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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 

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Artikel online seit 19.09.10









Ein Leben mit Goldrand

Die Tagebücher des Feuilletonisten, Lektors und Schriftstellers
Fritz J. Raddatz amüsieren wegen den darin genüsslich
protokollierten Eitelkeiten des deutschen Literaturbetriebs
und erschüttern wegen der alles grundierenden existentiellen Ödnis.


Von Herbert Debes
 

Alleine durch die deutsche Provinz zu tingeln, die obligaten Weinchen mit den Buchhändlern, furnierte Hotelbetten. Das sind Alpträume für ihn, den weltgewandten »Wolkentrinker«, der in Paris stets im legendären »Lutetia«, in Berlin immer im »Kempinsky« und in München im »Vier Jahreszeiten« Logis zu nehmen pflegte, zumindest in Zeiten, als sein Spesenkonto noch zulasten Rowohlts oder des »ZEIT«-Verlags ging.

Er muß auch
an jenem Abend 1983 im Bücherturm der Stadtbibliothek in Offenbach/M gelitten haben, zu dem ihn der damals gerade zum Stadtschreiber gekürte Horst Bingel eingeladen hatte. Raddatz sollte mit ihm über sein Buch »Die Nachgeborenen« sprechen, das mit seinen Ansichten zu Autoren wie Böll und Grass, Enzensberger und Hildesheimer, Walser und Johnson, Hochhuth und Peter Weiss in der Diskussion war.
Er saß auf dem linken der beiden eigens zu diesem Anlaß vom Büchereileiter herangeschafften Sessel. Doch, was heißt sitzen?
Ich kenne kein anderes männliches Wesen, das sich so auf einen Sessel drapieren kann, wie Fritz J. Raddatz. In feinstem, sandfarbenem Zwirn, farblich abgestimmmter Krawatte, ein Bein leger über das andere geschlagen, den rechten Arm seitlich weit ausgestreckt über die Lehne gebreitet, eine Davidoff in der Hand, deren Rauch versonnen, mit nach hinten geworfenen Kopf ausblasend, so als denke er bereits über eine Antwort auf die eben von seinem Gesprächspartner gestellte Frage nach.
Die raumgreifende, unnachahmliche Pose einer Diva, sein Markenzeichen: jene einzigartige Kombination aus Nonchalance und Flegelhaftigkeit. Beispiel für eben jenen »Flanellradikalismus«, den ihm die ostpreußische Gräfin zeitlebens krumm genommen hat und den ihm mißgünstige Kollegen bis heute gründlich verübeln.

Dabei hat Fritz J. Raddatz als Lektor des Rowohlt Verlags, Feuilleton-Chef der »ZEIT« und Schriftsteller den deutschsprachigen Literaturbetrieb in den letzten 50 Jahren maßgeblich mitgestaltet. Sein Qualitätsbegriff hat die Literaturlandschaft eine Generation lang entscheidend mitgeprägt, ihr wichtige Impulse gegeben, heftige Debatten ausgelöst und bis heute gültige Maßstäbe gesetzt. Das geschah zwar nicht immer mit kühlem Kopf, dafür aber mit empathischem Überschwang und einer Kraft, die selbst ein Alphatier wie Siegfried Unseld in Angst und Schrecken versetzte, dieser frivole Intelligenzbolzen Raddatz könne ihm womöglich im eigenen Haus die Schau stehlen.
Daß bei dem rasanten Tempo seiner Gedankengänge, (nein, ich bringe jetzt keine Porsche-Metapher), gelegentlich die drögen Fakten auf der Strecke geblieben si
nd, und der alte Goethe wegen ihm um drei Jahre den Zug verpaßt hat, ein eigentlich läßlicher Lapsus, der aber den intellektuellen Blockwarten der Nation willkommener Anlaß war, Raddatz als unhaltbar zu verschreien, kostete ihn schließlich seinen Chefsessel bei der »ZEIT«.
Die sich dafür allerdings mit einer gewissen Frau Löffler als seine Nachfolgerin selbst fürchterlich abgestraft hat.

Als dann im Herbst 2003 seine Erinnerungen erschienen, gerieten die deutschen Feuilletons noch einmal in helle Aufregung. Denn der alte Fritz hatte auf 478 Seiten ausgeteilt, und durfte fortan einsammeln, was ihm seine langjährigen Kritiker, Widersacher und Neider schon immer mal hatten stecken wollen.

Nun sind auch noch seine bislang persönlichsten Aufzeichnungen erschienen, nicht bei Ullstein, sondern bei Rowohlt, dort, wo er hingehört. Und sein Name prangt tatsächlich in goldenen Versalien auf dem Umschlag seiner 940 Seiten umfassenden »Tagebücher / 1982-2001«, von denen Frank Schirrmacher so grossfazig behauptet hat: »Dies ist er endlich, der große Gesellschaftsroman der Bundesrepublik«.
Nun, bei aller verständlichen Begeisterung für die lebensprallen Seiten: da irrt der gute Mann sich doch gewaltig, denn ein Roman ist ein Roman und diese Aufzeichnungen sind Tage- und natürlich Nächtebücher, diktiert von Freud und Leid einer hypersensiblen männlichen Diva, und zwar genau soweit ins Intime inszeniert, wie diese es für angebracht hält. 
Und es ist schon gar kein »balzacsches Porträt unserer Zeit« wie der Klappentext uns schwarz auf güldenem Font vollmundig verspricht. Diese Tagebücher atmen eher die Atmosphäre eines aufgepuderten Ohnsorg-Theaters, in dem ein zeitvergessenes Stück von und mit intellektuellen Rentiers gegeben wird. Auf der Besetzungsliste finden sich die üblichen Verdächtigen: Brasch, Fichte, Grass, Hochhuth, Muschg, Walser und diverse andere sich selbst überschätzende alte Säcke und gelegentlich auch Schabracken, die, in ihrer Bedeutungsgeilheit geradezu absurd eitel und eifersüchtig auftreten, einander Ruhm & Ehre mißgönnen, und sich immer noch für den geistigen Nabel der Nation halten. Allesamt stichwortsichere Rampensäue, die nicht wahrhaben wollen, daß die Gipfelstürme ihrer einstmals den Kulturbetrieb dominierenden Seilschaften zwar Legende sind, aber inzwischen auch tempi passati.
Die dennoch vorhandene Größe dieser Tagebücher liegt in dem ausgeprägten Hang zur Selbstentblößung und Rechtfertigung, der Raddatz seit jeher (aus-)gezeichnet hat. Er hat seinen Garderobenspiegel auf die Bühne gerückt. Seinem Leben mit Goldrand nachschmeckend, sitzt er coram publico davor und schminkt sich ab, wissend, daß er, als Strafe für diese Frechheit, sein letztes Fadenglas Champagner womöglich allein mit dem Sektquirl aus Platin wird trinken müssen. Herbert Debes


 

Fritz J. Raddatz
Tagebücher 1982-2001
Rowohlt
Hardcover
944 Seiten
34,95 €
978-3-498-05781-7 

Leseprobe
 


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