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Ein neues Boot im fremden Hafen
Über
Volker Harry Altwassers Selbstfindungs- und Bildungsroman »Letztes Schweigen« »Ein Abwrackroman« – so heißt es auf den ersten Seiten, einleitend zu Volker Harry Altwassers 2010 bei Matthes & Seitz erschienenem Roman. Abwracken ist, was man mit Schiffen macht, die nicht mehr seetüchtig sind. Sie werden ausgeschlachtet, in verwertbare Einzelteile zerlegt, die weiterverkauft werden, der Rest wird recycelt oder entsorgt. Der alte Motor treibt dann ein neues Boot in fremde Häfen, die alten Rettungsboote stechen mit einem anderen Schiff in See. Es bleibt etwas Altes im Neuen zurück; ein Phänomen, das sich durch Altwassers Roman kompromisslos hindurchzieht. Die Erzählung beginnt mit einem Fischer, Robert Rösch. Seine Gegenwart ist der narrative Rahmen; der Rest spielt in der Vergangenheit, in der DDR. Der Protagonist ist zu Beginn noch ein Junge, Volker, er wächst auf bei einer Mutter, die lieber ein Mädchen hätte und selbst noch eines ist, die unter ihrer eigenen dominanten Mutter nichts anderes als Tochter sein kann. Ihre Wünsche: »ein Auto mit Chauffeur, einen Garten mit Gärtner, und einen Fernseher mit Farbe«, kann Volker nicht erfüllen. Die Mutter hat kein Glück mit den Männern, Volker will anders sein, es besser machen. Er wird ein Einserschüler; die Freude der Mutter bleibt aus. Momente des Glücks sind so selten in dieser Tristesse, dass man sie kaum wahrnehmen kann. Kleine Fluchten gelingen Volker, wenn er sich Geschichten ausdenkt, die von der unvorstellbar reichen Stadt Vineta zum Beispiel. Auch die Mutter versucht sich in Eskapismus, verschlingt Bücher, trinkt zu viel. Viel zu viel – fast so viel wie die Männer, die immer wieder an ihr scheitern. Volker muss erst von zu Hause weg, als Thälmannpionier in ein Ferienlager, wo er zum ersten Mal so etwas wie Freundschaft erfährt, um einen Weg zu finden, seinem Schicksal zu entrinnen: Er erfindet sich neu, denkt sich in einen anderes Leben hinein, er wechselt sogar seinen Namen. Aus Volker wird Jack, und »Jacks Geburt sei Volkers Tod«. Noch später wird aus Jack, dem halbstarken Rebell, Robert Rösch, der Student, der Dichter. Als Robert lernt er die Liebe kennen, die er als Volker vermisst und als Jack verachtet hat. Und doch: Immer bleibt etwas Altes im Neuen zurück, immer bleibt da ein Rest des kleinen Jungen, der so aufrichtig um Anerkennung kämpft, verborgen und sorgfältig überschrieben wie bei einem Palimpsest. Robert Rösch, das erfährt der Lesende gleich zu Beginn, hat das Studium der Sozialwissenschaften geschmissen und auf der »Saudade« angeheuert, um sich unter ewig schweigenden Hochseefischern wiederzufinden. Er tut es ihnen gleich: »Wer stumm bleibe, könne alles sagen.« »Saudade«, das ist jenes Gefühl, für das außer im Portugiesischen kein Wort gibt, das man also nur mehr umschreiben oder eben fühlen kann – eine Art von getragener Melancholie, eine tief empfundene Sehnsucht. Das Verlangen nach etwas Unerreichbarem. Die Liebe, die zurückbleibt, nachdem der geliebte Mensch längst verloren ist. Das Wort klingt ein wenig nach Fado, und so klingt auch die Geschichte von Volker, Jack und Robert Rösch.
Dieser Abwrackroman ist
ein bisschen Bildungsroman, ein klein wenig vielleicht Wendeliteratur,
historisch also; er ist die Geschichte einer (gescheiterten?) Emanzipation. Es
ist kein frauenfeindlicher Roman, egal, wie schlecht die Mütter und Großmütter
dabei auch wegkommen mögen. »Es sei kein Hass gegen die weiblichen Menschen
gewesen, er sei ihnen nur gern aus dem Weg gegangen«
– dies ist der erste Satz, Konjunktiv hin oder her, Robert Rösch ist es, der ihn
denkt. Vor allem aber ist »Letztes Schweigen«
ein großartiger, beinah existentialistischer Roman über das Finden und Erfinden
eines anderen Lebens, die Konstruktion und Dekonstruktion von Identitäten, über
die Suche nach Möglichem in einer viel zu engen Welt, in der nichts Gutes
denkbar scheint. Trotzdem gelingt es Altwasser, dass sein Antiheld mit den
vielen Gesichtern nicht den Humor verliert. Und so verliert man beim Lesen auch
nie die Sympathie für diesen ungewöhnlichen Protagonisten und seine
Erfindungsgabe. |
Volker Harry
Altwasser |
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