrieben wird«,
um sich im
Genuss unterm Gesetz hinzugeben.
Im Gegensatz zum transzendenten Pessimismus des Christentums und der
Modereligion des lebensverneinenden Buddhismus bejahe der Islam die Schöpfung
und den Schöpfer in einer unvergleichlichen Intensität, der man nicht durch
Übersetzung aus dem Arabischen gerecht werden könnte. Man müsse sich in den
Originalwortlaut, in die Musikalität der Klänge, auch ohne unmittelbares
Verstehen, versenken. Zu diesen ontotheologischen Floskeln gesellen sich
zugespitzte evolutionistische und bevölkerungspolitische Argumente, die zugleich
von der antichristischen Militanz eines neu-hart ausgelegten Nietzsche flankiert
werden, der am windelweichen Humanismus und den Menschenrechten
vorbeimarschiert. An der Grenze zu einer spätrömischen, hellenistischen und
byzantischen Verwirrung, bei der auch die funktionale Auslagerung der Brüsseler
und Straßburger EU-Gewalten nach Rom und Athen eine Rolle spielt, beschließt
Houellebecq mit einer freudigen Erwartung seines voraussichtlichen Konvertiten François sein Werk
in einem narrativen Optativ, der dem heutigen verblassenden europäischen Polylog
den Zerrspiegel der Wahl vorhält: Unterwerfung jetzt, so oder so. Der Untergang
des Abendlandes als genüssliches Exotikum.
In vielen Passagen ist
»Unterwerfung« ein mattes Remake seiner früheren Werke, Brillanz und Fahrt nimmt
der Kurzroman erst in den finalen Ausführungen Redigers auf. Ohne Zweifel sind
Houellebecqs Person und sein Buch mitten in eine reale Kampfzone geraten. Diese
konfliktreiche Situation ist nicht nur in Frankreich und nicht allein
militärisch zu beherrschen, sondern ist zivilgesellschaftlich in ganz Europa und
global zu lösen. Dazu bedarf es anderer Instrumente als zeichnerischer und
romanhafter Karikaturen und Spekulationen. Auch Houellebecqs Roman ist voll von
asymmetrischer Ranküne und Ressentiments. Die hochkulturelle Verbrämung ändert
daran nichts. Der Diskurs der Integration unter neutralen demokratischen
Prämissen einer für alle gesicherten Freiheit und Chancengleichheit
tut not. Das Spiel der staatlichen Souveränität in Verbindung mit einer einzigen
kulturellen Hegemonie und der Arroganz und Gewalt gegenüber den Banlieues oder
der Konsum von Exotismus, das alles funktioniert nicht mehr.
Artikel
online seit 26.01.15
|
Foto: Michel Houllebecq,
Screenshot 19.01.15
Michel Houllebecq
Unterwerfung
Roman
Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek
DuMont Buchverlag
271 Seiten
22,95
978-3-8321-9795-7 |