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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Peter Trawny, geb. 1964, studierte Philosophie in Bochum und promovierte anschließend an der Universität Wuppertal über Martin Heidegger. Nach der Habilitation lehrte er an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland und gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat. Er ist Mitherausgeber der Heidegger-Gesamtausgabe und war insbesondere für die Edition der »Schwarzen Hefte« verantwortlich, welche die Diskussion um Heideggers Antisemitismus neu entfacht haben.

Zum allgemeinen Intellektuellenhass

Ein Beitrag zur Dialektik der Zeit

Von Peter Trawny

Es fällt auf, dass die Leitartikel der Feuilletons, die Interviews der Hochglanzmagazine, die Diskussionen in den Sozialen Medien super-elegant, kritisch und witzig (im alten Sinne!) dahergeschnurrt kommen wie kleine Geistmaschinchen mit, eben, Elektro-Motoren. Diese Geistes-Männer und Geistes-Frauen, sie sind die glänzenden Influencer der linksliberalen Intelligenz (im Großen und Ganzen), wollen es auch sein, scheinen aber zugleich keinerlei Einfluss auf die politische Sphäre (mehr?) auszuüben, werden im Gegenteil von einer wachsenden Menge von »Männern und Frauen der Straße« prinzipiell abgelehnt und, ja, verachtet. Warum?

Zunächst meldet sich ein für eine Zeitlang unbemerkter Geistes-Hass zurück, den es in Deutschland immer gegeben hat. Der Begriff des »Intellektuellen« war seit jeher auch ein pejorativer. Nicht nur Rechte wie Ernst Jünger oder Heidegger haben ihn verabscheut. Selbst Hannah Arendt mag ihn nicht und findet das Phänomen unerfreulich. Der »Intellektuelle« bedient sich philosophischer Denkfiguren, ohne die Philosophie selbst in ihrer Komplexität anzuerkennen. Für Arendt dürfte er ein Parasit des Geistes gewesen sein.

Zweitens aber präsentieren sich die Intellektuellen heute wie eine Gruppe von Dauer-Urlaubern, die in schicken Altbauwohnungen in Berlin-Friedrichshain logieren, zuweilen vor VW-Managern/innen über »Innovation und Muße« dozieren, von Interview zu Interview spritzen, um ihre trickigen statements abzuliefern, natürlich ohne Honorar und zum Wohle der Demokratie ..., oder in der hohen Altbauwohnung mit ihren Apple-Devices die Aufrufe auf Google studieren je nachdem erfreut oder niedergeschlagen, weil Kollege/in X oder Y noch mehr hat. Man schreibt dann den einen oder anderen Bestseller und ist insgesamt überaus aufgeräumter, wenn auch humorloser Stimmung. Diese dennoch fröhliche Gemeinde, die durch krokodilsmäßigen Neid und Hochmut, Machtgeilheit und Narzissmus zusammengehalten wird, bringt den nötigen Ernst nicht auf, der Anspruch auf Gehör erheben könnte.

Man könnte auch sagen: Es hat sich seit Arendt beinahe nichts geändert. Allerdings wird dieser zweite Punkt durch einen neuartigen, sehr aufgeblasenen Medien-Markt verstärkt, wenn nicht überhaupt ermöglicht. War der Intellektuelle der sechziger Jahre (zumeist) ein unsichtbarer Mann, der hässliche Taschenbücher produzierte, so ist er heute irgendwie ein Pop-Star, der durch Talk-Shows tingelt und »gut rüberkommen« will. Dadurch bietet er dem Ressentiment neue Möglichkeiten. Die nicht nur imaginäre Verpflichtung, die Diskurse der Medien immer neu zu bespielen, macht sie zu Hampelmännern und Hampelfrauen ihrer Eitelkeit. Jeder, der ein Kind zu erziehen hat, bläut ihm ein, so einer oder eine bloß nicht zu werden.

Dieser Medien-Markt ist inzwischen dermaßen mächtig geworden, dass er einen neuen Typus von Intellektuellen hervorgebracht hat. Sie denken von vornherein und naturgemäß in den Grenzen dieses Marktes. Diese Art von Ockhams Razor schneidet sogleich jeden Gedanken ab, der nicht in die Philosophie-Illustrierte passt. Dass es anders sein könnte, wird bei totaler Mobilmachung einer stabilen Halb-Bildung schlechthin gar nicht mehr verstanden. Man will ja so gern den »Mann und die Frau von der Straße« und noch mehr erreichen; da akzeptiert man selbstverständlich deren einigermaßen engen »Formate«. Doch man wird, wenn überhaupt wahrgenommen, verspottet.

Dass dieser Spott inzwischen auch als Hass auf »die Medien« (aktuell vor allem auf das Fernsehen) erscheint und damit dasselbe Business betrift, in dem die Intellektuellen aktiv sind, scheint nur konsequent zu sein. Dieser ganze Apparat sei ein Sumpf, den in Washington Trump trockenlegen will, wobei kaum ein amerikanischer Präsident mehr fürs Medium getan haben dürfte als er. Das Zertrümmern von Kameras hat etwas durchaus Archaisches und bezeugt weniger als die Hilflosigkeit der Zertrümmerer. Der ganze Hass auf die Geist-Blase ist so verständlich wie falsch. Wie gern wäre man der Neanderthaler, der Hermann Löns zitiert; dabei muss man sich um die neue Satelliten-Schüssel kümmern. Eigentlich ist man Informatiker.

Was wäre, wenn all dieser Aufwand nicht betrieben würde? Würde da nicht notwendig das Ressentiment, der Abscheu, der Hass, zerfallen? Nein. Die dialektische Signatur unserer Zeit würde sich nur verschärfen. Der Ausfall der trotzdem noch in all diesen Selbstvermarktungen vorhandenen Vernunft würde ein gefährliches Vakuum hinterlassen, das sogleich von der Wohlfeilheit des gesunden Menschenverstandes und Schlimmerem okkupiert werden würde. Damit wäre der Zeitpunkt erreicht, an dem andere Mittel der Auseinandersetzung nötig würden. Das sollte man vermeiden, fast um jeden Preis.

Man muss also dankbar sein, dass es die Intellektuellen noch gibt. Es wäre jedoch schön, wenn die Spannung der Konfrontation abnehmen könnte. Das läge einerseits an den Intellektuellen und denen, die in ihre Fußstapfen getreten sind. Wenn sie einmal in all ihren Schneewittchen-Spiegeln erkennen würden, wer sie sind, würde sich etwas ändern. Man könnte sich daran erinnern, dass das Leben auch und vor allem jenseits des Spiegleins an der Wand geschieht. Andererseits müssten die Intellektuellen-Hasser zugeben, dass sie ihren Kindern gewiss die Schulbildung nicht vorenthalten würden, nur um sie nicht mit Goethe, Shakespeare oder Euklid in Berührung kommen zu lassen. Goethe kannte Fatima, Othello ist ein Schwarzer und Euklid Grieche. Man kann ja noch einmal ganz von vorn anfangen...

Da ich allerdings ironiefrei enden möchte, vergehen mir die Worte. Woher ein Gemeinwesen kommen könnte, das sich den noch ausstehenden Problemen - und die eigentlichen der Migration, die eigentlichen des Klimawandels, die eigentlichen der globalen Ökonomie werden höchstwahrscheinlich noch kommen - unter Beibehaltung demokratischer Herrschaftsformen stellen könnte, ist zur Zeit kaum noch zu sehen.

Artikel online seit 03.09.18
 

 


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