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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 





Peter Trawny, geb. 1964, studierte Philosophie in Bochum und promovierte anschließend an der Universität Wuppertal über Martin Heidegger. Nach der Habilitation lehrte er an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat. Er ist Mitherausgeber der Heidegger-Gesamtausgabe und war insbesondere für die Edition der »Schwarzen Hefte« verantwortlich, welche die Diskussion um Heideggers Antisemitismus neu entfacht haben.

Aus tiefster Provinz die Welt kreisen lassen

Peter Trawnys »Heidegger-Fragmente« brechen ebenso geistreich wie fruchtbar
mit den Konventionen d
er Biographie als geschlossene Form

Von Jürgen Nielsen-Sikora

Im Jahre 1910 hat der spanische Maler Pablo Picasso den Kunsthändler und Galeristen Ambroise Vollard in dezenten, kontrastreichen Farbtönen portraitiert. Vollards Konterfei ist in kleine Facetten zerlegt, so dass der Eindruck entsteht, der Betrachter kreise um den Gegenstand und betrachte ihn aus verschiedenen Perspektiven. Die Simultandarstellung zahlreicher Blickwinkel lässt die Zeit ins Sujet einbrechen. Es ist ein Bruch vor allem der Sehgewohnheiten, antiillusionär, mit dem Ziel, vielmehr den Umriss als das Wesen des Dargestellten verständlich zu machen.
Der Kunstkritiker Daniel-Henry Kahnweiler hat von dieser Art der Malerei behauptet, sie sei eine Zeichen erfindende Schrift, die vom Betrachter zu enträtseln sei.

Jedes Verständnis ist fragmentarisch

Trawnys »Heidegger Fragmente« erinnert mich an dieses bezaubernde Bild des großen Künstlers Picasso. Denn die »philosophische Biografie« genannte Darstellung umkreist ebenfalls aus verschiedenen Richtungen ihren Gegenstand und spielt mit dem Fragmentarischen, das heißt sie bricht ihr Sujet immer wieder auf, sprengt die geschlossene Form einer klassischen Biografie und widersetzt sich – wohltuend – durch ihre kompromisslos subjektivistische Lesart nicht zuletzt dem traditionellen akademischen Blick. Es ist ein ungewöhnliches Buch über den Einfluss Heideggers auf das eigene Denken: »Sicher – es geht mir ums Denken Martin Heideggers – doch vor allem so, dass ich es mehr und mehr als ein literarisches Phänomen betrachte, das eine literarische Antwort provoziert.«

»Jedes Verständnis ist fragmentarisch«, schreibt Trawny. Auch deshalb will er keine ausgeklügelte, mit wissenschaftlichem Prunk angereicherte Heidegger-Interpretation liefern; sie käme einer Verdinglichung des Denkens gleich.
Heidegger wird bei Trawny zum ersten Denker in der Geschichte der Philosophie. Ein »Denker-Fürst«, ein »Einziger, ein Solist und Solitär – ein Prophet aus unvergleichbarem Mysterienspiel«. Gleichwohl ist er sich der Gefahr einer»Hypnose des Meisters« (Sloterdijk) bewusst, die eine Beschäftigung mit Heidegger zwangsläufig mit sich bringt. Trawny thematisiert auch Heideggers »geistiges Strammstehen«, das Hitler als eine Art »Steigbügelhalter des Seins« auftreten lässt.
Karl Löwith konstatierte 1940 diesbezüglich: Wer sich mit Heidegger auseinandersetze, wüsste nicht mehr, ob er die Vorsokratiker lesen oder gleich mit der SA marschieren solle ...

Wider die philosophische Forschung

Wie Heidegger selbst schreibt Trawny einen anti-wissenschaftlichen Essay und geißelt die Bürokratie der Universitäten, die dem Denken keinen Raum mehr böte. In der akademischen Welt hätten Philosophie und Bildung nur noch wenig Raum: »Die deutsche Universität scheint jedenfalls in der Philosophie ein systematisches Ressentiment gegen anarchistische Kreativität entwickelt zu haben. Es wird >geforscht<, wohl wissend, dass von Platons >Politeia< bis Adornos >Negativer Dialektik< niemals ein großes philosophisches Buch aus Forschung entstanden ist.«
Die akademische Verwaltung sei ein »dauernder Asthmaanfall«. Wer wollte dem widersprechen? Es ist ja bereits ein Armutszeugnis für die universitäre Philosophie, dass ein Philosoph wie Trawny in Deutschland keine ordentliche Professur bekleidet!

Seine Fragmente schreiben letztlich auch an gegen eine Philosophie-Didaktik und eine formale Logik, die das Philosophieren im Keim erstickten. Trawny flaniert lieber durch die Texte Heideggers und sammelt auf, was er am philosophischen Wegesrand des Denkers findet.
So müssen auch wir Leser Trawnys Fragmente lesen, im Sinne des λέγειν (legein), des Sammelns und Aufsammelns. Möglich, dass sich einzelne Textfragmente überlagern und ein Palimpsest bilden, unter dem Heidegger irgendwo begraben liegt.

Lebendige Philosophie braucht das Unverständliche

Es finden sich dann wundervolle Sätze wie diese: »Jeder Heidegger-Leser eine potenzielle Elfride« (Heideggers Frau), oder: »Die Philosophie verwandelt Leben, wenn sie es überfällt.« Es gibt ein Kapitel mit dem unschlagbar schönen Titel: »Platons Langstreckenbomber«, in dem es am Ende heißt: »Der Zweite Weltkrieg war schon bei Platon entschieden.« Daneben steht ein Fragment, betitelt: »Auschwitz und Haribo?«

Nebenwege eröffnet Trawny zu Hölderlin, den Heidegger als eine Art »Über-Hitler« habe inthronisieren wollen; auch zu Nietzsche, Jaspers, Adorno, zu Silvio Vietta, Walter Benjamin, Peter Sloterdijk, Hannah Arendt und Hans Jonas geben die Fragmente Auskunft und spinnen Heideggers Gedanken fort.

Der Heidegger-Schüler Jonas, ein jüdischer Religionsphilosoph, meinte einst, sein Lehrer neige zu orakelhaften Äußerungen. Und weiter: »Heidegger war ein Hinterwäldler. Er fühlte sich eigentlich nur wohl in seiner Hütte im Schwarzwald, unter den Bäumen, unter den Bauern dort, in den Bergen.«
Aus der tiefsten Provinz lässt Heidegger – wie auch Ernst Jünger und Carl Schmitt – die Welt kreisen, bemerkt Trawny. Er will zeigen, nicht diskutieren, schon gar nicht argumentieren. Hierbei fällt er manches Mal auf seinen eigenen Zauber herein, so Trawny weiter.

Am deutlichsten hat Theodor W. Adorno diese Falle im »Jargon der Eigentlichkeit« beschrieben. Ursprünglich ein Teil der als Rettung der Metaphysik angelegten »Negativen Dialektik«, bringt Adorno den »Jargon« wegen des Umfangs als eine eigenständige Veröffentlichung heraus.
Es sei »eine Arbeit, die von relativ pedestren sprachkritischen und sprachsoziologischen Reflexionen, auf eine ganz andere Weise, ins Zentrum der Heideggerschen Philosophie zielt, die ich ihres objektiven Gehalts wegen für unendlich gefährlich halte, keineswegs bloß in Deutschland«, so Adorno in einem Brief an Jonas.
Adornos Kritik richtet sich in erster Linie gegen die »Heideggerei« jener Zeit, das heißt gegen den neuerdings erhobenen hohen Ton, »die pathetisch aufgeladene Sprache« in Philosophie, Psychologie und Theologie, die Heidegger nachgeahmt sei.

Trawny sieht dies freilich anders: »Eine lebendige Philosophie braucht das Unverständliche, um auf neue Fragen zu stoßen.«
Mag sein, dass auch sein Text hin und wieder bewusst nebulös gehalten und mitunter gar sinnentstellend ist wie etwa der Titel »Wir Spätgeborene des Fragments«, das einem Heidegger-Zitat entnommen ist, in dem es heißt: »Bedürfen wir Spätgeborenen des Fragments ...?« Das bedeutet doch wohl offenkundig etwas ganz anderes!? Dennoch bleiben diese Fragmente eine

Faszinierende Lektüre

In Trawnys Fragmente liest sich insofern auch niemand leicht ein, der Text will verstanden werden und verlangt seinen Lesern Geduld ab – zumal dann, wenn die darin formulierten Gedanken den eigenen spontan widersprechen. Wer diese Geduld aufbringt, wird allerdings reichlich belohnt. Um es anders zu formulieren: Peter Trawny hat den berühmten Philosophen Martin Heidegger in dezenten, kontrastreichen Farbtönen portraitiert. Heideggers Konterfei ist in kleine Fragmente zerlegt, so dass der Eindruck entsteht, der Leser kreise um Heidegger und betrachte ihn aus verschiedenen, radikal subjektiven Perspektiven. Die Simultandarstellung zahlreicher Blickwinkel lässt die Zeit ins Sujet einbrechen. Es ist ein Bruch vor allem der Denkgewohnheiten, antiillusionär, mit dem Ziel, vielmehr den Umriss als das Wesen des Dargestellten verständlich zu machen.

Artikel online seit 03.09.18
 

Peter Trawny
Heidegger-Fragmente
Eine philosophische Biographie
S. Fischer
320 Seiten
25,00 €
978-3-10-397299-3

Leseprobe

 


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