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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 










Wo es wehtut

»Das schönste Paar« der neue Film von Sven Taddicken

Von Georg Seeßlen

Eine Versuchsanordnung: Ein Liebespaar, die Lehrer Malte (Maximilian Brückner) und Liv (Luise Heyer), noch voll im Beziehungsglück der ersten Tage und in gelöster Urlaubsstimmung auf Mallorca, erlebt das so ziemlich Schrecklichste, was man sich vorstellen kann. Drei junge Männer überfallen, demütigen und peinigen sie, der Anführer Sascha (Leonard Kunz) vergewaltigt die Frau, während seine Kumpane Malte mit einem Kabel festhalten. Das wird mit einer Unerbittlichkeit durchgespielt, die an Michael Hanekes »Funny Games« erinnert, und der fundamentale Bruch in einem Lebensentwurf lässt an Sam Peckinpahs nicht weniger verstörenden »Wer Gewalt sät« denken.

Aber Sven Taddicken will mit seinem Film auf etwas ganz anderes hinaus, was er schon dadurch betont, dass er dieses ursächliche Geschehen mit dem Film-Titel, eben »Das schönste Paar«, absetzt. Gut dreizehn Minuten des Films sind da vergangen, und sie waren nicht leicht auszuhalten, so nahe war man da zuerst dem Glück und dann der Gewalt und der Verzweiflung. Zwei Jahre sind seitdem vergangen, und Malte und Liv haben – so gut es eben geht – gelernt, mit der traumatischen Erfahrung umzugehen. Sie hat gerade eine lange Therapie abgeschlossen, erfolgreich, wie man sich versichert, und er prügelt sich beim Boxtraining den unterdrückten Zorn heraus. Die Polizei hat man damals offenbar nicht eingeschaltet, oder das hat nichts gebracht. Das wird uns nicht erzählt, wohl aber bemerken wir: Dieses Paar hat mit seiner Erfahrung mehr oder weniger allein fertig werden müssen, und auch wenn man bei einem geselligen Abend davon spricht, erntet man nicht viel mehr als betretenes Schweigen oder Allgemeinplätze.

Die Erfahrung sexueller Gewalt isoliert die Opfer, auch in einer, wie man so sagt, gutmeinenden Umwelt. Eines Tages begegnet Malte zufällig an einem Imbisstand Sascha wieder. Er kann nicht anders, er heftet sich an seine Fersen und dringt in ein ganz normales Leben. Dieser Sascha hat eine Freundin, einen Job in einem Baumarkt und eine Wohnung in einer Hochhaussiedlung. Wie banal dieses Böse doch ist! Kein Monster sondern ein gewöhnlicher Bewohner einer gewöhnlichen deutschen Stadt in gewöhnlichen Umständen der unteren Mittelschicht, Plüschtiere im Schlafzimmer, U-Bahnfahrten zur Arbeitsstelle. Sascha wehrt sich mit panischer Gewalt gegen das, was er einst den anderen angetan hat: Dagegen, dass sein Lebensentwurf durch einen Eindringling zerstört wird.

Aber niemand kann jetzt noch glauben, dass die Sache gut ausgehen könnte. Sie endet dramatisch und gewalttätig, so viel darf verraten werden. Natürlich ist »Das schönste Paar« dennoch kein »Rape and Revenge Movie«. Die Gewalt macht nichts wieder gut, und mit Gerechtigkeit hat das alles nicht viel zu tun. Auf die Frage seiner Freundin, warum er das getan hat, fällt Sascha nicht mehr ein als »Weil es ging«. Und gerade diese Banalität ist es, die Livs Vorstellung von Vergebung für die Tat eines drogengefüllten »dummen Jungen« vernichtet, der sich vor Scham und Reue krümmt. Nichts davon in diesem trostlosnormalen Leben.

Und ganz nebenbei gelingt Thadicken auch der Blick auf deutsche Wirklichkeit zwischen der kulturellen Ausstaffierung des Lehrerhaushalts und dem unaufgeräumten Lebenskitsch in der Hochhaussiedlung. Dass sich zwei Lebenswelten treffen, die nah beieinander und doch himmelweit entfernt sind, lässt immerhin ah-nen, dass es um noch mehr ging als um Personen, die zur falschen Zeit am falschen Ort aneinandergeraten sind. Nicht zufällig träumt Liv einmal, dass sich Sascha ihr in der Rolle eines aggressiven Musterschülers nähert. Immer wieder weitert sich der Blick, wir sehen die Menschen in ihrem Umfeld. Fast so viel vom eben zugleich existentiellen und sozialen Drama wie die hervorragenden Schauspieler vermittelt der Blick auf die Lebensräume der Protagonisten. Durch diese Genauigkeit überwindet der Film auch seine ursprüngliche Konstruktion als Versuchsanordnung. Eine eindeutige Antwort auf die grundlegenden moralischen Fragen gibt es ohnehin nicht. Wie kann man nach solch einem Bruch weiterleben mit Vertrauen, Zivilisation und Menschlichkeit? Vergessen? Vergeben? Von Staat und Gesellschaft Hilfe und Recht verlangen? Vom Opfer zum Täter werden? Die Täter zur Offenbarung zwingen? All das wird in dem Film angesprochen, nichts davon ist ein-fach richtig oder falsch. »Das schönste Paar« ist einer der raren Filme, die dahin gehen, wo es wehtut. Unter die Haut der Zivilisation und hinter die Gewohnheiten von Biografie und Alltag.

Artikel online seit 06.06.19

Wir danken dem Strandgut - Das Kulturmagazin für Frankfurt & Rhein-Main
 

DAS SCHÖNSTE PAAR
von Sven Taddicken,
D/F 2018, 95 Min.
mit Maximilian Brückner, Luise Heyer, Florian Bartholomäi, Jasna Fritzi Bauer, Inga Birkenfeld, Oskar Bökelmann

www.koryphaeenfilm.de


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