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Glanz
&Elend
Literatur und Zeitkritik

 


Foto: © Roderich Reifenrath

Die neue Altstadt

Bankfurt baut sich  jede Menge Geschlechtertürme & ein mittelalterliches Mainhatten

Von Wolfram Schütte

Motto: «it´s the economy, stupids” (Karl Marx, Übers. B.Clinton)

Während die Stadtregierung dabei ist, für 1,5 Mio. € drei Tage lang die Fertigstellung der »neuen Altstadt« zu feiern, soll die Frankfurter Öffentlichkeit dafür weichgeklopft werden, Opern- & Schauspielhaus, bislang im Zentrum Frankfurts gelegen, demnächst im Osten auf Städtischem Grund & Boden neu zu errichten - & damit das letzte innerstädtische »Filetstück« für die besonders in Bankfurt vielfach in den Himmel schießenden Luxuswohntürme zur Spekulation frei gegeben werden könnte. (Ich wette, dass bald der Vorschlag im Raum steht, mit dem Verkauf des Grundstücks am Willy-Brandt-Platz einen Teil der Neubaukosten am Osthafen zu »erwirtschaften«!)

Gleichzeitig wächst im kürzlich erst errichteten »Europaviertel« zwischen Hauptbahnhof & Messegelände, dessen protzig-aseptischer Prachtboulevard im Volksmund der Mainmetropole »Stalinallee« heißt, der bislang höchste Wohnturm der Stadt seiner Vollendung entgegen. Höher gelegen – auf dem Sachsenhäuser Berg – ist der ehemalige schlanke Silo der Henninger Brauerei »schwangerschaftsbedingt« in die Breite gegangen, um beim Umbau für seine Millionärs-Klientel besonders spektakuläre Großwohneinheiten zu gebären, von denen man herrschaftlich auf das ganze Main-Rhein-Gebiet herab & hinüber zum Taunus, dem Odenwald & den Spessart blicken kann.  

Das kalauernde Wortspiel von Frankfurt als »Mainhattan« verliert mit jedem neuen Wolkenkratzer seine ironische Anmutung – wenn auch »Manhattan am Main« immer nur ein Bonsai-Imitat des US-Originals bleibt. Nähert man sich mit Auto oder Zug der vieltürmig dem Himmel entgegen sich streckenden Stadt, also dem wachsenden Park von Büro-, Hotel- & Wohntürmen im Zentrum, mögen manchem Italienkenner bei diesem Anblick die historischen Silhouetten Bolognas oder besser noch San Gimignanos mit den historischen Resten ihrer »Geschlechtertürme« in den Sinn kommen. Sie erheben sich dort als letzte Zeugnisse patrizianischer Überbietungs- & Geltungssucht aus noch weitgehend erhaltenen mittelalterlichen Stadtkernen.

Mit derartigem historisch-urbanem Baubestand kann Frankfurt am Main seit den drei Bombenangriffen 1944 nicht mehr aufwarten. Sie haben die zuvor weltberühmte Altstadt »totaler, als man es sich vorstellen« konnte (Goebbels), in Schutt & Asche gelegt. Aber was man nicht (mehr) hat, kann man sich heute ja wieder blendend neu erschaffen: zu einer »neuen Altstadt« à la mode de Moyen-Age: perfekter & sauberer, als man es sich bisher nicht (zumindest als Historiker) vorzustellen wagte!

Wenn auch heute an die Stelle der einheimischen Patriziergeschlechter die neureichen Multimillionäre getreten sind, so halten diese doch händeringend nach lukrativen immobilen Anlagemöglichkeiten Ausschau - möglichst dort, wo man (wie in den innerstädtischen Wohntürmen) unter seinesgleichen, separiert von der plebs der »arbeitenden« Bevölkerung, geschützt wohnen kann.

Da hat Frankfurt am Main, durchaus auch im eigensten Interesse, seinen reichlich vorhandenen anlagewilligen Reichen etwas Besonderes zu bieten. Die (amerikanischste) Stadt Deutschlands hat nicht nur Wolkenkratzer für exklusive Büros & Wohnungen in ihrem immobilen Angebot, sondern auch zu ebener Erde: eine nagelneue Altstadt.

Wie aus dem Ei gepellt steht nach mehrjähriger geheimnisvoller Bauzeit nun mit 35 innerlich hochmodern-luxuriös ausgestatteten Wohnhäusern, ein paar Gewerbeflächen & dem bislang funktionslosen »Stadthaus« ein ganzes Innnenstadtviertel idealtypisch als mittelalterlich anmutende bürgerliche Altstadt-Phantasmagorie vor aller Augen.

Das Prinzip Freilandmuseum, das z.B. im nahegelegenen Taunus den »Hessenpark« aus transferierten & wiederaufgebauten Bauernhäusern & Wirtschaftsgebäuden zum musealen Gedenkort bäuerlich-ländlicher Lebensweise bis ins 20.Jahrhundert zu einem baulichen Ensemble  zusammenwürfelte, wird in der »neuen Altstadt« in der Form eines idealtypisch aus Stahlbeton, Holz, Schindel, Industrieziegeln & Sandstein errichteten Stadtviertels sowohl imitiert als auch übertrumpft.

Übertrumpft, weil in dem fiktionalisierten Frankfurter Altstadt-Phänomen über einer zweigeschossigem Parkhausanlage, mit U-Bahn-Zugängen & Rolltreppen in den engen Gassen oder Höfchen & den aneinander gefugten Ein-bis Zweifamilienhäusern künftig gewohnt & gelebt werden soll, als handele es sich um großzügige Stadt-Villen. Zumindest preislich ist letzteres (wie der Architekt Philipp Oswalt im »Merkur« kritisch anmerkt) mit 5-7000 € pro Quadratmeter für die Käufer zutreffend – obwohl, wie Oswalt errechnete, von einem Gesamtaufkommen von ca. 15.000 € pro qm auszugehen wäre. »Von den bekannten Gesamtkosten des Projekts von 272 Mio € hat die Stadt aber nur zwischen 80 und 90 durch den Verkauf wieder eingenommen.« (Oswalt).

In einer Langzeitdokumentation des HR, in der die stolzen Handwerker von der Einmaligkeit ihrer Baumöglichkeiten & -realisierungen schwärmten, kamen auch zwei Haus-, bzw. Wohnungsbesitzer zu Wort. Der eine sah sich – mit dem nötigen Kleingeld versehen - in der glücklichen Lage, den alten namentragenden Familienbesitz restaurativ wieder errichten zu können; die anderen, ein Ehe-Paar, sprachen mit Begeisterung vom (nicht so genannten, aber doch primär gemeinten) Spekulationswert ihrer Wohnung, der schon in die Höhe gestiegen war, als sie jetzt ihr Eigentum bezogen hatten.

Ob es dazu wirklich kommt, ist jedoch (für mich) fraglich. Denn so sehr die Stadt beim Verkauf  ihrer »Neuen Altstadt« auf die Geldungssucht  des großen Privatkapitals erfolgreich gesetzt hat, so sehr hatte sie gleichzeitig noch anderes damit  im Sinn.

Die deutsche Stadt mit dem größten europäischen Flughafen – dieser Einflugschneise für den ständig wachsenden Ferntourismus, vor allem aus dem reichen China - suchte angesichts der absehbaren Schwindsucht des kulturell codierten japanischen Goethe-Tourismus nach optisch-architektonischen Schnuckligkeiten, die es mit Kölns Dom, Münchens Oktoberfest oder Hamburgs Elbphilharmonie als spezifisch Frankfurter »Alleinstellungsmerkmal« konkurrierend aufnehmen könnten.

In der bereits werbewirksam als »weltweit einzigartig« angepriesenen Fußgängerzone »Neue Altstadt« glaubte sie, es mit einem genialen Coup realisiert zu haben. Man wünscht sich täglich 5000 staunende Besucher, die dort durchgeschleust werden sollen – weil sie sich dadurch den Besuch autochthoner historischer Ambientes in ländlichen Kleinstädten (wie z.B. Fritzlar oder Calw) »ersparen« könnte.

Den Aura-Verlust erfährt ohnehin keiner der Massentouristen, weil in unserer Zeit ja auf vielen Gebieten durch täuschend ähnlich erscheinen lassende Reproduktionstechniken Imitation & Original gleich gültig geworden sind.

Um das Heft der touristischen Nutzung in der Hand zu behalten, hat die Stadt zwar keine Eintrittsgebühr für ihr innerstädtisches Freilandmuseum erhoben; aber sie hat das gesamte Revier unter ihre Fittiche genommen, um bestimmen zu können, welche Geschäfte, vor allem Gastronomien in der Neuen Altstadt sich ansiedeln dürfen. Damit soll verhindert werden, dass wie gewöhnlich »der Markt« deren Existenz & Profit »regelt«. Dann würden binnen kurzem die Flitterwaren der Internationale der massentouristischen Konsum-& Andenken-Industrie ihre Liebesblicke auf die durchgeschleusten Kundschaft werfen & die davon Affizierten würden schnell übergriffig werden.

Ohnehin wird der neu dafür geschaffene Stadtbezirk verwinkelter Luxuswohnanlagen mit menschenüberfüllten Gehwegen & Höfen tagsüber für alle dort Anzutreffenden zu prekären Situationen führen. Wer als Anwohner außerhaus sich seine Lebensmittel besorgen möchte, wird den Strom der touristischen Gäste durchqueren müssen & sich als lebender musealer Gegenstand bestaunen lassen. Die mögliche Verweildauer der Ortsfremden vor Geschäften & Lokalen (denn von den neuen Altstadtbewohnern würden diese ökonomisch nicht überleben können) könnte leichthin zu Ballungen der Nachdrängenden führen. Ausreichende öffentliche Toiletten & Vermüllung sind weitere erwartbare Problembereiche der Neuen Altstadt – falls sie gewissermaßen zur Mona Lisa des Freilicht-Louvres Frankfurt am Main würde. Denn es ist die vermeintliche Attraktivität der Neuen Altstadt für ein touristische Weltpublikum, auf dessen Kommen & Konsumieren die mit 140 Millionen Euro gewissermaßen in  Vorleistung gegangene Stadt ebenso spekulativ wie langfristig hofft.

Während alle jene Städte der Welt, die heute vom Massentourismus heimgesucht werden, unter dem Ansturm ihrer Pilgerscharen stöhnen & über deren Disziplinierung oder Exklusion nachdenken (in Venedig wird man sich künftig an manchen Plätzen nicht einmal erschöpft auf das Straßenpflaster oder die Treppenstufen setzen dürfen!), lockt  Frankfurt am Main mit seinem architektonischen Kunsthonig-Produkt Neue Altstadt Besucherströme an, die sonst keinen Grund gesehen hätten, sich die einzig wegen ihrer Bank- & Wohntürme in Deutschland außergewöhnliche Metropole anzusehen.

Es soll ja aber auch die ideologische Begleitmusik von Journalisten & Politiker geben, die in dieser surrealistischen Koexistenz von hochpreislichem Wohnen in exklusivster Lage mit dem täglichen Bad in der Touristenmenge (als kreuze die Rüdesheimer Drosselgasse die Blankeneser Elbchaussee) den erfüllten Traum einer »Identitätsstiftung« erblicken wollen – was auch immer sie mit dem ausgepackten architektonischen Musterkoffer zwischen Dom, Braubachstraße, Schirn & Römer samt dem Sandsteingitter des Krönungswegs meinen.

So irrwitzig der Beton-Brutalismus des Altem Technischen Rathauses oder des ehemaligen Historischen Museum gegenüber dem einzigen historisch erhaltenen historischen Gebäude der Frankfurter Altstadt (Haus Wertheim) gewesen war: er entsprach mit seiner unverkennbaren Hässlichkeit & provozierenden Befremdlichkeit genauso dem Zeitgeist der Nachkriegszeit in Frankfurt am Main – wie heute das Spekulationsrevier Neue Altstadt als anti-historische Steinsetzung unsere Frankfurter Gegenwarts-Gesellschaft ausdrückt, die sich jetzt wohlgefällig auf die Schulter klopft.

Artikel online seit 28.09.18


 


Ansicht des Hühnermarkts 1903 von Südwesten
(public domain)




Stoltze-Denkmal auf dem wiedererstandenen Hühnermarkt (2018)

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