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Es
gibt keine »Normalen« mehr Von Georg Patzer
Eine
seiner besten Methoden ist das Schweigen, sehr effektiv. Er sitzt einfach da und
wartet. Meistens fangen die Leute dann doch an zu reden. Sind patzig und
verblüfft, verstört und verärgert. Aber sie reden. Andere halten es besser aus,
aber auch sie fangen irgendwann an. Weil Tabor Südens Schweigen quasi alle Poren
durchdringt, dem anderen keine Luft mehr lässt, ihn dazu zwingt, seine
Geheimnisse zu teilen, seine Masken fallenzulassen. So geht es auch Ilona
Zacherl. Denn sie tut zwar so, als ob sie nichts wüsste, aber sie weiß doch
etwas. Aber das passt eben nicht zu ihrer Rolle als verlassene, trauernde
Ehefrau, als sorgenvolle Alleingelassene. Natürlich steckt eine Frau dahinter, eine sehr viel jüngere Frau, die den Mann über fünfzig noch einmal aufrüttelt. Verliebt hat er sich, in die Kellnerin Carla, und sie sich in ihn. Sie war jung und konnte auch einfach mal was abbrechen, ihr Studium, die auf Sylt geerbt hatte und eine Pension aufmachen wollte. Mit ihm, mit Mundl. Natürlich dauert es ein Weilchen, bis Süden aus den vagen Spuren etwas Handfestes entnehmen kann. Ein Weilchen und viele Biere dauert es, denn Süden ist in vielen Gaststuben Gast, nimmt lieber flüssige als feste Nahrung zu sich. Ein Weilchen und viele Bekanntschaften dauert es, denn Süden muss sich mit vielen unterhalten, mit zwei Bierfahrern, die schon lange mit Mundl befreundet waren, zwei großen Schweigern, die nur sparsam mit Informationen rausrücken. Muss sich mit Carlas Eltern unterhalten und mit den anderen Kellnerinnen und verliebt sich sofort in eine von ihnen, die ihn auch gleich in sein Bett zerrt (nicht, dass er sich sehr gewehrt hätte). Muss, nebenbei, auch seinen Vater suchen, der ihn plötzlich, nach 35 Jahren angerufen hat – und er findet ihn auch, aber anders, als er dachte. Diese Spurensuche, so schön konstruiert sie auch ist, ist nicht das Wichtigste an dem neuen Roman von Friedrich Ani. Es ist seine recht melancholische Beschreibung der vielen Menschen, die alle ein wenig aus der Welt gefallen sind: die sich anschweigenden Bierfahrer, das ältere Ehepaar, deren Tochter bei einem Flugzeugabsturz gestorben ist, die Wirtin, die immer noch schwarz trägt, die Frau, die über ihr Sexabenteuer tagelang ihren kleinen Sohn Bennie vergisst, die auf dem Bahnhof herumstehenden Männer, die kein Zuhause mehr haben, auch wenn sie vielleicht wissen, wo sie abends schlafen – es gibt niemand „Normalen“ mehr. Sie alle schweigen über irgendetwas und öffnen sich nur Tabor Süden. Ein bisschen wenigstens. Wahrscheinlich weil sie spüren, dass er genauso ist, dass er auch Wunden mit sich herumträgt, die nicht heilen wollen. Dass er auch ein wenig beschädigt ist und ein wenig aus der Normalität verrückt. Wo er doch sowieso mit seinem toten Kollegen Martin Heuer redet, der sich vor Jahren in einem Müllcontainer erschossen hat, so wie der kleine Bennie mit seinen Phantasiegestalten redet, um nicht zu einsam zu sein.
So
ist Anis Beschreibung von der Normalität eine Beschreibung des leichten Grauens.
Sind wir so? Tragen in uns etwas herum, ohne es aussprechen zu wollen oder zu
können? Und können dann eigentlich nur noch seltsame, überraschende Schritte
unternehmen wie Mundl, der Koch, der aus seinem alten Leben aussteigen will, dem
dann seine heimliche Geliebte stirbt und der dann mit niemandem darüber reden
kann und einfach verstummt, auf einem Stuhl in seiner Kneipe. Bis er einfach
geht. Radikal. |
Friedrich Ani |
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