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Glanz&Elend Walter Benjamin - Leben & Werk |
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Essay:
»Der
Intellektuelle ist der geborene Feind des Kleinbürgertums, Wenn diese historische Anekdote, die von Hans Sahl als Benjamins Lagermitinsasse berichtet wird, auch Züge des Grillenhaften trägt, so charakterisiert sie doch – symbolisch zugespitzt – mit allem Ernst die Situation des Intellektuellen überhaupt, jenseits des Lagerzauns. Einer Lage ausgesetzt, in der keine ihrer Eigenschaften etwas zählt, ist eine mit großem Wissen, umfassender Bildung, moralisch geprägtem Charakter, besonderer Sensibilität und kritischer Phantasie ausgestattete Vernunft eingesperrt in ein Gefängnis des Realen, in dem sie verzweifelt versucht, einen Rest von Würde zu bewahren. Wie kaum ein anderer verkörpert die Person von Walter Benjamin diesen Mythos des Intellektuellen mit seinem beharrlichen Eigenbrötlertum, denn Benjamin ist eine jener intellektuellen Figuren, die sich der üblichen Kategorisierung entziehen. Als assimilierter deutscher Jude, dessen geistige Haltung gleichermaßen in den Extremen Marxismus und Ästhetizismus, Mietskaserne und Jugendstilvilla angesiedelt ist, sitzt der Großbürgersohn Benjamin zwischen allen Stühlen. Geschätzt sowohl von Ernst Bloch wie von Gershom Scholem, von Bertolt Brecht wie von Hugo Hofmannsthal, von Hermann Hesse wie von Theodor W. Adorno wird er doch ignoriert von der offiziellen Wissenschaft, wie sehr er auch von der ‘Alternativkultur’ der Weimarer Republik geachtet werden mag. 1992 in Berlin geboren, studiert Benjamin in Freiburg, München und Bern, wo er 1918 Ernst Bloch kennenlernt und ein Jahr später mit einer Arbeit über die Romantik promoviert. Die Rückkehr nach Berlin ist für den seit zwei Jahren Verheirateten mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden: Er arbeitet unter anderem als Buchrezensent und versucht, sich 1923 in Frankfurt am Main mit einer Arbeit über das barocke Trauerspiel zu habilitieren, was jedoch an der Borniertheit der Frankfurter Professoren scheitert. Hier begegnet er Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer, Personen, die für sein weiteres Leben von großer Bedeutung sein werden. Mit seinen Büchern, Essays, Kritiken, Übersetzungen, Aphorismen und Rezensionen ist er einer der vielseitigsten Literaturtheoretiker, Kulturkritiker und Feuilletonisten der Weimarer Zeit und der Exilliteratur; mit seinen Rundfunkbeiträgen: den ‘Hörmodellen’, wie er seine Hörspiele nennt, seinen ästhetischen Analysen des Films und den Überlegungen zur Photographie zählt er zu den – zeitlich wie qualitativ – ersten ‘Medientheoretikern und -praktikern’. Benjamin teilt mit allen deutschen Intellektuellen der Weimarer Republik die Erfahrung des Zusammenbruchs der humanistischen Tradition, des sich ausbreitenden Relativismus der Werte und Ziele; mit der Frage: »Schützt Humanismus denn vor gar nichts?« hat Alfred Andersch im Nachwort seines Portraits über Himmlers Vater, seinen Schuldirektor, diese Erfahrung auf eine ins Herz der Moderne und der Aufklärung treffende Formulierung gebracht. Das Stichwort des ‘Erfahrungsverlusts’ markiert den Einbruch der Massenkultur in eine ‘gebildete’ Generation: »Mit dem Weltkrieg begann ein Vorgang offenkundig zu werden, der seither nicht zum Stillstand gekommen ist ... Denn nie sind Erfahrungen gründlicher Lügen gestraft worden als die strategischen durch den Stellungskrieg, die wirtschaftlichen durch die Inflation, die körperlichen durch die Materialschlacht, die sittlichen durch die Machthaber«, diagnostiziert Benjamin. Dies ist die zeittypische Erfahrung eines Intellektuellen aus dem liberalen jüdischen Großbürgertum, die für fast alle Intellektuellen der Zeit gilt, die das Herz auf dem linken Fleck tragen. Seine Verwirrung vergrößert sich angesichts der heraufkommenden Angestelltenkultur, die durch Kracauers Feuilletonserie über ‘Die Angestellten’ so köstlich bis zur Erkenntlichkeit gezeichnet wurde, und der hereinbrechenden amerikanischen Lebensart. Bei Benjamin entsteht so eine Haltung kritischer Melancholie, die aus der utopischen Distanz zur Gegenwart die Kritik und aus der Trauer um die Vergangenheit die Melancholie bezieht. Benjamin ist befallen von einer historischen Schwermut, die ums 19. Jahrhundert klagt. Zwar weiß er wie kaum ein anderer um dessen Zwiespältigkeit; aber gerade sie macht für ihn dessen Reiz aus: Angesichts der sich verbreitenden Eindimensionalität, die dreißig Jahre später Herbert Marcuse in seinem für die 68er-Bewegung Trieb gebenden Buch analysieren wird, der falschen Eindeutigkeit der Massenkultur und ihren technisch produzierten und reproduzierbaren künstlichen Paradiesen, die mit denen Baudelaires nur noch den Namen gemein haben, wird das verlorene neunzehnte Jahrhundert zum Gipfel bürgerlicher Kultur. Mit der ironischen Bezeichnung vom ‘Grandhotel Hotel Abgrund’ hat Georg Lukács diese Haltung, die sich unter anderem bei der Kritischen Theorie findet, belegt. Obwohl sein Verhältnis zur ‘Frankfurter Schule’ problematisch ist und er ihr nicht unmittelbar zuzurechnen ist, bewegt sich Benjamin in diesem Luxushotel mit der Selbstverständlichkeit des Stammgastes: Er sitzt formulierend im Café, liest die Zeitungen im repräsentativen Foyer, genießt die gute Küche im Restaurant und vertrinkt die Nächte an der Bar. Auf dem Zauberberg wäre Benjamin ein Dauergast gewesen, der längst zum Inventar gehört. In einer gebrochenen, selbstironischen Charkteristik hat er, der sehr wohl darum wusste, sich selbst karikiert: »Der Autor legt den Gedanken auf den Marmortisch des Cafés. Lange Betrachtung; denn er benutzt die Zeit, da noch das Glas – die Linse, unter der er den Patienten vornimmt – nicht vor ihm steht. Dann packt er sein Besteck allmählich aus: Füllfederhalter, Bleistift und Pfeife. Die Menge der Gäste macht, amphitheatralisch angeordnet, sein klinisches Publikum. Kaffee, vorsorglich eingefüllt und ebenso genossen, setzt den Gedanken unter Chloroform. Worauf der sinnt, hat mit der Sache selbst nicht mehr zu tun, als der Traum des Narkotisierten mit dem chirurgischen Eingriff. In den behutsamen Lineamenten der Handschrift wird zugeschnitten, der Operateur verlagert im Innern Akzente, brennt die Wucherungen der Worte heraus und schiebt als silberne Rippe ein Fremdwort ein. Endlich näht ihm mit feinen Stichen die Interpunktion das ganze zusammen und er entlohnt den Kellner, seinen Assistenten, in bar.« Der Intellektuelle lebt wie der Mystiker in einer Welt geheimer Bedeutungen, die sich erst ‘hinter’ der sichtbaren Wirklichkeit auftun. In seinen Berichten über seine Kindheit und Jugend im finanziell und weltanschaulich sicheren Großbürgertum Berlins schildert Benjamin die damalige grundlegende Erfahrung der Welt als eine voller Bedeutungen. Jedes Ding hat seine ‘Hinterwelt’, sein sur-reales Jenseits, seine heimliche oder auch unheimliche Bedeutung, die es herauszufinden gilt. Gerade diese Vieldeutigkeit der Wirklichkeit verleiht dem Ich eine ontologische Sicherheit, die jetzt durch das Heraufziehen der nur scheinbaren Gewissheit der Massenkultur zerstört wird. Im Sinne jüdischer Theologie begreift Benjamins – wie es in einer Formulierung von Ernst Bloch anklingt – Metaphysik des Nebenbei die Wirklichkeit als ‘Schrift’, als heiligen Text: Erst diese Auffassung ermöglicht es, wie Freud den profanen Text als heiligen Text zu lesen, die Wirklichkeit als Traum aufzufassen, um so ‘hinter’ ihre verborgene Bedeutung zu gelangen und den Schritt durch den Spiegel tun zu können. Wie Benjamin diesen Zusammenhang zu erkennen und diese im wörtlichen Sinne aussichtslose Situation noch durch Reflexion einzufangen, ermöglicht der Kritik noch einmal einen Höhepunkt als ‘Kritische Theorie’, zu der auch Benjamin in gewisser Weise zählt, wenn auch sein Verhältnis zur ‘Kritischen Theorie’ merkwürdig gespalten ist. Einerseits gehört er von Herkunft und Bildungsniveau sowie innerer Distanz zu beidem zur selben sozialen Gruppierung wie Adorno, Horkheimer und Marcuse; auch seine Auseinandersetzung mit Marxismus und Psychoanalyse sowie seine intime Kenntnis der deutschen Philosophie belegen diese Nähe. Andererseits ist Benjamin niemals Mitglied des Frankfurter ‘Instituts für Sozialforschung’ gewesen, selbst wenn er einige seiner wichtigsten Aufsätze in dessen Zeitschrift veröffentlicht und ihn das Institut im Pariser Exil finanziell unterstützt. Heute hat sich diese ‘geistige Situation der Zeit’ verschärft: Betraf der Relativismus damals noch die Betrachtung, die Interpretation, die Bewertung der Realität nach bestimmten, nun kritisch gewordenen Werten, so ist es heute die Realität selbst, die relativ und kritisch wird, da der Unterschied zwischen Sein und Schein, Realem und Imaginärem schwindet. Benjamin hat dies in seiner ‘Medientheorie’ vorausgedacht: Der Aufsatz über »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« berücksichtigt in Ansätzen bereits diese neue Ästhetisierung der Realität durch die Kulturindustrie. Jean Baudrillard – der französische Philosoph, der sich auch auf Benjamin beruft – erklärt, dass die von Benjamin analysierte Veränderung, die von der technischen Reproduzierbarkeit ausgeübt wird, für die ganze Realität zutrifft. Weil dieser Prozess den Produktionsprozess absorbiert und nicht den Kunstwerken, sondern den Dingen selbst die Aura nimmt und damit die Wahrnehmung verändert, ist nichts mehr bestimmt und somit unverwechselbar, unaustauschbar. Gerade das Gegenteil der Differenz, die Indifferenz, die Unbestimmtheit ist das Prinzip der herrschenden ‘Postmoderne’ – mag der Begriff mittlerweile auch unpopulär geworden sein –, die durch das Wuchern des Imaginären einen ständigen Schwund des Realen erleidet. Die einzige Funktion, die ‘das System’, wie es bei Baudrillard heißt, überhaupt noch antreibt, ist die der Illusion. Wie in einem Vexierbild ist ‘die Wahrheit der Wirklichkeit’ erst in der melancholischen Reflexion sichtbar, nicht im Ding selbst. Die Oberfläche der Dinge enthüllt ihr Wesen allein durch die Spiegelung, die Reflexion, die verkehrende Betrachtung, und die Dinge müssen der scheinbaren Selbstverständlichkeit entrissen werden, bevor ihre Wahrheit ans Licht treten kann. Erst die umkehrende Denkweise, die verformende Reflexion des Zerrspiegels dringt durch ihre Oberfläche. Das weiß Benjamin, und im Trauerspielbuch heißt es daher programmatisch: »Die Melancholie verrät die Welt um des Wissens willen. Aber ihre andauernde Versunkenheit nimmt die toten Dinge in ihre Kontemplation auf, um sie zu retten (...) Trauer ist die Gesinnung, in der das Gefühl die entleerte Welt maskenhaft neubelebt, um ein rätselhaftes Genügen an ihrem Anblick zu haben ... jene Welt, die unterm Blick des Melancholischen sich auftut.« Entsprechend diesem Zitat verliert sich Benjamins ‘Wissen’ um den Verfall seiner eigenen Kultur und seiner Rolle in dieser Kultur in die kritische ‘Melancholie’, der ein ‘rätselhaftes Genügen’ im Blick auf dieses Dilemma eigen ist. Es ist ein Blick, dem sich diese Welt in ihrem Verfall überhaupt erst erschließt, der das Scheitern benötigt, um die Wahrheit ‘hinter’ den Dingen zu erkennen – wie es schon einmal in der glücklichen Kindheit der Fall war. Die Gegenwart der Kindheit ist für Benjamin zentral: Das ‘unreife’ und doch reife Nicht-Überwinden der Jugend und Kindheit erzwingt und ermöglicht das – deshalb – melancholische Leben, das aus der Quelle einer verlorenen Idylle genährt wird. Bloch hat diese allegorische Erkenntnisweise Benjamins treffend beschrieben: »Wo er ein Paradox macht, in seiner Detailbetonung, in seinem ungewöhnlichen und anders malenden Blick auf die Welt, in diesem ebenso höchst Metaphysischen des Nebenbei, da ging ein Jetzt und Hier mit allegorisch durchdringendem Einschlag auf, anklingend in einer der vielen ‘zentralsten’ Bedeutungen nach Benjamins beliebtester Wendung«. Am 26. September 1940 vergiftet sich Benjamin auf der Flucht vor den Nazis in einem heruntergekommenen Hotel in Port Bou, knapp hinter der Grenze auf der spanischen Seite eines Vorgebirges, das ironischerweise Cap Cerbère heißt; er hatte versucht, aus der Hölle herauszukommen.
Benjamins Jugendfreund Werner Kraft, der in den
sechziger Jahren noch einmal Berlin besucht und dabei auch zu Benjamins
Elternhaus kommt, notiert dabei: »Ich stand im Grunewald zufällig vor dem
Hause Delbrückstaße 23. Nicht mehr da. Weg, jeder weiß, wie. Hier bin ich
manchmal gewesen, in einem schönen Zimmer mit kostbaren Büchern. Ein
bedeutender Mensch, eine sehr schöne junge Frau, ein strahlendes Kind. Hohe
Gespräche. Das kommt nicht wieder, aber es ist gewesen, und darum wird es
bleiben. Ich gehe einen Schritt weiter, dort beginnt eine Nebenstraße. Sie
heißt Richard Strauss-Straße. Daß sie Walter Benjamin-Straße hieße, ist ganz
unmöglich. Jener machte schöne Musik und starb, geehrt von den Unnennbaren;
dieser starb, den Unnennbaren fast entkommen, an Gift. Ich gedenke seiner.
Der Philosoph ist eine Sonne, die untergeht.«
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Es wird erzählt: Potemkin litt an schweren
mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrenden Depressionen, während deren sich
niemand ihm nähern durfte und der Zugang zu seinem Zimmer aufs strengste
verboten war. Am Hofe wurde dieses Leiden nicht erwähnt, insbesondere wußte man,
daß jede Anspielung darauf die Ungnade der Kaiserin Katharina nach sich zog.
Eine dieser Depressionen des Kanzlers dauerte außergewöhnlich lange.
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