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Glanz
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Literatur und Zeitkritik

 


 

Rätselhafter Zahlenfetischismus mit sprachlichem Schlamassel

Maria Cecilia Barbettas eigenartiger epischer Roman »Nachtleuchten«

Von Wolfram Schütte

 

Ich glaube, mich zu erinnern, dass Maria Cecilia Barbetta kürzlich empört darauf reagierte, als sie von einem Journalisten »eine Deutsch schreibende Argentinierin« genannt wurde. Die 1972 in Buenos Aires zwar geborene & dort auch zur deutschen Schule gegangene, aber seit 1996 in Berlin lebende Autorin zweier umfänglicher, in der argentinischen Hauptstadt spielender Romane, möchte als deutsche Autorin wahrgenommen werden.

Recht hat sie.

Denn wie z.B. der in Bulgarien geborene Ilja Trojanow oder die in der Türkei zur Welt gekommene Emine Sevgi Özdamar ist M.C. Barbetta nur mittels des Deutschen zur Schriftstellerin geworden – ganz so, wie der Pole, der sich Joseph Conrad nannte, einer der größten englischen Autoren geworden war.

Allerdings dürfte die Kombination ihres spanischen Namens mit der argentinischen Realität ihrer Bücher nicht gerade selbstverständlich für die deutsche Literatur sein – zumindest die bisherige. Man wird sich jedoch schleunigst daran gewöhnen müssen, dass künftig die deutsche Literatur auch von Autoren & Autorinnen geschrieben werden wird, deren Familiennamen aus vieler Herren Länder stammen.

M.C. Barbetta dürfte eine der talentiertesten & zugleich ehrgeizigsten ihrer Generation sein. Darüber hinaus haben wir in ihr das rare Beispiel einer sprachspielerisch verliebten, ironisch-humoristischen Autorin. Ihr dreiteiliger Roman »Nachtleuchten« ist lokalisiert in dem Einwandererviertel Ballester, in dem sie selbst geboren wurde. Ihr zweiter Roman der erstaunlich viel wissenden, literarisch hoch gebildeten Autorin spielt 1974 dort. Da war Maria Cecilia Barbetta 2 Jahre alt.

Anders als der erste Roman Trojanows und das gesamte erzählerische Oeuvre Sevgi Özdamars – die beide autobiografisch unterfüttert sind – geht Barbetta aufs Ganze ihrer Phantasie & Imaginationskraft, indem sie das Viertel mit einer Vielzahl von Figuren & Geschichten als genuinen literarischen Topos zum Leben erweckt. Nichts da von camouflierter Autobiografie oder coming-of-age-Erzählung; sondern souveräne epische Weltbeschwörung! Will sagen: das Ballester Barbettas ist so fiktiv wie die Figuren der Autorin.

Steht das erste Buch von »Nachtleuchten« (»Bloody Mary«) im Zeichen einer fluoreszierenden kleinen Madonnenstatue, welche die zwölfjährige Teresa, Zögling des Mädchen-Pensionats Santa Ana, in der Gemeinde von Familie zu Familie zur Ertüchtigung des Glaubens bringt, dreht sich das zweite Buch (»Autopia«) sowohl um die gleichnamige Autowerkstadt, ihr sozialschwärmerisches Personal & ihre exzentrische Kundschaft, als auch um den Friseursalon «Ewige Schönheit«. Im dritten Buch (»Die Basilisken«) verlagert sich das Geschehen in spiritistische Kreise & zum groteskkomischen Dialog der beiden Geheimdienstpolizisten Carrizo & Aguirre.

Jedes dieser drei Bücher hat 33 Kapitel, in einem separaten Abschlusskapitel mit dem Titel »Die vierte Dimension« wird knapp skizziert, was aus all den von der Autorin aufgerufenen Personen jenseits der im Roman beschworenen Jahre 1973/74 noch geschehen ist – quasi als Vision der Marienstatuette, als sie von der Ladefläche eines Lastwagens in ihren Tod, bzw. ihre Zerstörung stürzt.

Sinn & Funktion dieser Zahlenspielereien (mit dem Alter Jesu?), die keinerlei Auswirkungen auf  die Erzählung besitzen, haben sich mir nicht erschlossen – umso weniger, als die einzelnen Kapitel unterschiedlich lang & willkürliche Portionierungen des Erzählstoffs sind, mit denen wahrscheinlich jeweils die gleiche Anzahl von Kapiteln erreicht werden soll.

Erkennbar ist »Nachtleuchten« der erzählerische Versuch, die argentinische Gesellschaft in toto in der nachperonistischen Phase – als der zwei Jahre zuvor aus dem spanischen Exil wiedergekehrte Caudillo 1974 gestorben war & das Land politisch zerrieben wurde vom Terror der Guerilla der linksperonistischen »Montaneros« & dem sich formierenden Staatsterror der putschenden Militärs (1976/83).

Zugleich ordnet die Autorin die kontroversen politischen Tendenzen der damaligen Zeit den spezifischen sozialen Milieus zu: Im ersten Buch die Aufbruchsstimmung der lateinamerikanischen »Befreiungstheologie« in der Nachfolge des 2. Vatikanische Konzils unter den Nonnen des Pensionats »Santa Ana«; im zweiten Buch die linken Sozialutopien innerhalb des Proletariats der Autowerkstatt & im dritten Buch die autoritär-faschistischen aggressiven Träumereien der international vernetzten Subversion der Polizei & bürgerlicher spiritistisch-spintisierender Geheimbünde.

Was anfangs nur ein fernes Wetterleuchten der Gewaltbereitschaft schien, verdichtet sich erst so recht unterm Blick der politischen »Basilisken«, die auf die Stunde ihres Eingreifens warten. Denn im dritten Buch sieht sich die Autorin schließlich gezwungen, öfter & direkter als in den beiden vorausgegangenen Büchern ihren heutigen  Lesern die politisch-soziale Situation Argentiniens nach 1945, besonders das gesellschaftgeschichtliche Vorgelände der kommenden Militärdiktatur diskursiv zu unterbreiten. Bis dahin hat man nicht so recht ahnen können resp. erfahren, worauf diese pittoresken Darstellungen aus dem Alltagsleben Ballesters erzählerisch hinauslaufen sollen.

Das größte Rätsel aber von »Nachtleuchten« sind die Sprache & der Stil des Tripel-Romans, der gewissermaßen mit drei unterschiedlichen Farbfiltern die Buntheit ihrer historischen Beschwörung herstellt. Unverkennbar liegt dort auch das größte künstlerische Interesse der Autorin. Offensichtlich wollte sie ihre epische Vergangenheitsbeschwörung von »einfachen Menschen, die mir am Herzen liegen«, nicht als ahnungsvolles Vorspiel der zwei Jahre späteren Machtergreifung der putschenden Militärs erzählt sehen, quasi naiv ohne das Wissen von der Zukunft. Erst im 100. Kapitel offenbart die Erzählerin, dass ihr Wissen weit über das Jahre 1974 hinausreicht.

Es bleibe dahingestellt, ob eine solche fingierte Ignoranz– sofern sie nicht durch eine Personalperspektive á la Serenus Zeitbloom bedingt ist – überhaupt erzählerisch erreichbar ist & auch noch ästhetisch produktiv werden kann! Martin Walser hat Solches für das erzählerische Sprudeln seines autobiographischen »Springenden Brunnens« versucht, um die historisch-politische Unschuld seines Alter egos erzählerisch beglaubigen zu können. Auch Maria Cecilia  Barbetta erscheint es wichtig, die »unschuldige« Ahnungslosigkeit ihres imaginierten Personals zu betonen. Keiner von ihnen habe die grauenhafte Zukunft voraussehen können, die aus der politisch zerklüfteten Zeit 1973/74 folgen würde.

Die siebenjährige Militärdiktatur war für die Autorin ein irreparabler Zivilisationbruch, zu dessen Folgen für sie eine radikale Emigration aus der spanischen Sprache gehörte. Künstlerisch kreativ ist sie als Erzählerin nur im Deutschen geworden – was nicht heißt, dass sie das Spanische ganz aus dem Sprachkorpus von »Nachtleuten« ausgeschlossen hätte. Mehrfach flicht sie spanische Poesie oder Phrasen & Titel ein; warum allerdings manches davon übersetzt, anderes jedoch unübersetzt bleibt, ist nicht ersichtlich.

So makellos ihr Deutsch auch ist, so geht sie mit ihrer Praxis, die erlebte Rede der Erzählerin mit möglichst vielen auf- oder hintereinander gehäuften deutschen Idioms, umgangssprachlichen Redewendungen & Jargonmetaphern vollzustopfen, um die Anmutung einer ebenso intimen, warmherzigen-humorvollen wie ironisch-belustigenden Erzählung zu suggerieren, jedoch völlig in die Irre. Was wohl als ein lässiges Erzählen auf der Sprachebene ihres kleinbürgerlich-proletarischen Personals gemeint war, kommt als methodisch verkrampfte überkandidelte Anstrengung rüber, die teils unfreiwillig komisch, teils schlichtweg falsch ist. Das ist ein bedauernswertes Manko von »Nachtleuchten«.  

Artikel online seit 10.12.18


 

Maria Cecilia Barbetta
Nachtleuchten
Roman
S.Fischer, Frankfurt a.M.
521 Seiten,
24,00 €

Leseprobe

 


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