Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme


Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 





Dämmrung will die Flügel spreiten

Leo Lanias Roman
»Land im Zwielicht« arbeitet sich am »ungeratenen Kind«
Weimarer Republik ab und offenbart die Grenzen der Neuen Sachlichkeit

Von Christiane Pöhlmann

 

Als Journalist war er ein Hansdampf in allen Gassen, ein Undercoverreporter à la Wallraff. Mit einem gefälschten Schreiben Arnaldo Mussolinis – der jüngere Bruder Benitos war Chefredakteur der Zeitung Il Popolo d’Italia – schmuggelt er sich 1923 in den Hitler-Kreis und veröffentlicht die beiden Enthüllungsbücher »Die Totengräber Deutschlands« (1924) und »Der Hitler-Ludendorff-Prozess« (1925). Die Dokumentation zum Waffenhandel »Gewehre auf Reisen« (1924) trägt ihm juristische Verfahren ein, in deren Zuge die Lex Lania erlassen wird, die Journalisten das Recht zugesteht, ihre Quellen zu verschweigen.

In Charkow 1896 als Lazar Herman geboren, zieht seine Mutter mit ihm und seinem Bruder nach dem Tod ihres Mannes 1906 nach Wien. Lania besucht die Handelsakademie, fängt aber früh an, für Zeitungen zu schreiben. Nach dem Ersten Weltkrieg siedelt er sich 1921 in Berlin an, der damaligen Hochburg des Journalismus, und versucht sich auch auf belletristischem Gebiet, schreibt Dramen, Drehbücher und Romane.

Der Schritt vom Journalismus zur Literatur war in der Weimarer Republik nur ein kleiner. »Die Entromantisierung der Kunst«, hält Lania fest, »hat der Romantik des Alltags den Weg bereitet, und dieser Weg führt von der ›reinen‹ Kunst zur Journalistik, zur Reportage, von der Dichtung zur Wahrheit, von der Erfindung sentimentaler Fabeln oder psychologischer Geheimniskrämerei zu der unerbittlichen, wahren Schilderung der aufregenden Mysterien der Gefängnisse, der Fabrik, des Kontors, der Maschine, des Mehrwerts, des Klassenkampfes.«

Die aufregenden Mysterien der Fließbänder ließen sich später hinzufügen. Der sozialistische Realismus ist ja nicht nur an seiner inhaltlichen Beschränktheit gescheitert, sondern auch an seiner Verabsolutierung des Authentischen.

Die Weimarer Republik hat indes echte Doppelbegabungen hervorgebracht. Joseph Roth, Erich Kästner und Kurt Tucholsky traten sowohl publizistisch als auch literarisch hervor und schufen Texte, die noch heute mit ihrer Raffinesse und Pointiertheit überzeugen. Die Neue Sachlichkeit hat sich im »Fabian« ein schönes Denkmal gesetzt. In diesem Roman schickt Kästner seinen Moralisten gleichsam als Reinkarnation des Simplicius Simplicissimus durch die Straßen, Bordelle und Zeitungsredaktionen Berlins. Die Figur hält der Leserschaft einen Zerrspiegel vors Gesicht. Einmal mehr gelingt Kästner damit der Beweis, dass Mittel des Komischen einem Text als Frischhaltefolie und der Kritik als Anspitzer dienen. »Die bequemste öffentliche Meinung ist noch immer die öffentliche Meinungslosigkeit«, bemerkt ein mit Fabian befreundeter Redakteur.

Lania zielt dagegen beim Schreiben unironisch auf sein Publikum, will es emotional affizieren und damit lenken. Der »Zeitungskrieg« liest sich in seinem literarischen Hauptwerk »Land im Zwielicht« so: »Eine ›Erklärung der völkischen Studenten‹ – eine ›Gegenerklärung der Republikaner‹ – ein ›objektiver Bericht eines objektiven Augenzeugen‹ im ›Tageblatt‹ – eine ›Kampfansage gegen den Faschismus‹ vom ›Verband der kommunistischen Studentenschaft‹ – ein Leitartikel in der ›Deutschen Zeitung‹ über ›Landesverräter auf den Hochschulen‹ – « Der telegrammhafte Stil verleiht dem Text kein Tempo, von Fieber ganz zu schweigen, die emotionale Grundierung überzeugte damals, rückt das Werk heute jedoch in die Nähe von Sozialkitsch und Melodram.

Dabei ist der Anfang durchaus verheißungsvoll. Die Schilderung eines ukrainischen Waldes in der Dämmerung, die Kriegsbegeisterung der jungen Soldaten, »für die der Tod kein Geheimnis mehr war, das Leben aber ein ungelöstes Rätsel« – mit wenigen Strichen entwirft Lania hier ein farbensattes Bild. Auf Seiten der Deutschen kämpft Rosenberg, Unteroffizier und assimilierter Jude. In einer Kleinstadt erblickt er beim Schneider Mendel dessen zehnjährige Tochter Esther. Nach dem Krieg treffen sich beide in Berlin wieder, nachdem Mendel mit seiner Familie vor Pogromen geflohen war. Die Mutter überlebt diese Flucht nicht, Mendel wird »ein frömmerer Jude als im Ghetto von Borutsch«, Esther lässt ihren Glauben hinter sich. Freitags rezitieren sie abends abwechselnd, »jüdische Psalmen der Vater, Gedichte von Heine und Goethe die Tochter.«

Esther wächst heran, trifft zufällig Rosenberg wieder und lässt sich auf eine Beziehung mit ihm ein, die schmerzlos auströpfelt. Psychologisch fehlen hier ein paar Puzzleteile, um sich die schwärmerische, verantwortungsbewusste Esther im wimmelnden Berliner Nachtleben vorzustellen, aber gut. Es gelingt ihr, Medizin zu studieren. Der verheiratete Professor Graber wird ihre große Liebe, auf die sie aus Angst vor einem Skandal jedoch verzichtet. Damit ihr der Weg zurück zu Graber gekappt ist, heiratet sie Rosenberg, von dem sie sich aber nach kurzer Zeit trennt, um ihren Sohn allein aufzuziehen. Im Arbeitermilieu, unter Gläubigen »einer ganz neuen Art. Sucher waren sie, um Erkenntnis rangen sie, Stück für Stück mußten sie sich ihren Glauben erst erkämpfen. Ihr Lerneifer, ihr Bildungshunger, ihr Bemühen, Glaube und Leben, Geist und Wirklichkeit, Wissen und Tat zu verschmelzen, rührte Esther. Gerade weil diese Bemühungen noch so primitiv waren.«

Als Hitler an der Macht ist, landet Graber im KZ. Ihm gelingt jedoch die Flucht, er sucht Esther auf und bittet sie, sich für einen jüdischen Professor zu verwenden, der ebenfalls eingesperrt wurde. Graber kann sich ins Ausland absetzen, Esther folgt ihm mit Sohn und Vater.

Der Roman ist 1934 zunächst auf Englisch erschienen (»Land of Promise«), die deutsche Ausgabe folgte 1949. Das verhalten optimistische Ende traf den Nerv der Zeit, zumal Lania längst selbst im Exil war. Heute berührt noch die Geschichte dahinter, unmittelbar literarisch zu überzeugen vermag der Text nicht, dazu ist er zu kolportagehaft.

Womit der Text punkten kann, das sind Realien und Kabinettstückchen, die wirtschaftliche Widerwärtigkeiten der Weimarer Republik aufdecken. Hier zitiert Lania sich teilweise selbst. Er muss ein herausragender investigativer Journalist gewesen sein. Unerschrocken tritt er für Meinungsfreiheit ein, wenn Demagogen die junge Republik geißeln wollen: »Als politisch‹ wurde alles verfemt, was der Republik oder Demokratie diente, ›unpolitisch‹ war die Forderung nach dem Kaiser und der Wiederherstellung des alten Militarismus.« Dabei kehrt er Missstände nicht unter den Teppich, hält es aber mit allen, die sich nach dem Mord an Rathenau versammeln: »Und so wenig die Männer und Frauen, die sich diese Republik mit ihrem Blut erkämpft hatten, von ihrer Schöpfung begeistert waren, so standen sie doch zu ihr wie Eltern, die ihrem ungeratenen Kind in Stunden der Not auch die schlimmsten Fehler verzeihen.« Folgerichtig legt er in den 1950er-Jahren den Finger auf die Wunden der jungen Bundesrepublik, als diese zur Wiederaufrüstung drängt. Lania schreibt ein Buch, mit dem er das saubere Image der Wehrmacht demontiert. Er sollte keinen Verleger finden.

Lania brauchte sicher weder vor noch nach den Wahlen eine »deutsche Brille« wegen »Nichtkiekenkönnens«. Er hatte auch in der Abenddämmerung »neugierkluge Augen«. Literarisch war er jedoch unbeholfen. Sein auktorialer Erzähler bleibt letztlich Journalist. Dessen Ton packt noch heute, wenn es um knallharte Fakten geht, scheitert jedoch an der Figurenzeichnung. Allein das Authentische macht nun einmal keine Literatur aus, das hat Lania – wenn auch ungewollt, ja, wohl gegen seine Überzeugung – bewiesen

Artikel online seit 09.07.18
 

 Leo Lania
 Land im Zwielicht

 Roman
 Mandelbaum, Wien 2017
 340 Seiten., geb.
 24,90 €.
 
 Michael Schwaiger
 Hinter der Fassade der Wirklichkeit

 Mandelbaum, Wien 2017

 250 Seiten, geb.
 24,90 €.

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten