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Glanz&Elend Magazin für Literatur und Zeitkritik

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Die Flagge ist gehißt

Alf Mayer über das Projekt »Anachron«
von Felix Hofmann und Ingrid Mylo


Wir leben mitten im Wohlstand und mitten in der Barbarei. Weder läßt sich das mehr trennen, noch kann man einen Punkt außerhalb auftun, der einen der Teilhabe an beidem enthebt. Diese kaltblütig vorgetragene Feststellung findet sich in einem der Eingangstexte der ersten Nummer der Zeit-Schrift »Anachron«, einem Projekt der beiden Schriftsteller Felix Hofmann und Ingrid Mylo. Der Titel schon zeigt den Charakter der Inhalte an: Anachron ist die Kurzform von Anachronismus oder von anachronistisch. Also: unzeitgemäß, zeitwidrig. Oder: gegen die Zeit. 64 Seiten hat die erste Nummer. Die Texte sind sorgfältig gesetzt, nicht einfach aus einem Grafikprogramm auf die Seite »gelaufen«, wie es im Medienjargon heutzutage bei Zeitung und Zeitschriften heißt (»Laß da mal den Text reinlaufen«, als handelte es sich um Beton, der da in einen Trog flösse). Die »Anachron«-Seiten sind nach den Regeln der Buchmacherkunst gestaltet, Satz und Typographie eine Wohltat, Papier und Umschlag ein haptischer Genuß. Da weiß jemand, was er tut und was er will, wie man ein Gedicht auf eine Seite setzt, eine Erzählung oder ein Traktat. Felix Hofmann hat früher in der Münchner »Filmkritik« (1957–1984) geschrieben, in der es nicht nur kluge Texte, sondern stets auch eine sorgfältige, schlichte und klare Gestaltung gab. Das weist auf eine weitere Parallele, nämlich das Einzelunternehmen »Die Republik« des »Filmkritik«-Autors Uwe Nettelbeck, die von 1976 bis 2008 erschien und es auf 125 Nummern brachte.

Auch »Anachron« ist klar eine Piratenaktion. Da haben zwei freie Geister ihre schwarze Flagge gehißt und entführen uns Leser an fremde und gefährliche Gestade. »Schmach und Schande auf euch, ihr unterwürfigen Bastarde, mit euch ist nichts anzufangen«, begrüßt der Band seine Leser im ersten Satz. Denkverbote, faule Ausreden oder Scheuklappen gibt es nicht. Stattdessen Piratenschätze, Poesie und Politik, Gedichte und Erzählungen, Pastiches, Zitatmontagen, Aphorismen, philosophisch zugespitzte Betrachtungen, Kondensate langer Beschäftigung mit einer Sache – zum Beispiel mit dem Fernsehen: »Ich habe 15 Jahre lang ferngesehen. Jetzt weiß ich alles. Alles übers Fernsehen, nichts von der Welt.« Es geht um Glück und Neugier, Denken und Erkennen, um Schönheit und ewige Wahrheiten. Kino und Literatur kommt vor (ein großartiges Porträt des Portugiesen António Lobo Antunes), Philosophie und Politik. Kein Geplauder, keine geplusterten Federn. Es geht nicht um pfauenhafte Allüren, sondern das harte, gute Brot unnachsichtiger, Erkenntnis und Schönheit schürfender Beschäftigung mit einer Sache. »Anachron« bietet ehrliche Speise – im Feuilleton sind solche Texte nicht zu finden. Sie würden das andere dort entwerten, in ihrer Qualität und Durchdringungsgüte sind sie aus der Zeit gefallen, eben nicht für die schnelle Verwertung geschrieben, sondern lange abgehangen, verknappt, eingedickt. Konzentriert.
Auf jeder Seite, bei jedem Einstieg tritt die Andersartigkeit der Texte zu Tage. Nicht von ungefähr entführt der Text »Was fehlt dir?« in den Kosmos der utopischen Erzählung »Micromégas« von Voltaire, die dem Verlag des »Anachron«-Projekts den Namen gab. Uns Menschen, den »endlichen Wesen mit den unendlichen Ansprüchen« fehlt immer etwas, heißt es da. Eine der Möglichkeiten des menschlichen Glücks sei das Buch. »Anachron« beschert solche Glücksmomente. Auf die nächsten Nummern darf man gespannt sein. Jedoch ist zu beachten: Anachron gibt es NICHT und NIRGENDWO im Buchhandel, sondern ausschließlich unter der Email:
anachron@micromegas.de
Alf Mayer

Dieser Beitrag ist zuerst im Strandgut - Kulturmagazin für Frankfurt und Rhein-Main erschienen.
 

Felix Hofmann und Ingrid Mylo (Hrsg.)
Anachron. Nr. 1.
64 Seiten
Einzelausgabe 15 Euro.

Zu beziehen exklusiv bei:
anachron@micromegas.de

 


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