Eine
Versuchsanordnung: Ein Liebespaar, die Lehrer Malte (Maximilian
Brückner) und Liv (Luise Heyer), noch voll im Beziehungsglück der
ersten Tage und in gelöster Urlaubsstimmung auf Mallorca, erlebt das
so ziemlich Schrecklichste, was man sich vorstellen kann. Drei junge
Männer überfallen, demütigen und peinigen sie, der Anführer Sascha
(Leonard Kunz) vergewaltigt die Frau, während seine Kumpane Malte
mit einem Kabel festhalten. Das wird mit einer Unerbittlichkeit
durchgespielt, die an Michael Hanekes »Funny Games« erinnert, und
der fundamentale Bruch in einem Lebensentwurf lässt an Sam
Peckinpahs nicht weniger verstörenden »Wer Gewalt sät« denken.
Aber Sven Taddicken will
mit seinem Film auf etwas ganz anderes hinaus, was er schon dadurch betont, dass
er dieses ursächliche Geschehen mit dem Film-Titel, eben »Das schönste Paar«,
absetzt. Gut dreizehn Minuten des Films sind da vergangen, und sie waren nicht
leicht auszuhalten, so nahe war man da zuerst dem Glück und dann der Gewalt und
der Verzweiflung. Zwei Jahre sind seitdem vergangen, und Malte und Liv haben –
so gut es eben geht – gelernt, mit der traumatischen Erfahrung umzugehen. Sie
hat gerade eine lange Therapie abgeschlossen, erfolgreich, wie man sich
versichert, und er prügelt sich beim Boxtraining den unterdrückten Zorn heraus.
Die Polizei hat man damals offenbar nicht eingeschaltet, oder das hat nichts
gebracht. Das wird uns nicht erzählt, wohl aber bemerken wir: Dieses Paar hat
mit seiner Erfahrung mehr oder weniger allein fertig werden müssen, und auch
wenn man bei einem geselligen Abend davon spricht, erntet man nicht viel mehr
als betretenes Schweigen oder Allgemeinplätze.
Die Erfahrung sexueller Gewalt isoliert die Opfer, auch in einer, wie man so
sagt, gutmeinenden Umwelt. Eines Tages begegnet Malte zufällig an einem
Imbisstand Sascha wieder. Er kann nicht anders, er heftet sich an seine Fersen
und dringt in ein ganz normales Leben. Dieser Sascha hat eine Freundin, einen
Job in einem Baumarkt und eine Wohnung in einer Hochhaussiedlung. Wie banal
dieses Böse doch ist! Kein Monster sondern ein gewöhnlicher Bewohner einer
gewöhnlichen deutschen Stadt in gewöhnlichen Umständen der unteren
Mittelschicht, Plüschtiere im Schlafzimmer, U-Bahnfahrten zur Arbeitsstelle.
Sascha wehrt sich mit panischer Gewalt gegen das, was er einst den anderen
angetan hat: Dagegen, dass sein Lebensentwurf durch einen Eindringling zerstört
wird.
Aber niemand kann jetzt noch glauben, dass die Sache gut ausgehen könnte. Sie
endet dramatisch und gewalttätig, so viel darf verraten werden. Natürlich ist
»Das schönste Paar« dennoch kein »Rape and Revenge Movie«. Die Gewalt macht
nichts wieder gut, und mit Gerechtigkeit hat das alles nicht viel zu tun. Auf
die Frage seiner Freundin, warum er das getan hat, fällt Sascha nicht mehr ein
als »Weil es ging«. Und gerade diese Banalität ist es, die Livs Vorstellung von
Vergebung für die Tat eines drogengefüllten »dummen Jungen« vernichtet, der sich
vor Scham und Reue krümmt. Nichts davon in diesem trostlosnormalen Leben.
Und ganz nebenbei gelingt Thadicken auch der Blick auf deutsche Wirklichkeit
zwischen der kulturellen Ausstaffierung des Lehrerhaushalts und dem
unaufgeräumten Lebenskitsch in der Hochhaussiedlung. Dass sich zwei Lebenswelten
treffen, die nah beieinander und doch himmelweit entfernt sind, lässt immerhin
ah-nen, dass es um noch mehr ging als um Personen, die zur falschen Zeit am
falschen Ort aneinandergeraten sind. Nicht zufällig träumt Liv einmal, dass sich
Sascha ihr in der Rolle eines aggressiven Musterschülers nähert. Immer wieder
weitert sich der Blick, wir sehen die Menschen in ihrem Umfeld. Fast so viel vom
eben zugleich existentiellen und sozialen Drama wie die hervorragenden
Schauspieler vermittelt der Blick auf die Lebensräume der Protagonisten. Durch
diese Genauigkeit überwindet der Film auch seine ursprüngliche Konstruktion als
Versuchsanordnung. Eine eindeutige Antwort auf die grundlegenden moralischen
Fragen gibt es ohnehin nicht. Wie kann man nach solch einem Bruch weiterleben
mit Vertrauen, Zivilisation und Menschlichkeit? Vergessen? Vergeben? Von Staat
und Gesellschaft Hilfe und Recht verlangen? Vom Opfer zum Täter werden? Die
Täter zur Offenbarung zwingen? All das wird in dem Film angesprochen, nichts
davon ist ein-fach richtig oder falsch. »Das schönste Paar« ist einer der raren
Filme, die dahin gehen, wo es wehtut. Unter die Haut der Zivilisation und hinter
die Gewohnheiten von Biografie und Alltag.
Artikel
online seit 06.06.19
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DAS SCHÖNSTE PAAR
von Sven Taddicken,
D/F 2018, 95 Min.
mit Maximilian Brückner, Luise Heyer, Florian Bartholomäi, Jasna
Fritzi Bauer, Inga Birkenfeld, Oskar Bökelmann
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