Maxim Billers
Kolumnen »Hundert Zeilen Hass«, die von November 1987 bis Mai 1999
in »Tempo« erschienen und nun gesammelt als »Tempo-Buch« im Hoffmann
und Campe Verlag wieder aufgelegt wurden, habe ich damals schon
gelesen, und schon damals war ich ziemlich beeindruckt vom Sound,
die die Kolumnen durchwehten, von der Treffsicherheit und der
Eleganz, mit der jemand auseinander genommen wurde, von der
polemischen Wucht, die durchaus Mut erforderte, weil da jemand ohne
Rückversicherung zu schreiben schien und sich eine Menge Feinde
machte, nicht nur im gerontokratischen Feuilleton, das die
Deutungshoheit im Literaturbetrieb innehatte, sondern auch unter
Leuten, die man bei flüchtiger Betrachtung für seine Verbündeten
halten konnte. Biller hatte die hohe Kunst des Kolumnierens neu
erfunden, indem er alle Register zog und auf einer Klaviatur
spielte, die sich Oldschool-Kolumnisten von selber verboten, weil
sie altbackene Wahrheiten feilboten, die sie schulmeisterlich und
ohne Witz ausbreiteten.
Er war ernst und präzise, wenn es sein Gegenstand erforderte, er
schüttete Häme und Spott aus, wenn der Gegner es verdiente, er
machte sich über sich selbst lustig und relativierte eine steile
These und ließ damit dem Leser, der sich gerade über irgendeine
offensichtliche Ungerechtigkeit aufregen wollte, gekonnt die Luft
raus, er überraschte mit feinen rhetorischen Finten, immer neuen
Ideen, was nicht wenig ist bei 140 Kolumnen, und er wusste genau,
wann es angebracht war, auf einen groben Klotz einen groben Keil zu
setzen.
»Hundert Zeilen Hass« ist eines der lustigsten und kurzweiligsten
Bücher, die ich in den letzten Jahren gelesen habe, und das, obwohl
es von einer Zeit handelt, die zwar noch gar nicht so lange
zurückliegt, die aber aus heutiger Sicht irreal, absurd und fast
schon irgendwie verwunschen und rätselhaft wirkt, wie eine
Übergangszeit, die schließlich zu der totalen Verfügbarkeit aller
Informationen und damit zu deren Entwertung führte. Oder erinnert
sich noch jemand an die Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff,
vor der die Redakteure antanzen mussten, wenn mal ein Artikel über
den von ihr persönlich gepachteten »deutschen Widerstand des 20.
Juli« erschien, der diesen nicht in den leuchtendsten Farben
erstrahlen ließ, und die tatsächlich an Goldhagens Buch »Hitlers
willige Vollstrecker« monierte, er würde »den mehr oder weniger
verstummten Antisemitismus wieder neu beleben«, indem er ihn
aufzeigte?
Ich weiß nicht, ob dieses damals weit verbreitete Argument Biller
entgangen ist, denn ich hätte gerne seinen Kommentar dazu gelesen,
aber auch ohne diesen dezidierten Schwachsinn, den die Dönhoff
damals von sich gab und den erstaunlicherweise niemand skandalös zu
finden schien, bringt seine Beschreibung der »grauen Eminenz« genau
auf den Punkt, woran der Journalismus damals krankte: »Ihre
Leitartikel sind moralische Tagesbefehle, Belehrungen und
Bekehrungen – immer von oben herab, aber nie aus geistiger Höhe …
Die große Pfäffin Dönhoff schreibt wie ein Kind: naiv, uninspiriert
und schematisch.« Und das traf es wirklich sehr genau, wenn man sich
noch ein wenig an die aus Gemeinplätzen bestehenden Artikel
erinnert.
Aber wer kennt diese »Lese-Ödnis« noch? Könnte also sein, dass es
für in den Achtzigern geborene Leser nur das halbe Vergnügen ist,
auf der anderen Seite muss man solche Gespenster heute auch nicht
mehr kennen, um trotzdem Vergnügen an den Kolumnen zu empfinden,
denn sie haben ihren Gegenstand überlebt, sie glänzen noch in ihrer
Geschliffenheit und Frechheit, während die unerbittlich
voranschreitende Zeit ihr Kreuz über Frau Dönhoff gemacht und sie
dem Vergessen überantwortet hat.
Oder über den ehemaligen österreichischen Bundespräsidenten Kurt
Waldheim, den sogar Eingeweihte für ein »aufgeblasenes Nichts«
hielten, »für einen Kriecher, einem Nach-unten-Treter, einen
Repräsentationsgeilen«: »Es ist nicht egal, dass Kurt Waldheim
hässlich ist wie die Nacht. Dass seine abstehenden Ohren und seine
lange Nase in bester Nosferatu-Manier sein Äußeres dominieren. Dass
seine Augen feige-kalt leuchten und ihn überhaupt eine recht
gespenstische Hofburg-Aura umgibt. Das ist, im Gegenteil, gut! …
Schade nur, dass Deutschland nicht auch so einen Waldheim-Zombie
hat, irgendeinen unsympathischen Kerl, einen echten
Nazi-Jenseitigen, der die Leute permanent an ›damals‹ erinnern
würde.«
Wenn man schon denkt, dass es vielleicht nicht so klug ist, sich
über das Aussehen eines Mannes lustig zu machen, der doch als Nazi
so viel auf dem Kerbholz hatte, dass die Äußerlichkeit wie eine
Nebensache erscheint, kommt plötzlich die überraschende Volte in der
Argumentation. Und so könnte man noch hunderte Stellen zitieren als
Belege für Billers Humor, seine Schärfe, seine Präzision, sein
Aufbrausen, Stellen, die ich alle angestrichen habe und die die
Besprechung locker auf das Zehnfache des geplanten Umfangs bringen
würde, wollte ich sie alle aufzählen.
Aber zumindest ein paar Leute sollen noch erwähnt werden, wie z.B.
Heiner Müller und seine »quasselig-sophistische DDR-Borniertheit«
oder der »bayerische Parvenü mit Hundesalonbesitzer-Charme« Franz
Beckenbauer, der »sehr pomadige Schauspieler« Ulrich Tukur mit dem
»Talent eines Max Headroom«, wobei das allerdings jetzt ein wenig in
die Irre führt, denn Biller wollte kein Gruselkabinett von
Vollidioten anlegen, vielmehr sind die Invektiven immer ein Beleg
für einen Zustand in der Gesellschaft und der Psyche der Deutschen,
für den aufkommenden Rassismus in der Zone nach der
Wiedervereinigung, für das Versagen der Linken vor dem
»fahnenschwenkenden Siegestaumel« und dem »teutonischen
Nationalismus« und natürlich immer wieder für den Antisemitismus,
der nach dem neuen Bericht der Bundesregierung aktuell bei 24
Prozent liegt.
Man kann also die Kolumnen auch lesen wie ein Buch über die neuere
Geschichte Deutschlands, in dem einem heute einiges immer noch sehr
bekannt vorkommt, wie z.B. die Rede vom »Ausländerproblem« und der
»Überfremdung unserer Gesellschaft«, und es überrascht manchmal,
dass schon damals die Diskussion über diese Themen erbärmlich war.
Da macht es einem dann auch gar nichts aus, dass man nicht unbedingt
immer einer Meinung mit Biller ist und das auch nicht sein muss, wie
z.B. in der Beurteilung der berühmten Aussage Heiner Geißlers, der
»die Pazifisten der 20er und 30er Jahre für Auschwitz
mitverantwortlich« gemacht hatte. Biller kritisierte sie und
beteiligte sich an der allgemeinen Erregung, die Geißler damit in
der Öffentlichkeit hervorrief, muss dabei jedoch ignorieren, dass
nicht nur die Appeasementpolitik dazu beigetragen hat, Hitler freie
Hand zu lassen, sondern auch die »deutsche Friedensbewegung« für
Hitler gestimmt hat, d.h. er nimmt die Friedensbewegung genau in dem
Augenblick in Schutz, als diese gerade die Nation für sich wieder
entdeckt hat. Aber diese Schlachten sind geschlagen, sie heute
wieder aufzuwärmen wäre lächerlich.
Maxim Biller war damals ein Einzelkämpfer, ein Guerillero, der
darauf achtete, dass er kein Bündnis mit potentiellen Verbündeten
und Verwandten im Geiste einging, denn er wollte sein
Alleinstellungsmerkmal nicht verlieren. Vieles aber, was man in
seinen Kolumnen lesen kann, erinnert einen an Autoren wie Wolfgang
Pohrt, Eike Geisel, Christian Schultz-Gerstein oder Wiglaf Droste.
Das sind keine schlechten Referenzen. Seine Verdienste um die
Aufklärung dessen, was die Deutschen Ende der Achtziger und in den
Neunzigern quälte werden dadurch nicht geringer. Dieses Buch sollte
man in der Henri-von-Nannen-Schule zur Pflichtlektüre machen.
Vielleicht würde man dann wieder etwas lieber zu einer der Zeitungen
greifen, die die so vollkommen mainstreamgebürsteten Absolventen
solcher Ausbildungsstätten durch ihre forsche und selbstbewusste
Ahnungslosigkeit immer unlesbarer machen.
Artikel
online seit 26.06.17
|
Maxim Biller
Hundert Zeilen Hass
Tempo-Kolumnen
von November 1987 bis Mai 1999
Tempo Bücher im Hoffmann & Campe Verlag
400 Seiten
25,00 €
978-3-455-00110-5
|