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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Früchte des Gelingens

In ihrem Buch »Wo Mut die Seele trägt« erzählt Nahid Shahalimi
die Lebensgeschichten afghanischer Frauen

Von Robert Schwarz

 

Worin liegt eigentlich der Sinn unserer Bildung, fragt die in Kabul geborene Rechtsanwältin Tooba Mayel, und ihre Antwort lautet: Nicht in einem Diplom. Nicht einmal in weithin sichtbarer gesellschaftlicher Anerkennung. Sondern in dem, „was man in der Welt bewirkt“. Sie und ihre afghanischen Schwestern verwirklichen, illustrieren und beweisen mithin die beeindruckende Einladung des Persönlichkeitsentwicklers Steve Pavlina, der dem Leser rät, seinen Beruf in der Welt aus dem erleidenden Herzen zu schöpfen: „Der Pfad, der uns erschreckt, der unsere Seele aufwühlt, den wir uns insgeheim erträumen - es ist der Pfad, der unserem wirklichen Selbst gerecht wird. Der Pfad, der uns mit Wahrheit, Liebe und Macht in Verbindung hält. Wenn wir niemals etwas tun, das uns Angst macht oder uns herausfordert, dann verhalten wir uns zaghaft und scheu und verpassen gute Gelegenheiten, die eine wirkliche Veränderung zum Positiven bringen können.“ (Steve Pavlina)

Wer also eines Beweises bedarf oder sich überhaupt für das Schicksal engagierter Afghaninnen abseits des Klischees von auf Schritt und Tritt verfolgten, in der Tradition gefangenen Opfern interessiert, der lese dieses Kompendium der Exilafghanin Nahid Shahalimi, „Wo Mut die Seele trägt“, das gerade im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen ist. Versammelt sind darin die Portraits von gut 20 Frauen, von der Skateboarderin, die am Brett das große Glück erfährt, bis zur Generalin, die seinerzeit als Fallschirmjägerin alle in den Schatten stellte, zuhause aber keine Generalin sein will. Was diese Frauen, die in sehr unterschiedlichen Berufen ihren Mann – und ihre Frau – stellen, allesamt verbindet, sind ihr Mut, ihre Opferbereitschaft und ihr Engagement nicht allein für die Frauen, denen sie Vorbild sein möchten, sondern für die ganze afghanische Gesellschaft. Sie alle wissen, dass es in der gegebenen Situation, wo ihnen viel Hass und Argwohn entgegenschlägt, nicht genügt, bloß zu zeigen, dass sie alles das auch leisten können, was Männer leisten, sondern mehr. Mehr als eine der Frauen spricht das aus: Wir können alles, was die Männer können – und sogar noch mehr. Dieses entschiedene Mehr hat wohl vor allem mit dem starken Gegenwind zu tun, der ihnen entgegenschlägt. Es bedarf großer Vorsicht und Klugheit, in so einem Umfeld trotzdem voranzukommen und ehrgeizige Ziele zu erreichen.

Die Gedanken dieser Frauen sind sehr konkret und drängen nach außen. Den Tod zu riskieren für die Realisierung der eigenen Wünsche und Ideale, das ist in ihrem Fall keine schnell einmal geäußerte Koketterie. Die Generalin fand einmal einen vergifteten Nagel im Schuh, und einmal öffnete sich der Fallschirm nicht, eine andere Frau entging gerade noch dem Komplott einer bestellten Vergewaltigung, und Farkhunda Malikzada wurde vom Mob solange blutig geschlagen, bis sie starb. Die hochbegabte Studentin der Islamwissenschaften hatte die Chuzpe, den Dogmatikern einer besonders konservativen Moschee vor Ort immer wieder Paroli zu bieten. Man denunzierte sie, einen Koran verbrannt zu haben, was der Erlaubnis zur äußersten Gewalt gleichkam, vor der sie auch die Anwesenheit von Exekutivbeamten des Staates nicht schützte. Durch ihren auf Handys festgehaltenen grausamen Tod bekam Afghanistan seine Märtyrerin. Ihr Sarg wurde im offenen Bruch der Tradition von Frauen getragen und sie selbst zum nationalen Symbol. Vor diesem Hintergrund versteht man die Vorsicht Nahid Shahalamis und die ihrer Interviewpartnerinnen, welche sie meistens zuhause traf oder an einem geheimen Ort, wo man ungestört sprechen konnte. Auf den Fotos des Buches sieht man diese Räume mit ihren farbig angestrichenen Wänden, den traditionellen Teppichen und den Sitzkissen an der Wand, nicht selten auch Textilien mit den typisch-kitschigen Bildmotiven, die auf ihre Art appellativ sind. Die Frauen lachen, man sieht die Freude, den Stolz, manchmal auch die Müdigkeit. Es ist wichtig, sich stark zu zeigen, den Herausforderungen des Lebens die Stirn zu bieten, und auch selbstverständlich, so mein Eindruck von diesen Bildern, dass eine Frau, die etwas auf sich hält, sich schminkt und schön macht.

Diese mutigen Frauen haben übrigens auch ihre männlichen Unterstützer, das sind manchmal Väter, die an ihre Töchter glauben und dafür den Bruch mit Familie und Clan auf sich nehmen, oder Rückkehrer wie Ahmad Sarmast, der in seinem Land eine Musikschule für Mädchen gründete. Die Autorin des Buches verdankt wiederum viel dem Mut ihrer Mutter, die damals mit ihren vier Töchtern nach dem Tod ihres Mannes bis nach Kanada flüchtete. Jedenfalls wird deutlich, dass eine Veränderung der Gesellschaft nur gelingen kann durch den herausragenden Mut und das Engagement einzelner, die es wagen, aus der beschränkenden Gewohnheit und den von außen gezogenen Grenzen herauszutreten, und durch die Unterstützung anderer, die an sie glauben, sie ermuntern und unterstützen. Es ist eine Leistung der ganzen Gesellschaft, nämlich von denjenigen Menschen, die die Notwendigkeit der Veränderung am tiefsten spüren und dafür etwas tun wollen. In diesem Sinne und mit einer solchen Wirkrichtung ist auch dieses Buch gemacht. Eine weitere Quelle der Unterstützung habe ich noch nicht erwähnt, nämlich die der internantionalen Gemeinschaft, die Programme zur Förderung von Mädchen aufgelegt hat, Initiativen finanziell unterstützt, herausragende Frauen ins Ausland einlädt und auszeichnet sowie den Prozess von außen beobachtet. Nichts ist in diesem Buch übrigens spürbar von einem Groll über die Einmischung der Ausländer in die eigenen nationalen Angelegenheiten. Und Shahalimi porträtiert auch Frauen, die als Exil-Afghaninnen weiterhin ihr Land repräsentieren – diese tief empfundene Zugehörigkeit ist offenbar ein sehr starker Faktor.

Wie lange wird es dauern, bis die afghanische Gesellschaft nachhaltig im Sinne eines flächendeckenden Zugangs zu den allgemeinen Rechten der Gleichheit von Mann und Frau geöffnet sein wird? Wir müssen jede Gelegenheit nutzen, sagt eine der Frauen. Dann kann man etwas aufbauen. Das Positive ist jetzt schon, und es braucht noch viel Zeit und Engagement, um sich überall durchzusetzen - wahrscheinlich einige Generationen. Man darf nicht vergessen, dass schätzungsweise drei Viertel (!) der Kindes dieses Landes traumatisiert sind.

Wieso wirken die Frauen dieses Buches so positiv? Ich denke, weil sie genau das tun, was getan werden muss. Das Mädchen Aziza, eine heute sechszehnjährige Schülerin, die wie 900.000 andere in einem Flüchtlingslager lebt, gibt nach der Schule das frisch Gelernte an andere Kinder weiter, die nicht das Glück haben, eine Schule zu besuchen; oder sie kümmert sich um Wasserleitungen; oder sie vertritt als Repräsentantin der Kinder deren Wünsche und Anliegen gegenüber der Lagerverwaltung und der Kommune. Was möchte sie später einmal studieren? Zahnärztin, Journalistik und Jus – dies wird offenbar in ihrer Wahrnehmung am dringendsten gebraucht. Und die Kommandantin in der nördlichen Provinz antwortet auf die Frage, ob sie auch vor Tötungen nicht zurückschreckt: Würden Sie Ihre Familie nicht verteidigen? Zweitens überwinden diese Frauen scheinbar unüberbrückbare Grenzen, wie das körperbehinderte Mädchen, das sich selbst beigebracht hat, mit dem Mund zu malen. Drittens besticht die Direktheit ihrer Wünsche. Rubaba, die behinderte Malerin, möchte so viel Geld verdienen, dass sie sich einen Chauffeuer leisten kann, der sie durchs ganze Land fährt, damit sie endlich ihre Heimat Afghanistan kennenlernen kann.

Schließlich sind es die Früchte des Gelingens. Wenn man die konkreten Herausforderungen eines bisher in so vielen Fällen auf beschämende Weise beschränkten Lebens annimmt, dann bestätigt sich die Prognose Pavlinas scheinbar wie von selbst: „Je mehr Autorität Sie in Ihren Beruf einfließen lassen, desto mehr können Sie anderen dienen und desto größer wird ihre Wirkung sein. Dies ist eine große Ehre, die all diejenigen freudig annehmen, die bereit dafür sind.“

Artikel online seit 19.06.17
 

Nahid Shahalimi
Wo Mut die Seele trägt
Wir Frauen von Afghanistan
Elisabeth Sandmann Verlag
160 Seiten
24,95 €
978-3-945543-16-0


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